subversive kolinko | 10/1999
Subversion des Alltags
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1 [Arbeit]
2 [Kapital, Geschlecht, Staat]
3 [Klassenkampf]
4 [Tendenzen]
5 [Revolution]
6 [Revolutionärer Kampf]

Wer hat euch erzählt, dass das Leben erst noch anfängt? Dabei wartet ihr wohlmöglich schon auf die Rente!? Montag, aufstehen, losgehen, blaumachen, nicht mehr können, nicht mehr wollen, durchhalten. Wieder aufstehen, losgehen, Schule, Betrieb, zurückkommen, fertigsein, kochen, waschen. Zeit oder Geld, Magenschleimhautentzündung, durchhalten. Freitag, Disco, Kino, Freunde, Kaffee und Kuchen. Schluss! Raus mit der Faust, raus aus der Tasche!
Wir bewegen uns in rauchverhangenen Werkstätten, und humanisierten Fabrikhallen, in bepalmten Büroräumen und steakgewürzschwangeren Küchen. Wir schweißen Eisenbrocken zusammen und spritzen Kranke gesund. Für unsere Kinder bleiben auch nur Gruppenarbeitsplätze, an denen sie Platinen für Waschmaschinen und Antiblockiersysteme zusammenlöten.
Wir stehen jeden Morgen auf. Wir tun es! Auch wenn wir die Nacht durchgefeiert haben. Nach dem Bandscheibenvorfall, mit dem Beziehungsstress im Kopf und dem Liebeskummer im Herzen, wir machen weiter. Darauf haben sie uns vorbereitet, das ist Alltag! Etwas anderes hat uns niemand versprochen.
Was ist bloß los mit uns? Wessen Wahnsinn ist das? Wer zwingt uns? Die Gesellschaft? Der Staat? Die Medien? Die patriarchale Kleinfamilie? Die Verlockung am vermeintlichen Reichtum teilhaben zu können? Mama? Die Waffen? Die Kapitalisten?
Gibt es nicht etwas anderes zwischen dem Maschinen-getakteten-auf-die-Pause-warten-Alltag mit der Langeweile einer Marienhofkleinfamilienromantik, den Fortbildungs-lehrgängen, Jetzt-entdecke-ich-mich-selbst-Workshops und Vergnügungssuchtpartys?
Wir brauchen das Wagnis, das Abenteuer, die Sehnsucht, den Kampf, den Willen, das alles zu ändern. Wir suchen die Subversion, die Rebellion, die Möglichkeit der Revolte. Und wir suchen sie im Alltag, in den Büros, den Fabrikhallen, den Krankenhäusern, bei Aldi.
Wir brauchen die Bewegung, die vor nichts halt macht, die unsere kollektive Macht sichtbar werden lässt!


Fast anderthalb Jahre haben wir Entwürfe für diesen Text geschrieben und diskutiert. Zunächst war er als Vorschlag für unsere FreundInnen, KollegInnen und interessierte Leute im Ruhrgebiet gedacht, mit denen wir gemeinsame Ansatzpunkte für eine revolutionäre Organisierung sehen. Es stellte sich aber als schwierig raus, unsere grundsätzliche Kritik an den bestehenden Verhältnissen mit unserem Verlangen nach praktischer Aktion zusammenzukriegen und das niederzuschreiben. So kamen wir an einigen Punkten mit unseren Diskussionen in der Gruppe nicht weiter. Immer wieder fehlte uns die Sprache, so deutlich, analytisch scharf und mitreißend, wie wir sie haben wollten. Und es dauerte und dauerte...So habt ihr jetzt ein Diskussionspapier in Händen. Dieses Papier ist Prozess, es spiegelt den gegenwärtigen Stand unser Gruppendiskussionen wider. In diesen beziehen wir uns auf revolutionäre Strömungen des Marxismus, den Operaismus, eine revolutionäre Kritik am Feminismus und Diskussionen des Wildcat-Zusammenhangs.[1]

Im ersten Abschnitt geht es um die Grundlage der ausbeuterischen Gesellschaft: Arbeit und Arbeitsteilung. Im zweiten Abschnitt beschreiben wir, wie aus bestimmten praktischen Beziehungen der Menschen untereinander und aus ihrer Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess unterdrückerische Verhältnisse wie Kapital, Geschlecht und Staat entstehen. Im dritten Abschnitt bringen wir das mit unser Macht zur Veränderung zusammen: Klassenkampf. Im vierten Abschnitt versuchen wir eine Annäherung an die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen, die Bedingungen für eine revolutionäre Entwicklung: Krise, Proletarisierung, Flexibilisierung. Im fünften und letzten Teil skizzieren wir unsere Vorstellungen von Revolution und Kommunismus und unsere Aufgaben im revolutionären Kampf.

1 Arbeit [top]

Es ist nichts Natürliches, dass wir in einer ausbeuterischen ungerechten Gesellschaft leben, mit Hierarchien und Spaltungen in Männer und Frauen, In- und Ausländer, Reiche und Arme, mit Ausbeutung und Unterdrückung. Diese Zustände werden geschaffen! Sie basieren nicht auf einem natürlichen Machthunger und Egoismus des Menschen. Sie haben auch nur mittelbar mit bürgerlichen Ideologien, Traditionen, manipulativen Massenmedien oder einer übermacht des Systems zu tun. Die Zustände gründen auf der konkreten Praxis von sechs Milliarden Menschen: Arbeit.Arbeit ist weder einfach gleichzusetzen mit konkreten Tätigkeiten wie Pudding machen, Hängebrücken bauen oder Beats samplen. Wir können all dies tun, ohne zu arbeiten. Egal ob entlohnt oder nicht, diese Tätigkeiten werden zu Arbeit, wenn wir nicht bestimmen können, wie, wie lange, wofür und mit wem wir tätig sind.

Arbeit heißt, sich für banale Dinge des Lebens krummschuften zu müssen, weil technische Mittel, die uns die Arbeit abnehmen, zwar existieren könnten, ihre Entwicklung aber keine Gewinne erwarten lässt.

Arbeit heißt, nicht gemeinschaftlich zu entscheiden und dadurch produktiv zu sein, sondern im Haushalt zu kochenputzentrösten oder hinter Fabrik- und Büromauern vor sich hin zu schuften.

Arbeit heißt, auf bestimmte Tätigkeiten beschränkt zu sein: Steine mauern, Seelentrost spenden, Tag-ein-Tag-aus fremde Flure wischen...

Arbeit heißt Arbeitsteilung. Wir können nicht alles tun, nicht die Vielfalt der Tätigkeiten leben - Theater spielen, Dachstühle bauen, philosophieren etc. - die die Gesamtheit der Gesellschaft ausmacht.

Durch die Arbeitsteilung scheint es so, als bestände die Gesellschaft aus lauter unabhängig voneinander schuftenden ProduzentInnen verschiedenster Firmen, Abteilungen, Haushalte, Schulen und Kartoffelacker. Jeder scheint für sein Schicksal selbst verantwortlich und von den anderen unabhängig zu sein. Damit wir im Kapitalismus leben können, benötigen wir aber mittlerweile die Arbeit des größten Teils der ArbeiterInnen dieses Planeten: von Bergarbeitern in Südafrika, Lkw-Fahrern in Spanien, Automobilarbeitern in Korea, Textilarbeiterinnen in China, Programmiererinnen in Indien und Bauern in Frankreich.

Die getrennte Art und Weise, wie wir zusammen diese Gesellschaft produzieren, ist die Grundlage der Spaltungen zwischen den Menschen, schafft die Zersplitterheit unseres Lebens, die uns so ankotzt: die Ländergrenzen, die uns einschränken, den Knast des Geschlechts, die Rolle als Bürger, Arbeiterin oder Konsument, die Trennung in jung und alt, Ausbilder und Auszubildende, den Stress der Freizeit und des Arbeitsalltags...Die Arbeitsteilung produziert die Trennungen zwischen uns und schafft dadurch die Grundlage für Ausbeutung und Unterdrückung. Gesellschaftliche Macht hat, wer über die Arbeit und das Arbeitsprodukt anderer bestimmen kann, wer die Abhängigkeit der einzelnen ProduzentInnen von der Arbeit anderer für sich nutzen kann.

2 Kapital, Geschlecht, Staat [top]

Wir werden in den folgenden Abschnitten beschreiben, wie eine bestimmte gesellschaftliche Praxis der Menschen ein Verhältnis schafft, dass sie beherrscht. Wie Beziehungen untereinander, zu Produktionsmitteln und Arbeitsprodukt ihnen als etwas gegenübertreten, das sie bestimmt. Wir konzentrieren uns hier auf Kapital, Staat und Geschlecht, wobei dies keine nebeneinanderstehenden Strukturen sind, die einzeln bekämpft werden können. Wenn wir von Kapitalismus reden, meinen wir das gesamte Verhältnis. Wenn wir von Klassenkampf reden, meinen wir den Kampf, der sich gegen dieses Verhältnis richtet.

Kapital, Ausbeutung und Krise
Wir produzieren diese Welt zusammen, aber entscheiden nicht, auf welche Art wir es tun. Wir haben keinen Kontakt zu den Leuten, die unsere Klamotten herstellen, deren CNC-Maschine wir baün etc. Die Verbindungen werden vielmehr durch die kapitalistischen Formen Markt, Geld, Unternehmen usw. hergestellt. Diese Formen gewinnen dadurch eine scheinbar eigenständige Existenz, die über unseren Alltag bestimmt: "Geld regiert die Welt", "der Staat tut dies, VW tut das". Durch unsere getrennte Zusammenarbeit scheinen unsere Produkte eine Macht über uns zu bekommen: wir werden zu Abhängigen des Maschinentakts oder zu Opfern der Inflation...
Kapital beschreibt das Verhältnis, in dem wir weltweit arbeitsteilig zusammenarbeiten.[2] Wir scheinen abhängig vom Kapital, weil es unsere geteilte Arbeit unter seinem Kommando zusammenbringt. Das ist die Grundlage kapitalistischer Macht, Grundlage dafür, dass eine kleine Klasse die Produktionsmittel in ihren Händen hält und uns zur Arbeit zwingen und ausbeuten kann.
Wir stellen uns nicht acht Stunden lang in stickige Fabriken und stanzen Kleinteile für Smarts oder Playstations, weil wir denken, dass die Gesellschaft diesen Schrott nötig hat. Wir gehen in die Fabriken oder Büros und verkaufen dort unsere Arbeitskraft, weil wir keine andere Möglichkeit haben, uns zu ernähren. Wir brauchen den Lohn, weil wir nichts anderes besitzen, als unsere Arbeitskraft. Wir haben keine Reichtümer, keine Produktionsmittel und durch die kapitalistische Arbeitsorganisation keine Möglichkeiten, unabhängig vom Kapital mit den weltweiten ProduzentInnen zusammenzukommen. Wir müssen vereinzelt im Haushalt schuften, weil sonst ein anderer nicht arbeiten gehen kann oder soviel für Imbiss-Fraß, Waschsalons und Streichel-Workshops ausgeben müsste, dass das Geld nicht mehr zum Leben reicht.
Aber wir sind nicht nur unserer Produktionsmittel beraubt, auch die Produkte, die wir täglich herstellen, gehören nicht uns. Wir bestimmen nicht, was wir herstellen und die Art und Weise, wie wir es tun. Die Produktions- und Lebensmittel, die wir herstellen, bleiben in den Händen der ProduktionsmittelbesitzerInnen, die uns durch diese Trennung von unseren Produkten immer aufs Neue zwingen können, für sie zu arbeiten.[3] Durch diesen Prozess schaffen wir die Grundlage unser Ausbeutung täglich neu.

