Ein Auszug aus - kassiber 33 - November 97

Zur Kritik der Wehrmachtsausstellung (1)

Konkurrenz um die passende Nationalmoral statt Aufklärung über Faschismus und Krieg (Teil I)


Teil II
Teil III


Vorbemerkung: Anläßlich der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung gab es Plakate in der Stadt Bremen, mit denen ein linkes Bündnis dazu aufrief, die Ausstellung vor rechten Übergriffen zu schützen. Der Hintergrund war klar: In der Tat war eine Demonstration der NPD angemeldet, die später untersagt wurde. Gewundert habe ich mich schon etwa über diesen Aufruf. Ihm war zu entnehmen, vor wem, nicht aber, warum man die Ausstellung eigentlich schützen sollte. Das Plakat erzeugte den Eindruck, daß der angekündigte Angriff von rechts doch bereits ein hinreichender Grund sei, für die Ausstellung Partei zu ergreifen. Ich teile diese Logik nicht.

Eine Parteinahme, die sich gar nicht aus einem Urteil über die kritisierte Sache selbst ergibt, sondern bereits aus der neofaschistischen Kritik an der Ausstellung ihr Lob verfertigt - nach dem Muster, daß die Feinde meiner Feinde meine Freunde sind -, verwechselt zwei Sachen miteinander. Sie verwechselt die Auseinandersetzung mit der neofaschistischen Kritik mit einem positiven Befund über das Objekt der Kritik. Wenn NPD u.a. in der Wehrmachtsausstellung (=WMA) eine Besudelung deutscher Ehre sehen, die sie nicht dulden möchten, dann spricht diese Kritik nur gegen die Neofaschisten. Sie wäre anzugreifen, über "deutsche Ehre" wäre etwas zu sagen und über die Einigkeit zwischen diesem neofaschistischen Verein, vielen deutschen Ex-Landsern und politischer Prominenz von Gauweiler bis Dregger. Über die WMA wäre damit noch kein Urteil gefällt - weder ein negatives noch ein positives; wie auch - mit ihr hat man sich dann ja noch gar nicht befaßt.

Natürlich ist gerade diese Parteilichkeit, die die WMA zu einem schützenswerten Gut erklärt, nicht gänzlich grundlos. Wenn Linke sich hier parteilich einschalten, dann fällt das in ihren antifaschistischen Kampf, in dem die Rollen klar verteilt sind. Die NPD u.a. sind die neuen Faschisten, die WMA, so lautet das Urteil, steht auf der antifaschistischen, also auf der richtigen Seite. Keine Frage also, daß in dieser Kontroverse eindeutig Parteilichkeit für die WMA zwingend geboten ist. Ich halte das nicht für zwingend; und zwar deswegen nicht, weil Antifaschismus in Deutschland überhaupt nicht mit Kritik am Faschismus, mit vernünftiger Aufklärung über die Quellen des Faschismus, über seine Erscheinungs- und Verlaufsformen zusammenfällt. Was in Deutschland nach 1945 unter dem Etikett Antifaschismus angetreten ist, verdient nicht automatisch deswegen schon ein Pluszeichen, weil es als Bekenntnis gegen Faschismus daherkommt. Es lassen sich nämlich dem 'Anti' gar nicht die Gründe entnehmen, die zur Absage an den Faschismus geführt haben. Antifaschist konnte und kann man in Deutschland aus ganz nationalistischen Gründen sein: So ist man Antifaschist, weil der Hitler "Deutschland in die Katastrophe geführt" hat, weil er es "mit den Juden wirklich zu weit getrieben", sie einfach "sinnlos umgebracht hat", weil er im 2.Weltkrieg "jedes vernünftige Maß hat vermissen lassen" oder einfach deswegen, weil es die von den Siegermächten verlangte neue Nationalmoral war, der man sich anzubequemen hatte. Auch linke Spielarten des Antifaschismus müssen sich die Kritik gefallen lassen, daß ihr Anti rein moralischer Natur geblieben ist und apologetische Züge aufweist. Wenn dem Faschismus die Absage an demokratische Normen und Regeln vorgeworfen wird, wenn in der Demokratie Altfaschisten aufgespürt und für einen Kontinuitätsbeweis herhalten müssen oder wenn behauptet wird, daß Deutschland und die Deutschen aus historischen Gründen immer wieder zwangsläufig zum Faschismus greifen, dann ist diesen Befunden viel Liebe zur - wahren, eigentlichen usw. - Demokratie, aber kein korrektes Urteil über den Faschismus zu entnehmen.

