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Que Se Vayan Todos

- Argentinas Popular Uprising -


Ein Augenzeugenbericht des finanziellen Zusammenbruchs und der fortschreitenden Grasswurzelrebellion

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Das Unvorhersagbare vorhersagen

"Die Nichtachtung der Politiker und der Wirtschaftseliten ist vollständig", sagt José Luis Corragio, der in der Bewegung aktive Rektor einer Universität in Buenos Aires. "Keiner von Ihnen kann, wenn er erkannt wird, über die Strasse laufen ohne beleidigt und bespuckt zu werden. Es ist unmöglich vorherzusagen was passieren wird. Nächsten Monat oder nächste Woche könnte Duhaldo abgesetzt sein, wir könnten in einem Zustand von Chaos sein oder wir könnten ein neues Land aufbauen, das mit der neoliberalen und kapitalistischen Orthodoxie bricht."
Mit der kapitalistischen Orthodoxie zu brechen ist, was die Unterstützer des globalen Kapitalismus am meisten fürchten. Letztes Jahr verursachte Fridel Castro einen Sturm diplomatischer Entrüstung als er Argentinien vorwarf,"den Yankee-Stiefel zu lecken". Jetzt ist dieser Stiefel über Argentiniens Gesicht, und er wird sicher beginnen zuzutreten, wenn die Regierung keinen Weg findet den Forderungen des globalen Kapitals zu entsprrechen und wieder zu ihrem Geschäft, dem Lecken, zurückkehrt.
Wie auch immer, die Regierung ist in einer Zwickmühle - sebst wenn sie einen Funken von Legitimität, den sie aber offensichtlich nicht hat, hätte, könnte sie unmöglich beidem, den Hoffnungen der Bürger und den Forderungen, die der IWF geltend macht, entsprechen. Was kann sie also tun?
Traditionelle Rezepte scheinen wertlos, da die Währung des Landes ständig an Wert auf den ausländischen Wechselmärkten, verliert. Die Leute stehen stundenlang vor Wechselstuben an und versuchen verzweifelt ihre Pesos in Dollar zu tauschen, bevor ihr Geld wertlos wird. Die Regierung ersuchte ebenfalls verzweifelt den Schein, das sie die Kontrolle habe, zu wahren und begrenzte den Wechselkurs, was den IWF aber noch wütender machte, da dies eine weitere künstliche Kontrolle des Marktes darstellt. Als Antwort sagt Dough Smith, Analytiker an der Wall Street:"Das Einzige, was dies stoppen kann, mit einigen glaubwürdigen Ankündigungen zu kommen und den IWF hinter sich zu bringen anstatt immer zu versuchen Pflaster auf jede Situation zu kleben." Noch sind keine glaubwürdigen Ankündigungen zu machen und die Wunden sind zu tief für Pflaster.
Eine bestimmte Art zu sprechen ist in der letzten Zeit zum allgemeinen Umgangston geworden. Der Chef des IWF, Horst Köhler erklärte, dass: "...ohne Schmerz [Argentinien] nicht aus der Krise herauskommt". Präsident Bush forderte Argentinien auf "harte Aufrufe" zu machen und nicht vorher schon an die heißersehnte Finanzhilfe zu denken, Präsident Duhalde sagte selbst, dass die Dinge noch viel schlechter werden, bevor sie besser werden.
Bilden diese harten Worte das Fundament eines Militärputsch? Imerhin hatte Argentinien im vergangenen Jahrhundert einen ausreichenden Anteil davon. Betrachtet man aber die, von den Jahrzehnten der Diktatur zurückgebliebene Illegitimität des Militärs, so scheint diese Option unwahrscheinlich, ausserdem will niemand, nicht einmal das Militär, die Macht und die derzeitige Situation übernehmen. Tatsächlich scheinen auch in dessen Reihen die Meinungen auseinanderzugehen - ein Offizier erklärte Journalisten: "Selbst wenn sich die Lage zu Anarchie oder Bürgerkrieg entwickelt, wird, wenn sie mich nach einem Eingreifen fragen, meine Hauptsorge sein, dass meine Befehle von meinen Männern befolgt werden."
