V. Resümee

Kosovo macht Doppelmoral des Westens deutlicher
Gleiche Maßstäbe für ähnliche Konflikte
Auch der Westen hat Hausaufgaben zu erledigen
Hindernisse auf dem Weg zum Frieden beiseite räumen
Gelingt es, den Kreis zu schließen?


Auch der Westen hat Hausaufgaben zu erledigen

Es ist weithin bekannt, dass der Westen erheblich zur heutigen Situation der Kurden beigetragen hat. Dies beginnt bei der Grenzziehung im Großmachtinteresse nach dem Ersten Weltkrieg und reicht über die Waffen- und Finanzunterstützung der türkischen Kriegsführung gegen ihre kurdische Bevölkerung bis hin zur interkontinentalen Treibjagd auf Öcalan und seiner späteren Auslieferung an seine Gegner.
Die Verschleppung Öcalans in die Türkei war für dieses Land eine Nummer zu groß. Die Regie lag in den Händen der US-Amerikaner. Und auch einige EU-Länder haben dabei keine unwichtige Rolle gespielt.
Die Kurden meinen zu Recht, dass Kurdistan und der dortige Krieg weder gestern noch heute eine sehr große Rolle für den Westen spielten und spielen. Nicht die Signale und Aufrufe zum Frieden werden gehört und verstanden, sondern leider die Sprache der Gewalt. Es zählen nur die eigenen geostrategischen, wirtschaftlichen sowie politischen Interessen der Mächtigen dieser Welt.
Die internationalen Akteure der Hetzjagd auf Öcalan und seiner späteren Auslieferung an die Türkei vergossen nach dem Todesurteil Krokodilstränen. Aber anscheinend reicht das noch nicht aus. Am 4. Oktober 1999 wurde Abdullah Öcalan von einem italienischen Gericht als politisch Verfolgter anerkannt - fast ein Jahr zu spät! Soll man das ganze nun als "Ironie des Schicksals" bezeichnen oder eher als Fortsetzung des Spiels mit den Kurden?
Jedem muss klar sein, dass er nicht immer alles nur von einer Seite fordern kann und darf. Und man darf auch nicht vergessen, dass selbst Geduld und Ausdauer ihre Grenzen haben. Kurden haben ihre Bereitschaft für eine friedliche Lösung bewiesen und für die Beendigung des bewaffneten Kampfes ihrerseits historische Schritte getan. Ab jetzt wird es nirgends mehr so leicht möglich sein, die Kurden als "Terroristen" und "Separatisten" zu beschimpfen und abzustempeln. Nicht die Kurden, wohl aber die Bündnispartner und Unterstützer eines sinnlosen und schmutzigen Krieges sitzen mit denen zusammen in einem Boot, die gegen ihre eigene Zivilbevölkerung Gewalt und Terror anwenden.
Die Türkei befindet sich auf dem Weg in die Europäische Union. Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer sind hierfür Wegbereiter. Sie müssen gerade jetzt, wo hinsichtlich der Forderung nach Frieden und Versöhnung mit den Kurden und nach Demokratie und der Gewährung voller Menschenrechte verstärkt innenpolitischer Druck auf die türkische Regierung ausgeübt wird, ihre Stimme erheben und versuchen, ihrerseits den richtigen Weg zu zeigen.
Wenn man sich die Diskussionen und die Veränderungen, die Atmosphäre und die zunehmende Bereitschaft zu einer Lösungsfindung in der Türkei vor Augen führt, dürfte es nicht schwierig sein, jetzt mit einem gemeinsamen Versuch und einer Initiative der EU und der USA zu einem positiven Ergebnis zu kommen.
Im Westen muss endlich eine offene Debatte über die Ursachen und den Verlauf des Konfliktes geführt werden. Erst dadurch wird es möglich sein, die verengte Sichtweise, alles handele sich nur um kurdischen 'Terrorismus', zu überwinden. Erst dann können die wirklichen Ursachen und Probleme erkannt und angegangen werden.
Der Westen muss seinen Rüstungsexport in die Türkei und dessen Finanzierung beenden. Es fehlt dort nicht an Waffen, sondern an der Bereitschaft, Friedensschritte auszuhandeln.
Die Kurden müssen nicht nur in der Türkei, sondern auch hier in EU-Europa gleichberechtigt behandelt werden. Zur Zeit leben in Deutschland über eine halbe Million Kurden. Die überwiegende Mehrheit stammt aus Türkisch-Kurdistan. Sie sind zum Teil seit 30 Jahren hier in Deutschland und haben wie andere MigrantInnen auch zur Entwicklung Deutschlands beigetragen. Aber auch hier in Deutschland werden sie als Türken behandelt und dadurch benachteiligt. Die Kurden müssen mit den anderen MigrantInnen, mit Türken, Spaniern, Griechen, Kroaten und Serben gleichgestellt werden. Bei den Pflichten sind die Kurden gleichgestellt, aber bei den Rechten ist dies nicht der Fall. Den Forderungen der Kurden nach muttersprachlichem Unterricht, Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer Sprache, freier Namensgebung für kurdische Kinder und Einrichtungen von Beratungs- und Betreuungszentren muss entsprochen werden. Ein Bundestagsbeschluss vom 7. November 1991 (BT-Drucksache 12/1362) wartet seit 8 Jahren darauf, in die Tat umgesetzt zu werden; hierin heißt es: "In der Bundesrepublik lebt eine große Gruppe von Kurden. Auch ihnen muss die Möglichkeit zur Bewahrung und Entfaltung ihrer kulturellen Identität gegeben werden." Mit der Umsetzung dieses Beschlusses könnte auch ein deutliches Signal an die Adresse der Türkei gegeben werden.
