Ein Auszug aus - kassiber 33 - November 97

Was bisher geschah (Teil III)


Abschnitt I: 22. Mai bis 28. Juni 1997
Abschnitt II: 1. Juli bis 30. Juli 1997
Abschnitt III: 1. August bis 25. September 1997 (Kurzmeldungen)



1. August
Brigadegeneral wird neuer Innen-Staatsrat
Die Militarisierung der Bremer Landesregierung schreitet weiter voran. Zum Oberst der Reserve und Bausenator Bernt Schulte sowie Major a.D. Hartmut Perschau (Wirtschaftssenator) gesellt sich zukünftig ein General: In der Innenbehörde übernimmt Brigadegeneral Wolfgang Goehler das Amt des Staatsrates und wird damit zugleich auch Stellvertreter Ralf Borttschellers. Goehler, seit 35 Jahren Soldat, war bis Mitte Juli als Leiter der Nachschubtruppe und Kommandeur der Nachschubschule Heer in der Roland-Kaserne in Bremen-Grohn tätig und dabei u.a. für die logistische Ausbildung deutscher "out-of-area"-Truppen zuständig. Borttscheller hatte den Militär schon Anfang Juni gelobt: "Goehler ist angesichts seiner breiten Führungserfahrung und seiner umfassenden Verwaltungspraxis außerordentlich geeignet, die Funktion meines Vertreters im Amt zu übernehmen und die erfolgreiche Arbeit fortzusetzen."


6. August
Razzia bei Faschisten (II)
Die Polizei durchsucht bundesweit 16 Geschäftsräume und 24 Wohnungen von Faschisten, denen vorgeworfen wird, LPs und CDs von Nazi-Skinheadbands herzustellen bzw. zu vertreiben. Beschlagnahmt werden u.a. zahlreiche Tonträger, Bestellunterlagen, Hakenkreuzfahnen und Propagandamaterial. Bei zwei Firmen in Lilienthal und Hambergen (Kreis Osterholz) werden Geschäftsunterlagen und 24 CDs mitgenommen, die vier Verdächtigen sollen die Nazi-Musik vertrieben haben.

Sexistische Angriffe (XV)
Eine Frau wird gegen 16.30 Uhr in einer Grünanlage in der Schlengstraße von zwei Jugendlichen vergewaltigt. Die 30jährige war zuvor, auf einer Bank sitzend, von drei ca. 13-17 Jahre alten Jugendlichen angesprochen worden. Die beiden älteren, etwa 15- bis 17jährigen boten ihr Geld für Geschlechtsverkehr an, was sie verweigerte. Daraufhin vergewaltigen beide die Frau unter Androhung massiver Gewalt und flüchten anschließend.


9. August
Faschistischer Heß-Gedenktag
Im Rahmen der bundesweiten Nazi-Feierlichkeiten anläßlich des zehnten Todestages des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß zeigen 15 Bremerhavener Nazis auf der Nordseeinsel Helgoland ein Transparent und verteilen Flugblätter. Die dortige Polizei schreitet nach einger Zeit ein.

"Zorn Gottes"
Das Plädoyer der Bremer Pastorin Jeanette Köster für eine kirchliche Segnung schwuler und lesbischer Paare in der ARD-Sendung Wort zum Sonntag ruft vor allem zahlreiche christliche FundamentalistInnen und ähnliches faschistoides Pack auf den Plan. In Briefen wird Köster in den darauffolgenden Tagen u.a. vorgeworfen, eine "Irrlehre" zu verfolgen, denn die Homosexualität stehe unter dem "Fluch Gottes". Also werde, so ein anderer Briefeschreiber, der "Zorn Gottes" über Köster kommen.