Den Diebstahl unser Arbeitsprodukte wollen uns die Unternehmer als "freien und gerechten Tausch" - Lohn gegen Arbeit - darstellen. Hinter dem Lohn versteckt sich aber die Ausbeutung, hinter dem "freien Tausch" der Zwang zur Arbeit. Die Kapitalisten geben uns nur Lohn, weil wir sonst verhungerten und nicht mehr für sie arbeiten könnten. In sehr kurzer Zeit unseres täglichen Arbeitstags schaffen wir den Gegenwert unseres Lohns, den Gegenwert der Mittel, die zu unser Ernährung - und die der Familie - notwendig sind. Die meiste Zeit des Tages arbeiten wir also nur für den Profit der kleinen Klasse der Kapitalisten. Diese Profite - und nicht unsere Bedürfnisse - sind das Entscheidende im Kapitalismus.

Die Profite gehen allerdings nur zu einem geringen Teil für die Luxuskarren von irgendwelchen Bonzen drauf. Die Kapitalisten sind selbst gezwungen, einen Grossteil der Profite wieder zu Kapital zu machen, d.h. in noch mehr Maschinen, Bürogebäude und Arbeitskräfte zu investieren. Das tun sie nicht, weil sie den Hals nicht voll kriegen können, sondern weil sie ansonsten Pleite gehen und keine Kapitalisten mehr sind. Was sich für den einzelnen Kapitalisten als Gesetz des Wettbewerbs darstellt, ist das Gesetz der Kapitalakkumulation: Kapital muss durch die Ausbeutung von Arbeitskraft zu mehr Kapital werden.[4]

Die Tatsache, dass wir von den Produktionsmitteln und vom Produkt unserer Arbeit getrennt bleiben, muss immer wieder neu durchgesetzt werden. Dies geschieht durch den Produktionsprozess selbst, der uns vereinzelt, das unerbittliche Tempo der Maschine, das uns zermürbt, der Chef, der hinter uns steht und uns kontrolliert. Und wo die Gewalt der Arbeit nicht ausreicht, werden "direktere" Formen der Gewalt eingesetzt: VorarbeiterInnen, WerkschützerInnen, Meister und Abteilungsleiter treiben uns zur Arbeit an, drohen bei Auflehnung mit Rausschmiss. Die Kapitalisten versuchen uns an den Linien der Arbeitsteilung durch unterschiedliche Arbeitsbedingungen, Entlohnungen usw. in Ausländer/Inländer, Gelernte/Ungelernte, Männer/Frauen zu spalten. Die Hierarchien zwischen den Ausgebeuteten sollen einen gemeinsamen Kampf gegen die Ausbeutung als unmöglich erscheinen lassen.

Eine gesellschaftliche Produktionsweise, die nicht den Bedürfnissen und der Kollektivität ihrer Milliarden ProduzentInnen entspringt, sondern als einzigen Sinn und Zweck die Vermehrung von Kapital hat; die für diesen Sinn und Zweck täglich das Leben der meisten Menschen aufs Schuften reduziert und dabei milliardenfache Wut produziert; eine solche Produktionsweise produziert auch zwangsläufig Krisen. Diese Krisen sind keine Unfälle des Kapitalismus, sie sind Teil seiner widersprüchlichen Organisation der Produktion, seines Zwangs zur Akkumulation, zur Ausdehnung der Ausbeutung.[5]

Geschlecht [6]
Geschlechterrollen sind ein praktisches Verhältnis, das beide "Geschlechter" produzieren, aber es ist auch ein Verhältnis von Gewalt und Abhängigkeit, was gerade für Frauen tägliche Erfahrung ist. Wer versucht, aus diesem Verhältnis auszubrechen, sich auf dem Bau nicht als "richtiger Mann" darstellt, kriegt oft Ablehnung oder mehr zu spüren. Wenn sich die Idylle der Kleinfamilie als Isolationshaft rausstellt, wenn sich Frauen weigern, ihren kleinen Malocher zu Hause den "kleinen Chef" sein zu lassen, sich ganz auf ihn zu konzentrieren, ihn vor der Einsamkeit der Männlichkeit zu beschützen, sieht sie sich oft mit Gewalt konfrontiert. Aus Angst, ohne weibliche Zuwendung überhaupt keine engen menschlichen Beziehungen haben zu können und ohne privat kommandierbare Hausarbeiterin der letzte Arsch zu sein, versuchen viele Männer, Frauen durch Einschränkungen, Androhung oder Ausübung von Gewalt verfügbar zu machen. Um dieses Verhältnis von Mangel und Gewalt abzuschaffen, müssen wir die Geschlechter an sich abschaffen.[7]

Ein Geschlecht macht aus, dass es bestimmte Aufgaben in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung inne hat. Das reicht von bestimmten "geschlechtsspezifischen" Lohnarbeiten in der Produktion bis zu praktischen Eigenschaften und Tätigkeiten wie beim "Mann" z.B. Beschützen-wollen-oder sollen. Geschlechter entstehen als Verhältnis innerhalb der gesellschaftlichen Produktionsweise des Kapitalismus, in der Zuordnung und dem Aufgreifen bestimmter Tätigkeiten, Rollen, Identitäten. Die Entwicklung der Produktivkräfte - die Ausdehnung der gesellschaftlichen Zusammenarbeit und die Entwicklung technischer Mittel zur Erleichterung körperlicher Arbeit - bestimmt die Ausprägung der geschlechtlichen Arbeitsteilung.

Der Kapitalismus hat die geschlechtliche Arbeitsteilung vorgefunden und zur Grundlage einer isolierenden und den Kapitalaufwand senkenden Reproduktionsform der Arbeitskraft gemacht. Das Gebären und die Aufzucht von Kindern war fortan gleichbedeutend mit der Produktion und Reproduktion von Arbeitskraft. Die geschlechtliche Arbeitsteilung und die Reduzierung der Frauen auf die Reproduktion von Arbeitskraft schreibt die Trennung in Frauen und Männer fest. Das ist nicht erst mit dem Kapitalismus entstanden, aber die Verlagerung der Produktion aus dem (Bauern- oder Handwerks-) Haus und aus der Familie in die Fabrik und die Büros hat die gesellschaftliche Position von Männern und Frauen entscheidend verändert und neue patriarchale Verhältnisse geschaffen. Weibliche und männliche ProletarierInnen wurden von einander getrennt und Frauen zunehmend auf die isolierte - nicht entlohnte - Hausarbeit in der Kleinfamilie festgelegt.[8] Männer erlangten über die Lohnarbeit, die damit verbundene Kontrolle über das Einkommen und die Tatsache, dass die kapitalistischen Produktionsstätten zum Zentrum der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wurden, eine zentrale Rolle. Der Ausschluss der Frauen aus Organisationen und Kämpfen bedeutete ihre gesellschaftliche Degradierung.

Die Abhängigkeit der Frauen vom Einkommen der Männer, abgesichert durch Ehe und Gewalt, bildet den Rahmen, in dem Frauen eine für die Kapitalakkumulation entscheidende Arbeit verrichten sollen: sie produzieren die Ware Arbeitskraft, sorgen für deren Reproduktion, ideologische Disziplinierung und erste Ausbildung. Hausarbeit ist Teil der gesellschaftlichen Kooperation, ohne die die kapitalistische Maschinerie nicht funktioniert. Mädchen und Jungen werden in der Familie und in den staatlichen Disziplinierungsanstalten die Fertigkeiten beigebracht, die sie für die spätere Ausbeutung in Haus- und Lohnarbeit entwickeln sollen.

Proletarische Frauen spielen als Lohnarbeiterinnen immer wieder die Rolle der industriellen Reservearmee: da wo sie für den kapitalistischen Verwertungsprozess in der Lohnarbeit ausgebeutet werden sollen, werden sie an die Bänder geschickt - ob in den Entwicklungszonen in Südchina, den Maquilladora-Schwitzbuden an der US-mexikanischen Grenze oder den Elektronik-Klitschen in Mitteleuropa.[9] Wo Kämpfe und die Umwälzung der gesellschaftliche Produktionsweise Entlassungen verlangen, sollen sie wieder nur an den Herd - wie in der Ex-DDR und anderen ehemaligen Ostblockstaaten.[10] Die Geschlechtertrennung wird so immer wieder dafür eingesetzt, die Zusammensetzung der LohnarbeiterInnen zu verändern - um Kämpfe zu schwächen, Löhne zu drücken und die ArbeiterInnen zu spalten.

In der Lohnarbeit werden bestimmte Fähigkeiten von Frauen - Kommunikation, emotionale Anteilnahme, Fingerfertigkeit, die Frauen aufgrund ihrer besonderen Erziehung und Disziplinierung erlernen sollen - ausgebeutet. Dabei ist die Lohnarbeit oft nur die Fortsetzung der Hausarbeit: die Umsorgung von Kranken im Krankenhaus, die Arbeit in der Kita, als Putzfrau oder Sekretärin, die ihrem Chef zu Diensten ist. Diese Arbeit wird in der Regel schlechter entlohnt, als vergleichbare Arbeit von Männern. Allein in Deutschland arbeiten Millionen von Frauen in sogenannten ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen wie 630 DM-Jobs, Teilzeitarbeit usw. Insgesamt ist die Situation der meisten Frauen geprägt von Unsicherheit, niedrigen Löhne, Armut und einem 16-Stunden-Tag für den Chef, den Ehemann und die Kinder.

Frauen kämpfen gegen die Ausbeutung in den Billig-Jobs, verweigern Hausarbeit und Kinderaufzucht und schicken (Ehe-)Männer zum Teufel. Die Mechanisierung des Haushalts und die Umwandlung bisher unentlohnter Hausarbeit in Lohnarbeit (Fast-Food, Pflege...) waren Reaktionen auf diese Verweigerung. Für viele Frauen ist Lohnarbeit erstmal die Möglichkeit, der Isolation in der Familie zu entkommen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Andererseits begeben sie sich so nur in "andere" Ausbeutungsverhältnisse.
Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern hat sich in den letzten Jahren aufgrund der Rebellion der Frauen gegen ihre Unterordnung erheblich verändert - Rollenbilder verändern sich, gleichgeschlechtliche Liebe wird eher akzeptiert, die Geschlechtertrennung in den neuen Jobs bricht auf und viele Frauen sind in ihren Beziehungen, bei der Maloche, bei ihren Organisierungsversuchen selbstbewusster geworden, lassen sich weniger gefallen, ziehen eine Single-Dasein dem Kleinfamilienstress vor.

Wo Frauen oder Männer die Geschlechtertrennung angreifen, muss sie wieder durchgesetzt werden. Frauen sollen mit Gewalt zur Erfüllung ihrer "Pflichten" gezwungen werden, Männer werden in Bundeswehr und anderen "Männerschulen" gedrillt. Über staatliches Kindergeld, Eherecht und Strategien von Personalleitern werden Männer und Frauen weiter in bestimmte Jobs, bestimmte Rollen und Verhaltensweisen gezwungen. Aber gleichzeitig funktioniert die Trennung nur, weil wir sie als Frauen und Männer immer wieder reproduzieren - untereinander und in Beziehung zum "anderen Geschlecht". Wo sie sich neue Identitäten schaffen, als Schwule und Lesben, als Frauen- und Männerbewegte, wird versucht, diese Formen in den kapitalistischen Prozess zu reintegrieren: Gleichberechtigungsbeauftragte, Knete für Subkultur, schwule Versicherungen, lesbische Politikerinnen.

