linksrhein Quelle: AZW Nummer 03, erschienen am 08.06.1995
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Roma in Makedonien

Familie Malik zurückgekehrt in Rechtlosigkeit und Elend

"In Makedonien findet keine Verfolgung der Roma statt." Mit diesem Standardsatz werden Asylgesuche der Roma aus Makedonien in Deutschland abgelehnt und die Flüchtlinge nach Makedonien deportiert. Die Asylbehörden beziehen sich dabei auf die schöngefärbten Berichte des Auswärtigen Amtes und der EG- Jugoslawien Kommission, welche der Republik Makedonien die vorbildliche Respektierung der Minderheitenrechte bescheinigt.

Das Massenelend, in dem die mehr als 200 000 Roma, 10 Prozent der Bevölkerung, leben, und die tägliche Diskriminierung und Verfolgung, der die Roma ausgesetzt sind, werden in Europa nicht zur Kenntnis genommen. Bericht von einem Besuch in Skopje.

Die Realität, in der die Familie Malik seit ihrer Rückkehr im März dieses Jahres lebt, straft den Deutschen Botschafter in Skopje Lügen, der behauptet, daß jedem, der zurückkehrt

Staatsangehörigkeit verweigert

Für all jene Leistungen ist der Besitz der Makedonischen Staatsbürgerschaft Voraussetzung. Daß diese jedoch nur nach 15-jährigem Daueraufenthalt in Makedonien gewährt, also zurückkehrenden Roma verweigert wird, unterschlagen die deutschen Behörden wissentlich. Rechtlosigkeit und soziales Elend für zurückkehrende, staatenlose Familien wie Maliks sind die Normalität.

Familie Malik ist vorübergehend bei Verwandten in der Shutka untergekommen, jenem Elendsviertel von Skopje, in dem Emir Kusturicas Kinofilm "Time of Gipsys" gedreht wurde. Dort kämpfen allein ca. 45 000 Roma unter erbärmlichen Bedingungen ums tägliche Überleben. Ihre Situation als diskriminierte Minderheit, als "Unterste" in der makedonischen Gesellschaft, hat sich in den letzten Jahren seit der Grenzblockade Griechenlands und der damit verbundenen wirtschaftlichen Misere Makedoniens, noch weiter verschlechtert.

Wohnraum, Gesundheit, Arbeit und Ausbildung

Wohnraum ist in dem Romaghetto Shutka mit seinen Müllbergen, seiner unzureichenden Kanalisation und den zerstörten Straßen nicht zu finden. Geld für den Erwerb von Boden, Hausbau oder die Genehmigung eines Anbaues besitzen die wenigsten Roma. Wagt es jemand, illegal Wohnraum zu errichten oder anzubauen, muß er damit rechnen, daß Polizei und Stadtverwaltung diesen in kürzester Zeit niederwalzen läßt. Ruinen, als Zeugen solcher Zerstörungen von Landbesetzungen zeichnen die Straßen von Shutka. Deshalb drängen sich die Familien auf engstem Raum unter z.T. katastrophalen hygienischen Verhältnissen in Notbehausungen zusammen.

Besonders im Winter sterben aufgrund von Kälte und Mangelernährung viele alte und schwache Roma, besonders Kinder an Krankheiten, die für unsere Verhältnisse als leicht heilbar gelten. Die durchschnittliche Lebenserwartung in manchen Slums liegt bei 36 Jahren. Zwar gibt es in Makedonien Krankenhäuser und Medikamente, jedoch müssen diese von den Roma selbst bezahlt werden. Gerade für zurückkehrende Roma, die keine Staatsbürgerschaft von der Regierung erhalten, gibt es keinen Versicherungsschutz. Auch Ismail Malik wurde zuerst nach seinem Ausweis gefragt als er mit seiner kranken Tochter zur Caritas- Ambulanz ging. Das Medikament erhielt er dann augenscheinlich eher aufgrund meiner Anwesenheit. Viele Roma stürzen sie sich in Schulden, um einem kranken Familienmitglied zu helfen.

Liegt die Arbeitslosenquote bei der makedonischen Bevölkerung offiziell bei 40%, so beträgt sie bei den Roma schätzungsweise 95%. Selbst Ismail Malik, der eine gute Ausbildung als Dreher besitzt, hat keine Chance Arbeit zu finden. Als Rom kann er auf einen weiteren Besuch beim Arbeitsamt verzichten - dort werden nur MakedonierInnen vermittelt. Unterbezahlte Gelegenheitsarbeiten und der illegale Straßenverkauf von Billigkleidern aus der Türkei sind zur Zeit der Haupterwerb der Roma in Shutka. Um eine 7-köpfige Familie ernähren zu können, werden ca. 300 DM (Ohne Miete, Heizung etc.) monatlich benötigt. Damit dieses Geld zusammen kommt, werden auch die Kinder zu Gelegenheitsarbeiten und oftmals zum Betteln losgeschickt.