13. August
Abschiebung nach Ladendiebstahl
Zwei Flüchtlinge aus Osteuropa werden am Nachmittag von Zivilbeamten der Polizei in der Innenstadt festgenommen. Die beiden 19jährigen sollen zuvor in Kaufhäusern Jeans geklaut und dann an einen 39jährigen Deutschen übergeben haben. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung bei dem mutmaßlichen Auftraggeber werden u.a. diverse Flaschen Parfüm, die aus Diebstählen stammen sollen, beschlagnahmt. Der Deutsche wird danach wegen fehlender Haftgründe wieder freigelassen, die beiden Flüchtlinge der Ausländerbehörde "überstellt", um sie abzuschieben.


18. August
Sexistische Angriffe (XVI)
Gegen 22.20 Uhr wird ein 15jähriges Mädchen in der Bismarckstraße von einem Mann überfallen. Der Täter zerrt das Mädchen in Höhe der Abfahrt St.-Jürgen-Klinik vom Fahrrad in ein Gebüsch und droht der 15jährigen mit einem Messer, sie zu töten, falls sie schreie. Sie schreit dennoch und erleidet mehrere Schnittwunden im Gesicht, kann aber aufgrund ihrer Gegenwehr schließlich entkommen.


21. August
Christliche Arithmetik
Als hätten sie kürzlich bei Herrn Jagoda in Nürnberg einen Crash-Kurs belegt, geben die Bremer Evangelen und Katholen ihre aktuellen Mitgliederentwicklungen bekannt. Demnach steht bei der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) alles zum besten, verließen diese im ersten Halbjahr 1997 doch nur noch 1.500 Männer und Frauen, im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres waren es noch 1.750 - also minus 16 Prozent. Daran abzulesen sei, so BEK-Sprecher Pastor Helmut Suhlrie eine "Wende in der gesellschaftlichen Stimmung" - die Einsicht wachse, daß der Mensch einen Halt brauche. Auch hätten es sich in den ersten sechs Monaten des Jahres 351 Männer und Frauen noch einmal anders überlegt und seien in die Obhut der BEK zurückgekehrt (1. Halbjahr 1996: 340).
Bei der religiösen Minderheit der hiesigen KatholikInnen schaut's auch sehr gut aus. Von Januar bis Juni büßte sie lediglich 200 ihrer Getreuen ein, im Vorjahreszeitraum waren es noch 225 gewesen. Ein Rückgang von immerhin elf Prozent - und nicht nur das: "Erstmals seit 1990", so Wilhelm Tacke, dort zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, "betrug die Zahl der Austritte weniger als ein Prozent der Mitglieder, nämlich 0,86 Prozent."

Sexistische Angriffe (XVII + XVIII)
Im Parzellengebiet an der Beneckendorffallee überfällt ein Mann um 7 Uhr eine Radfahrerin. Der Täter hatte der 38jährigen im Gebüsch aufgelauert und war herausgesprungen, als sie sich näherte. Die Frau kann vor dem sie verfolgenden Mann flüchten.

Eventuell der gleiche Täter überfällt etwa eine Stunde später mit einer Strickmütze maskiert eine Joggerin auf dem Richard-Jürgens-Weg. Der Mann flüchtet, weil die 52jährige sofort anfängt, zu schreien.


29. August
Deutsche Polizisten (II)
Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft verwarf das Oberlandesgericht die Revision zweier Polizisten, die Ende Oktober 1996 vom Landgericht wegen gemeinschaftlichen Verwahrungsbruchs und Unterschlagung zu jeweils zehn Monaten auf Bewährung verurteilt wurden, als offensichtlich unbegründet. Die beiden hatten im März 1994 zwei Männern aus der Ukraine 35.000 Mark sowie 2.500 US-Dollar gestohlen (s. u.a. kassiber 30, S. 10), das Geld wurde nicht wieder aufgefunden. Ein nicht unübliches Verhalten deutscher PolizistInnen gegenüber oftmals wenig orts- und sprachkundigen nicht-deutschen Männern und Frauen, weil das Entdeckungsrisiko doch sehr gering ist.