Fazit: Die WMA ist also weder deswegen zu verteidigen, weil sie von den Rechten ins Visier genommen wird, noch deswegen zu schon loben, weil sie in die Abteilung "Antifaschismus" fällt. Um zu einem Urteil über die WMA zu kommen, muß man sich mit ihr selbst befassen - und ich meine theoretisch befassen; ich meine nicht, sich dem "Erschrecken über die unvorstellbaren Verbrechen von Deutschen" hinzugeben.


1. Die falsche Kritik der Legende von der sauberen Wehrmacht

1.1. Die Wehrmachtsausstellung (=WMA) tritt an mit der Absicht, mit Legenden über die deutsche Wehrmacht aufzuräumen. Diese Legenden gab es und gibt es noch - in Wissenschaft, Erziehung und Öffentlichkeit. Da liegen die Aussteller richtig. Da kann kein Zweifel bestehen: Bis in die jüngste Vergangenheit hinein mußten Schüler an deutschen Schulen über die Wehrmacht z.B. folgendes lernen:

"Die Wehrmacht, die sich als einzige deutsche Instanz in der Regel human gegenüber der Zivilbevölkerung verhielt, war absichtlich so in ihren schmalen Befehlsbereich eingeschnürt worden, daß sie die Situation nirgends (gegen das verbrecherische Wirken der SS und ihrer Einsatztruppen, FH) zum wesentlich Besseren wenden konnte." (Landeszentrale für pol. Bildung 1982)

Das ist so eine Legende, die das Hamburger Institut für Sozialforschung(=HIS) meint. Da hat sie recht. So etwas gehört kritisiert. Aber damit ist auch schon der einzige Punkt abgehakt, in welchem ich mit den Ausstellern übereinstimme. Bereits in der Frage, wie diese Legenden zu kritisieren sind, habe ich eine andere Auffassung.


1.2. Die Legende über die im Prinzip saubere, humane Wehrmacht, die per Arbeitsteilung mit der SS in einen Befehlsbereich eingeschnürt war, der es ihr nicht ermöglichte, gegen die inhumane SS vorzugehen - wie sie es eigentlich wohl gewollt hätte -, die folglich gegen ihr eigenes Ethos in einen "Vernichtungskrieg verstrickt" worden ist, diese Legende ist weder das Resultat ungenügender historischer Recherche, noch das Produkt mangelhafter Theoriebildung, weder ist sie zustande gekommen, weil Historikern irgendwelche Archive verschlossen waren, noch ist sie das Resultat logischer Irrtümer. Sie ist vielmehr - und eigentlich auf den ersten Blick erkennbar - das Produkt eines politischen Interesses, das sich die nationalsozialistische Wehrmacht wie gewünscht, nämlich als eigentlich vom Faschismus nur mißbrauchte Armee von im Prinzip guten, pflichtgetreuen Soldaten zurechtlegt.

Da nach 1945 eine neue Wehrmacht, die Bundeswehr, schnell wieder gebraucht wurde, eine SS dagegen nicht, war den politisch Verantwortlichen schon daran gelegen, daß ihr Nachkriegsprojekt nicht durch das Vorkriegs- bzw. Kriegsprojekt moralisch-politisch diskreditiert würde. Ihnen kam es darauf an, die Zweifel an der Notwendigkeit der Wiederaufrüstung zu zerstreuen. Und dazu gehörte es, die Wehrmacht so darzustellen, daß sie sich zumindest von der SS positiv abhob: Wehrmacht war eben bloß Wehrmacht, und die SS war das menschenverachtende Instrument der Vernichtungspolitik des Verbrechers Hitler. Die Bundeswehr knüpft dann nur an das humanistische Vermächtnis der Wehrmacht an und wird eine Friedensarmee, die mit "Militarismus" nicht zu tun hat. Schon war mit der Wehrmachtslegende die Bundeswehrlegende untermauert, die bis heute gilt, und die wenig mit der Wahrheit über die Bundeswehr zu tun hat.

