linksrhein Quelle: AZW Nummer 03, erschienen am 08.06.1995
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Ein Film der Medienwerkstatt "querblick"

"Wie Dachau an den See kam"

Unmittellbar nach dem 28.4.1944 kam der verantwortliche Staatssekretär Sauer, Stellvertreter von Rüstungsminister Speer, persönlich nach Friedrichshafen, um sich über das Ausmaß des Bombenangriffs der Alliierten zu informieren.

Schnell sind Pläne ausgearbeitet, den kriegswichtigen Industrieunternehmen Dornier, der Zahnradfabrik (ZF), der Firma Maybach (heute MTU) und der Zeppelin-Luftschiffbau ein sicheres Ausweichquartier am See zu schaffen. In Überlingen sollte die Endmontage der Rüstungsindustrie erfolgen. Dazu mußten 8OO Häftlinge aus dem Außenlager Aufkirch des KZ Dachau, das 169 Außenkommandos in ganz Süddeutschland besaß, ein Stollensystem von insgesamt 3,6 km Länge innerhalb von 7 Monaten in den Molassefelsen bei Überlingen treiben, zu dem die genannten Rüstungsfirmen eigene Stollenzugänge erhalten sollten.

Stefan Kern und Jürgen Weber von der Konstanzer Medienwerkstatt "querblick" folgten in ihrem 45minütigem Dokumentarfilm "Wie Dachau an den See kam ... - Außenlager Dachau" den Spuren der Häftlinge, eine Suche, die sie bis nach Italien führte.

Dokumente aus den Archiven der Gedenkstätte Dachau, der Stadt Friedrichshafen und dem Bodenseearchiv Markdorf, unkommentierte Aussagen ehemaliger Häftlinge und Zeitzeugen, Archivaufnahmen der Medienwerkstatt Freiburg eines bereits verstorbenen Häftlings von 1982 lassen das Leiden der Häftlinge von damals gegenwärtig werden.

Der Regionalhistoriker Oswald Burger führt uns an die Orte, zeigt die Straßen im Villenviertel Überlingens, durch die zwei Gefangenenzüge täglich in Reih und Glied, nur mit Holzschuhen und dem gestreiften Häftlingsanzug bekleidet, vom Lager zum Stollen zogen, angetrieben von Knüppelschlägen und scharfen Hunden, vor ihnen zwölf Stunden Arbeit unter Tage bei Feuchtigkeit und Kälte, den Heimweg ins Lager über zwei steile Berge, viele schaffen ihn nicht mehr. Kinder beobachten sie oder begleiten sie auf ihrem Weg zur Schule den "furchtbaren langen Weg ins Lager" (Rosemarie Bauer) mit dem Gefühl "da ist eine undurchsichtige Glaswand dazwischen, das war so unbegreifbar".

Zu Beginn des Films die Liste der Häftlinge, aber da ist kein Schindler. Kinder lenken Wachleute der Firmen und der SS ab, damit von der täglichen Ration Brot Ausgehungerte sich aus dem Garten Eßbares holen können. Auch ein Metzger hilft, steckt bei der Proviantausgabe zu. Kleine Aufmerk samkeiten, von der SS scharf verfolgt, mehr ist da nicht.

Die Ärztin Lilli Walter berichtet, wie sie anfänglich mit ihren Nonnen noch Häftlinge versorgen konnte, bis die SS morgens alle abholt: "Mit uns könnte man nicht arbeiten." Und die Häftlinge heute? "Man kann das gar nicht erzählen. Das geht einem wieder im Kopf rum. Da waren schon Bestien darunter, v.a. in der Lagerleitung, der Grünberg war ja rücksichtslos." (Adam Puntschart)

Belegt durch vielfache Zeugenaussagen der drakonische Fall einer Hinrichtung, Lagerleiter Obersturrnführer Georg Grünberg läßt einen Häftling nach mißglücktem Fluchtversuch während des Appells in der Waschbaracke von Hunden zerreißen. In seiner dienstlichen Beurteilung wird Grünberg "soldatisch einwandfreies Benehmen" bescheinigt, im "Kameradenkreis" gilt er als beliebt.

Sämtliche staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Georg Grünberg wurden immer wieder eingestellt, es gab nie ein Urteil, nicht einmal einen Prozeß. Materielle Entschädigung für die Häftlinge durch die beteiligten Firmen auch nicht. Die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verschwimmen, auch das zeigt der Film. Die ehemalige Sekretärin im Stollen Else Hillebrand mußte schwören "überhaupt nirgends zu sagen, was da passierte. Wir haben uns schon gern dran gehalten." Für sie steht das eigene Leid im Vordergrund, die Angst bei dem Luftangriff auf Überlingen ums Leben zu kommen.

Am 22. April 1945 werden die Reste des Lagers abgebrannt, um keine Spuren zu hinterlassen. "Da hat man zum letzten Mal die Holzpantinen gehört." Die Häftlinge werden nach Dachau abtransportiert, ein folgender Todesmarsch durch die Befreiung des Lagers Dachau am 29. April verhindert.

Die französische Militärverwaltung läßt das Massengrab der zu Tode Gequälten im Wald nordöstlich von Überlingen ausheben, am 10. April 1946 werden die Toten zur Birnau überführt, wo eine feierliche Beisetzung auf Anregung des damaligen Bürgermeisters stattfindet. Seither veranstalten die VVN/BdA und die Gewerkschaften jährliche Gedenkfeiern.

Die Filmemacher sind daran interessiert, den Film auf Veranstaltungen zu zeigen, über ihre Erfahrungen bei den Recherchen zu berichten und darüber zu diskutieren.

Bezugsadresse des Films und weltere Infos: "Wie Dachau an den See kam ..." - Ein Film von Stephan Kern und Jürgen Weber, 1995, 45 Minuten, 32 DM. querblick - medien- und verlagswerkstatt Gottlieb Daimler-Str 3, 78467 Konstanz.

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linksrhein,cm, 29.5.00