Sexistische Angriffe (IXX)
Gegen 5 Uhr morgens wird eine 30jährige Frau im Flur ihres Wohnhauses in der Kohlhökerstraße von einem Mann überfallen. Die Frau hatte zuvor die Tür zum Hausflur aufgeschlossen und sich plötzlich zwei unbekannten Männern gegenüber gesehen. Einer der beiden flüchtete sofort, der andere hielt der 30jährigen ein Messer an den Hals und versuchte, sich ihr zu nähern. Die Frau trat jedoch nach dem Täter und schrie laut um Hilfe, der Mann flüchtete.


5. September
Suizidversuche in der Abschiebehaft
Zwei russische Frauen haben sich nach Angaben der Asylgruppe Ostertor Ende August in der Abschiebehaft die Pulsadern aufgeschnitten. Diese Suizidversuche seien ein "ernstzunehmender Appell", die Abschiebehaftbedingungen zu ändern. Die Frauen waren zuvor aus dem bisher gemeinsam mit den Männern genutzten Gemeinschaftsraum ausgeschlossen worden, weil sie dort - was sie bestreiten - mit anderen Gefangenen Sex gehabt hätten. Außerdem sollen sich zwei Frauen nach Knastangaben vor Strafhäftlingen, die gerade Hofgang hatten, "entblößt" haben. Den vier derzeit in Abschiebehaft befindlichen Frauen aus Rußland, Litauen und Nigeria wurde daraufhin eine zehn Quadratmeter große Zelle als Gemeinschaftsraum zugewiesen. Diese Trennung soll künftig beibehalten werden.

Rassistischer "Kapitänstag"
Die sog. Kapitänsrede beim traditionellen Kapitänstag im Bremer Rathaus wird in diesem Jahr vom Elsflether Reeder Horst Janssen vor den 300 Gästen gehalten. Janssen plädiert - durch das internationale Publikum unbeeindruckt - mit rassistischen Parolen dafür, daß im Standort Deutschland deutsche Unternehmen fest in deutscher Hand bleiben müßten. Derzeit sei aber nicht nur "die 90prozentige Übernahme einer Großreederei in Rostock und Bremen durch die Koreaner" geplant, es gebe auch Gerüchte, daß die Bremer Lagerhaus-Gesellschaft "von asiatischen Investoren geschluckt" werden solle. Janssen weiter: "Ich kann nur warnen, sind diese Rassen einmal ansässig, wir erleben es in der Gastronomie, muß man in alle Ewigkeit mit ihnen leben."
Protest dagegen gibt es nur - einen Tag später - durch den bündnisgrünen Bürgerschaftsabgeordneten Arendt Hindriksen, der an letztgenannter Stelle immerhin "ein leichtes Grummeln" im Saal gehört haben will.

Anschlag auf jüdischen Friedhof
Wie erst jetzt bekannt wird, wurde der jüdische Friedhof in Hastedt Ende August zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen überfallen. Unbekannte TäterInnen warfen mehrere Grabsteine um und zerschlugen Fenster in der Friedhofskapelle.


6. September
Antirassistische Demonstration verboten
Ein größeres Polizeiaufgebot verhindert den Versuch von etwa 40 Männern und Frauen, auf dem Bahnhofsvorplatz eine antirassistische Kundgebung durchzuführen und dabei Flugblätter zu verteilen. Fünf TeilnehmerInnen werden vorläufig festgenommen, aber nach wenigen Stunden wieder entlassen. Stadtamt und Verwaltungsgericht hatten zuvor eine vom Antirassismus-Büro Bremen (ARAB) angemeldete Demonstration verboten, mit der gegen rassistische Beförderungsverbote der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) protestiert werden sollte. Die BSAG verbietet nämlich auf Antrag der Polizei als "Drogendealer" verdächtigten Flüchtlingen - ohne daß die Büttel dies beweisen müßten - auf ein Jahr die Benutzung sämtlicher Busse und Bahnen.

