Ergenekon

Ergenekon und die PKK – Teil 2

Die PKK, die mit der Broschüre „Eine Bewertung des Massakers von Maraş“ alle demokratischen Kräfte, einschließlich die Türkei-Linke, warnt, bewertet die politischen Ereignisse vor und nach dem Massaker vom Dezember 1978 und weist auf einen möglichen Militärputsch hin.
Die erste Initiative zum Massaker kam am 3. Juni 1977 [s. Teil 1; d. Red.] von Namık Kemal Ersun, allerdings ohne Erfolg. Dieser Prozess, der am 3. Juni begann und bis zum [Militärputsch vom] 12. September 1980 andauerte, hatte große Bedeutung für die Zukunft.

Der US-Plan aus Teheran
Während der islamischen Revolution im Iran 1979 stürmte eine Gruppe junger Männer (darunter auch der jetzige Staatspräsident Mahmud Ahmedinedschad) das US-Konsulat in Teheran und beschlagnahmte einige Dokumente. Unter anderem auch eines, das aus dem US-Konsulat in Adana – im Volksmund auch unter dem Namen „Kurdistan-Konsulat“ bekannt – stammte. In diesem Dokument von 1978 war folgende Passage enthalten: „Im Osten und Südosten der Türkei ist eine marxistisch-leninistische Organisation mit stalinistischer Basis entstanden. Diese Organisation ist sehr gefährlich, gegen sie müssen Maßnahmen ergriffen werden.“
Eine solche in der Türkei entstehende Gefahr interessierte die USA sehr, da die Türkei als „Polizeiwache“ zum Schutz vor den Sowjets fungierte. Die „Özel Harp Dairesi“ (Spezialkriegsabteilung), 1952 innerhalb des türkischen Militärs, aber vor der Regierung verdeckt gegründet, stand Ende der 70er immer noch unter der Kontrolle der USA. (Während der Zypern-Invasion 1974 war Bülent Ecevit der erste Premierminister, der davon erfuhr.)

Die Angriffe auf die Apocular-Gruppe beginnen
Die rechte Hand Öcalans, Haki Karer, kam in einem Café in Antep/Beş Parçacılar bei einem Überfall durch eine Gruppe namens „Stêrka Sor“ ums Leben. Er war nach Aydın Gül, der am 8. April 1977 in Dersim durch eine Gruppe namens „Halkın Kurtuluşu“ (HK) umgebracht worden war, das zweite Opfer. Auffallend war, dass er innerhalb der Apocu-Gruppe eine Führungsfunktion innehatte.
Nach der Ermordung Güls war ein HK-Mitgliedsausweis gefunden worden. Jedoch wurde sehr schnell klar, dass dies eine Taktik war, um die Aufmerksamkeit auf die HK zu lenken. Später zeigte sich, dass der Täter ein Stêrka-Sor-Mitglied namens Alaaddin Kapan gewesen war.

War Kapan in Taksim?
Nach dem Massaker vom 1. Mai 1977 (1) schrieb Uğur Mumcu in der Zeitung „Cumhuriyet“ in einer Kolumne unter dem Titel „Wer ist dieser Alaaddin?“, dass die Provokationen aus einem weißen Renault in einer Nebenstraße gekommen seien. Mumcu, der eine Person in dem Auto als Alaaddin benannte, fragte „Wer ist dieser Alaaddin?“. Er berichtete weiter von einer zweiten Person im Wagen und fragte „Wer ist dieser weibliche Bond?“. Die eine Person in dem Auto sei Alaaddin gewesen, hieß es in verschiedenen Kreisen.

Alaaddin geht in die Falle
Nach dem Geständnis einer in den Mord an Haki Karer verwickelten Person verfolgte die Apocu-Gruppe Alaaddin Kapan und die Organisation Stêrka Sor. Nach kurzer Verfolgung wurden Kapan und seine Frau in Iskenderun gefunden. Kapan starb und seine Frau kam verletzt davon. In einigen linken Kreisen hieß es, dass Alaaddin und seine Frau nach dem 12. März [Militärputsch 1971; d. Red.] zu Agenten geworden seien. Später wurde auch spekuliert, der „weibliche James Bond“ bei Kapan sei Zivilpolizistin gewesen.

Der Plan wird fortgesetzt – Têkosîn
Cemil Bayık, der Alaaddin Kapan während den Untersuchungen zum Haki-Karer-Mord als Mittel zum Mord bezeichnete, sagt zum Versuch der Vernichtung der Apocu-Gruppe: „Diejenigen, die bei uns waren und beim Mord an Haki Karer mit Stêrka Sor kollaborierten, gingen diesmal, nach dem Tod Alaaddin Kapans, mit der Têkosîn-Gruppe zusammen. Diese wollte alle Werte unserer Bewegung zerstören, alle Kader bzw. Beteiligten unter Druck setzen. Diese Agentengruppe, die sich Têkosîn nannte, wollte, nachdem sie dachte, sie sei nach dem Mord in Antep erfolgreich, diesen ‚Erfolg’ in andere Gebiete tragen und die Führungspersonen vernichten.“

Öcalan mit Quartier in Diyarbakır
Nach dem Tuzluçayır-Überfall der Polizei [s. Teil 1; d. Red.] und dem Mord an Haki Karer registrierte Öcalan, dass der Staat ihn verfolgte, und so entschied er, sich zu verstecken. Damals hatten die Kader der Apocu-Gruppe in Kurdistan gewisse Erfolge erreicht und so Sympathien in der Bevölkerung gewonnen. Mit der Überlegung, sich vor dem immer intensiveren Druck zu verstecken und das Hauptquartier an einen Ort zu verlegen, an dem Sympathien gewonnen wurden, zog Öcalan von Ankara nach Diyarbakır. In Diyarbakır-Ofis bereitete er die Basis für die Gründung der PKK.
Am 27.11.1978 wurde im Dorf Fis in Lice/Diyarbakır beschlossen, die „Arbeiterpartei Kurdistan“ (PKK) zu gründen. Diese Versammlung ging in die Geschichte als erster Kongress der PKK ein. Jedoch wurde der Öffentlichkeit lange Zeit die Vereinigung der Apocu-Gruppe unter dem Namen PKK verschwiegen. Die offizielle Bekanntgabe geschah durch Flugblätter am 20. Juli 1979 während des Angriffs auf Celal Bucak.

