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Vom Selbstschutz zum Täterschutz

Liebe AAB,

Zunächst möchten wir vorausschicken, daß wir nicht die geschlechtsneutrale Form wählen, sondern Männer als Männer bezeichnen und Frauen als Frauen Damit wollen wir keinesfalls den Opferstatus der Frau zementieren, jedoch auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in diesem Papier über Vergewaltigung von Frauen durch Männer reden. Mit dem Problem der Vergewaltigung von Männern durch Frauen werden wir uns nicht auseinandersetzen, da wir diesem unter momentanen politisch-gesellschaftlichen Bedingungen keinerlei Relevanz beimessen.

Euren "Beitrag zu Sexismus" betrachten wir als Unverschämtheit. Ihr wurdet aufgefordert, zu einem konkreten Fall von Vergewaltigung, der von einem .konkreten Täter - einem zumindest damaligen Mitglied Eurer Organisation - begangen wurde, Stellung zu nehmen. So erstaunt es uns über alle Maßen nicht ein Wort zu dem konkreten Fall zu lesen. Wir tappen also' über die Frage, ob es sich für Euch bei Florian J. um einen Vergewaltiger handelt oder nicht, weiterhin im Dunkeln. Ebensowenig hat sich für uns erhellt, ob und welche Sanktionen ergriffen - äh Verzeihung, welche "Einwirkungen" durchgeführt wurden und mit welchem Ergebnis. So können wir bisher nur konstatieren, daß Euer gegebenenfalls durchgeführtes Einwirken bisher noch nicht einmal zu einer öffentlichen Stellungnahme des Täters geführt hat. Eure Bewertung des konkreten Falls und die Transparenz Eures Verhaltens hierzu steht also nach wie vor aus.

Statt dessen war Euch der konkrete Fall Anlass, Euch einmal grundsätzlich mit dem Themenkomplex Vergewaltigung und Täterschutz auseinanderzusetzen. Das ist nie verkehrt. Wir verstehen nur nicht warum das ein Jahr gedauert hat. Insbesondere, da der Inhalt Eures Diskussionspapiers völlig indiskutabel ist. Als Ergebnis eines angeblich einjährigen kontinuierlichen Diskussionsprozesses ist er erschreckend.

In Eurem Beitrag wendet Ihr Euch vor allem gegen das Definitionsrecht der Frau und dagegen, daß nach einem Outing die vergewaltigte Frau das Recht hat, Sanktionen gegen den Täter einzufordern. Dies zeigt für uns nichts weiter als die paranoide Angst des männlichen Spießers, daß jede x-beliebige Frau - aus reinem Spaß an der Freude, oder weil sie letzten Samstag bei Aldi den Kampf um den letzten Einkaufswagen gegen ihn verloren hat - mit dem Finger auf ihn zeigend "Vergewaltiger" sagen könnte und er müsste fortan sein Leben ohne Eier und Freunde fristen. Um diese entsetzliche Vorstellung im Bereich gruselig-schweißtreibender Alpträume zu belassen, ist für Euch "eine Darstellung des Vorfalls (!) unabdinglich".

Uns stellt sich die Realität nach wie vor völlig anders dar. Trotz angestrengtestem Nachdenken fiel niemand von uns auch nur ein Fall von Outing eines Vergewaltigers in der Szene ein, bei dem nicht auch die Tat konkret benannt wurde. Somit kann die Forderung nach "Darstellung des Vorfalls" wohl nur darin bestehen, von der Frau konkretere, noch konkretere, ganz konkrete Angaben zu bekommen und die Tat in all ihren Facetten zu erhellen. Wir wollen die ganze Story (lechz!). Und diese "ganze Story", muß dann von Euch hinterfragt, diskutiert und eingeschätzt werden, sonst könnt Ihr Euch ja überhaupt nicht verhalten. Was schlicht heißt, die Glaubwürdigkeit der Frau in Zweifel zu ziehen und Ihren eigenen Beitrag zum Geschehen zu diskutieren.