Neben diesem Interesse gehören auch noch die Ungereimtheiten kritisiert, die zwangsläufig auftauchen, wenn historische Fakten unter das politische Rechtfertigungsinteresse gebeugt werden. Auch das ist schnell erledigt:

* Hitler, der von 1933 an konsequent den Krieg gegen seinen äußeren Hauptfeind, den "verjudeten Bolschewismus", vorbereitet hat, der es geschafft haben soll, die ganze Gesellschaft von der Legislative bis hin zum Alltag der Bürger unter das Diktat des Faschismus zu beugen, dieser Hitler soll ausgerechnet beim wichtigsten Instrument seiner Staatsgewalt, dem Militär, eine Ausnahme gemacht haben! Ausgerechnet die Wehrmacht, die den Auftrag erfüllen sollte, das "Ostland" für Deutschland zu erobern, soll eine Art Insel humanistischer Antifaschisten gewesen sein mit lauter aufmüpfigen Generälen, die nur nicht so konnten wie sie wollten! Die fast durchgängige Mitgliedschaft der Offiziere in der NSDAP ist dann wahrscheinlich - die Logik kennt man - nur die Tarnung gewesen, in der sie Schlimmeres verhüten wollten.

* Das aber gelang wegen des Korsetts der Arbeitsteilung mit der SS leider nicht - womit der nächste Unfug angesprochen wäre. Was ist denn mit dem Verweis auf die Arbeitsteilung ausgesprochen: Daß beide Abteilungen, Wehrmacht und SS, dem gleichen politischen Ziel untergeordnet waren. Jede Abteilung hatte mit ihrem jeweiligen Auftrag die Aufgabe der anderen Abteilung zu ergänzen und zu ihrem Gelingen beizutragen. So geht eben Arbeitsteilung: Die Wehrmacht trat gegen die Rote Armee an, und so konnte die SS hinter der Front geschützt ihre Judenpogrome veranstalten. Und umgekehrt: Die Vernichtungsarbeit der SS ergänzte die territoriale Eroberung um die Säuberung des Territoriums von semitischen Untermenschen. Glauben sollen wir aber, daß sich mit der "geteilten Arbeit" auch verschiedene, ja einander widersprechende Ziele in den Ostfeldzug hätten einschleichen, nur eben leider nicht durchsetzen können, was dann merkwürdigerweise wieder an derselben Arbeitsteilung gelegen haben soll.

Das reicht zur Kritik solcher Legenden. Um die zu leisten, ist eine Ausstellung wie die vorliegende nicht nur nicht nötig, sondern geradezu schädlich - wie noch zu zeigen sein wird. Diese Legendenkritik kommt ohne ein einziges Foto aus. Die zwei bis drei genannten Argumente reichen völlig hin. Und schon ist man beim Rechtfertigungsinteresse selbst, das der Bundeswehr gilt, ist beim Thema Bundeswehr, ist man beim Heute, bei politischen Zielen der Nachkriegsdemokratie, also bei der Frage: Was hat die deutsche Nachkriegspolitik eigentlich mit ihrem Militär vor, wenn sie über es eine so gute Meinung stiften möchte?

Doch genau das tun die HIS-Forscher nicht. Weder halten sie sich mit theoretischer Kritik der Legenden auf, noch ist ihnen die Kritik des Nachkriegsweißwäscherinteresses ein Anliegen. Sie widmen sich statt dessen dem Dementi der Legenden. Sie sammeln historische Fakten und empirische Daten als ob Militärhistorikern bisher die entscheidenden Quellen verschlossen gewesen wären, als ob sie an einem Mangel an Beweismaterial gelitten hätten und nur deswegen zu falschen Urteilen gekommen wären! Und selbst wenn sie vielleicht über die Zunft der Militärwissenschaftler auch nicht so freundlich denken, sondern der Auffassung sind, das deutsche Volk müßte jetzt die Wahrheit über die WM erfahren, die ihm 50 Jahre vorenthalten worden ist, dann liegen sie nicht richtiger - eher sogar falscher. Denn gerade die deutschen Bürger, die mehrheitlich bis heute offenbar mit den Legenden über die Wehrmacht keine Probleme gehabt haben, die sich mehrheitlich den Bundeswehrauftrag von heute genauso zurechtlegen wie es von der herrschenden Politik gewünscht wird, bei denen die politische Absicht der Legende, die Bundeswehr als Friedensarmee darzustellen, angekommen ist, wären erst recht mit der Kritik an dem Interesse der Legendenbildner zu konfrontieren statt mit überflüssigen Beweisen von Kriegsgreueln. Immerhin sind die Leute es, die heute den Auftrag der demokratischen Friedensarmee zu erfüllen haben.

