Teil II

DIE GESELLSCHAFT KURDISTANS

 

Die Geschichte Kurdistans
Die Phase des kapitalistischen Kolonialismus
Generelle Eigenschaften der Situation in Kurdistan
Eigenschaften der Situation in Zentral Nordwest-Kurdistan
Die soziale Struktur
Die politische Struktur

Die Geschichte Kurdistans

Unser Land Kurdistan, eines der fruchtbarsten Länder dieser Welt stellt ein Gebiet dar, wo mit dem Übergang zum seßhaften Leben zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit Ackerbau und Viehzucht praktiziert wurde. Daher gab unser Land Zeugnis vom Leben und der Kultur vieler Völker und spielte lange Zeit die Rolle einer Wiege der Zivilisation. Es verfügt über reiche Rohstoffquellen und ein die Zivilisationen verbindendes Straßennetz. Diese günstige Lage brachte auch das Gegenteil mit sich und machte unser Land seit vielen Jahrhunderten zu einem Schlachtfeld und Okkupationsgebiet. In dieser Phase wurden viele Volksstämme vernichtet oder waren gezwungen, unter einer Besatzungsmacht zu leben.
Die Versuche unseres Volkes, in unserem Land ansässig zu werden, beginnen in den Jahren 1000 v.Chr., als die Meder, Urväter unseres Volkes, auf die Bühne der Geschichte traten. Die Meder, die von den Ariern der indo-germanischen Gruppe abstammen, führten mit ihren Nachbarn, den Persern und Assyrern, einen Jahrhunderte andauernden Kampf, um in diesem Land ansässig zu werden.
Die Meder, die zunächst die Perser und dann die Assyrer besiegten, errichteten im 7. Jhtv.Chr. das größte Imperium ihrer Zeit. Die Grenzen dieses Imperiums umfaßten annähernd die Grenzen des heutigen Kurdistans.
Diese langen Jahre der Kämpfe verursachten bei ihnen einerseits die Erweckung des nationalen Bewußtseins und andererseits die Bildung eines freiheitliebenden Charakters. Die Meder, die die Kulturen der vor ihnen lebenden Völker aufgriffen und ihre eigene Kultur geltend machten, spielten eine primäre Rolle bei der Entstehung unserer nationalen Werte. Dieser Staat, der den Entwurf eines despotischen sklavenhalterischen Imperiums darstellte, wurde im Jahre 550 v.Chr. von den Persern zerstört; somit wurde eine Phase in der Geschichte eröffnet, in der unser Volk ständig der Hegemonie und Okkupation ausgesetzt war. Vom 6. Jht.v.Chr. bis zur Besatzung von seiten der arabisch-islamischen Armeen Mitte des 7. Jhtn.Chr. blieb unser Volk unter der Besatzung verschiedener sklavenhalterischer Imperien. Einer nach dem anderen, die Perser, die Griechisch-Makedonier, Armenier, Römer, Byzantiner und Sassanider wählten Kurdistan mit ihren errichteten Imperien entweder als Kriegsarena oder derjenige, der als Sieger aus dem Kampf hervorging, unterwarf unser Volk seiner Hegenionie. Da jede dieser beiden Alternativen sehr blutige Konsequenzen hatte, war unser Volk gezwungen, ständig in den bergigen Regionen zu leben, um seine Existenz zu erhalten. Diese Bedingungen verursachten, daß zerstreute Stammesgemeinschaften erhalten und unser Volk in sich geschlossen blieb.
Ebenso in der feudalen Periode setzte sich die Invasion und Unterdrückung unseres Volkes in verstärkter Weise fort. Die arabisch-islamischen Invasionen, die Mitte des 7. Jhts begannen, waren sehr blutig; die islamische Ideologie, die bis in die Gegenwart hinein die Entwicklung des nationalen Bewußtseins hinderte, diente mit ihren Ideen von Knechtschaft und Dienertum dazu, daß sich unser Volk von der eigenen Identität entfremdete und unter Feudal- und Fremdherrschaft blieb. Die kollaborierenden Feudalen und Scheichs, die heute in unserem Land äußerst stark sind, haben erst in dieser genannten Phase begonnen, ihre unnationalen Eigenschaften zu entwickeln.
Die bis zum 10. Jht. anhaltende Unterdrückung von seiten der arabischen Herrschaft begann ab dieser Zeit schwächer zu werden. Da zu dieser Zeit keine andere starke invasorische Kraft existierte, wurden günstige Voraussetzungen für die Entwicklung des nationalen Bewußtseins unseres Volkes geschaffen.
Im 11. Jht. erschien eine neue invasorische Kraft in Kurdistan. Diese neue Kraft waren die türkischen Oguz-Stämme, die sich in der höchsten Etappe der Barbarei befanden und mit der Aneignung des Islam einen eroberischen Charakter annahmen. In kürzester Zeit haben sich die Türken erneut zu den Herrschern einer feudalen Gesellschaft entwickelt. Da die Kultur der Völker der von ihnen besetzten Länder weiter entwickelt war, wurde ein großer Teil der türkischen Stämme assimiliert.