Und genau das ist es, was es vergewaltigten Frauen und ihren Unterstützerinnen nach wie vor äußerst schwer macht, überhaupt Täter zu outen, Auseinandersetzungen einzufordern, vom Einfordern von Sanktionen ganz zu schweigen. Für uns gibt es keine "ganze Story", die diskutiert werden muss. Die vergewaltigte Frau hat nein gesagt, er hat sie trotzdem getickt - das ist die ganze Story und sie trägt den Titel Vergewaltigung. Weitergehende Fragen wären, wenn überhaupt, an den Täter zu richten und sollten sich eher darauf beziehen, wieso er nicht in der Lage, ist das Nein einer Frau zu respektieren. Auseinandersetzungen über Vergewaltigung in der Szene sind fast immer durch Pragmatismus gekennzeichnet - die Angelegenheit grundsätzlich und der konkrete Fall besonders sollen möglichst schnell wegdiskutiert werden. Differenzieren bis nichts mehr bleibt. Für diesen allgemein beschissenen Umgang der Szene mit dem Problem Vergewaltigung liefert ihr seit über einem Jahr ein Paradebeispiel, mit Eurer "Neuen Sachlichkeit" setzt Ihr noch eins drauf. Euer Vergleich mit dem Rassismus der Szene hinkt nicht nur, er schlägt dem Fass den Boden aus. Wir hegen dennoch eine vage Hoffnung, daß bei Euch wenigstens Rassisten, die Ausländer aufklatschen, weil sie das als natürliches Verhatten eines Ariers empfinden, rausfliegen.

Nachdem für Euch das Definitionsrecht der Frau keine Grundlage darstellt, das Problem Vergewaltigung zu managen, habt Ihr also endlich die "subjektive Empfindung" der Frau durch eine "verallgemeinerbare", "objektive Definition" ersetzt: "Vergewaltigung ist eine m'rt physischer oder psychischer Gewalt oder unter Androhung dieser herbeigeführte sexuelle Handlung ... Dem Opfer bleibt die Möglichkeit, sich dem Zugriff zu entziehen, in Folge von physischer Unterlegenheit und/oder unter Ausnutzung starker Abhängigkeitsverhältnisse verwehrt."

Definitionen sind wunderbar - sie suggerieren, dass jetzt alles klar und objektiv sei. Für uns hat sich mit dieser Definition nichts bezüglich Vergewaltigung erhellt. Wurde eine Frau nur vergewaltigt, wenn sie sich (mannhaft) körperlich zur Wehr gesetzt hat, jedoch in einem zähen und ausdauernden Kampf unterlegen ist? Was sie gegebenenfalls mittels Blutergüsse und gebrochener Rippen nachzuweisen hätte. Was versteht ihr unter psychischer Gewalt? Offensichtlich nicht das Ignorieren eines "Nein"s! Was wäre unter "starken Abhängigkeitsverhältnissen" zu verstehen? Unsere Definition von Vergewaltigung ist einfacher. Vergewaltigung verletzt die physische und psychische Integrität der Frau. Somit ist Vergewaltigung Gewalt (egal mit welchen Mitteln sie durchgesetzt wird) und keine sexuelle Handlung. Sexualität ist nur das Vehikel, auf dem diese Gewatt fährt. Erhellt hat uns Eure Definition jedoch Eure Haltung zu vergewaltigten Frauen. Mit Eurer Definition zementiert Ihr Opferstatus der Frau, um den Ihr Euch eingangs noch so rührend besorgt zeigtet. Aus Eure' Definition springt uns das perfekte Opfer entgegen: ganz unten und völlig abhängig, hilf- und wehrlos. Erneut liegt auch hier die Beweislast auf Seiten der vergewaltigten Frau - sie hätte nicht nur zu beweisen, daß ihr Wille missachtet wurde, sie müsste beweisen, daß sie eben jenes perfekte Opfer ist. Euch zu erklären, wieso Frauen angesichts dieser Zumutung nein danke sagen und von zweiter Vergewaltigung reden, übersteigt unsere pädagogische Bereitschaft, öffentliche Bibliotheken halten jedoch zum Themenkomplex einige empfehlenswerte Werke für Einsteigerinnen bereit.

