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"Und macht euch die Erde untertan": ein Film von Christoph Walder
Der Film handelt von dem umstrittenen Ilisu-Staudammprojekt im Südosten der Türkei, von dessen möglichen Folgen, den Menschen und der einmalig schönen Kultur- und Naturlandschaft im berühmten Mesopotamien.


Veröffentlichungen:
WEED-Neuerscheinung:
Zum Scheitern verurteilt
Der Ilisu-Staudamm im Südosten der Türkei


Erklärung von Bern:
Im Schatten der Dämme

Kontroverse Wasserkraftwerke in der Türkei 

Internetseiten zum Thema:
www.hasankeyfgirisimi.com
www.weed-online.org
www.evb.ch
www.ilisu.org.uk/
www.eca-watch.at
www.fern.org
www.rivernet.org
www.hasankeyfim.com
wikipedia.org
   


Das Ilisu Staudammprojekt und seine Auswirkungen

Erst die Mongolen und jetzt VA Tech, Züblin und Co.

Initiative zur Rettung von Hasankeyf

Die türkische Regierung plant wieder seit Ende 2004 den Bau des Ilisu-Staudammes am Tigris und dies, obwohl dieses strittige Projekt schon einmal 2001/2002 wegen seiner offenen negativen Folgen scheiterte.

Damals formierte sich in der Staudammregion und auch europaweit eine große Kampagne, die es zu Fall brachte. Erst zogen sich drei der am Konsortium beteiligten Unternehmen aus Groß-Britannien, Schweden und Italien, dann eine schweizerische Bank zurück.

   
 

Initiative zur Rettung von Hasankeyf

Nach vielen Bemühungen und Diskussionen, seit der Ilisu-Staudamm wieder geplant wird, wurde Anfang Januar 2006 die überregionale Initiative zur Rettung von Hasankeyf in Diyarbakir mit einer Gründungserklärung auf die Beine gestellt. In ihr sind zurzeit 34 Einrichtungen vertreten: Kommunen, darunter die größten Städte Batman und Diyarbakir, die meistbetroffenen Kleinstädte, Berufsverbände (Ingenieure, Architekten, Ärzte, Anwälte) der Region, Umwelt-, Menschenrechts- und soziale Organisationen, Gewerkschaften …
Die Initiative setzt sich sehr kritisch mit dem Ilisu-Talsperrenprojekt auseinander. Die sozialen, ökologischen und kulturellen Verluste sind sehr hoch, dagegen wird der Nutzen für die Region kaum spürbar sein. Außerdem wird das Konfliktpotential im Mittleren Osten zunehmen. Die Zentralregierung übergeht die lokalen und regionalen Kräfte und nimmt sie nicht wahr.
Im Februar 2006 wurde ein wichtiges Symposium zum Thema mit breit gefächerter Beteiligung organisiert, Felduntersuchungen in den betroffenen Gebieten in Diyarbakir und Batman wurden durchgeführt. Im März reichte die Initiative eine Reihe von Kommentaren bei den europäischen Exportkreditagenturen (ECA) ein.
Die Initiative steht in engem Kontakt zu sechs NGOs in Europa, welche die europäische Ilisu-Kampagne führen. In Zusammenarbeit kamen im Mai zwei Delegationen nach Europa. Am 11. Mai sprachen Mitglieder der Initiative im Europaparlament mit Vertretern der Europäischen Kommission. Vom 15. bis zum 19. Mai wurden Gespräche mit den politischen Verantwortlichen der deutschen, österreichischen und schweizerischen Regierung und ECAs geführt.

Kontakt:
Initiative zur Rettung von Hasankeyf
c/o GABB
Belediye Konukevi
2. Kat, Ofis
Diyarbakir/Turkey;
Tel : +90 - 412 229 67 47;
Fax: +90 - 412 224 53 38;
www.hasankeyfgirisimi.org;
E-mail: ercanayboga@yahoo.com

   

Nun beteiligen sich wieder mehrere europäische und vier türkische Unternehmen am Ilisu-Projekt. Dabei handelt es sich um vier Unternehmen aus der Schweiz, die Alstom, Stucky, Colencio und Maggia, das schwäbische Bauunternehmen Ed. Züblin AG und den Konsortialleiter VA Tech aus Österreich. Unter den türkischen Unternehmen ist Nurol federführend. Diese Unternehmen haben Ende 2005 in ihren Staaten bei den jeweiligen Exportkreditagenturen (ECA) einen Antrag auf Kreditgarantie gestellt. Die Entscheidungen der jeweiligen Regierungen darüber sind bisher noch nicht getroffen worden.