Die Herrschaft der türkischen Feudalen (Atabey, Hakan, Sultan) über Kurdistan, deren Eigenschaften wir kurz umrissen haben, wurde vom 11. bis zum 20. Jht. ständig fortgesetzt, manchmal in abgeschwächter Form, manchmal mit Gewalt bis hin zu Massakern. Von allen türkischen Feudalherren, den Atabeys, Akkoyuns, Karakoyuns, Artukoglus und den anatolischen Seldschuken, die durch Zerspaltung des großen Seldschuk-Imperiums entstanden waren, wurde Kurdistan, wenn auch nicht vollkommen, unter ihrer Herrschaft gehalten.
Diese Perioden wurden nacheinander von den Invasionen der Mongolen und Timur fortgesetzt; Perioden, die vorbeizogen wie ein Wirbelsturm. Ein großer Teil Kurdistans befand sich unter der Herrschaft der iranischen Safaviten, bevor er unter osmanische Herrschaft geriet.
Alle diese feudalen Regime hatten einen gewalttätigen und invasorischen Charakter und begegneten dem starken Widerstand unseres Volkes. Unser Volk hat sich diesen Regimen nie vollkommen gebeugt und erhob bei jeder Gelegenheit die Fahne der Rebellion. Die endlosen Berge Kurdistans waren auch in dieser Periode die Burgen des Schutzes unserer Existenz und Freiheit. Die Entwicklung des osmanischen türkischen feudalen Regimes in Kurdistan, das bei der heute bestehenden Teilung Kurdistans eine große Rolle spielte, begann im 11. Jht. Bei der Entwicklung dieses Regimes sind die Bemühungen des Repräsentanten der kollaborierenden kurdischen Feudalherren, der Scheich Idris-i Bitlis, von großer Bedeutung. Durch die Bemühungen des Idris-i Bitlis, dem freiwilligen und favorisierten Agent des osmanisch-türkischen Sultanats in Kurdistan, wurde die Teilung des Volkes in Kurdistan in zwei Religionskonfessionen während dieser Periode beschleunigt. Die osmanischen Sultane und die Schahs des Iran zogen aus dieser Teilung zur Förderung ihrer eigenen politischen Ziele Nutzen. Sie benutzten Kurdistan einerseits als Kriegsarena und schürten andererseits Kämpfe innerhalb des gleichen Volkes; dadurch konnten sie ihre Herrschaft leichter am Leben erhalten. Sogar heute noch können die türkischen Kolonialisten aus dieser Teilung ihre Nutzen ziehen.
In der Anfangsphase war die osmanisch-türkische Herrschaft nicht so sehr stark. In dieser Phase verfügten die kurdischen Feudalherren über breite Autonomierechte; ihre Verbundenheit mit den Sultans bestand darin, Soldaten zur Verfügung zu stellen und Geschenke zu machen. Aber, beginnend mit dem 13. Jht., als die Osmanen gegen den in West-Europa als neue Produktionsart herrschenden Kapitalismus Niederlagen erlitten und sich die Tore der eroberten Länder schlossen, haben sie ihre Forderungen nach Unterdrückung und Ausbeutung verstärkt. Gegen diese verstärkten Unterdrückungen und Plünderungen brachen im 19. Jht. im gesamten Kurdistan Meutereien aus. Die blutige Unterdrückung dieser Meutereien führte zur Verstärkung der osmanischen Herrschaft.
Durch die Niederlage des osmanischen Imperiums im I. Weltverteilungskrieg nahmen die Unterdrückungen in Kurdistan von außen ab. Diese Jahre, in denen sich die Okkupationen der imperialistischen Länder noch nicht völlig etabliert hatten, waren Jahre, in denen die äußeren Bedingungen für die Unabhängigkeit äußerst günstig standen. Aber der Mangel an inneren Voraussetzungen einerseits (die stammes-feudale Struktur, die Nichtexistenz von modernen Klassen, das Fehlen der Organisierung), die Unterdrückung von seiten der erneut organisierten türkischen herrschenden Klassen andererseits, machten es unmöglich, diese vorhandenen günstigen Bedingungen auszunutzen.
Die hunderte von Jahren andauernde Fremdfeudalherrschaft in Kurdistan erschwerte die Evolutionsphase der kurdischen Gesellschaft durch ihre eigene innere Dynamik. Die Einflüsse des fremden Feudalismus erschienen in den Stammesstrukturen als Feudalisierung; diese nahmen dadurch einen kollaborierenden Charakter an. Die entstandenen kurdischen Feudalschichten sahen in der Abhängigkeit von den fremden Kräften ihre Interessen mehr verwirklicht als im eigenen System. Der aufgenommene Kampf gegeneinander für eine Führung im Inneren führte die Gesellschaft in eine Sackgasse.