Von den 45 000 BewohnerInnen Shutkas sind mehr als die Hälfte Kinder und Jugendliche, für die Schulpflicht besteht. Schätzungsweise besuchen aber nur 10 000 Kinder die Schule, entweder weil die Schulen zu weit entfernt sind, oder der Schulbesuch zu teuer ist. Viele Romakinder verwahrlosen. Der Anblick der Straßenkinder, die im Müll stochern oder betteln, gleicht jenen Bildern aus der sog. "Dritten Welt". Nachdem seit letztem Schuljahr auch das Schulmaterial nicht mehr kostenfrei ist, wird der Schulbesuch der Kinder für weitere Familien zum Luxus. Unterricht in Romani als erster Schritt zur Chancengleichheit gibt es ohnehin nicht. Ismails Tochter, Nafia, wird sich im Herbst - falls sie überhaupt zur Schule gehen kann - zuerst ihre Deutschkenntnisse abgewöhnen müssen, um neben ihrer Muttersprache Romani die makedonische Sprache und kyrillische Schrift zu erlernen.

Diskriminierung und Polizeigewalt

Nicht nur das Elend wird von deutschen Abschiebebehörden konsequent ignoriert. Auch "Über Verfolgung oder Unterdrückung ethnischer Gruppen liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse vor". Botschaftsangehörigen, hätten sie jemals einen Besuch bei den Roma in Shutka unternommen, würden eines Besseren belehrt. Daß Roma bei den Behörden schikaniert werden, in Krankenhäusern schlecht oder gar nicht behandelt werden, wurde mir am Tag mehrmals berichtet. Von einem Rom habe ich erfahren - er war beim Straßenverkauf von Kleidern erwischt worden -, daß Schläge von Polizisten normal seien. Ihm wurden all seine Waren abgenommen, anschließend wurde er auf der Polizeiwache verprügelt.

Rechtsschutz für Roma gibt es nicht. Denn Roma haben kein Geld für Rechtsanwälte und es gibt auch keinen Anwalt, der sich für Roma einsetzen würde. Schließlich haben viele Roma Angst, sich zu beschweren. Polizisten haben oftmals Rache genommen und die Familien zu Hause besucht.

Verbot der Roma-Sender

Die Sender "BTR" und "SUTEL", von den Roma selbst unter einfachsten Produktionsbedingungen seit zwei Jahren in Shutka betrieben, wurden während meines Besuchs in Shutka von der Regierung ohne Begründung geschlossen.
Mit "ihren" Fernsehsendern hatten die Roma erstmals die Möglichkeit geschaffen, sich eigenständigig über dieses Medium in ihrer Sprache und Kultur auszudrücken. Dadurch wurden die Sender zu wichtigen Identifikationsfaktoren - für Politiker hätten sie allerdings sehr unbequem werden können.

Die Schließung der Fernsehsender hat in Shutka großes Unverständnis, Enttäuschung und Wut ausgelöst. Die Roma nannten das Verbot der Sender eine Verletzung der Meinungsfreiheit und der oft zitierten Minderheitenrechte. Sie erklären sich diese Maßnahme der Regierung als weiteren Beitrag zu ihrer Diskriminierung. Mit einer Petition an die Regierung und einer Unterschriftensammlung versuchen sie den Entscheid der Regierung rückgängig zu machen.

Was aus dem Protest der Roma wird und ob ihre Petition Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Bei einer Petition vor zwei Jahren, als sie die Beibehaltung des Romavertreters im Parlament forderten, hat die Polizei anhand der Unterschriftenlisten die Romas in Shutka in ihren Häusern aufgesucht und verprügelt.

Der Abschied von Familie Malik am Flughafen Skopje führte uns die "Festung Europa" vor Augen. Es gibt für abgeschobene Flüchtlinge ein Einreiseverbot von 15 Jahren. Die Möglichkeiten Shutka erneut zu entfliehen sind aussichtslos. Ihre Daten werden im Schengener Computersystem gespeichert und europaweit ausgetauscht. Ihre Einreise in jedes europäische Land wird damit verhindert. Für die Europa sind Menschen wie Maliks "unverwertbar" und "überflüssig". Sie werden deportiert und vor den Mauer der "Festung" im Elend vergessen.

Spenden für Familie Malik:
AK Asyl KN Kt.Nr.2.14091.03,
Volksbank Konstanz, BLZ 690 900 00 Stichwort "Familie Malik"
Proteste gegen die Schließung des Romafernsehen an:
Regierung Makedoniens Präsident Kiro Gligorov 91000 Skopje Makedonien.

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