GAP und der Ilisu-Staudamm

Das Südostanatolienprojekt namens GAP (türk.: Güneydogu Anadolu Projesi) wurde 1982 beschlossen und 1984 von der Türkei in Angriff genommen. Es ist zurzeit auf der Welt das gigantischste Wasserkraftwerks- und Bewässerungsprojekt seiner Art. Dieses sieht vor, die Flüsse Euphrat und Tigris an insgesamt 22 Dämmen zu stauen und 17 600 km2 Land zu bewässern. Insgesamt sollen 19 Kraftwerke an den beiden Flüssen 27 300 GWh Strom erzeugen. Die meisten Staudämme sind schon errichtet. Die Gesamtkosten des GAP werden auf 32 Mrd. $ angesetzt. Nach offiziellen Angaben wird beabsichtigt, mit diesem großen Projekt im sog. „Südostanatolien“ (alles kurdische Provinzen) einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen. Diese Region soll mittels Erzeugung von Energie, Bewässerung und Schaffung von Arbeitsplätzen (3,6 Mill. werden angegeben) an den „modernen und technischen Fortschritt“ angebunden werden.
Das GAP sollte ursprünglich 2010 fertig gestellt werden, doch ist ein Ende vor 2020 nicht in Aussicht. Bisher wurden erst ca. 17 Mrd. US-Dollar investiert, die Einnahmen aus dem GAP übertreffen schon diesen Betrag.

Der Ilisu-Staudamm soll den Tigris auf einer Länge von 136 km in einen künstlichen See verwandeln und ein Stauvolumen von bis zu 10,4 km3 erzeugen. Der gesamte Durchfluss des Tigris beim Dorf Ilisu beträgt etwa 15,84 km3. Der zweitgrößte Fluss der Türkei, der Tigris, führt an diesem Punkt durchschnittlich 502 m3 Wasser. Der Stausee wird eine Fläche von bis zu 313 km2 haben. Die Breite des Staudammbauwerks ist mit seinen 1810 m unübertroffen in der Türkei. Die Höhe beträgt 135 m und gehört damit zu den höchsten Talsperren. Der Hauptzweck dieser Talsperre ist die Energieerzeugung von 1200 MW (jährliche Energieausbeute 3800 GWh), womit Ilisu die viertgrößte der Türkei sein soll. Sehr begrenzt soll Ilisu auch zur Bewässerung dienen. Aber das gleich nach dem Ilisu folgende Stauwerk, der kleinere Cizre-Staudamm (Stausee etwa 30 km lang), soll hauptsächlich zur Bewässerung von weiter südlich liegenden Gebieten dienen.

Gefahr eines Wasserkonfliktes

Da der Ilisu- und der Cizre-Staudamm kurz vor der syrischen und irakischen Grenze errichtet werden sollen, bekommt die Angelegenheit außerdem eine politische Komponente. Es kommt hinzu, dass noch weitere Staudämme an den Nebenflüssen des Tigris geplant sind, womit das Staupotential noch einmal gesteigert werden würde. Das Wasser des Tigris kann den südlichen Nachbarn für einige Monate abgedreht werden. Besonders der Irak würde darunter leiden. Syrien ist vielmehr vom Wasser des Euphrat abhängig. Aber auch allein die Errichtung des Ilisu-Staudammes wird zur Folge haben, dass durch die Verringerung des Tigris-Wassers, das Ausbleiben der Überschwemmungen und das deutlich weniger mitgeführte Sediment die Landwirtschaft am Tigris erheblich leiden wird.
Die Türkei sträubt sich seit Beginn des GAP, Syrien und Irak in Bezug auf das Euphrat-Tigris-Wasser zu konsultieren. Sie betrachtet das Wasser als den „eigenen Reichtum, so wie das Öl andere Staaten der Region besitzen“. Sie hat z. B. nicht die UN-Konvention über die Nutzung nicht-schiffbarer grenzüberschreitender Wasserwege von 1997 unterzeichnet. Diese enthält die Prinzipien der fairen und angemessenen Nutzung („equitable and reasonable utilization“) grenzüberschreitender Wasserwege, der Partizipation und Konsultation zwischen den Flussanrainerstaaten. Beim Ilisu-Staudamm wurden jedoch die Anrainerstaaten weder ausreichend über das Projekt informiert noch in die Planung der Nutzung der Wasserreserven eingebunden. Die Abflussrechte sind unzureichend und von unklarer Verbindlichkeit. Auch die OP 7.50 der Weltbank [Bestimmung von Standards bei Kreditprojekten betreffend internationaler Wasserwege] wird eindeutig verletzt.
Wenn es in naher oder auch ferner Zukunft zu politischen Konflikten zwischen der Türkei und den südlichen Nachbarn kommen sollte, würde zunächst der kurdische Südosten der Türkei darunter leiden. Schon die Schließung der Grenzen würde spürbare wirtschaftliche Einbußen für unsere Region bedeuten.
Daher fordern wir eine nachhaltige Bewirtschaftung des Euphrat-Tigris-Wassers zwischen den drei Staaten Türkei, Irak und Syrien, wobei auch ökologische, soziale und kulturelle Aspekte ausreichend berücksichtigt werden müssen. Hierzu bedarf es auch einer grundlegenden Veränderung in der Einstellung zur Bewässerung in der Landwirtschaft, zur Energiepolitik und zu Ökosystemen.