Die Phase des kapitalistischen Kolonialismus

Die Unterdrückung und Ausbeutung unseres Landes in der Etappe der kapitalistischen Zivilisation haben Dimensionen erreicht, die den Okkupationen und Ausplünderungen der Sklavenhalter- und Feudalperioden nicht nachstehen. Die kapitalistisch-kolonialistischen Kräfte haben sich nicht gescheut, mit allen erdenklichen Methoden und ihnen zur Verfügung stehenden Vernichtungsmitteln den Namen unseres Landes und die Existenz unseres Volkes aus der Geschichte zu löschen.
Die Auswirkungen der durch den I. Verteilungskrieg verursachten Entwicklungen auf unser Land waren sehr groß. Unser Land, das bis dahin zwischen den osmanischen Sultans und den Schahs des Iran in zwei Teile gespalten war, wurde nun durch das Ergebnis der Abkommen zwischen den türkischen Kolonialisten und den französischen und englischen Imperialisten in 4 Teile gespalten.
An erster Stelle derjenigen, die Kurdistan in der kapitalistischen Etappe kolonialisiert haben, stehen die Türken. Für die nach dem Krieg auf den Resten des osmanischen Imperiums errichtete Republik bestanden keine Schwierigkeiten, Kurdistan erneut unter Herrschaft zu bringen, das sich ohnehin seit der Zeit der Osmanen unter Besatzung befand. Desweiteren wirkte die Herrschaft der Türkischen Republik, die auf kapitalistisch sozio-ökonomischer Basis errichtet wurde, auf militärischer, politischer, ökonomischer und kultureller Ebene im Vergleich zu den türkischen Regimen in der feudalen Phase weit zerstörerischer.
Die gesetzliche Einverleibung eines großen Teiles Kurdistans innerhalb der Grenzen der Türkischen Republik erfolgte durch das im Jahre 1921 mit den Franzosen abgeschlossene Ankara-Abkommen und durch das Lausanne-Abkommen im Jahre 1923, bei dem die Engländer die Hauptrolle spielten. In den Gründungsjahren der Republik war die Herrschaft über Kurdistan sehr schwach. Die Kontrolle (innere Autonomie) der kurdischen Feudal- und Stammesherren war stärker. Sogar Phrasen wie "Regierung der beiden Völker, Rat der beiden Völker" waren häufig in der 1. BMM (Große Türkische Nationalversammlung) zu hören.
Aber als die Republik ihre zentrale Autorität verstärkte, geriet sie natürlicherweise mit den lokalen Autoritäten in Konflikt, die die Klasseninteressen der Feudal- und Stammesherren vertraten. Die Regierungen der Republik, die sich die Schaffung einer türkischen Einheitsnation innerhalb der Grenzen des "Nationalen Paktes" zum Ziel gesetzt hatten, nutzten diesen Konflikt mit den lokalen Autoritäten sehr gut aus. Die Strategie dieser Regierungen für die Verwirklichung einer militärischen Okkupationsbasis zum Zwecke kolonialistischer Praktiken war die folgende:
Da es aufgrund ihrer damaligen Kräfte sehr schwierig war, das gesamte Kurdistan zu besetzen, mußte es Teil für Teil besetzt werden.
Dafür war es nötig eine klassische Methode anzuwenden, nämlich die unterschiedlichen Glaubensrichtungen auszunutzen, um das Volk gegeneinander zu provozieren.
Um die Opposition im In- und Ausland zu verhindern, war die ständige Agitation wie "die barbarischen Kurden, die Reaktionäre rebellieren" erforderlich.
