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Widerstand von unten

04.01.2003, 00:52, junge welt

Antifa | Konstanz | Georg Elser | Nationalsozialismus |

Warum die Geschichte des antifaschistischen Widerstands noch nicht vollständig geschrieben wurde. Zum 100. Geburtstag von Georg Elser


Heute vor genau hundert Jahren wurde in Hermaringen auf der Schwäbischen Alb der Widerstandskämpfer Johann Georg Elser geboren. Auch der Zeit ist das Jubiläum Anlaß genug für eine Nachrufseite in der Rubrik »Lebensläufe« ihrer aktuellen Ausgabe. Die Seite besteht vor allem aus einer Reihe von Fotografien aus dem Elser-Familienalbum, die für das Archiv der Gedenkstätte Deutscher Widerstand gesammelt wurden. Das Familienalbum hat natürlich implizit die Tendenz, Elsers Schicksal, das sich durch seinen Bombenanschlag auf Adolf Hitler am 8. 11. 1939 im Münchener Bürgerbräukeller (einem der zentralen Nazi-Lokale der Zeit) öffentlich gemacht hat, gewissermaßen zu reprivatisieren. Es hatte ohnehin etwa bis Anfang der 90er Jahre gedauert, bevor man sich wieder an Elser und seine Tat öffentlich erinnerte. Aber bis heute »steht Elsers Tat immer noch im Schatten der Tat des Claus Graf Schenk von Stauffenberg am 20. Juli 1944« (Die Zeit, 2/2003). »Seltsamerweise«, fügt der Zeit-Artikel hinzu, obwohl doch die Gründe für diesen Befund doch so rätselhaft nicht sind, steht das bemängelte Halbvergessen Elsers bestens in der bundesrepublikanischen Tradition, den linken, insbesondere den kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus mehr oder weniger zu verschweigen, so als ob das Attentat des Stauffenberg-Kreises der einzig legitime Widerstand gewesen wäre. Tatsächlich sind allein vom Volksgerichtshof in den Jahren von 1934 bis 1945 3079 Menschen wegen Hochverrats verurteilt worden, die dem organisierten linken Widerstand zuzurechnen sind.

Selten erwähnt wird, daß Elser Kontakte zum kommunistischen Widerstand hatte und bereits 1929 in Konstanz dem Rotfrontkämpfer-Bund beigetreten war. Von ihm ist hauptsächlich das Bild des isolierten Sonderlings und volkstümlichen Trachtenträgers gezeichnet worden; ein sich mit Hilfsarbeiten in einem Steinbruch durchschlagender Schreiner, der Mitglied in mehreren Zitherspieler-Vereinen war. So jemand darf in offizieller Sicht auch keine politischen Ideen haben und wird folglich als seltsamer Sonderfall verhandelt. Die Ohnmacht und Isolation des einzelnen gegenüber der Übermacht des Regimes ist der Mythos, der der Geschichte des antifaschistischen Widerstands zugrundeliegen soll. Die Nazis andererseits glaubten selbst wohl zu keinem Zeitpunkt, daß Elser ein Einzeltäter war, und vermuteten wiederum – geborene Verschwörungstheoretiker, die sie waren – bis zuletzt eine große Verschwörung des britischen Geheimdienstes als Hintergrund des Attentats.

Johann Georg Elser kam als »Sonderhäftling des Führers« ins KZ Sachsenhausen und wurde um die Jahreswende 1944/45 in das KZ Dachau verlegt, wo er am 9.April 1945, angeblich auf direkten Befehl Himmlers, durch Genickschuß ermordet wurde.

Eine deutsche Erfolgsbiographie dagegen die des Mannes, der Elser bei dessen Versuch, noch am Tag des Anschlags über die »grüne Grenze« in die Schweiz zu flüchten, verhaftete. Der zum damaligen Zeitpunkt 26jährige Grenzschützer und »Rottenführer des Nationalsozialistischen Kraftfahrtkorps« (NSKK) Waldemar Zipperer bekam für seine Wachsamkeit das »Zollgrenzschutz-Ehrenzeichen« und ein ausdrückliches Lob im Völkischen Beobachter. Im Nachkriegsdeutschland wurde der Kraftfahrerkorps-Rottenführer Zipperer ein erfolgreicher Autohändler, um schließlich 1978 für »besondere Leistungen als Unternehmer« auf Vorschlag des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth (CDU) mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet zu werden.

* Anläßlich des Elser-Geburtstages: Sonderaustellung der Gedenkstätte deutscher Widerstand bis zum 28.2. (Näheres unter www.gdw-berlin.de)

Dokumentarfilm-Reihe über Georg Elser in Berlin am 6.1., 21 Uhr, im »Bandito Rosso«, Lottumstr. 10a, und am 7.1., 21 Uhr, im Supamolli, Jessener Str. 41

Andreas Hahn

junge welt 4.1.03

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