Soziale Folgen

Sehr gravierende Folgen wird das Projekt in sozialer Hinsicht haben. Durch den Ilisu-Staudamm werden nach offiziellen Zahlen(1) 55 000 Menschen direkt betroffen sein, d. h. sie müssen umsiedeln. Zunächst war von 78 000 Menschen in 200 Siedlungen die Rede. Doch die Tatsache, dass Dutzende dieser Dörfer in den 90er Jahren vom türkischen Militär zwangsgeräumt und deren BewohnerInnen vertrieben wurden, hat diese Zahl der betroffenen Menschen und Dörfer reduziert. Leer stehende Dörfer und ihre BewohnerInnen werden einfach nicht im Umsiedlungsplan (Resettlement Action Plan – RAP) erwähnt. Der RAP, welcher mit dem Bericht zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Bericht) Ende November 2005 veröffentlicht wurde, ist in vieler Hinsicht zu kritisieren [siehe Sammlung von Kommentaren und Berichten].
Die direkt betroffenen Menschen in den Dörfern und der Stadt Hasankeyf wurden im Frühjahr 2005 zum ersten Mal von den Projektbetreibern über das Unternehmen Encon kontaktiert. Mit mehreren tausend Haushalten wurden Umfragen durchgeführt, in denen ausführlich die sozioökonomische Struktur erfragt wurde. Zwar wurden einige Fragen zum Ilisu-Staudamm gestellt, aber nicht die entscheidende Frage, ob sie dieses Projekt wollen oder nicht. Wie sollte das auch geschehen? Das Projekt ist schon fertig und kurz vor der Ausführung. Den Menschen wurde bei der Umfrage klar gesagt, dass der Damm auf jeden Fall gebaut werde, egal ob die Menschen ihn wollten oder nicht. Bei der Umfrage wurden, wie die Befragten später berichteten, verlockende Fragen gestellt wie: „Wollt Ihr ein besseres Haus, wollt Ihr Bildung für Eure Kinder, wollt Ihr Arbeit?“ Die Ja-Antworten wurden als Zustimmung für das Ilisu-Projekt gewertet. Dementsprechend gab das Ilisu-Konsortium bekannt, dass angeblich 90 % der Menschen das Projekt befürworteten. Auch wollte Encon von den Befragten wissen, wie viel Entschädigung in Form von Geld sie wünschten. Der genannte Betrag wurde kommentarlos aufgeschrieben. Am Ende der Umfrage wurde dazu gesagt, dass sie eine hohe Entschädigung bekommen würden, mehr, als ihnen eigentlich zustehe. Hier wurden den Menschen eindeutig falsche Hoffnungen gemacht, wie sich aus späteren Gesprächen ergab.
Der Verein der Flüchtlinge und MigrantInnen, Göc-Der, in Batman und in Diyarbakir führte in den jeweiligen zu überflutenden Siedlungen ihrer Provinz im Zeitraum zwischen Januar und März 2006 eine eigene Umfrage durch. Die Feststellungen und Ergebnisse sind sehr interessant. Das größte Problem bei der Umsiedlung werden die vielen landlosen Menschen sein, die für Großgrundbesitzer die Felder bestellen. Im Bezirk Bismil (der Provinz Diyarbakir) haben nach der Umfrage 56 % der betroffenen Menschen keine Landtitel, d. h. sie arbeiten für Großgrundbesitzer auf den großen Ackerflächen. Sie besitzen höchstens ein kleines Häuschen. Diese Menschen werden die größten Verlierer bei der Durchführung des Ilisu-Projektes sein. In Batman haben knapp 50 % der Menschen kein eigenes Land. Aber auch die vielen kleinen Landbesitzer werden ungenügende Entschädigungen bekommen. Der RAP zeigt, dass die Menschen überhaupt nicht auf eine Umsiedlung vorbereitet sind. Aus Erfahrungen ist bekannt, dass sie, in den Städten angekommen, nach relativ kurzer Zeit die erhaltene Entschädigung aufbrauchen und dann vor dem Nichts stehen werden. Sie werden mit Arbeitslosigkeit, Untätigkeit, sozialen und psychologischen Problemen konfrontiert sein. Die Anpassung an das Stadtleben wird für die Menschen fast unmöglich sein. Besonders die Frauen werden in den vier Wänden wie eingeschlossen leben, während sie auf dem Land sehr aktiv am produktiven Leben teilnahmen. Auch die Kinder werden den Gefahren (Kriminalität, Straßenverkauf) der Stadt „ausgeliefert“ sein.
Die Städte Batman und Diyarbakir, wohin bis zu 80 % der Betroffenen umziehen wollen, haben seit den 90er Jahren ohnehin sehr große Probleme, die sie nicht in den Griff bekommen. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit liegt bei etwa 60 %, direkte Armut betrifft die Hälfte der Menschen.