Fazit: Wer die Legenden über die WM kritisieren will, muß Front machen gegen das Rechtfertigungsinteresse der Aufrüster der Nachkriegsdemokratie. Der darf die Legenden nicht dementieren.


1.3. Mit dem Dementi mischen sich die Aussteller denn auch prompt in die staatsmoralische Rechtfertigungsdebatte ein und verweisen nicht auf deren Weißwäscherabsicht, sondern auf die Unglaubwürdigkeit beim moderaten Weißwaschen der Bundeswehr. So gesehen tritt die Ausstellung den Legendenbastlern regelrecht zur Seite und weist sie - objektiv gesehen - darauf hin, daß ihre Legenden glaubwürdiger wären, wenn sie alle Verbrechen der Wehrmacht zugeben würden. Wenn sie also nicht nur die deutsche Selbstbeschuldigung als Vehikel der Entschuldigung der Wehrmacht einsetzen würden (2), sondern wenn sie heute endlich klarstellen würden, daß ganze Teile der Wehrmacht aktiv und willentlich an den "Kriegsverbrechen" beteiligt waren. Kein Wunder, daß die Aussteller mit Militärhistorikern, Politikern und deutschen Ex-Landsern darüber rechten, wieweit die Wehrmacht sich schuldig gemacht hat, ob also ihre Schuld "bloß" darin bestanden hat, daß sie sich von Hitler mißbrauchen ließ und die deutschen Soldaten "nur" ihre Pflicht getan haben, oder ob Teile der Armee tatsächlich willentlich der SS Arbeit abgenommen haben.

Die Faschismusanalyse verkommt damit zum Wälzen von Schuldfragen. Die Rolle des Militärs im deutschen Faschismus, die Kriegsziele der NS-Politik, die sich daraus ergebenden Konsequenzen für Innen- und Außenpolitik usw., all das fällt nicht in den Aufklärungsbereich der Ausstellung. Sie interessiert sich nicht dafür, warum der Ostfeldzug so geführt worden ist, wie er geführt worden ist. Sie will festhalten, daß die deutsche Wehrmacht doch tatsächlich das, was sie gemacht hat, als ihren Auftrag verstanden und mit Überzeugung vollzogen hat, daß sie schwere Schuld auf sich geladen hat. Deswegen kommt man sich in der Ausstellung auch gelegentlich vor wie im Gerichtssaal, in welchem die Ankläger alle ekelhaften Beweisstücke für ihre Anklage ausgebreitet haben. Und wie es im Gericht nicht um die theoretische Frage nach den Ursachen geht, so meidet auch die Ausstellung alles, was nicht "gerichtsverwertbar" ist. Was bleibt ist folgende erste Botschaft: Der Ostkrieg war eine Folge von Rechtsverstößen, weswegen es Sinn macht, von den Verbrechen der Wehrmacht zu reden.

Fazit 2: Der deutsche Faschismus ist gar nicht das Thema, nicht einmal der Ostfeldzug. Gewälzt werden Schuldfragen. Nicht um wirklich nach 50 Jahren jemanden anzuklagen, sondern um die Glaubwürdigkeit deutscher Vergangenheitsbewältigung auf ein moralisch saubereres Fundament zu stellen. Das ist das eigentliche Thema der Ausstellung. Heer und Reemtsma machen den politischen Vergangenheitsbewältigern damit staatsmoralische Konkurrenz, statt sie anzugreifen. Die Botschaft, mit der sie Ausstellung konzipiert haben, heißt: Wir als Deutsche sind noch längst nicht fertig mit unserer Vergangenheit. Und unsere Glaubwürdigkeit vor uns selbst und der Welt als Deutsche steht und fällt mit unserer Bereitschaft, die ganze Schuld zu offenbaren und zu ihr zu stehen.

Teil II
Teil III


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kombo(p) - 16.11.1997