Für die Anwendung dieser Strategie mußte auf den günstigsten Moment gelauert werden; es war erforderlich auf einen unzeitigen Volksaufstand mit fehlender fortschrittlicher Führung zu warten, der unter einer feudalen Führung jederzeit leicht zu spalten und zu teilen war.
Das Ergebnis: Unter dem Vorwand der Rebellion mußte das Volk massakriert, die lokalen Autoritäten zerstört, das gesamte Land bis in die kleinste Ecke unter zentrale Besatzung gebracht werden und durch den hervorgebrachten Schrecken sollte sich niemand mehr erlauben zu rebellieren.
Diese Strategie wurde von den Regierungen in den Jahren 1925 - 1938 vollkommen angewandt und unser Land unter völlige militärische Kontrolle gebracht. Auf dieser Basis konnte der Kolonialismus auf den Gebieten der Politik, Kultur und Ökonomie unschwer entwickelt werden.
Trotz äußerst günstiger internationaler Voraussetzungen für die Befreiung vom Kolonialismus nach dem zweiten imperialistischen Krieg erzielte man keine Fortschritte, da die Türkei nicht an diesem Krieg teilnahm, unser Land unter strikter militärischer Kontrolle stand und die rückständige soziale Struktur erhalten blieb.
Als die kollaborierende türkische Bourgeoisie im Jahre 1950 mit Unterstützung der USA von außen und eines Teils der kurdischen Großgrundbesitzer im lnneren an die Macht kam, hat sich in der türkischen ökonomischen Struktur eine bestimmte Entwicklung angezeigt. Die Kapitalisierung der Agrarwirtschaft und der Beginn der Errichtung der Montageindustrie wurde zu einem ökonomischen Antrieb, um den Isolationsring der Türkei um Kurdistan zu brechen. Die Krise, in die der lmperialismus in dieser Phase geriet, machte es notwendig, die verschlossen en ökonomischen Einheiten zu öffnen und die Märkte zu erweitern. Kurz gesagt, die Entwicklung des türkischen Kapitalismus, das Marktproblem des Imperialismus und die Tendenz einer kapitalistischen Entwicklung der kurdischen Großgrundbesitzer verursachte die Entwicklung des kolonialistischen Kapitalismus in Kurdistan ab 1960. Die Errichtung des Kapitalismus dieses Typs, der durch Ausbeutung der Ressourcen des Landes in Form einer Ausplünderung und der reaktionären Auflösung des Feudalismus bis zu einem gewissen Grade hervorgebracht wurde, hatte zerstörerische Auswirkungen. Die Arbeitslosenarmee, die infolge der Mechanisierung der Agrarwirtschaft vom Land abgekoppelt war und als ungelernte Arbeitskraft während der Industrialisierung der Türkei benutzt wurde, erreichte Millionen. Um die wahrscheinlichen Reaktionen auf diese negativen Entwicklungen zu verhindern, wurde insbesondere gegenüber der studentischen Jugend eine Politik der Subkultur und eine massive Assimiliation praktiziert.
Die Kolonialisierung der anderen Teile Kurdistans folgte dem Beispiel der Türkei mit einer gewissen Verspätung.
