Licht am Horizont
Annäherungen an die PKK
V. Rolle der Führung in geschichtlichen und revolutionären Prozessen
V.1. Geschichtlicher Überblick
V.1.1. Menschwerdung und Entstehung der Klassen

V. Rolle von Führung in geschichtlichen
und revolutionären Prozessen

V.1. Geschichtlicher Überblick

Warum beschäftigen wir uns mit der Führung geschichtlicher Prozesse? Könnte uns deren Neubewertung unter diesem Aspekt aus der Defensive bringen? Könnte so der lähmende Widerspruch zwischen noch vorhandenen analytischen Fähigkeiten und fast verlorener Handlungsfähigkeit, das angespannte Starren des Kaninchens auf die Schlange, produktiv überwunden werden?

Kann uns die Einsicht in Führungsmechanismen früherer herrschender Klassen nützliches Wissen für die eigenen Kämpfe vermitteln?

Wir haben bei unserem Aufenthalt hier, beim Kennenlernen des theoretischen Verständnisses der PKK, beobachten können, daß ihre Vertreter anders und in der Regel unbefangener mit Geschichte umgehen, mehr für Interpretationsmöglichkeiten offen sind, als dies in linken wie bürgerlichen etablierten Kreisen in der BRD im allgemeinen üblich ist. Dahinter steht zum einen ein anderer regionaler und historischer Kontext, zum anderen ist die Annäherung an Geschichte viel mehr davon geprägt, diesen Prozeß für möglichst für jeden nachvollziehbar und transparent zu machen. 'Für jeden', das heißt also nicht in Führungs- und Beraterzirkeln einer möglichen Politbürokratie, sondern zum Beispiel in den dutzenden Lektionen eines Lehrgangs, der erfahrene Guerilla-Kommandantinnen, langjährige politische Gefangene, jugendliche ERNK--Arbeiterinnen aus den türkischen Metropolen und politische 'Neulinge' aus Westeuropa, wie aus kurdischen Dörfern vereinigt, all diesen Menschen zugleich. Ihnen soll - in verschiedenen Formen, aber in immer ausgedehnterem Maßstab, entsprechendes Geschichtswissen und vor allem -verständnis nahegebracht werden. Dabei wird immer wieder versucht, die Geschehnisse auf Klassenlinien zurückzuführen, worunter nach Auffassung der PKK auch die Rolle der Persönlichkeit zu behandeln ist. Klassenauseinandersetzungen und kämpfe werden auch innerhalb des Denkens und Handelns von Individuen gesucht und nachgewiesen.

Weil uns dieser Ansatz interessant erscheint und angesichts der im weiteren ausgeführten initiierenden und unbestreitbar führenden Rolle der PKK für den revolutionären Prozeß in Kurdistan, wollen wir eine entsprechende geschichtliche Betrachtung versuchen und deren Ergebnisse in der Verallgemeinerung mit der von der PKK so benannten 'Führungsrealität' zusammenführen.

Es bleibt anzunehmen, daß dieser geschichtliche Abriß unter den Bedingungen absoluten Quellenmangels entstand. Es soll jedoch darin nicht um umfassende historische Darstellungen gehen, sondern darum, sich in neuen Diskussionsprozessen der eigenen historischen Herkunft und den Wurzeln der bestimmenden Ideologien anzunähern, sie sich produktiv anzueignen und Geschichte wieder handhabbar zu machen.

Eine These: Der Faktor der Führung als treibendes Element im Kampf gesellschaftlicher Widersprüche, als Motor von historischen Entwicklungen, ist eine nicht zu überseheende Realität. Wird dies akzeptiert, stellt sich die Frage, wie Führung entsteht, wie sich ihre einander bedingenden subjektiven und objektiven Elemente herausbilden und wie sich ihre gegenwärtigen Formen entwickelten.