Die Klänge des Putsches
Ein weiteres wichtiges Ereignis gab es Ende 1978 zwischen dem 23. und dem 25. Dezember in Maraş. Die „Idealisten-Vereine“ überfielen mit Faschisten von außerhalb linke und alevitisch-kurdische Kreise (2). Nach dem Massaker von Maraş wurde Anfang 1979 über sieben Provinzen der Ausnahmezustand verhängt.
Die Putsch-Aktivitäten, die 1977 begannen und von Alparslan Türkeş (3) unterstützt wurden, die Massaker der Idealisten-Gruppen, die am 1. Mai 77 begannen und sich in Maraş, Malatya und Çorum fortsetzten, und der trotzdem anhaltende Druck auf linke Kreise waren für Öcalan Anzeichen für den nächsten Militärputsch in der Türkei.
Er sah in einer schriftlichen „Bewertung des Maraş-Massakers“ anderthalb Jahre im Voraus, welche Maßnahmen der türkische Staat ergreifen würde, nachdem sich in Kurdistan eine Bewegung gebildet hatte. In dieser Broschüre schrieb er, dass ein faschistischer Putsch Schritt für Schritt kommen werde, dass dagegen eine Zusammenarbeit von Sozialisten, Demokraten und Patrioten nötig sei und dass sie ansonsten zerquetscht werden würden.

Die Festnahmen in Elazığ
Der Ausnahmezustand wurde zuallererst in Elazığ spürbar. In einer Operation wurden 1979 fast alle Elazığ-Kader der PKK festgenommen. Unter ihnen auch Şahin Dönmez, Mitglied des Zentralkomitees. Als Dönmez im Verhör alles wiedergab, was er wusste, erfuhr die Polizei zum ersten Mal von einer Partei namens PKK und deren Aktivitäten. Die Nachricht über die Aussagen von Şahin Dönmez erreichte die restlichen PKK-Kader. Bei einer Razzia auf die Häuser der Organisation (auch die Wohnung, in der sich Öcalan befand) fand die Polizei niemand vor. Die Festnahmen von Elazığ boten Öcalan weitere Anhaltspunkte.

Die Urfa-Versammlung
Öcalan war danach in Urfa anzutreffen. Cemil Bayık sagt, nach all den Geschehnissen habe nun die Gefahr vor der Tür gestanden, und zu den Beschlüssen der Versammlung in Urfa: „Der Vorsitzende erklärte auf der Versammlung in Urfa, dass man an einen kritischen Punkt gelangt sei, dass die Organisation bedeutende Probleme habe, dass die Aktivitäten so nicht fortgesetzt werden könnten bzw. so gefährlich seien, dass es innerhalb des Landes unvermeidbar sei, dass deswegen die Organisation ins Ausland müsse bzw. die Probleme dort eventuell lösbar seien, und dass wir ansonsten scheitern könnten.“
Öcalan ging im Juni 1979 zusammen mit Ethem Akçam, der in Syrien Verwandte hatte, nach Syrien.

Kurz vor dem Putsch
Nach Gesprächen mit Organisationen aus Palästina bot sich Öcalan die Möglichkeit, die Kader dort auszubilden. Bayık, der auf Anweisung Öcalans 250 Leute nach Syrien schicken sollte, berichtet: „Wir kamen zu dem Schluss, keine 250 Freunde zu schicken, die der Vorsitzende Apo wollte, da wir dann über keine Aktivitäten (in der Türkei) mehr verfügt hätten. Aus dem Grunde konnten wir die Anweisung nicht ganz ausführen.
Dokumente, die der Staat in die Hände bekam, zeigten ihm, dass er vor einer Sache stand, mit der gar nicht gerechnet worden war. Die PKK hatte den Weg ins Ausland gefunden, ihre Kader dort ausgebildet und wieder zurückgeschickt. Diese Informationen waren sehr wichtig für den Feind. Er musste auch unbedingt Maßnahmen dagegen treffen. Ansonsten hätte er die PKK nicht zerquetschen und seine Ziele nicht erreichen können. Der Putsch hatte seinen Grund auch darin.“

Kemal, Hayri und Mazlum werden festgenommen
Als der Putsch am 12. September 1980 mit Hilfe der USA stattfand, hatte es die PKK schon geschafft, einen wichtigen Teil ihrer Kader ins Ausland zu bringen. Die Kader, die zurückblieben, wurden großteils verhaftet. Unter ihnen waren hochrangige PKK-Vertreter wie Kemal Pir, Mehmet Hayri Durmuş und Mazlum Doğan. Trotz der Härte des Putsches war Öcalans Bewertung: „Der Putsch streifte unsere Haare.“
Die Militärjunta zwang die PKK, genau wie die Türkei, in eine neue Phase.

Fußnoten:
(1) gegen eine Gewerkschaftskundgebung auf dem Istanbuler Taksim-Platz, Dutzende Tote
(2)Pogrom mit Hunderten Toten
(3)Vorsitzender der „Partei der nationalistischen Bewegung“ (MHP), Gründer der faschistischen „Grauen Wölfe“, zeitweise Regierungskoalitionär

Ergenekon
ISKU | Informationsstelle Kurdistan