Rassistischer Überfall
Zwei deutsche Männer überfallen gegen 19 Uhr in der Straßenbahnlinie 3 ein türkisches Ehepaar. Die Täter beleidigen zunächst die Frau und schlagen dann ihren Ehemann, der sich die Pöbeleien verbietet. Als die beiden in den hinteren Bereich der Straßenbahn flüchten, werden sie von den Angreifern verfolgt, wobei der eine ein Teppichmesser, der andere einen Zimmermannshammer herauzieht. Der türkische Mann kann die 33 und 29 Jahre alten Deutschen jedoch mit einem Messer, das er von einem anderen Fahrgast erhalten hatte, auf Distanz halten. An der Haltestelle Nordstraße steigt das Ehepaar aus, die Täter werden von einem zufällig dort anwesenden Polizisten an der Verfolgung gehindert und wenig später festgenommen.


15. September
Finaler Todesschuß
Ein Beamter des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Bremer Polizei erschießt nach einer Verfolgungsjagd einen Mann, der zuvor eine Sparkassenfiliale in der Kornstraße überfallen hatte. Der 48jährige hatte gegen 12.30 Uhr mit 200.000 Mark die Flucht durch mehrere Gärten zur Kreuzung Habenhauser Landstraße/Niedersachsendamm angetreten und war dabei von mehreren Polizisten verfolgt worden. Dabei seien, so ein Zeuge "acht bis zehn Schüsse" gefallen, wer wie oft schoß, sei aus der Entfernung nicht zu erkennen gewesen. Der Bankräuber hatte dann versucht, sich in einem Hinterhof zu verstecken, wurde aber in einem Kellereingang von den Polizisten entdeckt. Als die Beamten versucht hätten, ihn festzunehmen, habe er, so die Polizei, auf einen Polizisten geschossen, der das Feuer erwidert und ihn in die Brust getroffen hätte. Wolfgang K. erleidet so schwere Verletzungen, daß er wenig später in einem Krankenhaus stirbt.
Daß Polizei und Staatsanwaltschaft den 48jährigen am nächsten Tag als besonders "gefährlich" schildern, ansonsten aber kaum weitere Informationen geben, könnte Zweifel an der polizeilichen Darstellung des Hergangs aufkommen lassen. Der aus Delmenhorst stammende Wolfgang K. sei Bremer PolizeibeamtInnen als "absolut gewalttätig", als "ganz tiefgehendes Schiff", gar als "Polizisten-Hasser" bekannt gewesen. 1994 sei er wegen eines schweren Bankraubs in Dortmund zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, hätten aber schon nach wenigen Wochen aufgrund einer durch Psychologen und Sozialarbeiter erstellten positiven Resozialisierungsprognose in den offenen Vollzug der JVA Bielefeld-Senne wechseln können. Dort sei ihm im vergangenen Dezember erstmals Urlaub gewährt worden, von dem er natürlich nicht zurückgekommen sei. In den vergangenen neun Monaten sei er dann untergetaucht gewesen.


19. September
Demonstration gegen rassistische Polizeigewalt
Mehr als 500 Frauen und Männer demonstrieren unter dem Motto "Es reicht! Es reicht schon lange!" gegen Polizeiterror und rassistische Polizeigewalt. Die Demonstration mit zahlreichen Zwischenkundgebungen zieht zweieinhalb Stunden (!) lang vom Bahnhofsvorplatz zur Bereitschaftspolizei-Wache in der Sandstraße, durch das "Viertel" zum Zentralkrankenhaus St.-Jürgen-Straße (hier befindet sich das Rechtsmedizinische Institut und der ärztliche Beweissicherungsdienst), dann zur Abschlußkundgebung auf dem Ziegenmarkt, wo am Abend ein Programm mit Infoständen, Volxküche u.a.m. stattfindet.