Ein kleiner Teil im Westen Süd-Kurdistans blieb eine bestimmte Zeit unter französischem Mandat. Durch den Abzug der Franzosen geriet dieser Teil unter die Herrschaft der Araber. Die heutige syrische Bourgeoisie wendet offene Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Kurden - insbesondere die armen Schichten - an mit Methoden wie sie nicht als Bürger ansehen und sie als fremde Minderheit behandeln. Mit der Ansiedlung von Arabern in den fruchtbarsten Dörfern Kurdistans und der Vertreibung der Kurden in südlichere Gebiete versucht sie, die Kurden zu assimilieren. Die kurdische Gesellschaft lebt noch immer in Abhängigkeit von Feudal- und Stammestraditionen. Ein großer Teil Süd-Kurdistans blieb bis 1931 unter englischem Mandat Später haben die Engländer einen von sich abhängigen irakisch-arabischen Staat errichtet. Um den seit 1918 sehr starken kurdischen Widerstand zu brechen, handelten sie ständig zusammen mit den Arabern. Die arabische Bourgeoisie, die seit 1958 die Macht in der Hand hält, erlebt eine ähnliche Periode wie die des Mustafa Kemals in der Türkei. Sie versucht in Süd-Kurdistan die militärische Besatzungsaktion der Kemalisten in Kurdistan von 1925 - 38 zu wiederholen.
Der Widerstand unter der Führung der halb feudal - halb bürgerlichen "KDP" (Demokratische Partei Kurdistans) konnte im Jahre 1974 zum Teil zerschlagen werden. Heute versucht man in Süd-Kurdistan die nach-militärischen Besatzungsformen der Kolonialisierung zu entwickeln.
Die Herrschaft der Schahs über Ost-Kurdistan ist auf hunderte von Jahren zurückzuführen. Obwohl sie im allgemeinen der persischen Nation entstammten, versuchten sie sich sowohl den Kurden als auch den Persern als Kaiser aufzuzwingen. Sie rechtfertigten das mit der Tatsache, daß beide Völker Arier sind. In der Tat sind die Perser die Herrschernation des Imperiums und die anderen Völker stellen die unterdrückten Nationen dar.
Anfang des 20. Jhts war das persische Imperium eine Halbkolonie des englischen Imperialismus. Nach der Machtergreifung Reza Pahlevis nach dem Krieg, begann es sich ein wenig zu verstärken. Ab 1920 wurden von oben manche Bourgeois-Reformen unternommen. Während die englischen Soldaten im zweiten imperialistischen Krieg den Süden besetzten, marschierte die sowjetische Rote Armee im Norden ein. Die Aserbaidschaner und die Kurden wendeten diese Situation zu ihren Gunsten und proklamierten ihre Republiken mit Unterstützung der Roten Armee. Aber mit dem Rückzug der Roten Armee hatten die Kräfte des Schahs alle beiden Republiken zerstört und sie dem Iran erneut einverleibt.
Die Feudalen, an erster Stelle der Schah, versuchten ihre Farbe zu wechseln, indem sie sich zu Kapitalisten entwickelten. Heute ist der Iran eine Neo-Kolonie, die von der USA abhängig und in der der Feudalismus und der kompradore und kollaborierende Kapitalismus herrschen. Der Schah, der im Mittleren Osten die Rolle eines Gendarmen des Imperialismus spielt, regiert das Land mit einem dunklen Faschismus. Diese Lage Irans dient dazu, daß der Feudalismus in Kurdistan seine Stärke vollkommen bewahrt. Der Kapitalismus, der nach Entdeckung des Öls in der Region entwickelt wurde, hatte keine großen Auswirkungen auf die Auflösung der feudalen Struktur. Mit der Entwicklung des vom Imperialismus abhängigen kollaborierenden Kapitalismus im Iran wird parallel dazu die Entwicklung des kolonialistischen Kapitalismus in Kurdistan unvermeidbar sein.

