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cm, Konstanz 11. Mai 99

Aufruf zur Entzäunung des Abschiebegefängnisses in Worms am 10.12.1994

Für ein Menschenrecht auf Asyl

AUFRUF zur Entzäunung des Abschiebegefängnisses in Worms am Tag der Menschenrechte, Samstag 10.12.1994 FÜR DAS MENSCHENRECHT AUF ASYL! FÜR DIE ABSCHAFFUNG DER ABSCHIEBEHAFT! Wir rufen hiermit öffentlich auf, sich an der gewaltfreien Entzäunungsaktion in Worms am Tag der Menschenrechte, 10.12.1994, zu beteiligen!

Seit dem 01.07.1993 gibt es nur noch ein zerstückeltes Grundrecht auf Asyl. In Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12.1948 heißt es: "Jedermann hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. " Durch das neue Asylgesetz und Asylverfahrenspraxis wird diese Forderung weitgehend zunichte gemacht.

Besonders skandalös ist die Abschiebepraxis, die aufgrund des § 57 des Ausländergesetzes vorgenommen werden kann. Flüchtlinge, die keine Berechtigung haben einen Asylantrag zu stellen oder deren Asylantrag abgelehnt wurde, werden oft ohne Benachrichtigung durch die Ämter, aus den Heimen heraus, auf offener Straße oder bei Besuchen von Behörden verhaftet und in Abschiebehaftanstalten "verbracht". Dies geschieht auch ausländischen Frauen, deren Ehe nicht mindestens drei Jahre bestanden hat. Sie werden gemäß § 19 Ausländergesetz abgeschoben, wenn sie sich von ihrem Ehemann trennen.

In "Nacht- und Nebelaktionen" wird abgeholt und abgeschoben. Familien werden rücksichtslos getrennt, entweder weil nur die Familienväter inhaftiert werden oder aber weil die Verfahren für andere Familienmitglieder noch laufen. Die "Sicherungshaft zum Zwecke der Abschiebung" kann bis zu 18 Monate dauern.

Die Haftbedingungen sind oft schlechter als im normalen Vollzug. "Es herrscht räumliche Enge, sechs oder mehr Personen in einer Zelle, verschiedene Nationalitäten, Verständigungsschwierigkeiten, teilweise gemeinsame Unterbringung mit Straftätern, Hygieneprobleme, Besuchsrecht nur eine Stunde, höchstens zwei Stunden pro Monat, kein Ausgang, Diskriminierung oder Übergriffe seitens deutscher Häftlinge oder des Personals", so berichtet die Caritas über die menschenunwürdigen Zustände (zit. nach Süddeutschen Zeitung von 17./18. September 1994). DolmetscherInnen stehen meist nicht zur Verfügung, eine soziale Beratung gibt es kaum. Frauen werden von ihren Kindern getrennt, über deren Verbleib sie häufig im unklaren gelassen werden. Die in Haft genommenen Flüchtlinge wissen oft gar nicht, warum sie im Gefängnis sitzen und wie StraftäterInnen behandelt werden. Die psychische Belastung, die daraus folgt, ist groß. Suizide und Suizidversuche sind die Folge.

Die meisten Opfer bleiben ohne Namen. Einige wurden bekannt.

Wir trauern stellvertretend für alle Opfer um:
  • Pfarrer Kwaku, Ghana, Selbsttötung am 4.1.93 in der Abschiebehaft München
  • Massivi Dariiel Lopez, Angola, Selbsttötung am 15.10.93 in der Abschiebehaft Trier
  • Emanuel Thomas Tout, Sudan, Selbsttötung am 25.12.93 in der Abschiebehaft Herne
  • Emanuel Ehi, Nigeria, Selbsttötung am 10. 1 2.93 in der Abschiebehaft Regensburg
  • Son-Ha Hoang, Vietnam, gestorben am 27.01.94 in München; er starb an den Folgen
  • einer Selbstverbrennung aus Angst vor der Abschiebung
  • Kola Bankole, Nigeria, verstorben an den Folgen einer "Beruhigunsspritze" und/oder der Knebelung am 30.08.94 während der Abschiebung vom Frankfurter Flughafen.

Die Abschiebehaft gegenüber Zuflucht Suchenden ist nicht rechtzufertigen. Vor allem seit Geltung des neuen Asylrechts wird verschärft vom Abschiebehaft Gebrauch gemacht. Abschiebeknäste für Tausende von Menschen werden eingerichtet. Es besteht eine menschenverachtende, grundrechteverletzende Situation, die nicht hingenommen werden kann. Wir alle werden zu Mittätern und Mittäterinnen gemacht. Die Anordnungen der Abschiebehaft werden "im Namen des Volkes" vollzogen.

Wir wollen nicht stumme Mittäter und Mittäterinnen sein. Unser Protest und Widerspruch gegen die Abschiebeknäste muß unüberhörbar werden. Deshalb fordern wir die ersatzlose Abschaffung der Abschiebehaft und die Ablösung aller Abschiebegefängnisse. Mit der Entzäunung des Abschiebegefängnissses in Worms am 10.12.1994 wollen wir ausdrücken: Alle diese Einrichtungen müssen wieder abgeschafft werden. Das neue Asylrecht und seine die Menschenrechte verletzende Praxis dürfen nicht bleiben.

Unsere Aktion Zivilen Ungehorsam muß gewaltfrei sein. Sie ist die Fortsetzung unseres Protestes, den wir am Tag X während der Bundestagsentscheidung zum neuen Asylrecht (26. Mai 1993) begonnen haben. Wir verstehen unsere Aktion nicht als Gefangenenbefreiung (§125 StGB), sondern als eine symbolische Entzäunung eines Abschiebegefängnisses. Wir wissen allerdings und weisen potentielle "MittäterInnen" darauf hin, daß uns Landfriedensbruch (§ 125 StGB) und Sachbeschädigung (§§ 303/304 StGB) vorgeworfen werden kann. Wir werden uns in diesem Fall vor Gericht zu verteidigen wissen. Denn u.E. haben die hierfür angeführten Strafrechtsparagraphen wenn sie denn gegen uns angeführt werden würden - hinter den höher zu bewertenden Menschenrechten (Recht auf Asyl, Unantastbarkeit der Menschenwürde, Freiheit der Person), die für uns die Rechtfertigungsgründe der Aktion zivilen Ungehorsams bilden, zurückzustecken.

Ziel ist eine politische Lösung des Problems. Deshalb versteht sich unsere Aktion als Aufruf an die Öffentlichkeit, verstärkt der menschenunwürdigen Haft- und Abschiebepraxis entgegenzutreten und als dringender Appell an die politisch Verantwortlichen: sie müssen dafür Sorge tragen, daß die menschenverachtende und Grundrechte verletzende Abschiebepraxis ein Ende hat. UnterzeichnerInnen auf den nächsten Seiten