Bremer Drogenpolitik
CDU-Landesvorstand und -Bürgerschaftsfraktion nominieren einen der größten internationalen Dealer, Josef Hattig, als neuen Wirtschaftssenator. Der 66jährige soll, die Bürgerschaft muß ihn im Oktober aber noch wählen, Nachfolger Hartmut Perschaus werden. Hattig ist zur Zeit Präses der Handelskammer Bremen, Aufsichtsratsvorsitzender der Post AG und Geschäftsführer der Brauerei Beck & Co. (Umsatz 1996: knapp 1,6 Mrd. Mark), die ihr Becks-Bier in mehr als 150 Staaten weltweit exportiert. Der Wahlbremer - "Wo es mir gut geht, ist mein Vaterland" - kommentiert seine Nominierung, der er erst nach einigen Tagen Bedenkzeit zugestimmt hatte, mit markigen Worten: Bundeskanzler Kohl habe ihm in einem längeren Telefonat deutlich gemacht, daß es "auch das Wort Pflicht gibt". Und so habe er sich eben "aus Solidarität mit der CDU" und aus Überzeugung für das Land in diese Pflicht nehmen lassen.
Am 16. September war der bisherige Wirtschaftssenator und Major im einstweiligen Ruhestand Perschau zum Bürgermeister (und Finanzsenator) aufgestiegen. Sein Vorgänger Ulrich Nölle war aufgrund der schwerwiegenden Folgen eines Zeckenbisses - gemeint war wohl die CDU-interne Mobbingkampagne - tags zuvor zurückgetreten.


22. September
"Bremer Volkskulturverein" verboten
Innensenator Borttscheller verbietet den Bremer Volkskulturverein und läßt dessen Vermögen beschlagnahmen. Bei dem Verein handele es sich, so die Innenbehörde, um eine Ersatzorganisation der Devrimci Sol, einer linksradikalen türkischen Organisation, die 1983 durch das Bundesinnenministerium verboten wurde. Mitglieder der Dev Sol hätten durch die Gründung neuer Vereine versucht, dieses Verbot zu unterlaufen und ihre Aktivitäten fortzusetzen. In Bremen liefen Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder, die versucht hätten von türkischen Geschäftsleuten Spendengelder zu erpressen.


25. September
Volksbegehren gescheitert
Nur rund 32.500 Unterschriften - und damit etwa 20.000 weniger als notwendig - konnten die InitiatorInnen des Volksbegehrens zur Lehr- und Lernmittelfreiheit bis zum Ablauf der dreimonatigen Frist sammeln. Der Zentralelternbeirat macht vor allem organisatorische Schwierigkeiten für das Scheitern verantwortlich. So habe man nach dem Urteil des Bremer Staatsgerichtshofs - an den der Senat die drei Anträge zum Volksbgehren überwiesen hatte - eigentlich nur jeweils drei Wochen vor und nach den Sommerferien Zeit für die Unterschriftenaktion gehabt. Während der Ferien seien die rund 10.000 Listen in den Sekretariaten oder bei den ElternsprecherInnen liegengeblieben und vielfach in Vergessenheit geraten. Zu Beginn des neuen Schuljahrs hätten dann keine 5.000 Unterschriften vorgelägen, zu wenig, um im Endspurt noch die notwendige Unterstützung von zehn Prozent der Wahlberechtigten BremerInnen erhalten zu können.

Willi Leow



Kurzmeldungen


40 Jahre Studium kein Grund für Exmatrikulation

Frohe Botschaft für AStA-AktivistInnen, Autonome und andere Arbeitsscheue: Auch ein 40jähriges Studium stellt nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg keinen Grund dar, eine/n Studierende/n von einer Hochschule auszuschließen. Die Universität Freiburg wurde verpflichtet, die Exmatrikulation eines inzwischen 61jährigen Studenten zum Sommersemester 1996 zurückzunehmen, der seit 1957 eingeschrieben ist. Dort hatte man behauptet, der Mann betreibe lediglich ein Scheinstudium und habe es ausschließlich auf die sozialen Vergünstigungen abgesehen (Aktenzeichen: Verwaltungsgericht Freiburg, 7 K 2576/96).