Generelle Eigenschaften der Situation in Kurdistan

a) Kurdistan ist eines der schwächsten Glieder in der imperialistischen Kette im Mittleren Osten.
b) Kurdistan ist eine klassische Kolonie. Es wurde jeweils von Iran, Irak, Türkei und Syrien kolonialisiert.
c) Die andauernde Fremdherrschaft in Kurdistan hindert einerseits die unabhängige Entwicklung der Gesellschaft und läßt sie im Rückstand des Mittelalters verharren; andererseits verursacht sie die Entstehung einer sehr starken kollaborierenden Struktur in den Ausbeuterklassen.
d) In Kurdistan ist gar keine Aufgabe der bürgerlich-demokratischen Revolution erfüllt worden. Der Kolonialismus und die halb-feudale Struktur, die von seiten des Kolonialismus mit Gewalt am Leben erhalten werden, sind die zwei wichtigen Ziele dieser Revolution.

Eigenschaften der Situation in Zentral Nordwest-Kurdistan

Das ökonomische Leben in Kurdistan wurde bis in die letzten Jahre nach außen verschlossen gehalten. Die Hauptursachen dafür liegen in der vom Imperialismus abhängigen verzerrten Struktur der türkischen Ökonomie als auch in den Bemühungen des türkischen Kolonialismus die feudale Struktur mit Gewalt am Leben zu erhalten, um die Entstehung von modernen Klassen zu verhindern, die die Führung bei der nationalen Befreiung Kurdistans übernehmen würden.
Der lmperialismus, der infolge der Entstehung des sozialistischen Lagers und der stärker werdenden Nationalen Befreiungsbewegungen die Mehrzahl seiner Märkte verlor, ging auf einen neuen Typ des Kolonialismus auf der Basis der Entwicklung der Montageindustrie und des Agrarkapitalismes in seinen alten Kolonien über, um aus dieser Sackgasse herauszufinden. Die Türkei war eines der ersten Länder, in dem dieser neue Typ des Kolonialismus angewandt wurde. Ab 1950 zeichnete sich eine beschleunigte kapitalistische Entwicklung in der Türkei ab, die im Rahmen der Bedingungen der Truman-Doktrin und des Marshall-Planes des US-Imperialismus verblieben war. Diese beiden Vorgänge - die weltweite Strategie des Imperialismus, in den alten Kolonien den Kapitalismus zu entwickeln und die damit verbundene beschleunigte Kapitalisierung der Türkei - machten die Entwicklung des Kapitalismus in Kurdistan notwendig, wo bis 1960 eine nach außen geschlossene Ökonomie vorherrschte.
Die Eigenschaften des durch den neo-kolonialistischen Kapitalismus des Imperialismus Hand in Hand mit dem klassischen kolonialistischen Kapitalismus der Türkei in Kurdistan errichteten Kapitalismus können wir in folgende Kategorien aufteilen:
a) Er ist kein nationaler Kapitalismus, der durch die innere Evolution der kurdischen Gesellschaft entwickelt wurde, sondern ein fremdgesteuerter Kapitalismus, der sich im Dienste des Kolonialismus befindet. Die kapitalistischen Unternehmen befinden sich in der Mehrheit im Besitz des türkischen Staates.
b) Der Fremdkapitalismus ist nicht in der Lage, die feudale Gesellschaftsstruktur in Kurdistan völlig aufzulösen, er kann sie nur bis zu einer halb-feudalen Etappe auflösen.
c) Das Ziel des Fremdkapitalismus besteht nicht darin, die Produktivkräfte in Kurdistan zu entwickeln, sondern ein unterdrückerisches Regime auf der Basis, die natürlichen Ressourcen und Arbeitskräfte auszuplündern, zu errichten.
d) Die Periode in der kurdischen Geschichte, in der Fremdkapitalismus herrschte, ist eine Periode, in der jede Aussicht auf eine unabhängige ökonomische Entwicklung zerstört wurde; es ist die Phase, in der Kurdistan alle erdenklichen Waren betreffend von außen abhängig gemacht wurde.