Die Befreiung vom Geschlecht, der Kampf gegen Unterdrückung aufgrund körperlicher Merkmale ist Teil des Klassenkampfs. Nur die Klasse der ausgebeuteten ProduzentInnen kann die Geschlechterrollen zerschlagen. Nicht weil die "Frauen" ohne den Kampf der "ArbeiterInnen" keine Macht hätten, sondern weil die Geschlechter Teil der gesamten gesellschaftlichen Praxis sind.

Nahezu alles, was wir hier zum Leben brauchen, produzieren wir auf eine Art und Weise, in der uns unsere Zusammenarbeit und die Arbeitsmittel als Kapital, als fremde Macht entgegentreten. Aber nicht alle Arbeiten lassen sich im Kapitalismus "Fabrik"-mäßig organisieren, nicht alle zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendigen Arbeiten lassen sich im Kapitalverhältnis ausbeuten.[11] Wir schaffen daher durch die kapitalistische Art und Weise, diese Gesellschaft zu produzieren, nicht nur den Produktionszusammenhang von Fabrik, Büro und Krankenhaus, sondern auch den des Haushalts.

Haus- und Lohnarbeit sind beide voneinander abhängige Bestandteile eines Produktionsverhältnisses, in dem wir unser Leben in den Formen der Klasse und des Geschlechts produzieren. Klassenkampf ist daher Kampf gegen die Arbeit, gegen eine gesellschaftliche Produktionsweise, die sowohl das Ausbeutungsverhältnis des Kapitals als auch das Geschlecht schafft.

Staat
Der Staat präsentiert sich uns als "neutrale politische Instanz", die unabhängig vom "ökonomischen Bereich" der Wirtschaft existiert. Dies hat Folgen: GewerkschafterInnen fordern vom Staat, er solle regelnd in die undemokratische Wirtschaft eingreifen; SozialistInnen beklagen, dass der Staat nicht für die "kleinen Leute", sondern für die Reichen Partei ergreift; AnarchistInnen stellen den Staat als allumfassende Macht dar, ohne den die Gesellschaft befreit wäre. Ob als Ansprechpartner oder als Hauptfeind, der Staat bietet sich an, unsere Kämpfe auf ihn zu konzentrieren, um sie einzubinden und zu entmachten. Der Staat ist Teil des kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisses. Er ist die politische und gewalttätige Form der Durchsetzung und der Aufrechterhaltung kapitalistischer Ausbeutung.

Grundvoraussetzung für die Ausbeutung im Kapitalismus ist eine Masse von Arbeitskräften, die nur vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben kann, also nicht über eigene Produktionsmittel verfügt. Der Staat sorgt durch Kriege und Landvertreibungen täglich dafür, dass Menschen von ihren Produktionsmittel getrennt werden. Entwicklungshilfe, Migrations- und Bevölkerungspolitik werden eingesetzt, um die neuen ProletarierInnen kontrollieren zu können.

Die Abtrennung von den Produktionsmitteln muss permanent durch Drohung und Anwendung von Gewalt aufrechterhalten werden: Soldaten gegen Aneignungsaktionen von Landlosen und Bullen gegen Betriebsbesetzungen. Staatlicher Schutz des Privateigentums heißt Schutz des Besitzes der kapitalistischen Klasse, Schutz vor der Aneignung der Produktionsmittel durch die ProduzentInnen und somit Aufrechterhaltung der Ausbeutungsbedingungen.

Was uns täglich als "Errungenschaften des Sozialstaats" verkauft wird, sind die Mittel des Staats, uns als Lohnsklaven zu erhalten, unser Arbeitsleben zu kontrollieren und uns für die Ausbeutung zuzurichten. Sozialhilfe und Arbeitslosengeld erhalten uns als ausbeutbare Arbeitskraft, auch wenn unsere Lohnarbeit zwischenzeitlich nicht verwertet werden kann. Wir kriegen die Kohle aber nur, wenn wir uns arbeitswillig zeigen und dem Staat Einblick und Eingriffsmöglichkeit in unsere Lebenssituationen geben. In der Schule lernen wir die Dinge, die von einer Arbeitskraft verlangt werden: bestimmte Qualifikationen, Rumschleimen und Gehorsam. Wenn uns das Arbeitsleben mal fertig macht, machen uns Krankenhaus und Klapse wieder alltagstauglich. Bei Konflikten zwischen ArbeiterInnen und KapitalistInnen tritt der Staat als Schlichter auf: er bietet den ArbeiterInnen staatlich geprüfte Gewerkschaften an oder vereinzelt Konflikte vor seinen Arbeitsgerichten und sorgt so für "geordnete Verhältnisse". Ansonsten versucht er alles, damit sich die Konflikte innerhalb der ArbeiterInnenklasse abspielen: seine "Ausländer- und Familienpolitik" schafft immer neue Trennungen und Hierarchien zwischen den Ausgebeuteten, sein Bezug auf einzelne "Nationen" bieten die Möglichkeit, den Kampf der ArbeiterInnen in nationalistische Bahnen zu lenken.

Der Staat ist aber nicht bloße "Dienstleistung" fürs Kapital. Seine Existenz ist ganz materiell an die profitable Ausbeutung und Arbeit gebunden: ohne Profite, ohne Verwertung des Kapitals gibt es auch keine Kohle für den Staat.[12]

Die Kämpfe innerhalb der Ausbeutung verändern die Form des Staats, die Form, wie der Staat versucht, die Ausbeutungsbedingungen aufrechtzuerhalten. Ob als faschistische Militärdiktatur, Arbeiter- und Bauernstaat oder parlamentarische Demokratie - nicht unsere Forderungen oder "Politik" verändern den Staat, sondern unser Kampf gegen den kapitalistischen Alltag.[13]

Der Staat ist also kein "Ding", das unveränderlich und unabhängig von den Menschen besteht. Staat und Kapital sind Formen, in denen uns unsere tägliche materielle Praxis als "Politik" und "Ökonomie" gegenübertritt - und uns fertig macht. Wir scheinen abhängig vom Staat, von der "Politik", weil wir abhängig von bestimmten gesellschaftlichen Tätigkeiten sind.[14] Wegen der Trennung in vereinzelte Arbeitskräfte, Kleinfamilien, in Betriebe, in Stadt und Land etc. regeln wir diese Tätigkeiten nicht zusammen und stellen keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen uns her.[15] Somit scheinen staatliche Planung, Gesetze zur Regelung von gesellschaftlichen Konflikten usw. notwendig zu sein.

Die Abtrennung von gesellschaftlichen Tätigkeiten als Staat muss sich täglich wiederherstellen: die Bullen und LehrerInnen müssen als solche anerkannt werden, der Staat muss seinen materiellen Apparat produziert bekommen etc..

In Zeiten heftiger Kämpfe oder Krisen zeigt sich, dass der Staat nichts Feststehendes ist. Bestimmte Aufgaben, die nicht mehr staatlich organisiert werden, müssen oder können die Menschen wieder unter gemeinsamer Absprache leisten. Wie zum Beispiel in Teilen Russlands, wo der Staat wegen der Krise bestimmte Versorgungsaufgaben nicht mehr übernimmt, oder während der Kämpfe in Albanien, die den Staat auf seine Rolle als Militärmacht zurückdrängten.[16]

3 Klassenkampf [top]

Das ist unser Ausgangspunkt: aus bestimmten praktischen Beziehungen der Menschen untereinander und zu den Produktionsbedingungen entstehen Kapital, Staat und Geschlecht als unterdrückerische Verhältnisse. Jetzt zur entscheidenden Frage: wie können wir diese Verhältnisse zerstören und eine andere Form von Zusammenleben schaffen? Wir suchen nach der Möglichkeit der Veränderung, nach der Macht zur Befreiung und finden sie im Alltag der Ausbeutung selbst.

Unsere Macht zur Veränderung
Die Vereinzelung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft lässt uns täglich Erfahrungen machen, in denen wir den Verhältnissen ohnmächtig gegenüberstehen: wir stehen allein vorm Chef und KollegInnen outen sich als WarmduscherInnen oder Macker; die Bullen erwischen unsere ausländische Freundin bei einer Razzia und schieben sie ab; unsere Arbeitslosenkohle wird zusammengestrichen, weil der Staat angeblich kein Geld mehr hat; die Bosse machen Betriebe dicht, weil sie woanders angeblich für weniger Lohn mehr Arbeit kriegen usw..

Die Möglichkeit der Befreiung von dieser Ohnmacht liegt in unserer täglichen gesellschaftlichen Praxis. Es ist die weltweite Kooperation in der Arbeit, die das Kapital, den Staat, das Geschlechterverhältnis jeden Tag aufs Neue schafft. In Kämpfen können wir die Verhältnisse aufbrechen und erkennen, dass wir keine isolierten Individuen sind, sondern mit allen Ausgebeuteten dieser Erde einen arbeitsteiligen Zusammenhang bilden. Dieser kann zur materiellen Macht einer Bewegung werden, in der wir uns von diesen Verhältnissen befreien:
Wir können das Kapital zerschlagen, weil Geld zu Altpapier und Maschinen zu Schrott werden, wenn wir es nicht benutzen bzw. an ihnen nicht gearbeitet wird. Die Macht des Kapitals über die lebendige Arbeit hat ein Ende, wenn der Kampf die scheinbaren Trennungen der gesellschaftlichen Produktion in Haushalte, Betriebe, Nationen usw. überwindet.

Wir können den Staat angreifen und abschaffen, weil sich sein Apparat nicht von selbst produziert, sondern von der kapitalistischen Ausbeutung, von "ordentlichen" Verhältnissen in seinen Schulen, Unis, Knästen und Ämtern abhängig ist. Der Staat zerfällt, wenn die Bewegung der Ausgebeuteten die Schulmauern sprengt und das Wissen befreit; wenn wir unsere Konflikte aus den Gerichten holen, um sie selbst zu regeln; wenn wir auf den Fluren der Arbeitsämter feiern, weil wir keine zur Verfügung stehende Arbeitskräfte mehr sind; wenn wir die Grenzanlagen einreißen, weil es ohne Ausbeutung auch keine "nationalen Arbeitsmärkte" oder "Standorte" mehr braucht.

Wir können das Geschlecht abschaffen, weil es praktische gesellschaftliche Beziehungen sind, die sich innerhalb von Klassenauseinandersetzungen und der kapitalistischen Entwicklung verändern. Innerhalb der Kämpfe können wir Bedürfnisse entwickeln, die sich nicht mehr in den Formen der geschlechtlichen Trennung leben lassen. Wir können im Kampf unsere Vereinzelung aufbrechen und zusammen sexistische Angriffe zurückschlagen. Wir können die materiellen Grundlagen der Geschlechtertrennung, die Isolation des Haushalts, die verschiedenen Formen von Haus- und Lohnarbeit, das Privateigentum an Wissen über unsere Körper im revolutionären Kampf abschaffen.