Die nach Deutschland geflohenen Flüchtlinge sind Opfer dieses Krieges und bedürfen des Schutzes bis zur friedlichen Beilegung des Konfliktes. Der neu formulierte Lagebericht des Auswärtigen Amtes ist weit entfernt von den Erwartungen der Öffentlichkeit. Der Kernteil besteht aus der Wiederholung des alten Textes mit einer anderen Wortwahl und Terminologie. Ob nun die Gebiete oder Orte im Westen der Türkei, in denen sich die vertriebenen Kurden niederlassen, als "inländische Fluchtalternative" oder als "Ausweichorte" bezeichnet werden, spielt keine Rolle. So oder so werden Kurden abgeschoben.
(132) Auf die Gefahr, nach der Abschiebung festgenommen, verhaftet, gefoltert und misshandelt zu werden, wird zwar hingewiesen, aber von einer generellen Regelung abgesehen. Die Menschenrechtsvereine in der Türkei sprechen sich klar gegen Abschiebungen von Flüchtlingen ins Ungewisse aus. Selbst im Bericht der Parlamentarischen Untersuchungs-kommission (10/25) des Türkischen Parlaments wird die Annahme einer menschenrechtlich unbedenklichen innerstaatlichen Fluchtalternative in Frage gestellt. Deswegen muss den kurdischen Flüchtlingen, wie es bei den bosnischen Flüchtlingen der Fall war, ein Abschiebeschutz gewährt werden.
Die Beendigung des bewaffneten Kampfes, der Rückzug der Truppen der PKK aus der Türkei, einseitige Willensbekundungen zu einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage innerhalb der Staatsgrenzen der Türkei, der einseitige Appell nach Frieden und Demokratie sind eindeutige Zeichen der Gewaltfreiheit seitens der PKK. Die PKK und die ERNK hatten gegenüber Europa und Deutschland sowieso in den letzten Jahren einen Kurswechsel eingeschlagen und mehrfach erklärt, die rechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik und darüber hinaus der EU-Länder respektieren zu wollen. Sie haben dies mittlerweile auch über einen langen Zeitraum durch ihr Verhalten bewiesen.
Der wichtigste Aspekt aber ist, dass eine politische Lösung nur durch einen Dialog der Konfliktpartner gefunden werden kann. Verwehrt man es einer Konfliktpartei, öffentlich aufzutreten und ihre Argumente vorzustellen, so wird damit der Dialog unmöglich gemacht. Wer im Friedensdialog vermitteln will, darf ihn bei sich selbst nicht verhindern. Deshalb muss das PKK-Verbot aufgehoben werden. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass Rechtsverstöße nicht auch weiterhin nach den Strafgesetzen zu ahnden sind. Als erstes müssen Kurskorrekturen an dem nach fast einem Jahr anscheinend mit Mühe und Not zusammengestellten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. September 1999 vorgenommen werden. Die Bundesregierung sollte zumindest ihre Verfassungsschützer ernst nehmen und endlich damit aufhören, eine Massenbewegung als 'terroristisch' zu bezeichnen.
Unabhängig von Sympathie oder Antipathie gegenüber der PKK muss anerkannt werden, dass sie der wichtigste Repräsentant der kurdischen MigrantInnen und Flüchtlinge in Deutschland ist. Die Differenzierung nach "guten" und "schlechten" Kurden trägt nicht zur Lösung des Konflikts bei. Und zur Lösung trägt auch nicht bei, die Repräsentanten bestimmter kurdischer Kräfte von Dialogen auszuschließen. Das gesamte Spektrum der kurdischen Gesellschaft wird sich hierin wiederfinden müssen.


(132)Die Lageberichte des Auswärtigen Amts sind die wesentliche Entscheidungsgrundlage bei die Gewährung oder Ablehnung eines Bleiberechts für Flüchtlinge. Der "neue" Lagebericht vom 7.9.99 wurde von Claudia Gayer unter die Lupe genommen und mit einem sehr guten und kritischen Kommentar versehen. In ihrem Kommentar "Alter Wein in neuen Schläuchen?" meint sie zu Recht: "Von einer realistischen und ehrlichen Einschätzung der Lage in der Türkei ist das Auswärtige Amt ... weit entfernt. Innenpolitische Interessen und außenpolitisches Kalkül standen auch dem neuen Lagebericht zur Türkei als Paten zur Seite. Kriege, Verfolgung, Folter und Flucht lassen sich allerdings nicht weg und schön reden. Das zeigen die Opfer, die zahlreichen Flüchtlinge, Inhaftierten und die nach ihrer Abschiebung erneut Verfolgten. Auch mit dem neuen Lagebericht wird das Auswärtige Amt seiner Verantwortung für die Menschen, die in der Bundesrepublik Schutz suchen, nicht gerecht." (Niedersächsischer Flüchtlingsrat)