Im folgenden sollen einige der Fähigkeiten von Abdullah Öcalan beschrieben werden, die am deutlichsten erkennbar sind und seine politische Wirksamkeit entscheidend beeinflussen. Dabei ist nach der relativ kurzen Zeit, die uns für direkte Kontakte beziehungsweise Beobachtung zur Verfügung stand, noch nicht zu unterscheiden, welche der Fähigkeiten und Charaktereigenschaften schon relativ früh vorhanden und welche sich erst im Lauf der politischen Entwicklung herausbildeten. Das ist auch deshalb schwierig, weil die verschiedenen Fähigkeiten von Abdullah Öcalan sehr vielschichtig und komplex zusammenwirken, da er sich selbst in einem kontinuierlichen Denk-und Erkenntnisprozeß befindet. Zu den kognitiven Fähigkeiten gehört zunächst ein sensibles Gespür für Situationen - und zwar auf den verschiedensten Ebenen: sei es für die Situation eines einzelnen Menschen, einer Gruppe oder eines ganzen gesellschaftlichen Bereiches oder Landes.

Die hier benötigten analytischen Fähigkeiten haben ihre Basis in einer äußerst intensiven, konzentrierten Form der Informationsaufnahme: sie ist zum Beispiel in Dialogen zu beobachten, die Abdullah Ocalan mit Menschen verschiedenster sozialer und nationaler Herkunft führt. Darin läßt er sich ganz auf sein Gegenüber ein, erfaßt deren/dessen gesamte äußerliche Ausdrucksformen, ihre/seine Ausstrahlung, und konfrontiert ihn gleichzeitig mit oft recht überraschenden Fragen oder provozierenden Ansichten. Anhand der Antworten und Reaktionen überprüft Abdullah Öcalan sein Bild vom anderen Menschen und ergänzt oder verändert es. Das wird von seiner Bereitschaft und seinem Bedürfnis unterstützt, aus jeder Situation, von jedem Menschen möglichst viel zu lernen. Dieser Vorgang vollzieht sich täglich einige dutzend Male, parallel dazu analysiert der Parteivorsitzende der PKK, wie schon angedeutet, umfassendere soziale und politische Prozesse und greift gleichzeitig in sie ein. (Es ist fast schon überflüssig zu bemerken, daß hierfür ein phänomenales Gedächtnis notwendig ist bzw. zwangsläufig entwickelt wird - auch, da Abdullah Öcalan in der Öffentlichkeit ohne schriftliche Notizen arbeitet.) Diese jahrelang praktizierte Arbeitsmethode hat die nochmalige Konsequenz, daß der innere Zusammenhang und die Entwicklungsmöglichkeiten von politischen und sozialen Prozessen schnell erfaßt werden können; es entstand in ihm eine Fähigkeit zur Voraussicht. Die offensichtlichen politischen Erfolge lassen den Schluß zu, daß diese Denk- und Kommunikationsprozesse so gut wie ohne Unterbrechung ablaufen und damit einer hochentwickelten Konzentrationsfähigkeit bedürfen.

Dieses ständige Bereitsein wurde wohl auch aus der Erkenntnis entwickelt, daß der Gegner nie unterschätzt werden darf, daß er ständig in verschiedener Form präsent ist, also auch in jedem Punkt eigener Schwächen, eigenen Nachlassens.

Es wurden schon einige der sozialen Fähigkeiten Abdullah Öcalans genannt. Eine der wichtigsten ist diejenige sich auf jeden Menschen einzulassen, dem/der anderen zugleich das eigene Menschsein offenzulegen, also kommunikationsfördernd zu wirken.

In der Intensivität des eigenen Denkens und Lebens, das in vielerlei Beziehung öffentlich gemacht wird, ist das Bedürfnis nach Kollektivität abzulesen, dem, wie schon angedeutet, auf dem von Abdullah Öcalan erwarteten und geforderten Niveau nur selten entsprochen wird.

Da er diesem Anspruch jedoch für sich als eine Art 'revolutionäre Bringpflicht' betrachtet, ist er in seinen sozialen Beziehungen zu einer Ernsthaftigkeit und gleichzeitig einer Ungezwungenheit, Natürlichkeit und Wärme fähig, die seine Wirkung auf andere verstärkt - in der Form, daß es in der Regel schwer fällt, sich dem Einfluß seiner Begegnungen zu entziehen.

Eine der wichtigsten Charaktereigenschaften von Abdullah Öcalan ist seine Willenskraft. Sie widerspiegelt sich unter anderem darin, daß er um so größere Anstrengungen zur Lösung eines Problems entfalten kann, je komplizierter dieses sich darstellt beziehungsweise je stärker der Gegner ist. Ein weiterer Aspekt ist seine Orientierung auf Erfolge. Bei der eigenen Arbeit - daß also jede Mühe zu einem Ziel führen muß, da sie sonst verschwendet ist. Die dabei abgeleitete Konsequenz in jedem Schritt des eigenen Denkens und Handelns schließt - verbunden mit der dialektisch-materialistischen Weltanschauung - weiterhin zwingend eine hohe Flexibilität mit ein: die Fähigkeit, einmal gewonnene Erkenntnisse schnell zu reflektieren beziehungsweise zu verwerfen, wenn objektive Entwicklungen das nötig machen.