Das ist der Kampf gegen die Arbeit. Der Kampf gegen eine gesellschaftliche Tätigkeit, die Grundlage für Ausbeutung und Unterdrückung ist. Er ist die revolutionäre Kritik an den Verhältnissen und die Macht zur Veränderung. Diese Kritik entsteht nicht am Schreibtisch oder in linken Seminaren, sondern da, wo wir täglich zusammenkommen, wo wir durch unsere Arbeit die Macht des Kapitals über die ProduzentInnen schaffen. In miefigen Hinterhofklitschen, in Küchen und Kantinen, an Fliessbändern und Straßenecken, hinter Fast-Food-Theken, in High-Tech-Büros, Uni-Sälen und auf Kaffeeplantagen finden die Auseinandersetzungen statt, die die Möglichkeit der alles verändernden Bewegung in sich tragen. In größeren und kleineren Konflikten äußert sich die Wut, die Weigerung, die tägliche Maloche und Disziplinierung hinzunehmen. Blaumachen, Langsamarbeiten, Pausenziehen, Materialzocken und "Kleine Chefs"-ärgern sind Formen des täglichen Kleinkriegs der individuellen Arbeitskraft. Diese Konflikte sind permanent. Es gibt keinen Konsens mit der Ausbeutung. Doch sie bleiben Bestandteil der kapitalistischen Entwicklung oder können in halbjährlichen Plastiktüten-Tarifstreiks entschärft werden, wenn die Vereinzelung des Konflikts nicht im gemeinsamen Kampf aufgebrochen wird.

Revolutionäre Situationen entstehen, wenn die Ausgebeuteten ihre tägliche getrennte Zusammenarbeit als Organisierung ihres Kampfs umdrehen: wenn die BüroarbeiterInnen nicht im Takt fremder PC-Eingaben malochen, sondern das Intranet zur Koordination des Streiks nutzen; wenn die Fliessbandarbeiterin nicht der Montiererin vor ihr nachhetzen muss, sondern die Zusammenarbeit genutzt wird, um die gesamte Endmontage lahmzulegen; wenn die Kämpfe in den Schulen eine ganze kommende Generation von ArbeiterInnen versaut; wenn in den Kitas die gemeinsamen proletarischen Einkäufe oder Mietstreiks organisiert werden.

Diese Kämpfe entwickeln eine materielle Macht, weil sie die Kapitalakkumulation unterbrechen und den Staatsapparat zersetzen können. Nur in diesen Konflikten, die sich in den täglichen Strukturen der erzwungenen Zusammenarbeit ergeben, ist die Selbstorganisierung des Kampfs durch die Kämpfenden möglich. In diesen Auseinandersetzungen verändern sich die Beziehungen und Bedürfnisse. Dabei können wir erkennen, dass Mittel und Möglichkeiten gegeben sind, eine andere, nicht-kapitalistische Gesellschaftlichkeit zu schaffen. In diesen Kämpfen steckt die Chance, die vermeintliche übermacht des Kapitals, die scheinbare Unabhängigkeit des Staates und Natürlichkeit der Geschlechterbeziehungen als Papiertiger zu outen. Weil sich die praktischen Verhältnisse untereinander und zu den Produktionsmitteln verändern und sich im Kampf ohne kapitalistische Vermittlung herstellen lassen. Diese reale Bewegung innerhalb der kapitalistischen Ausbeutung nennen wir

Klassenkampf
Wenn wir von Klasse reden, gehen wir davon aus, dass die Arbeit von Menschen das Privateigentum an Produktionsmitteln schafft - und somit die Grundlage ihrer eigenen Besitzlosigkeit und Ausbeutung als ProletarierInnen. Die Klasse ist kein Verein, dem Menschen angehören oder nicht. Sie ist auch keine Kategorie, in die sich Leute nach "objektiven Merkmalen" einordnen lassen. Klasse entsteht als Bewegung, wenn die Ausgebeuteten ihre produktiven Beziehungen gegen die Ausbeutung nutzen. Dieser Prozess ist Klasse.

Die materiellen Bedingungen, unter denen produziert wird, und die Formen, wie als Klasse gegen diese Bedingungen gekämpft wird, hängen direkt zusammen und verändern sich durch die Auseinandersetzungen ständig. Jede kollektive Verhaltensweise, jeder Kampf bringt Kapitalisten und ihre "kleinen Chefs" dazu, neue Leute (mit anderen "Qualifikationen") einzustellen oder rauszuschmeißen, neue Technologien, andere "Lernmethoden", Entlohnungssysteme oder Arbeitsorganisationen einzuführen, EinwanderInnen anzuwerben oder abzuschieben. Diese Veränderungen innerhalb der kapitalistischen Produktion verändern unsere Möglichkeiten zu kämpfen, geben dem Klassenkampf ein neues Gesicht. Selbständige FernfahrerInnen werden andere Formen des Kampfes finden als Call-Center-ArbeiterInnen oder Krankenpfleger. Neue MigrantInnen bringen andere Erfahrungen in den Kampf ein als ArbeiterInnen, die schon jahrelang in einem bestimmten Betrieb arbeiten. In den in weltweite Produktionsketten eingebundenen Fabriken der Maquilladoras wird die Revolte die Kapitalakkumulation zentraler treffen, als in einer nur lokal aktiven Hinterhofbude in Bottrop.

Revolutionäre Initiative muss von diesen konkreten materiellen Bedingungen und den bereits vorhandenen organisatorischen Ansätzen der Klasse ausgehen, wenn sie in Kämpfe eingreift. Allgemein gültige Organisationsvorschläge für alle Bereiche, Zeitpunkte und Kampfsituationen wie Parteien, Räte oder syndikalistische Gewerkschaften können die Selbstbewegungen der Klasse nur hemmen.

Klassenkampf ist in den seltensten Fällen "Angriff auf die Kapitalisten", sondern Kampf gegen konkrete Ausbeutungssituationen.Er setzt dabei keine Einheit der Ausgebeuteten voraus und richtet sich auch gegen die Hierarchie zwischen den ArbeiterInnen. Die Trennungen und Spaltungen innerhalb des Proletariats werden durch die Art und Weise der kapitalistischen Produktion täglich neu geschaffen. Oft kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen ArbeiterInnen, wenn mit dem Angriff auf die Organisation der Arbeit auch die unterschiedlichen Stellungen von ArbeiterInnen im Produktionsprozess angegriffen werden. Nur in diesen Kämpfen liegt die Möglichkeit, dass Trennungen aufbrechen, liegt die Chance auf Veränderung.

In Auseinandersetzungen wird die Parole "Einheit aller Ausgebeuteten" meistens gewerkschaftlich dazu benutzt, um Konflikte unter Kontrolle zu kriegen oder abzuwürgen: "Wir können nur kämpfen, wenn alle mitmachen, aber da nicht alle mitmachen... Es gibt so viele Unterschiede zwischen den ArbeiterInnen, daher brauchen wir eine starke gewerkschaftliche Organisation... Ihr könnt doch nicht den Schuldirektor verprügeln, er ist doch auch nur ein Lohnabhängiger..."

Diejenigen Teile des Proletariats treiben den Prozess als Klasse voran, die im Kampf die Arbeit und die aus ihr resultierenden Hierarchien und Spaltungen am "konsequentesten" angreifen. Und eben diese Kämpfe müssen wir auch gegen andere Teile des Proletariats unterstützen: den Kampf der Auszubildenden und SchülerInnen, wenn er sich gegen die ordentlich arbeitenden Eltern und LehrerInnen durchsetzen muss; die Revolte der schwarzen BandarbeiterInnen, wenn sich die Vorarbeiter gegen sie stellen; den Streik der FacharbeiterInnen, wenn sich die Ungelernten nicht vom Streikbruch abhalten lassen; die Selbstorganisierung der Frauen in den Fabriken, wenn sie von den männlichen Einheitsgewerkschaften sabotiert wird.

Innerhalb dieser täglichen Auseinandersetzungen suchen wir die Tendenzen, die sich nicht durch kapitalistische Entwicklung auffangen lassen, sondern sie sprengen und über sie hinausgehen. Diese Tendenzen lassen sich selten an der "äußeren Form" von Kämpfen klarmachen: die erhobenen Forderungen, die "offiziellen" FührerInnen, die Frage, ob eine Auseinandersetzung friedlich oder gewalttätig ist, sagen erst mal wenig über den "revolutionären Inhalt" von Kämpfen aus. In einem gewerkschaftlich institutionalisierten Generalstreik für 15 Prozent mehr Lohn machen die Kämpfenden vielleicht weniger Erfahrungen kollektiver Macht und Befreiung, als in einem wilden Streik für zwei Prozent.

Ob in den Kämpfen revolutionäre Tendenzen der Selbstbefreiung von den bestehenden Produktions-/Lern-/Lebensverhältnissen entstehen, hängt davon ab, ob die Kämpfenden
- Formen der Selbstorganisierung finden, neue kollektive Beziehungen hervorbringen und die hierarchische Arbeitsteilung innerhalb des Kampfes untergraben;
- sich die Produktionsmittel in einer Form aneignen, dass diese nicht mehr als Mittel des Arbeitszwangs gegen sie eingesetzt werden können, sondern Mittel zur Abschaffung der Arbeit werden;
- die Trennungen der alltäglichen Arbeit durch Berufs- und Sprachgruppen, Abteilungs-, Siedlungs- und Betriebsmauern etc. aufbrechen;
- durch den Kampf das Kapital und den Staat materiell treffen und Beispiel der ArbeiterInnenmacht für andere ProletarierInnen sein können.

4 Tendenzen [top]

Die Möglichkeit der Überwindung des Kapitalismus lässt sich nicht anhand einzelner Kämpfe oder Bewegungen erkennen. Historische Veränderungen der Art und Weise, wie wir diese Gesellschaft produzieren, d.h. wie wir im Kapitalismus ausgebeutet werden, ergeben sich nicht automatisch oder durch einen Plan der ausbeutenden Klasse, sondern durch den Klassenkampf und die Widersprüche des Kapitals. Die Entwicklung des Kapitalismus hat Grenzen: der Kampf der Klasse verändert nicht nur die gesellschaftliche Produktionsweise, er schafft dadurch auch die materiellen Bedingungen für eine weltweite Revolution. Wir müssen diese Bedingungen in den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen aufzeigen und zum Ausgangspunkt des Kampfs machen. Hier eine Annäherung:

Krise
In Asien, bis 1996 noch gelobte Region des Kapitals, ist sein Traum vom ewigen Boom auf dem Rücken genügsamer ProletarierInnen im vorletzten Jahr zerplatzt, in Indonesien in Flammen der proletarischen Wut aufgegangen. In Russland, wo die neuen Businessmen und alten "sowjetischen" Betriebsführer dick Kohle machen, während viele ArbeiterInnen keinen Lohn mehr kriegen und immer wieder dafür streiken, droht der Bankrott. In den 80ern haben der Internationale Währungsfonds und die Weltbank noch Kredite nach Mittel- und Lateinamerika vergeben, um die Ausbeutungsbedingungen zu verbessern. Heute müssen sie Milliarden Dollar in die Region pumpen, nur damit die Währungen nicht ganz zusammenbrechen.

Die Gründe dieser Krisen liegen nicht - wie von KapitalismusverteidigerInnen oft behauptet - in abenteuerlicher Finanzspekulation, fehlerhaftem Management oder unfähigen Regierungen. Diese Erklärungen sollen nur die Hoffnung hochhalten, dass durch eine "bessere Politik" die Krise überwunden werden kann. Die Ursachen der Krise lassen sich jedoch nicht reformieren: das Verhalten der ArbeiterInnen gegen die Ausbeutung und die sich dadurch verschärfenden Widersprüche des kapitalistischen Produktionsverhältnisses.