Wahrscheinlicher als ein erneuter Putsch oder eine Invasion einer vom CIA unterstützten Truppe um"die Ordnung wiederherzustellen" (gängige Praxis in der Geschichte Lateinamerikas) ist, dass eine andere Form, eine Intervention von aussen, angestrebt wird. "Jemand muss dass Land mit festem Griff lenken", schreiben zwei Wirtschaftsprofessoren in einem, brilliant mit "Argentinien kann man nicht trauen" betitelten Financial Times Artikel. Der Artikel schlägt weiterhin vor, dass Argentinien "seine Souveränität über alle, die Finanzen betreffenden, Entscheidungen abgibt", es muss:" ...radikale Reformen und ausländische Hände auf Kontrolle und Beaufsichtigung der Finanzausgaben, des Gelddrucks und der Verwaltung der Steuern" akzeptieren, am besten durch eine "...Kommision ausländischer Zentralbankiers" aus "...kleinen, nicht interessierten Ländern". Anders ausgedrückt: es wäre das Gleiche, wenn dänische, belgische und schweizer Bankiers kämen, um die Englische Zentralbank und die inländischen Steuereinnahmen zu verwalten. Trotz schockierender Umfrageergebnisse, die besagen, dass 47% der Bevölkerung zustimmen, dass weite Teile der argentinischen Regierung ausländischen Experten anzuvertraut werden sollten, gibt es den Banken gegenüber, so grosses Misstrauen, dass es unwahrscheinlich scheint, dass die Ankunft weiterer ausländischer Bankiers die Nerven der Leute beruhigt. Wie Enrique Garcia, Präsident der Andean Development Bank, kürzlich sagte: "Die Leute in den Straßen fühlen, dass der Bankensektor statt Teil der Lösung zu sein Teil des Problems ist."
Die Stimmung auf der Strasse und in den Versammlungen ist die, dass die Menschen sich selbst regieren können. Eine weitere Umfrage hat ergeben, dass ein Drittel der Leute an einer Versammlung teilgenommen hat, und dass 35% der Leute sagen, die Versammlungen würden "eine neue Form von politischer Organisation" bilden. Der Wille nach direkter Demokratie und Selbstorganisation wurde von uns noch nie so stark empfunden, wie er es tat, als wir zusahen wie sich die Versammlungen an den langen warmen Abenden in Buenos Aires entfalteten. Präsident Duhalde mag sagen, es sei "unmöglich mit Versammlungen zu regieren" und glauben, dass "der demokratische Weg zu organisieren und zu partizipieren über die Wahl vollzogen wird", aber die Leute in Argentinien haben sich über die Praxis den wahren demokratische Gedanken selbst beigebracht und die empfindungs- und geistlosen Worte der Politiker treffen auf taube Ohren. Einen Abend, nach dem Besuch seiner örtlichen Versammlung, hat sich ein Mann mittleren Alters, der im Widerstand gegen die Militärdiktatur aktiv war, an uns gewandt und in einer weichen, zuversichtlichen Stimme gesagt: "Im letzten Monat haben wir mehr erreicht als in den letzten 40 Jahren. In vier kurzen Wochen haben wir uns genug Hoffnung gegeben, die nächsten 40 Jahre weiterzubestehen."
Also es gibt eine Alternative, trotz der blinden Hörigkeit der Regierung gegenüber den Forderungen des IMF. Argentinien kann sich entscheiden zwischen Souveränität und Besatzung, zwischen denlokalen Bedürfnissen der Leute und den globalen Interessen des Kapitals, zwischen Demokratie und Herrschaft, zwischen Leben und Geld, zwischen Hoffnung und Verzweiflung.

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