Arztbesuche während der Arbeitszeit

Unternehmen dürfen nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von ihren Beschäftigten, die während der Arbeitszeit zum Arzt gehen, nur mit Zustimmung des Betriebsrates eine ärztliche Bescheinigung verlangen. Ein Metallbetrieb aus dem Rheinland hatte 1995 für seine 65 Beschäftigten ein Formuar eingeführt, auf dem die Ärztin unterschreiben mußte, daß der Besuch während der Arbeitszeit notwendig gewesen sei. Der Betriebsrat klagte dagegen, weil er zu der Neuerung nicht gehört worden war. Das BAG gab ihm in letzter Instanz recht. Arztbesuche gehören nach Auffassung des Gerichts zum sogenannten Ordnungsverhalten, d.h. zu den Rechten und Pflichten des "Arbeitnehmers", die sich nicht unmittelbar auf die Arbeitsleistung beziehen (Aktenzeichen: ABR 53/96).


Kostenerstattung bei Vorstellungsgesprächen

Firmen haben nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts StellenbewerberInnen grundsätzlich die entstehenden Kosten zu ersetzen, wenn sie diese zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen haben - unabhängig davon, ob ein Arbeitsverhältnis zustande kommt oder nicht. Allerdings sollte man sich bestätigen lassen, zu einem Gespräch eingeladen worden zu sein. Zu den Kosten der Vorstellung gehören die Fahrtkosten für An- und Abreise sowie eventuell notwendige Übernachtung und Verpflegung. Eine Ausnahme gilt lediglich für den Fall, daß ausdrücklich vereinbart wurde, daß der/die BewerberIn auf eigene Kosten anreist (Aktenzeichen: 5 AZR 717/76).


Telefonanschlußsperre erst ab 150 Mark Verzug

AnbieterInnen von Telefondiensten dürfen nach der neuen Telekommunikations-Kundenschutzverordnung ab dem 1. Januar 1998 einen Anschluß erst sperren, wenn die Kundin mit mindestens 150 Mark Gebühren in Verzug ist. Die Telekom kann zur Zeit schon bei 70 Mark eine Sperre verhängen. Ab dem kommenden Jahr darf der Anschluß grundsätzlich erst zwei Wochen nachdem dies schriftlich angedroht wurde, gesperrt werden. Eine Ausnahme gilt für den Fall, daß die Gebühren plötzlich drastisch steigen und zu erwarten ist, daß der Kunde die Rechnung nicht bezahlen kann.


Rückwirkende Kürzung der Arbeitslosenhilfe rechtsunwirksam

Die im September 1996 rückwirkend zum 1. Juli 1996 beschlossene Kürzung der Arbeitslosenhilfe um pauschal drei Prozent ist nach einem Urteil des Sozialgerichts Dortmund rechtsunwirksam verfügt worden und erst zum 1. Juli 1997 zulässig (Aktenzeichen: S 5 Ar 235/96).


Der kleine Tierfreund

Sechs Millionen Katzen, fünf Millionen Hunde, 5,4 Millionen Ziervögel sowie 3,8 Millionen Kleintiere wie Hamster und Meerschweinchen, nicht gezählt die vielen Fische (3,1 Millionen AquarienhalterInnen) harren hinter den Mauern deutscher Wohnzimmer der Befreiung durch wackere deutsche TierrechtlerInnen - aber nichts passiert. Zur Freude des Zentralverbandes Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands, der zwar für 1996 ein Umsatzminus von 2,5 Prozent einräumen muß, 1995 auf dem "Heimtierbedarfsmarkt" aber noch 4,4 Milliarden Mark umsetzen konnte: 3,2 Milliarden bei der Fertignahrung und 1,2 Milliarden für Zubehör.
Im Urlaub hingegen ist der/die Deutsche von Tieren nur wenig angetan. Als unheimlich werden nach einer von der Zeitschrift Geo Saison in Auftrag gegebenen Umfrage bei 1.000 BundesbürgerInnen Kakerlaken (68 Prozent), Schlangen (51 Prozent) und große Spinnen (50 Prozent) empfunden. Unbeliebt sind ferner nicht nur die vielen ausländischen Einheimischen, sondern auch Quallen und Krebse (31 Prozent), Fledermäuse (23 Prozent) und streunende Hunde (21 Prozent).