Die Krise des Kapitals ist die Krise seiner Verwertung: das für die Ausbeutung der ArbeiterInnen eingesetzte Kapital bringt nicht genug Profit, der für den Ausbeutungsprozess gebraucht wird.[17] Streiks, Langsamarbeiten, Verweigerung von neuen Arbeitsmodellen und Durchsetzung gesteigerter Lebensansprüche ohne Rücksicht auf Haushaltsdefizite oder Unternehmensziele führen dazu, dass die Profite sinken. Wenn das Kapital dieses ArbeiterInnenverhalten nicht brechen und eine gesteigerte Ausbeutung durchsetzen kann, sucht es vermehrt in anderen Regionen nach besseren Verwertungsbedingungen - was zunehmend schwieriger wird, da es heute kaum noch Regionen gibt, in denen die Menschen nicht wüssten, was Kapitalismus heißt. Oder die herrschende Klasse versucht mit Aufnahme von Krediten und Finanzspekulation, etwas Zeit für die Durchsetzung neuer Ausbeutungsbedingungen zu gewinnen. Gelingt es ihnen nicht - werden die Kredite also nicht durch gesteigerte Profite aus der Produktion gedeckt - kommt es wie in letzter Zeit in Asien, Russland, Lateinamerika zum Crash.

Das zeigt, dass die heutige "Globalisierung" nicht Zeichen der Macht des Kapitals ist, sondern dass sich in erster Linie seine Krisen globalisieren.

Kämpfe und Auseinandersetzungen
Aufstände der letzten Jahre wie in Chiapas-Mexiko nach 1994 und in Indonesien 1998, tägliche Streiks in den (neu-)industrialisierten asiatischen Staaten China, Süd-Korea usw. und Protestbewegungen in den Boom-Ländern Lateinamerikas: das sind Kämpfe von ArbeiterInnen in den neuen Entwicklungszentren, die ihre gesteigerten Ansprüche gegen die Auswirkungen weltweiter kapitalistischer Ausbeutung stellen. Die Frage ist, ob sich diese Klassenbewegungen durch die Krise in eine neue Entwicklungsdiktatur einbinden lassen oder ob sie sich ausweiten und radikalisieren.

Nachdem das Ausbeutungsmodell des Ostblocks gekippt wurde, stehen wir auch hier vor einer offenen Situation. Die Streiks der Bergarbeiter in Russland und Rumänien und der Aufstand in Albanien 1997 sind nur die heftigsten Auseinandersetzungen von ArbeiterInnen, die sich nicht zur Billigarbeitskraft für die neuen Eliten oder westliche Investoren machen lassen wollen.

Die Streiks bei UPS und General-Motors in den USA und von spanischen und französischen TransportarbeiterInnen sind Beispiele offener geführter Klassenauseinandersetzungen in den kapitalistischen Metropolen. Ansonsten befinden wir uns hier eher in einer Blockade-Situation: es gibt kaum offensive Kämpfe gegen den zunehmenden Arbeitsstress, aber auch das Kapital kann mit seinen Angriffen kein neues, profitableres Ausbeutungsregime durchsetzen.[18]

Von einer Globalisierung der Kämpfe kann keine Rede sein. Viele Kämpfe entstehen aus einer Position der Schwäche: Betriebsschließungen, Abwehr von Verschlechterungen usw. Viele Auseinandersetzungen nehmen nationalistische oder andere Formen der Gewalt innerhalb der ArbeiterInnenklasse an.

Neues Krisen-Regime
Diese Situation von Krise und Blockade versucht die herrschende Klasse mit verschärften staatlichen Maßnahmen gegen das Proletariat zu lösen. Vermittelt wird dieser Angriff in den europäischen Metropolen durch die sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Regierungen. Nach innen versuchen diese Regierungen, durch verschärften Druck auf arbeitende und arbeitslose ProletarierInnen die Blockade in Richtung "Mehr Arbeit - weniger Geld" zu lösen. Dabei können die "Arbeiterparteien" ihre guten Beziehungen zu den Gewerkschaftsapparaten spielen lassen und zusammen für die Durchsetzung von "mehr Arbeit" ins Feld ziehen.

Auch auf weltweiter Ebene werden die Instrumente des Staats gegen den Klassenkampf modernisiert: Der Internationale Währungsfond soll angesichts der Krisen den jeweiligen kreditabhängigen Regierungen noch deutlicher klarmachen, dass sie nur dann weitere Kredite bekommen, wenn sie eine verschärfte Ausbeutung gegen die einheimischen ArbeiterInnen durchsetzen. In der EU wird mit der Einheitswährung Euro den Regierungen der Mitgliedsstaaten die Möglichkeit genommen, über Währungsmanipulationen den Kämpfen in ihren Ländern auszuweichen.[19] So müssen sie in stärkerem Maß als bisher den Kämpfen die Stirn bieten und die ArbeiterInnen und ihre Bedingungen angreifen, um Lohnkosten zu senken, Arbeitszeiten zu verlängern, usw. Die Einwanderungsbedingungen für ArbeiterInnen aus Nicht-EU-Staaten werden weiter verschärft. ArbeiterInnen sollen als billige Arbeitskräfte in gewünschtem Masse einwandern, ansonsten in den abgestuften Investitionsregionen von der Ukraine bis nach Marokko für die Ausbeutung zur Verfügung stehen.

In der letzten Zeit bleibt den Herrschenden[20] neben diesen "sozialstaatlichen Maßnahmen" oft nur das gewalttätigste aller staatlichen Mittel, um die Situation der Klassenkonfrontation zu lösen. Der Krieg in Jugoslawien 1999 zeigt die neue Qualität des Krisenregimes: Die linken Regierungen verkauften die Bombenangriffe als humanitäre Aktionen und die NATO wollte ihre Fähigkeit demonstrieren, mit dieser ideologischen Begründung jeden Fleck dieser Erde in Schutt und Asche zu legen.

Der Krieg hat aber vor allem enorme Auswirkungen auf die Klassensituation der Balkan-Region:

- Die Bomben auf die serbischen Grossbetriebe haben durchgesetzt, was das serbische Regime nach jahrelangen Angriffen nicht hingekriegt hatte: die schnellsten Massenentlassungen seit es die Treuhand gibt. Die 600.000 ArbeiterInnen, deren Betriebe durch die Bomben plattgemacht wurden, werden jetzt kaum wieder in ihren alten Belegschaften zusammenkommen, in denen sie lange Zeit gegen Lohnkürzungen und Entlassungen gekämpft haben. Der Krieg hat die Grundlage für die Intensivierung der Ausbeutung einer zersprengten Arbeitskraft geschaffen, wie z.B. das neue Werk von VW oder die aus Italien ausgelagerten Textilklitschen in Bosnien zeigen.

- Die Kämpfe von StudentInnen und ArbeiterInnen gegen die Repression und "Sozialpolitik" des serbischen Staats sind durch den Krieg vorerst in demokratisch-nationalistische Bahnen gelenkt worden.

- Im Kosovo sind Hunderttausende von Land und Besitz getrennt worden und mussten flüchten. Viele von ihnen, ob "AlbanerInnen" oder "SerbInnen" werden woanders arbeiten müssen, oft als NiedriglohnkonkurrentInnen gegenüber ansässigen ArbeiterInnen.

- Die neuen "ethnischen" Grenzen und die selektive EU-Politik des "Wiederaufbaus", die profitable Regionen wie Kroatien, Slowenien und jetzt vielleicht Montenegro bevorzugt und abtrennt, schaffen die Grundlage für neue nationalistische Gewalt innerhalb der ArbeiterInnenklasse.

- Der Balkan ist militärisch besetzt worden. In einer Region, die von der Mobilität der ArbeiterInnen geprägt ist, bestimmen nun NATO-Trupps und UNO-Organisationen, wer sich wohin bewegt. Als sich die albanische Bevölkerung 1997 selbst bewaffnete und weite Teile des Landes außerhalb staatlicher Kontrolle brachte, trauten sich die Blauhelme nicht ins Land. Heute ist Albanien ein NATO-Stützpunkt.

Der Jugoslawien-Krieg ist ein Zeichen an die ProletarierInnen weltweit: wenn wir die Krise nicht durch Rationalisierungsmassnahmen und Arbeitsdisziplin lösen können, haben wir noch ein paar bombige Argumente für euch. Die ausgebeutete Klasse muss in den kommenden Kämpfen weltweit in die Offensive kommen, ansonsten werden die Herrschenden in ihrer verzweifelten Suche nach Wegen aus der Krise auch Konflikte wie zwischen Nord- und Südkorea, China und Taiwan, Indien und Pakistan usw. als Kriegsgrund gegen die ArbeiterInnen nutzen.

Proletarisierung [21]
Das Kapital ist in den letzten Jahren verstärkt in Länder des Trikonts, nach Asien und Lateinamerika gegangen, weil es sich die Realisierung hoher Profite erhofft hat. Der Aufbau von Industrien ist nur möglich, weil dort - insbesondere in Asien - Hunderte Millionen Menschen vom Lande in die Städte ziehen, ihre Scholle verlassen und ihre Arbeitskraft an Fabrikbosse und Kombinatsleiter verkaufen müssen. Sie haben die traditionellen ländlichen Ausbeutungsformen satt und erwarten sich von der Lohnarbeit und dem Leben in der Stadt eine Verbesserung - Informationen, Konsumgüter, Bewegungsmöglichkeiten...

Diese Proletarisierung bedeutet, dass Erfahrungen von ArbeiterInnen in Kuala Lumpur, Kapstadt, Gaza, Sao Paulo, Lyon und Gelsenkirchen zunehmend parallel laufen: Fabrikarbeit, Computereinsatz, Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen, demokratische Herrschaft - wir müssen uns mit ähnlichen Bedingungen rumschlagen. überdies wandern Millionen von ArbeiterInnen in die Erdölregionen, Industriezonen, auf die Baustellen und in die Haushalte dieser Erde, auf der Flucht vor der Situation in ihren Herkunftsgebieten und/oder auf der Suche nach einem besserem Leben. Sie sind Teil der globalen Zusammenarbeit und bieten uns die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen und von den Kämpfen in anderen Regionen der Erde zu lernen.

In Asien und Lateinamerika hat die Ausweitung der Frauenlohnarbeit vielen Frauen ein eigenes Einkommen verschafft. Zudem treibt die Verweigerung der Frauen, als unentlohnte und isolierte Hausfrau zu schuften, die Vergesellschaftung der Hausarbeit voran. Es ist zweifelhaft, ob die Arbeit bei McDoof wesentlich angenehmer ist als die im Heim am Herd, sie führt aber raus aus der Isolation des Haushalts oder Ackers und schafft bessere Bedingungen, zusammen gegen Ausbeutung und sexistische Gewalt zu kämpfen. Die Krise der Hausarbeit zersetzt die alte geschlechtliche Arbeitsteilung, denn ohne weibliche Reproduktion ist schlecht Bergmann sein. Die Geschlechterbeziehungen sind in Bewegung, weil die neuen Jobs die festgelegten Rollen und rigiden Trennungen nicht in bisherigem Masse stützen und reproduzieren. In vielen der neuen Jobs ist die Trennung der Geschlechter tendenziell aufgehoben und das verändert die Geschlechterbeziehungen insgesamt. ähnliche Erfahrungen vereinfachen - zusammen mit den neuen technischen Möglichkeiten weltweiter Kommunikation - den Austausch und die Abstimmung von Kämpfen.