Die soziale Struktur

Die mit dem kolonialistischen Kapitalismus eng kollaborierenden feudalen Landbesitzer sahen die Vorteile der Kapitalistischen Ausbeutung und wechselten ihre Klasse. Die Klassendifferenzierung dieses Typs tendiert zu einem Komprador- und Bourgeoischarakter und beinhaltet eine massive Verleugnung der nationalen Identität. Auch wenn die Mittelklassen sich häufen, haben sie noch keinen nationalen Charakter gewonnen. Natürlicherweise ist die Verteilung des Landbesitzes nicht geändert worden. Die früheren feudalen Landherren wurden nun zu kapitalistischen Landbesitzern.
Die Lage der Bauernschaft hat sich in dieser Phase mehr verschlechtert. Die Unterdrückung und Ausbeutung der kolonialistischen Regierenden, der Landbesitzer und der Wucherer halten die Bauernschaft in einer unerträglichen Lebenssituation. Die Einführung des Traktors im Land und die Anhäufung des Landbesitzes in bestimmten Händen fährten zu einer großen Arbeitslosigkeit. Die bewußte Hinderung der Entwicklung der Produktivkräfte im Lande von seiten der Kolonialisten zwang diese entstandene freie Arbeitskraft außerhalb des Landes versklaverische Tätigkeiten anzunehmen (als Träger, Pförtner, Straßenhändler, Aushilfskräfte usw.). Doch auch unter diesen Umständen findet nicht jeder Arbeit, viele vertreiben ihre Zeit in Cafes und verschwenden sie für unproduktive Arbeiten.
Es wird eine Intelligenzschicht erzeugt, die von der Gesellschaft abgekoppelt ist. Diese Intellektuellen, die unter Bedingungen der türkischen Sprache und Kultur erzogen werden, werden in der Mehrheit Verleugner der nationalen Identität und betrachten sich eher als Türken als als Kurden. Für Uberbleibsel, die sie bei den Kolonialisten finden, verraten sie ihre erhabenen nationalen Werte.
Die Institutionalisierungen bezüglich des sozialen Lebens in unserem Land sind ziemlich verzerrt und schwach. Insbesondere die Einrichtungen des Gesundheitswesens sind dilettant und mangelhaft wie sie nur in kolonialisierten Gesellschaften existieren können. Dem äußerst unzulänglichen Gesundheitswesen mangelt es an Krankenhäusern, Personal und Geräten; es existiert konzentriert in einigen Zentren mit nur scheinbaren Einrichtungen.
Auch hinsichtlich dieses Problems, das die Grundbedürfnisse der Menschheit darstellt, wird unser Volk ausgebeutet; die unvorstellbaren Dimensionen dieser Ausbeutung werden verwirklicht durch Apotheken und Privatpraxen, die sogar von Ärzten betrieben werden können, die sich im 1. praktischen Jahr befinden. Daher werden gegen ansteckende Krankheiten und Ernährungsmangel, die die Sterberate der Kinder verursachen, keine ernsthaften Maßnahmen getroffen; die Todesfälle erreichen große Dimensionen.
Die Haltung der Kolonialisten gegenüber den Naturkatastrophen, die in unserem Land große Schäden und Leben kosten, ist nicht von der Haltung gegenüber anderen Problemen zu unterscheiden. In unserer Epoche, in der die technische Uberlegenheit bei den Naturkatastrophen die Lebensgefahr für die Menschheit ausschaltet weiß jeder, daß die türkische Bourgeoisie nicht nur bezüglich der Naturkatastrophen keine Maßnahmen trifft, sondern auch die beschränkte Hilfe der Völker der Welt an unser Volk ausplündert.
Die Fremdherrschaft über die Gesellschaft in der ganzen Geschichte verhinderte die innere Evolution in einem großen Maße. Die Schwäche der inneren Evolution verursachte die Rückständigkeit der Gesellschaft aus politischer und kultureller Sicht. Diese Situation verursacht im Volk einerseits eine stärkere Verbundenheit mit den Stämmen als mit den nationalen Werten, andererseits konkretisiert sie sich bei den herrschenden Klassen als Verrat an den nationalen Werten und der völligen Abhängigkeit von Fremdwerten.
Die türkischen Kolonialisten haben diese Struktur, die seit hunderten von Jahren unter ihrer Herrschaft zustande gebracht wurde, sehr gut begriffen und nutzen sie noch heute aus; sie leiten den gegen sie gerichteten Haß der Massen, die Auseinandersetzungen innerhalb der Stämme und religiöses Sektierertum in falsche Kanäle und versuchen die nationale Einheit und den nationalen Kampf zu verhindern.