Noch ein Beispiel, wie Partizipation vom Ilisu-Konsortium verstanden wird: Zur wichtigen Versammlung im Juli 2005 in Ankara, wo entschieden wurde, wohin die Stadt Hasankeyf umgelagert werde, wurde der Bürgermeister von Hasankeyf, Abdulvahap Kusen, nicht eingeladen. Er ist aber die Person, die von der Bevölkerung demokratisch gewählt wurde. Stattdessen kamen der Gouverneur von Batman, der Landrat von Hasankeyf, der Ausgrabungsleiter etc.

Auswirkungen auf das kulturelle Erbe

Das Ilisu-Überflutungsgebiet am Tigris liegt in Ober- bzw. Nord-Mesopotamien. In dieser Region gingen die ersten Menschen vor zwölf- bis zehntausend Jahren zum sesshaften Leben über. Hier wurden auch die ersten Kulturen entwickelt, die zur Herausbildung der großen Hochkulturen (wie der sumerischen) im mittleren und unteren Mesopotamien entscheidend beitrugen.
Die meisten der bekannten ältesten Siedlungen der Menschheit liegen nicht weit vom Ilisu-Gebiet entfernt, nämlich weiter westlich um den oberen Euphrat herum, wie z. B. Çayönü, Göbekli Tepe. Dass am Tigris noch nicht solche Siedlungen gefunden wurden, liegt höchstwahrscheinlich daran, dass hier praktisch noch keine Ausgrabungen durchgeführt wurden. Nur ein kleiner Teil des Ilisu-Gebietes – 7000 von 37 000 Hektar – wurde untersucht. Allein hier wurden 208 archäologische Fundstätten erfasst. Und in nur 14 Fundstätten werden/wurden bisher Ausgrabungen durchgeführt. Da in der Regel eine Ausgrabung mehrere Jahrzehnte dauert, ist es unmöglich innerhalb von sieben Jahren – so lange soll der Bau des Ilisu-Staudammes dauern – diese Stätten einigermaßen vernünftig auszuwerten. Die Folge wird der unwiderrufliche Verlust eines für die Menschheitsgeschichte sehr wichtigen Gebietes sein.
Das Symbol gegen den Ilisu-Staudamm wurde in den letzten Jahren die Stadt Hasankeyf am Tigris, die einzige aus dem Mittelalter und auch der Antike gänzlich erhaltene Stadt in Anatolien/Mesopotamien, die wie ein Freilichtmuseum vor uns liegt. In Hasankeyf, wo Funde aus dem frühen Neolithikum ausgegraben wurden, können Spuren von über zwanzig Kulturen mit dem bloßen Auge entdeckt werden. Hasankeyf war erst das religiöse Zentrum der christlichen Assyrer (4. bis 7. Jahrhundert), dann die Hauptstadt der Artukiden. In der späten Antike und im frühen und mittleren Mittelalter hatte es seine Glanzzeit. In diesem Ort sind Zeugnisse von den Römern, Byzantinern, Assyrern, Omayaden, Mervaniden, Seldschuken, Artukiden, Eyyubiden, Osmanen etc. vorzufinden. Es sollen bis zu 300 Kirchen, Moscheen und andere Bauwerke sein. Imposant ist die wunderbare Felsenburg. Hinzu kommt die 800 Jahre alte Steinbrücke, damals die größte ihrer Zeit. Sie wurde jedoch einige Jahrzehnte nach ihrer Fertigstellung von den einfallenden und alles niederbrennenden Mongolen zerstört, wodurch Hasankeyf langsam seine Bedeutung zu verlieren begann. Jetzt, wo das Interesse an ihr wieder wächst, soll sie ein zweites Mal vom Ilisu-Konsortium für alle Zeiten zerstört werden. Die heutigen Mongolen werden die deutsche Ed. Züblin AG, die österreichische VA Tech, das türkische Unternehmen Nurol und ihre Partner sein.