Und: Die Verteidigung des individuellen Handwerks oder des kleinen Stück Land angesichts der Proletarisierungstendenzen bedeutet oft nicht mehr als die Verteidigung von Armut und Mühsal. Proletarisierung heißt, mehr und mehr von der Arbeit Millionen anderer abhängig zu sein, um die Produktionsmittel überhaupt in Gang setzen zu können. Durch den vermehrten Einsatz von Maschinen ist Arbeit oft keine individuelle Fertigkeit mehr. Wir sehen dadurch in der anderen ProduzentIn immer weniger nur eine bloße "FunktionsträgerIn", die im Gegensatz zu uns fähig ist, unser Pferd zu beschlagen oder die richtigen Kräuter gegen unsere Krankheit zu finden, sondern ein Individuum mit ähnlichen Fähig- und Unfähigkeiten wie wir auch. Das ist nicht nur die Voraussetzung für gesteigerte kapitalistische Ausbeutung und Konkurrenz, sondern auch für eine globale Revolution, die die Arbeit nicht befreit, sondern abschafft - für eine klassenlose Gesellschaft freier Individuen.

Flexibilisierung
Nach den weltweiten Fabrikkämpfen der 60er und 70er Jahre haben sich die Verhältnisse in der Produktion enorm verändert. Um die militanten ArbeiterInnenkerne in den Industrieländern zu zerschlagen und die Ausbeutung zu intensivieren, wurden in den Fabriken neue computergestützter Techniken und neue Formen der Arbeitsorganisation (z.B. Gruppenarbeit) eingeführt. Ganze Bereiche, z.B. in der Verwaltung, Instandhaltung, Reinigung oder im Transport wurden aus den Konzernen ausgelagert. Durch den Angriff auf die Macht der ArbeiterInnen konnten die Unternehmen hier die Löhne bzw. Arbeitskosten senken. Aus dem gleichen Grund wurden Produktionsbereiche an Subunternehmer vergeben und so die Zahl der ArbeiterInnen in der Fabrik weiter runter gefahren. über die Einstellung von ZeitarbeiterInnen, befristete Verträge usw. wurden neue Hierarchien der Entlohnung und der Vertragsverhältnisse eingeführt, um die ArbeiterInnen weiter zu spalten. Letzteres war möglich, weil gleichzeitig immer mehr Leute versucht haben, dem 40-Stunden-Normalarbeitsverhältnis zu entgehen. Sie hielten sich fortan mit Gelegenheitsjobs oder das Ausnutzen von Sozialknete und Schwarzarbeit über Wasser.

Das bedeutet auf der einen Seite, dass wir heute viel mehr unterschiedliche Erfahrungen haben. Viele ArbeiterInnen haben in mehreren Bereichen gearbeitet, können ihr Leben und ihren Unterhalt "flexibel" organisieren. Sie haben in andern Ländern malocht, Sprachen gelernt, Kontakte aufgebaut und andere Formen von Kämpfen mitbekommen. Viele haben abseits von Familien, staatlicher Fürsorge und Gewerkschaften Ansätze von Selbstorganisierung ausprobiert. Das kann die Basis für neue Kämpfe sein, die durch Beweglichkeit, großen Erfahrungsschatz aus verschiedenen Ausbeutungssituationen und geringen Respekt vor einem lebenslangen Beruf geprägt sind.

Auf der anderen Seite müssen wir uns nun mit den unsicheren, sogenannten prekären Arbeitsverhältnissen rumschlagen - Teilzeit, Sklavenhändler, befristete Verträge... Viele von uns sind gezwungen, immer (wieder) irgendwelchen Jobs nachzujagen, was unsere Kontrolle über unser Leben weiter einschränkt. Zudem wurde der Arbeitszwang erhöht: über Lohnkürzungen, Anhebung von Sozialbeiträgen wie Krankenversicherung usw., was zu immer mehr "working poor" führt, arbeitenden Armen; und über direkten Druck vom Sozial- oder Arbeitsamt, das mit Kürzung oder Streichung der Stütze droht, wenn man einen Scheißjob nicht annimmt oder eine Qualifizierungsmaßnahme ablehnt.

Hier in Deutschland geht die rot-grüne Regierung den Umbau des Sozialstaates verstärkt an: Qualifizierungszwangsmassnahmen für Jugendliche sind schon angelaufen, andere Pläne liegen noch in der Schublade: weitere Kürzungen der Sozialhilfe und anderer Leistungen durch die Einführung eines Existenzgeldes, Anbindung des Arbeitslosengeldes an Bedürftigkeit - also nicht mehr als Versicherung, wo man angeblich die Knete zurückkriegt, die man mal eingezahlt hat - Durchsetzung von Zwangsarbeit für Arbeitsverweigerer, usw.[22] All diese Entwicklungen haben in den letzten Jahren zu einer Schwächung der ArbeiterInnenkämpfe in den industriellen Kernbereichen beigetragen.[23]

Die Auslagerungen haben aber auch zu einer gestiegenen Bedeutung des Kommunikations- und Transportsektors geführt. Insbesondere durch die Just-in-time-Produktion, bei der die Zulieferer ihre Teile zeitgenau ans Fliessband liefern müssen, wurden die Produktionsketten äußerst störanfällig. Bei Streiks von Lkw-Fahrern in Frankreich und Spanien, dem Auto-Zulieferer Johnson Controls und bei dem Paket-Versender UPS in den USA standen schnell die Bänder in den Fabriken still, weil die Teile fehlten. Die neuen Produktionsverhältnisse haben den Kapitalismus auch verwundbarer gemacht!

5 Revolution [top]

In den letzten zwei Jahren wurde es an allen Ecken und Enden der Welt deutlich: der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist in der Krise.

Die aktuelle Krise zeigt, dass der Kapitalismus keine überlegene Gesellschaftsform ist, dass die freie Marktwirtschaft ein liberaler Traum und dass die politische Klasse nur scheinbar die Möglichkeit hat, gesellschaftliche Entwicklungen voraussagen und bestimmen zu können.

Krisenzeiten sind Zeiten der gesellschaftlichen Umbrüche, der Veränderungen innerhalb einer ausbeuterischen Gesellschaft. In diesen Zeiten wird von allen Seiten die Frage nach einer anderen gesellschaftlichen Perspektive lauter gestellt, Kämpfe und Auseinandersetzungen werden mit anderer Intensität geführt. Darin liegt die Möglichkeit, dass die Klasse im Kampf eine gemeinsame, befreiende Antwort findet.

Scheitert eine revolutionäre Perspektive, wird die Krise der Anfang eines neuen Ausbeutungsregimes. Die herrschende Klasse muss mit allen Mitteln eine gesteigerte Vermehrung von Kapital durch verschärftes Auspressen der ArbeiterInnen durchsetzen. Unsere Aufgabe ist es, in der Diskussion innerhalb der kommenden Klassenauseinandersetzungen zu betonen, dass Kapitalismus und Krise untrennbar miteinander verbunden sind, dass die Auswirkungen der sich verschärfenden Krisen nicht durch "Schweiß und Verzicht", sondern nur durch die Abschaffung dieses absurden Systems überwunden werden können.

Kommunismus und Revolution...
Einige der beschriebenen weltweiten Tendenzen machen Hoffnung auf bewegtere Zeiten und sind Zeichen dafür, dass die Ausgebeuteten durch ihre Kämpfe die Welt verändern und eine andere schaffen können. Der Klassenkampf verschärft nicht nur die kapitalistischen Widersprüche, er verändert auch die Bedingungen, unter denen wir unser Leben produzieren: wir arbeiten immer enger zusammen; immer weniger sind direkt vom Ertrag ihres Ackers oder dem Verkauf ihres Produkts abhängig; die produktivsten Technologien sind nicht mehr auf die Metropolen konzentriert; es wird immer mehr - wie auch immer gearteter - Reichtum geschaffen, während für die Produktion einer bestimmten Ware immer weniger Arbeitszeit notwendig ist;[24] die Produktion hängt immer mehr vom gemeinsamen Wissen, der Kommunikation und Zusammenarbeit von Millionen von ArbeiterInnen weltweit ab.

Die kommenden Bewegungen der ArbeiterInnenklasse werden innerhalb dieser Bedingungen stattfinden. Sie werden entscheiden, ob die gesteigerte gesellschaftliche Produktivität weiterhin in Form der kapitalistischen Maschinerie gegen uns gerichtet wird. Oder ob wir unsere produktive Kollektivität in den Kämpfen als Waffe benutzen und zur Grundlage des Kommunismus, einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Schufterei machen.

Der Kommunismus ist keine ferne Utopie oder eine zu planende Gesellschaft, sondern er ist Teil der Kämpfe, in denen die bestehende Produktionsweise verändert wird, neue Beziehungen und Bedürfnisse entstehen und sich die Mittel zu ihrer Erfüllung angeeignet werden. Dieser Prozess wird gewalttätig, wenn sich diejenigen, die von den bestehenden Verhältnissen profitieren, gegen die wehren, die sie satt haben. Die Revolution wird aber kein Macht-Putsch sein, keine Übernahme der Staatsmacht. Die bestehenden Organe der staatlichen Gewalt werden zerstört, aber die entscheidende Frage der Kämpfe ist, ob sich die ProduzentInnen in diesem Prozess die Bedingungen der Produktion auf eine Art aneignen, die den Fortbestand eines staatlichen oder kapitalistischen Kommandos unnötig und unmöglich macht. Ob sie die Kämpfe selbstorganisiert führen und somit die Basis für eine Gesellschaft schaffen, in der unsere Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen und wir selbst entscheiden, wie wir sie befriedigen. Im revolutionären Prozess müssen die Grundlagen der betrieblichen, geschlechtlichen, "internationalen" Arbeitsteilung niedergerissen und das Wissen über die Produktion und die Mittel ihrer Automatisierung vergesellschaftet werden. Nur dann kann das in den Kämpfen entstandene Zusammensein ohne Vermittlung durch Institutionen, Identitäten, Geld und Maschinerie zur Praxis einer Gesellschaft freier Individuen werden.

...oder Elend des Reformismus?
Während sich die Krisen und Auseinandersetzungen zuspitzen und die Frage nach der revolutionären Bewegung sich immer drängender stellt, setzen Reformisten von links alles daran, die Situation zu entschärfen. Viele KämpferInnen gegen den Neoliberalismus wollen uns den alten Sozialstaat als gütigen Wohlfahrtspapa verkaufen und zusammen mit ihm und den Gewerkschaften gegen den bösen Weltmarkt vorgehen. Im Kampf gegen den Faschismus wird die Gewalt der Demokratie gern mal übersehen, die Schule oder Uni akzeptiert, solange dort keine Faschos rumlaufen.

Anstatt dem Elend der Arbeit ein Ende zu machen, rufen viele Linke zur gerechten Verteilung der Arbeit auf oder fordern gar mehr davon. Existenzgeld- und andere "Gebt-uns-Krümel"-Forderungen machen uns zu vereinzelten Opfern, die beim Nationalstaat um erhöhte Sozialhilfe oder diverse Rechte betteln sollen.