"Standort Deutschland": Lohnkostenanteil deutlich gesunken

Der Anteil der Lohnkosten am Umsatz der "Unternehmen", angebliches Manko des "Standorts Deutschland", glaubt man dem ideologisch motivierten Geplapper von CDU/CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und vielen GewerkschaftsfunktionärInnen, ist nach Untersuchungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) deutlich gesunken. Danach hätten die Betriebe 1993 noch 37,70 Mark Lohnkosten einschließlich aller Lohnnebenkosten je 100 Mark Umsatz gezahlt. Im ersten Quartal 1997 seien es aber nur noch 33,10 Mark gewesen. Als Folge habe sich die Gewinnspanne der "Unternehmen" erhöht.
Ursachen für den sinkenden Anteil der Lohnkosten seien die mäßigen Lohnabschlüsse und der Stellenabbau. Immer mehr Waren, Güter und Dienstleistungen würden von immer weniger "Arbeitnehmern" produziert. Der Rückgang der Arbeitskosten habe daher den Anstieg der Arbeitslosenzahl seit 1993 um 900.000 auf 4,3 Millionen nicht verhindert - was aber wohl ohnehin nur die oben Genannten und ihre Getreuen geglaubt haben können. So habe die gesamtwirtschaftliche Produktion im 1. Quartal 1997 zwar nur um 7,7 Prozent über dem Wert von 1993 gelegen. Die Produktionsleistung je Arbeitsstunde sei jedoch gleichzeitig um 11,9 Prozent gestiegen.


Reiche werden immer reicher

Trotz Rekordarbeitslosigkeit und Sparzwang haben die Bundesbürger im vergangenen Jahr ihr Geldvermögen auf fast fünf Billionen Mark aufstocken können. Das sind 241 Milliarden mehr als 1995, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am Mittwoch mitteilte. Rein rechnerisch hat damit jeder Privathaushalt 135.000 Mark auf der hohen Kante. Dieser Mittelwert verdeckt laut DIW allerdings, daß wenige Reiche immer reicher werden.
Für gutverdienende Haushalte von Selbständigen, höheren Angestellten und Beamten werden Zinsen und Dividenden aus Kapitalanlagen ein immer stärkeres Standbein des Lebensunterhalts. Die Vermögenseinkommen stiegen 1996 mit 6,3 Prozent abermals deutlich stärker als Löhne und Gehälter. Seit 1991 sind Kapitaleinkünfte um fast 40 Prozent gestiegen, die Nettolöhne haben aber nur gut zehn Prozent zugenommen.
Dies öffnet nach Darstellung des DIW die Schere zwischen Normalverdienern und Wohlhabenden immer weiter. In Ostdeutschland entfallen auf die Hälfte der Haushalte nur 15 Prozent des Geldvermögens, im Westen sogar nur elf Prozent. Demgegenüber verfügen nur ganze fünf Prozent der Haushalte im Westen über 28 - beziehungsweise über 23 Prozent im Osten - der insgesamt vorhandenen Vermögensbestände.
Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gibt es auch bei den Erträgen aus Vermögen. Zinsen, Dividenden und andere Kapitalgewinne besserten 1996 die privaten Haushaltskassen um 223 Milliarden Mark auf, das sind im Schnitt 5.800 Mark pro Haushalt. Die Hälfte dieser Summe floß laut DIW aber gerade einmal in fünf Prozent der Familien. So bezogen Selbständige 20.100 Mark Rendite im Jahr, Arbeiterfamilien aber nur 3.200 Mark. [...]
(Weser-Kurier vom 31.7.1997; gekürzt)

Abschnitt I: 22. Mai bis 28. Juni 1997
Abschnitt II: 1. Juli bis 30. Juli 1997
Abschnitt II: 1. Juli bis 30. Juli 1997



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kombo(p) - 16.11.1997