Die Idee des Neuaufbaus verschiedener Monumente aus Hasankeyf ist lächerlich. Jeder historische Ort lebt von seiner spezifischen Umgebung, wie Hasankeyf von Tigris und Felsenburg ausgemacht werden. Selbst wenn es technisch möglich wäre, viele Bauwerke mehrere Kilometer weiter nördlich in einem Kulturpark wieder aufzubauen, würden sie den Menschen nichts mehr an Originalität vermitteln. Aber wie angedeutet können die Brücke, das Zeynelbey-Mausoleum, das El-Rizk-Minarett aufgrund der Bausubstanz (Bindemittel, weicher Stein etc.) nicht wegtransportiert werden(2). Es handelt sich nicht um etwas wie Abu Simbel in Ägypten. Ein solcher Versuch würde nur in einer Katastrophe enden.

Durch die Überflutung des Tigris-Tales geht eine jahrtausendealte spezifische Kultur der Lebensweise und Landwirtschaft verloren, die nur hier im eingeengten Tigris-Tal Leben findet. Durch die Umsiedlung der BewohnerInnen in urbane Gebiete wird sie verschwinden. Neben dem archäologisch-historischen Reichtum wird diese einmalige Kultur, von der die „modernen“ Menschen viel lernen können, endgültig vernichtet. Dies wird uns von den kommenden Generationen in Zukunft immer vorgeworfen werden.

Kurz zusammengefasst: Die Überflutung des Ilisu-Gebietes würde zur Zerstörung eines noch nicht bekannten kulturellen Erbes führen.

Ökologische und Umweltauswirkungen

Auch in ökologischer Hinsicht würde ein relativ großes und intaktes Ökosystem verloren gehen. Der Stausee wird sich in die vielen Nebenarme des Tigris erstrecken. Wenn der Ilisu-Staudamm einmal fertig gebaut ist, sollen der Cizre- und mehrere andere Staudämme an den Nebenarmen folgen.
Der Euphrat wurde hingegen schon fast vollständig aufgestaut, auch andere Flussökosysteme in der Region und der ganzen Türkei sind erheblich negativ beeinträchtigt worden.
Den Euphrat und Tigris können wir uns als ein gemeinsames Ökosystem vorstellen. Viele endemische Arten von Tieren und Pflanzen dieses Systems, die nicht mehr am Euphrat existieren können, kommen nur noch am Tigris vor.
Wie der Biologe Dr. Murat Biricik vom Verein der Umweltfreiwilligen von Diyarbakir berichtet, gibt es ganz besondere Vogelarten, die nur an den Felsenhängen um Hasankeyf herum leben. Auch lebt die einen Meter lange Euphratschildkröte nur noch am Tigris. Die Flora und Fauna einer ganzen großen Region hängen von diesem Ökosystem ab. Stauseen würden die Wege vieler Tiere abschneiden. Die Feuchtigkeit würde zunehmen.
Der Ilisu-Stausee würde innerhalb kurzer Zeit aufgrund der vielen Großstädte und immer intensiveren Landwirtschaft zur Eutrophierung führen, d. h. umkippen. Auch der rechtzeitige Bau der vorgesehenen Kläranlagen könnte dies nicht verhindern. Die meisten Fischarten im Fluss würden verschwinden. Einige wenige Fischarten, die in stehenden Gewässern vorkommen, könnten sich verbreiten. Aber die Biodiversität der Flora und Fauna insgesamt würde radikal abnehmen.
Die Eutrophierung würde auch vermehrt zu Krankheiten führen. Wie es um die Euphrat-Staudämme herum der Fall ist, würden viele verloren geglaubte Krankheiten und Seuchen zurückkehren. Dr. Ali Ceylan von der Dicle-Universität Diyarbakir stellte fest, dass 80 % der durch Stauseen verursachten Krankheiten und Seuchen in der Türkei in der GAP-Region vorkommen. Auf diese Gefahr wird im UVP-Bericht kaum eingegangen.