Die Rot-Grün-Regierung setzt darauf, dass von der Linken kontrollierte Proteste die passenden Ideen für ihr Krisenmanagement geben: Existenzgeld, Kombilohn usw. sichern das ArbeiterInnenleben in Zeiten der kurzen McJobs ab, das "Arbeit für alle"-Gejammer schafft die Stimmung für diverse Arbeitsprogramme. Die Jugendlichen sollen ihre Perspektive in der Knochenmühle suchen, die Arbeitslosen dankbar für ihren neuen Niedriglohn-Alltag sein... Autonome packen in Zeiten der Krise einen schon nach Verwesung riechenden Leninismus aus: die Opfer der sozialen "Ausgrenzung" sollen hinter einfach zu verstehenden Forderungen vereinigt und nach und nach an vermeintlich revolutionäres Bewusstsein gewöhnt werden. Frei nach dem Motto "Wir wissen schon, wo's lang geht!"

6 Revolutionärer Kampf - Organisierung der RevolutionärInnen [top]

Klar fehlt auch uns die Bewegung hier am Ort, die Offensive in den Kämpfen. Umso mehr müssen wir uns fragen, wie wir hier die Revolution voranbringen können? Wenn die revolutionäre Bewegung schwach ist, dann nicht deshalb, weil eine politische Organisation, eine starke Gewerkschaft oder kommunistische Partei fehlt. Die Ursachen der Schwäche liegen in den realen Bedingungen innerhalb der Ausbeutung. Wir müssen fragen, warum die Ausgebeuteten in der momentanen Situation keinen kämpferischen, befreienden Ausdruck ihrer produktiven Macht finden. Wir müssen die Situationen suchen, in denen diese Defensive aufgebrochen werden kann. Dazu brauchen wir eine revolutionäre Organisierung.

Revolutionäre Organisierung muss die Selbstbefreiung der Ausgebeuteten forcieren. Sie kann nicht die Form einer Massenorganisation annehmen, die auf Demos und mit Forderungen bei den ArbeiterInnen, SchülerInnen etc. hausieren gehen. Eine "revolutionäre Politik" innerhalb des gewerkschaftlichen und politischen Rahmens kann es nicht geben, da nicht die "Inhalte" oder die "Führung" der Gewerkschaften oder politischen Organisationen reformistisch geworden sind, sondern diese Vertretungsorgane ihrem Wesen nach reformistisch sind. Der Versuch, die Trennungen innerhalb der kapitalistischen Produktion durch "Basisorganisierung der ArbeiterInnen" in "übergreifenden" Strukturen (Stadtteilläden, Betriebsgruppen etc.) oder unter vereinheitlichenden Forderungen zu überwinden, wird auf kurz oder lang ebenso vertretungspolitisch enden. Organisierung der Klasse kann sich nur in den Kämpfen innerhalb der kapitalistischen Arbeitsorganisation, in den Betrieben, Unis und Schulen ergeben. Nur in diesen Situationen des Angriffs auf die materiellen Trennungen kann die Organisierung übergreifend werden. Diese Organisierung des Klassenkampfs besteht nur durch und während der konkreten gemeinsamen Auseinandersetzung im Kampf. Versuche, sie darüber hinaus aufrechtzuerhalten verenden als Institutionen.

Revolutionäre Organisierung ist keine "Organisierung von ArbeiterInnen", sondern von RevolutionärInnen, die sich gezielt innerhalb der Ausbeutung bewegen und zusammen Tendenzen revolutionärer Bewegung suchen. Das Verhältnis zu anderen Ausgebeuteten ist kein "taktisches" - wie zwischen Funktionär und revolutionärem Subjekt - noch ist es ein "aufklärerisches". Wir wissen, dass wir uns selbst nur in den Auseinandersetzungen befreien können, in denen die Ausgebeuteten die Alltäglichkeit des Kapitalismus und seiner Beziehungen zerstören. Wir können keine Kämpfe losschlagen, aber wir können die fortgeschrittensten Diskussionen, die Schwachpunkte des Kommandos und die Kritik der ArbeiterInnen zusammenfassen und innerhalb der Ausbeutung verallgemeinern. Das Verhältnis zwischen RevolutionärInnen und ArbeiterInnen ist das eines gemeinsamen Prozesses: wo liegt die Möglichkeit von ArbeiterInnenmacht und Selbstbefreiung in der täglichen Praxis der Ausbeutung.

Unsere Aufgaben
Wir müssen erstens die realen Bedingungen des Klassenkampfs, die wirklichen Veränderungen in der Welt als Ausgangspunkt nehmen.
- Wo führt eine veränderte Organisation der Ausbeutung, der Arbeitsorganisation, Technologie usw. zur Schwächung der ArbeiterInnenmacht und wo lassen sich Bruchpunkte im Kapitalkommando ausmachen?
- Wie wirken sich diese Veränderungen auf die Qualifikation, die Migration und Mobilität der ArbeiterInnen auf dem Arbeitsmarkt aus? Welche Rolle spielt dabei die staatliche Politik?
- Wie reagieren die ArbeiterInnen, SchülerInnen usw. auf diese Situation, was tun und diskutieren sie? Wo bestehen bereits Organisierungsformen und Möglichkeiten ihrer kämpferischen Anwendung?[25]

Das heißt, dass wir die Umstrukturierung des Kapitals und die Neuzusammensetzung der Klasse analysieren. Im Ruhrgebiet müssen wir uns ansehen, was mit der übriggebliebenen Schwer- und Metallindustrie passiert und welche neuen Sektoren und Produktionsketten entstehen. Es stellt sich die Frage, ob die ArbeiterInnenfigur des Facharbeiters der Montan-Industrie und der Haus- bzw. Nebenjobarbeiterin ihre zentrale Position verliert und ob sich in den Elektronikklitschen, den Zulieferbetrieben und "Dienstleistungsunternehmen" eine neue mobilere ArbeiterInnenfigur entwickelt. Diese Untersuchung ist notwendig, um die materielle Grundlage für kommende Klassenauseinandersetzungen zu begreifen.

Bei konkreten Auseinandersetzungen sind zweitens weder Anfeuerungsrufe noch moralische Zeigefinger gefragt, sondern Informationen zur Selbstorganisierung:
- Wo hat der Kampf die größte materielle Macht, wo kann er die kapitalistische Zusammenarbeit strategisch unterbrechen?
- Welche Erfahrungen gibt es mit bestimmten Unternehmensstrategien (Arbeitszeitflexibilisierung, Gruppenarbeit etc.)?
- Welche Organisierungsformen des Kampfs wurden in ähnlichen Situationen von anderen ArbeiterInnen entwickelt, wo in der Welt gibt es gerade ähnliche Auseinandersetzungen?
Um zu den ArbeiterInnendiskussionen und Kämpfen beitragen zu können, müssen wir die Konfliktpunkte in den verschiedenen Ausbeutungsorten dieser Region mitkriegen und den dort Arbeitenden zuhören. Es gab in letzter Zeit einige Streiks am Band bei Opel Bochum, von türkischen BahnreinigerInnen und Call-Center-ArbeiterInnen, die wir hätten aufgreifen können.

Es reicht drittens nicht, dem Klassenkampf die richtigen Informationen zu liefern und ansonsten passive ZuschauerInnen zu bleiben. Wenn wir die Lage einschätzen können, müssen wir uns aktiv in die Kämpfe einmischen, sie kritisieren und ihre revolutionären Tendenzen unterstützen:
- Wie kann sich der Kampf selbst organisieren, wie kann er sich die Produktionsmittel als Waffe im Kampf aneignen?
- Wie kann sich der Kampf z.B. über betriebliche oder Branchen-Grenzen hinaus ausbreiten, ohne in die Hände von gewerkschaftlichen und anderen Institutionen zu gelangen?
- Wo werden innerhalb des Kampfs die Hierarchien und Spaltungen des Produktionsprozesses aufrechterhalten, wo bleibt der Alltag der geschlechtlichen, rassistischen, beruflichen Arbeitsteilung unangetastet?
- Wo wird die staatliche Ideologie des Krieges, des Rassismus etc. gefressen, wie lässt sie sich materiell angreifen?

Dafür müssen wir wieder einen genaueren Einblick in die verschiedenen Ausbeutungsverhältnisse bekommen. Aber es ist auch dringend notwendig, unmittelbarer auf die weltweiten Veränderungen zu reagieren. Die Ruhe, die hier trotz des Krieges in Jugoslawien herrschte, zeigt uns unsere Schwäche. Wir müssen fähig sein, Infos über Kämpfe in Korea und gegen rot-grüne Kriege schneller innerhalb der Ausbeutung zu verbreiten und Aktionen zu machen.

Wir werden uns auf die kommenden Kämpfe vorbereiten und Kontakte außerhalb "unserer Bereiche der Ausbeutung" aufbauen, um nicht von den Informationen der Apparate abhängig zu sein. Wir müssen uns in theoretischen Auseinandersetzungen die Fähigkeiten aneignen, die Verhältnisse radikal und praktisch zu kritisieren. Wir müssen uns gegenseitig die praktischen Kenntnisse vermitteln, vom Lay-Out bis zum Sit-Down, die wir brauchen, um in die Klassenauseinandersetzungen um uns herum eingreifen zu können.

Die Zeit schreit geradezu danach, die revolutionäre Organisierung endlich aus regionalen und "nationalstaatlichen" Grenzen zu befreien und einen weltweiten Bezug zwischen den kämpfenden Kollektiven herzustellen, für die Zirkulation und Globalisierung der Kämpfe.

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Fußnoten

1 Eine Liste von Texten könnt ihr bei uns bekommen. Siehe Email-Adresse unten. [zurück]

2 Kapital ist nicht bloße Ansammlung von "Produktionsfaktoren" - von Maschinen, Arbeitsmaterial, Arbeitskräften - womit uns der Volkswirtschaftslehrer so oft langweilt. [zurück]

3 Diese Arbeit entsteht oft nur, weil es kapitalistische Ausbeutung gibt - und um diese möglich zu machen. Millionen von Auto-ArbeiterInnen produzieren Autos, damit Millionen von ArbeiterInnen zur Arbeit fahren können, um Unterhaltungsartikel, Medikamente, Mallorca-Bunker und Soap-Operas zu produzieren, die wir uns in der "Freizeit" reinziehen, um die Arbeit zu vergessen bzw. wieder fit für sie zu werden. Tausende von Arbeitsamtsleuten, KrankenhausmalocherInnen, Forschungs- und VerwaltungsarbeiterInnen sind dazu gegängelt, uns noch mehr Jobs zu besorgen, uns gesund zu spritzen oder nach neuer Arbeit zu forschen. Millionen von Arbeitslosen arbeiten, um den nächsten Job zu finden bzw. ihm zu entgehen. KnastwärterInnen, Bullen, Soldaten und VorarbeiterInnen tun das ihrige für die Disziplinierung der ArbeiterInnen. Aber auch die "Organisation" der Produktion ist absurd: die gesellschaftliche Ausbeutung vermittelt sich über tausende getrennt produzierende Firmen, über die Trennung von Produktion und Verteilung durch Geld usw. Das macht auch jede Menge zusätzlicher Arbeit: Verschiedene Waren werden zweimal um den Globus geschifft, nicht, weil es sie sonst am Bestimmungsort nicht geben würde, sonder weil sie beim Verkauf trotz hundertmal mehr Transportarbeit mehr Profit realisieren. Beim Hausbau entsteht die meiste Arbeit, weil die ArbeiterInnen der verschiedenen Firmen nur ihren speziellen Auftrag zu erledigen haben. Was interessieren mich Koordination mit den nach mir Arbeitenden, die Verhinderung unnötiger Nacharbeiten etc., wenn mir der Chef im Nacken sitzt, die nächste Baustelle ruft? [zurück]

