Licht am Horizont
Annäherungen an die PKK
V. Rolle der Führung in geschichtlichen und revolutionären Prozessen
V.6.3. Fähigkeiten und Charaktereigenschaften
V.6.4. Einige Methoden, Selbstbild und Sprache
V.6.5. Abdullah Öcalan zu seiner Entwicklung

V.6.4. Einige Methoden, Selbstbildnis und Sprache

Bisher wurde einiges zur Denk- und Arbeitsweise von Abdullah Öcalan erläutert. Einige weitere offensichtliche Charakteristiken seiner Methode seien hier nur noch kurz angerissen: zum einen bedeutet der Anspruch der Kollektivität in diesem Zusammenhang die Herstellung einer möglichst breiten (Partei-) Öffentlichkeit und Transparenz. Dies scheint uns ein wesentlicher Unterschied zum traditionellen Politik und Führungsverständnis, insbesondere im mittleren Osten. Statt sich über seine Vermutungen, Überlegungen und Wahrnehmungen bezüglich der nächsten taktischen Schritte nur in einem engen, internen Beraterkreis auszutauschen, strebt der PKK-Parteivorsitzende die Nachvollziehbarkeit seiner gedanklichen Arbeit an. Das bedeutet gleichzeitig, daß er dem Parteikollektiv neue Sichtweisen eröffnet, sich dazu wohl auch besonders gefordert fühlt, weil bei ihm alle Informationsstränge des Kampfes zusammenlaufen. Eine weitere wichtige Methode ist die auf Klasseneigenschaften zurückführende Analyse von Persönlichkeitsstrukturen innerhalb der eigenen Bewegung, insbesondere in Konfliktfällen. Während die für solche Fälle vorgeschriebenen Mechanismen in Gang gesetzt sind, übernimmt Abdullah Öcalan die Funktion, gleichzeitig das Problembewußtsein der Mitglieder der Partei zu schärfen, wie auch dazu zu befähigen, daß die Maßstäbe der Bewertung des Konfliktes verallgemeinert werden, daß kein Einzelner sich selbst aus der Kritik ausschließen kann. Hier muß grundsätzlich angemerkt werden, daß Kritik an Einzelnen, das Versagen Einzelner, immer und gleichzeitig als ein Versagen des jeweiligen Kollektivs gewertet werden. Auch dies ist ein wesentlicher Faktor, der Opportunismus verhindert - und Ausdruck der radikalen Linie der Partei.

Soweit wir feststellen konnten und es uns auch von kurdischen Genossinnen geschildert wurde, ist Abdullah Öcalan ein Mensch der sich selbst immer wieder diszipliniert und seine Wirkung auf andere, insbesondere auf das eigene Volk und die eigene Partei ständig kontrolliert. Er ist auch dazu in der Lage, seine eigene Rolle kritisch in Frage zu stellen, die Wirksamkeit seiner Methoden anzuzweifeln, um sie so immer wieder grundsätzlich erneuern zu können und veränderten Bedingungen gerecht zu werden. Darüber hinaus gibt sich Abdullah Öcalan immer wieder als 'Mensch' zu erkennen - wenn dies auch nur kurze Momente der eigenen Entspannung sind, geschehen sie doch ebenso wie die große Politik in der Öffentlichkeit. Im folgenden drucken wir einen Text ab, den Abdullah Öcalan im September 1995 in freier Rede als Vorwort für ein in Bulgarien erscheinendes biographisches Buch über seine Person verfaßt hat. Wir haben uns dafür entschieden, weil darin zum einen die Verknüpfung von persönlicher und politischer Entwicklung sowie auch die Entwicklung Abdullah Öcalan hin zur jetzigen Führungsrolle deutlich wird.

Zum anderen ist diese Rede, die wir nur leicht gekürzt und bearbeitet haben, ein Beispiel für den Denk- und Sprachstil des PKK-Parteivorsitzenden, soweit dieser in einer Übersetzung kenntlich werden kann. Dieser persönliche Stil, der in der türkischen Sprache kein Vorbild hat, ist unter anderem gekennzeichnet durch häufige Perspektivwechsel, eine assoziative Denkweise, einen eigenen Wortschatz und eigenen Wortneubildungen, oft eingeschobene längere Exkurse zu bestimmten Stichworten und durch eine Textstrukturierung anhand rethorischer Fragen.

Uns ist klar, daß dieses Thema der weiteren Untersuchung und wissenschaftlichen Klarstellung bedarf, ohne die nichts Endgültiges zur Wirkung von Abdullah Öcalan gesagt werden kann. Dies verstehen wir auch gleichzeitig als Aufforderung, diese Forschung und vor allem praktischen Annäherung an Abdullah Öcalan und die PKK fortzusetzen.