Auch unterhalb der Talsperre würden Flora und Fauna sehr unter dem Staudamm leiden, weil kaltes vom Stausee abgelassenes Wasser zur Erosion führen würde. Die Lebensgrundlage von Tieren und Pflanzen wie vieler Fischpopulationen würde entzogen werden. Die Auswirkungen würden bis zum Schatt El-Arab – der Vereinigung von Euphrat und Tigris – spürbar sein.

Alternativen

Aus den Berichten und Diskussionen ersehen wir, dass Alternativen zum Ilisu-Talsperrenprojekt von staatlicher Seite überhaupt nicht zur Diskussion gestellt werden. Der Hauptzweck des Ilisu-Staudammes ist die Energieproduktion (1200 MW). Heutige Technologie, Wissen und Anwendungserfahrungen in diesem Bereich zeigen uns ganz klar, dass es viele alternative Wege gibt, um das Energieproblem zu bewältigen. Als alternative Technologien seien die Sonnen-, Wind- und geothermische Energie genannt, wofür unsere Region und die Türkei sehr geeignet sind. In unserer Region scheint knapp 300 Tage im Jahr die Sonne. In der Region um Van gibt es gewaltige Möglichkeiten zur geothermischen Energieerzeugung.
Wir schlagen vor, dass zunächst mit dem gleichen Projektbudget die Energietransportleitungen der Türkei repariert werden, damit der Verlust von über 21 % auf den OECD-Durchschnitt (10 %) gesenkt wird. Dies allein würde Einsparungen von drei Ilisu-Talsperren bewirken. Überhaupt sollten die Verbraucher (Haushalte, Industrie, Landwirtschaft) sparsamer mit Energie umgehen, wozu die Regierung regelmäßige und umfassende Kampagnen durchführen muss. Auch besteht unserer Erfahrung nach ein großes Einsparpotential. Wir hören immer wieder, dass die vielen Talsperren in unserer Region nur mit gedrosselter Kapazität arbeiten. Da stellt sich die Frage, inwiefern die Energie der Ilisu-Talsperre notwendig ist. So zum Beispiel müssten die türkischen Wasserwerke die Frage beantworten, ob im Jahr 2005 die Wasserkraftanlage der Keban-Talsperre nur mit einer von insgesamt acht Turbinen arbeitete?

Wenn es um die regionale Entwicklung geht, sollte mit dem Projektbudget (knapp 2 Mrd. Euro) in den kulturellen Tourismus der Region investiert werden. Unsere Region – nach übereinstimmenden Meinungen mehr als geeignet dafür – könnte davon erheblich profitieren. Viel mehr und dauerhaftere Arbeitsplätze als beim Ilisu-Staudammprojekt könnten geschaffen werden. Das kulturelle Erbe könnte geschützt werden. Auch die Ökologie müsste keine (kaum) Verluste davontragen. Und sehr wichtig: Niemand müsste zur Umsiedlung gezwungen werden.

Anmerkungen:
(1) Diese Zahl wird im Umsiedlungsplan (RAP) vom vergangenen November angegeben.
(2) Dies bestätigten bedeutende Archäologen wie Prof. Zeynep Ahunbay, der frühere Hasankeyf-Ausgrabungsleiter Prof. Olus Arik und der jetzige Ausgrabungsleiter Prof. Uluçam, Ahmet Yaras und andere
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aus:
Kurdistan Report 126
Juli/August 2006

 

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