4 Die Trennung der ProduzentInnen von den Produktionsmitteln kann nur aufrechterhalten werden, wenn den ProduzentInnen immer mehr Kapital - in Form von Maschinerie und Kooperation mit anderen ArbeiterInnen - gegenübergestellt wird. Reichte es früher, zwanzig ArbeiterInnen mit Handwerkszeug schuften zu lassen, so werden heute CNC-Maschinen und weltweite Produktionsketten aufgefahren, um ProletarierInnen ans Arbeiten zu kriegen. Siehe auch weiter unten im Abschnitt zu "Krise". [zurück]

5 Genauer zu Krise siehe unter "Tendenzen". [zurück]

6 Dies hier ist ein Versuch. Wir haben in der Diskussion gemerkt, dass wir noch einiges dransetzen müssen, um die Veränderungen sowohl in den Klassen- als auch den Geschlechterbeziehungen aus der Entwicklung der - und den Auseinandersetzungen um die - gesellschaftliche Produktionsweise erklären zu können. Nur wenn wir diese Entwicklung als zusammenhängend erkennen, können wir auch die revolutionären Tendenzen, die in ihnen liegen, aufzeigen. [zurück]

7 Geschlecht heißt auch Beschränkung. Viele arbeiten immer noch in Frauen- oder Männerabteilungen. Arbeit lässt in den seltensten Fällen sinnliche und intensive Beziehungen zu, aber darüber hinaus können wir unsere Bedürfnisse nach Nähe, Offenheit, usw. nicht ausleben, weil wir sie hinter der "Mann unter Männern und nicht schwul"-Mauer verstecken oder sie im Konkurrenzgehabe unter Frauen untergehen. In unser "Freizeit" soll dann das andere Geschlecht - meiste eine Person - unseren erlebten Mangel an Gefühlen und Körperlichkeit beheben. [zurück]

8 Das war allerdings kein eindeutiger Prozess: in den ersten Fabriken im 18. Jahrhundert wurden vor allem Frauen und Kinder ausgebeutet... [zurück]

9 Wenn wie im Norden Mexikos und den Entwicklungszentren Chinas vornehmlich Frauen in die Fabriken gehen und lohnarbeiten, während die Männer keinen Job haben oder "hausarbeiten", so verändert sich damit das Geschlechterverhältnis insgesamt. [zurück]

10 Hier wird die Widersprüchlichkeit der Situation der Frauen besonders deutlich: Nach Jahrzehnten der Einbindung in Lohn- und Hausarbeit wollten mit dem Ende des sowjetischen Ausbeutungsregimes viele Frauen keine Lohnarbeit mehr machen: die Perspektive "nur Hausarbeit" bedeutet vor allem erst mal "weniger Arbeit". [zurück]

11 Vielmehr wurden und werden bestimmte Formen der unentlohnten (Haus-)Arbeit im Kapitalismus erhalten und die hier geschaffenen Produkte systematisch enteignet. [zurück]

12 Ohne Verwertung keine Steuerzahlungen an den Staat. Darüber hinaus tritt der Staat bei den staatlichen Unternehmen selbst als Kapitalist auf. [zurück]

13 Diesen Zusammenhang von Staat und Kapital als zwei Seiten der kapitalistischen Ausbeutung müssen wir erkennen. Ansonsten wird sich der Kampf um Befreiung in reformistische Bahnen lenken lassen: als Kampf gegen den Faschismus, gegen Neoliberalismus und/oder nationale Befreiung... Siehe dazu weiter unten den Abschnitt zu "Reformismus". [zurück]

14 Wie Ausbildung, Krankenpflege, Konfliktlösung... [zurück]

15 Dieser produktive Zusammenhang wird durch kapitalistische Formen vermittelt. Siehe weiter oben im Abschnitt zu "Kapital". [zurück]

16 Wie Menschen in diesen Auseinandersetzungen ihr Zusammenleben produzieren, entscheidet, ob sich ein "neuer Staat" als Organisator von ihnen trennt und sie beherrscht oder ob sie selbst über ihre Gemeinschaft bestimmen. Der Staat kann auch in Form gewerkschaftlicher Organisationen, anarchistischer Tauschringe, mafiöser Strukturen etc. neu entstehen, wenn die gesellschaftliche Produktion weiterhin durch (gewaltsame) Vermittlung zwischen getrennten ProduzentInnen/KonsumentInnen organisiert ist. [zurück]

17 Krisen im Kapitalismus sind keine Unfälle. Sie sind Teil einer widersprüchlichen Produktion, in der nicht produziert wird, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern in der Tätigkeiten danach bewertet werden, ob sie Kapital vermehren. Um die Ausbeutung der Arbeitskraft steigern zu können, wird die einzelne Arbeitskraft durch immer mehr Maschinerie und eine ausgedehntere Zusammenarbeit mit anderen ArbeiterInnen zur Arbeit gebracht. Der Kampf und das Verhalten gegen die Ausbeutung führt so zu einer Steigerung der gesellschaftlichen Produktivität und der Produktion von Reichtümern. Das bedeutet aber nicht, dass wir deswegen weniger arbeiten und im Luxus leben. Im Gegenteil: wenn im Kapitalismus die Produktivität steigt, also weniger Arbeitszeit für die Herstellung eines Produkts draufgeht, muss uns das Kapital mehr schuften und produzieren lassen, da es sich nur durch die lebendige Arbeit vermehrt. Vermehrte Reichtumsproduktion heißt im Kapitalismus in erster Linie Vermehrung der Maschinerie, um die Ausbeutung steigern zu können. Die Tendenz des Kapitalismus besteht darin, dass im Verhältnis zum vergrößerten benötigten Kapital (Montagebänder, Computeranlagen etc.) immer weniger Profite aus der Verwertung der Arbeitskraft gezogen werden. Diese Profite werden aber gebraucht, um die gesteigerten Kapitalaufwand der Produktion decken zu können. Wenn sich das eingesetzte Kapital durch die Ausbeutung lebendiger Arbeit nicht genügend verwertet - und das passiert immer häufiger und heftiger - gibt es Krisen. Die Investitionen gehen zurück, Betriebe machen dicht, Leute werden entlassen und damit erpresst, erhalten weniger oder keinen Lohn mehr. Massenentlassungen, Inflation und Krieg sind Mittel des Kapitals, in dieser Situation die unprofitablen Ausbeutungsbedingungen zu zerschlagen. Wir sollen dann für die Krise bezahlen, unser Lebensschicksal im Schweiß der Billiglohnarbeit an den neuen Wirtschaftsboom binden. Das ist das kapitalistische an der Krise: es gibt Elend, nicht weil zu wenig da ist, sondern weil im Verhältnis zu den Profiten zu viel da ist. Zu viele unprofitable Fabriken, zu viele unprofitable ArbeiterInnen. Das führt zu den brutalen Erscheinungen der Krise: verhungernde Kinder, Butterberg und gesteigerte Waffenproduktion. Die Ursache liegt nicht in einer falschen Verteilung von Reichtum, sondern an seiner falschen Produktion. ProletarierInnen leben im Mangel, weil sie keinen Lohn kriegen, wenn ihre Arbeitskraft in der Krise nicht verwertet werden kann. Andere malochen sich währenddessen in 12-Stunden-Schichten kaputt, aber nicht um die Bedürfnisse der im Mangel Lebenden zu befriedigen, sondern weil sie irgendwas produzieren, was Kapital vermehrt. Das Kapital kann der Krise nur entkommen, wenn es mittels der wachsenden Maschinerie ein produktiveres Ausbeutungsregime gegen uns durchsetzen kann. Doch auch wenn es zum Boom kommt, verschärfen sich die Widersprüche zunehmend: das Kapital verringert die notwendige Arbeit, die seine einzige Quelle ist - es rationalisiert. Gleichzeitig verwandelt es tendenziell alle gesellschaftliche Tätigkeit in ausbeutbare Arbeit, alle gesellschaftlichen Güter in Waren, alle Menschen in Ware Arbeitskraft. Es braucht aber immer mehr Kapital, um die im Boom angewachsene Maschinerie für die gesteigerte Verwertung erhalten zu können. Das ist das Gesetz des Kapitalismus, die Tendenz, die ihn überwindbar macht. Die gesteigerte gesellschaftliche Produktivität wird so lange zu Arbeit und der gesteigerte Reichtum so lange zu Elend führen, bis wir den Kapitalismus zerschlagen haben. [zurück]

18 Zwar konnte das Kapital - vor allem in Ländern wie den USA und Britannien - verschärfte Bedingungen durchsetzen (sogenannte prekäre Arbeitsverhältnisse, längere Arbeitszeiten, fallende Reallöhne...), aber diese Intensivierung der Ausbeutung bedeutet keinen Durchbruch, keinen Ausweg aus der Krise. [zurück]

19 Indem z.B. eine Währung abgewertet wird, um trotz steigender Lohnkosten die Produkte im Vergleich zu anderen Währungen billiger und damit konkurrenzfähiger zu machen. [zurück]

20 Der Begriff der "Herrschenden" hat einen oberflächlich-autonomen Beigeschmack, aber wir stehen immer wieder vor dem Dilemma, hier keinen einfachen Begriff zu finden: "Kapital" steht für die Klasse der Kapitalisten - und "Kapital" hat noch andere Bedeutungen: Verhältnis, Vergegenständlichung von Wert usw.; "Regime" kann für eine Regierung stehen, aber auch für eine bestimmte Herrschaftsform... Entscheidend ist, dass die herrschende Klasse nicht einheitlich ist und einzelne Gruppen ständig über die Realisierung der Profite und den Kurs, mit der die Ausbeutung weiter durchgesetzt werden soll, im Clinch liegen. Trotzdem gibt es gemeinsame Entscheidungen und vor allem ein gemeinsames Interesse - über alle Unternehmens-, Branchen-, Parteien- und Ländergrenzen hinweg: die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. [zurück]

21 Proletarisierung heißt die Vertreibung vom Land und die Herausbildung einer Klasse ohne eigene Mittel zur Lebensmittelproduktion, die Verwandlung dieses landlosen Proletariats in LohnarbeiterInnen, ihre Ausbeutung unter direktem kapitalistischem Kommando, z.B. in der Fabrik. [zurück]

22 Nicht nur in Deutschland übernimmt eine "Arbeiterpartei" die Aufgabe, die staatliche Kontrolle des Arbeitszwangs zu modernisieren: die Allianz von sozialistisch- sozialdemokratischen Regierungen gegen die Ausgebeuteten reicht von Britannien über Italien bis Israel. [zurück]

23 Trotzdem fanden größere Kämpfe auch in den Fabriken statt, z.B. bei General Motors in den USA. [zurück]

24 Ausdruck der gestiegenen Produktivität ist z.B., dass nur noch ein Bruchteil der gesellschaftlichen Arbeit für die Produktion von Grundlebensmitteln aufgewendet wird und der Anteil lebendiger Arbeit an der Herstellung eines Produkts rapide sinkt. [zurück]

25 Zu den übergreifenden Fragen siehe auch die Auflistung zu den revolutionären Tendenzen im Abschnitt "Klassenkampf". [zurück]


kolinko | 10/1999[top]