Die politische Struktur

Damit die im Interesse des Kolonialismus errichteten ökonomischen und sozialen Strukturen ihre Funktionen erfüllen, wurde ein äußerst komplexes politisches und militärisches Einrichtungsnetz entwickelt. Diese Einrichtungen und ihre Vertreter, die der Herrschernation angehören, versuchen einerseits die Kurden in der türkischen Nationalstruktur zu verschmelzen, andererseits verwenden sie für diese Verschmelzung eine Methode, bei der sie die Volksmassen unter schwersten ökonomischen Umständen halten. Die Repräsentanten des Kolonialismus nutzen die feudalen Überbau-Institutionen und ihre Vertreter auf beste Weise aus.
Die auf politischem Gebiet entwickelten kolonialistischen Einrichtungen und die angewandten Methoden können wir wie folgt aufgliedern:
a) Alle strategischen Punkte Kurdistans sind von der türkischen Armee besetzt worden. In allen Städten, in denen sich insbesondere die Einwohnerzahl angehäuft hat, befinden sich zahlreiche militärische Einheiten. Mit den tagtäglich vor den Augen der Massen stattfindenden militärischen Kraftproben wird eine Passivierung bezweckt. Auch damit versucht man die zu erwartenden Befreiungsideen von Anfang an zu verhindern. b) Die Gendarmerie verbreitet mit ihrem Terror auf dem Land eine Angst, die von den Bauern tagtäglich bis auf die Knochen gespürt wird. Bei Auseinandersetzungen innerhalb der Bauern werden die stärkeren beschützt, der Anspruch auf Bestechungsgelder ist zur Tradition geworden.
c) Es existiert in Kurdistan eine Stimmabgaberegel, die auch ohne jeden Einsatz Geltung hat. In einer Situation, in der die nationale Unterdrückung und die vom Mittelalter geprägte Gesellschaftsstruktur sehr stark vorhanden sind, dient diese Regelung lediglich dazu, daß die stärksten der Feudalen, Scheichs und Stammesführer an der TBMM (Große Türkische Nationalversammlung) teilnehmen können. Diese Personen, die im Parlament zu den besten Vertretern der "nationalen Einheit und nationalen Untrennbarkeit" werden und den Kolonialismus stärker als die Kolonialisten vertreten, sind die wichtigsten Agenten der Kolonialisten. Mit ihrer Existenz versuchen sie einerseits den Kolonialismus zu legitimieren und zu decken, andererseits hetzen sie das Volk im eigenen Interesse mit Wahlfarcen gegeneinander auf und stehen ihm bei seiner Befreiung im Wege. Sie sind aufgrund ihres Verrats mit einer derartigen Blindheit geschlagen, daß sie gegenüber der kolonialistischen Nation einzeln handeln und keinen Anteil an der Ausplünderung des Landes beanspruchen.
d) Der MIT (Nationaler Geheimdienst) ist wie ein Staat für sich; ernutzte die Rückständigkeit der nationalen und sozialen Struktur und errichtete eine Organisation bestehend aus Agas, Scheichs und Stammesführern. Die erbarmungsloseste Organisation des türkischen Kolonialismus in Kurdistan, MIT, schürt mit diesem Aufbau jegliche Zerstörungsaktivitäten in der Gesellschaft (religiöses Sektierertum, Stammes- und Blutrache) und stellt das größte Hindernis für die Einheit des Volkes dar. Desweiteren führt er gegen die zur nationalen Befreiung tendierenden Elemente mit Einheiten wie die KonterGuerrilla, die er gegen den revolutionären Kampf errichtet hat eine erbarmungslose Verfolgung und Komplotts durch.
e) Die Aufgaben anderer kolonialistischer Institutionen, an erster Stelle der bürgerlichen Parteien, des Polizeinetzes, der Gerichte und Ausbildungseinrichtungen bestehen darin, zu assimilieren, Angst zu verbreiten, zu bestechen und das Dienertum zu entwickeln. Ihr Hauptziel besteht darin, dem Kolonialismus eine organisierte und bleibende Struktur zu verschaffen.