Des Weiteren bestreitet Ihr das Sanktionsrecht von Frauen. Ob überhaupt sanktioniert wird und wenn ja wie, behaltet Ihr Euch vor. Nachdem Ihr nach einjährigem Diskussionsprozess darauf gekommen seid, dass es sich bei Vergewaltigung um ein gesellschaftliches Problem handelt (Danke! Wir gratulieren! Nach 30 Jahren Neuer Frauenbewegung habt Ihr soeben das Rad neu erfunden!) haltet Ihr den Rausschmiss eines Vergewaltigers für das letzte Mittel in besonders krassen oder völlig uneinsichtigen Fällen Alles andere wäre für Euch das Problem zu personalisieren und damit zu entpolitisieren. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle scheint es Euch angemessen, gemeinsam mit dem Täter als nicht ausgegrenztem Mitglied der Gruppe reflektierend und diskutierend auf ihn einzuwirken. In diesem gemeinsamen Diskussionsprozess sollte Eurer Ansicht nach eine Polarisierung in den guten und den schlechten Genossen vermieden werden - denn sind wir nicht alle ein bißchen sexistisch? Sind wir nicht alle ein bißchen Vergewaltiger? Männer wie Frauen ? (Wir wollen doch das Schema Frau = Opfer, Mann = Täter vermeiden!) Dies legt nahe, dass der Diskussionsprozess behutsam geschehen sollte, denn wie soll "der Beschuldigte" sich gemeinsam mit der Gruppe auf einen gegebenenfalls längeren und für ihn schmerzlichen Prozess der Veränderung einlassen, wie soll er sich öffnen und reflektieren, wenn er "stigmatisiert" wird? Hingegen ist bei adäquater Form des Einwirkens die Hoffnung berechtigt groß, dass der "Beschuldigte" nach eventuell schon zehn Marathongesprächen zugibt, dass das alles nicht so prall war. Das ist schön, er hat's verstanden und eingesehen und außerdem versprochen sich zu bemühen, das nicht wieder zu tun. Alle sind froh und glücklich, da sie solchermaßen nicht bei Lippenbekenntnissen stehen geblieben sind und das Problem an der Wurzel gepackt haben. Damit erweist Ihr Euch als die wahren radikalen im Geschlechterkampf, während andere - insbesondere wären hier wohl Frauen/Lesben zu nennen - es bei "Lippenbekenntnissen" belassen, völlig unpolitisch das Problem "personalisieren und entpolitisieren" in dem sie den Täter kurzerhand rausschmeissen wollen. Wobei selbstredend jegliche "gesamtgesellschaftliche Relevanz" des Problems auf der Strecke bleibt.

Wenn Rausschmiss aus unseren Zusammenhängen als Antwort auf Vergewaltigung das allerletzte Mittel sein soll, gewinnen wir den Eindruck, hier wird so getan als handle es sich um den Entzug jeglicher Lebensgrundlagen. Hiervon jedoch kann bei einem Rausschmiss wohl kaum die Rede sein. Wer den Rausschmiß eines Vergewaltigers nur als alterletztes Mittel begreift - im Normalfall genügen etwas Diskussion, Reflexion und Einsicht, dass das wohl so nicht richtig war - degradiert Vergewaltigung zum Kavaliersdelikt. Mann vergewaltigt eine Frau und sagt danach (natürlich nur wenn er geoutet wird) nach einigem Leugnen und Relativieren "ja war Scheiße" und alles ist gut. Vergewaltigung ist jedoch nicht eine einmalige Entgleisung unter dem Motto ein Bier zu viel oder Scheiß Tag gehabt und schlechte Laune, da passiert so was nu Mal. Vergewaltigung ist Ausdruck einer tiefsitzenden Haltung, die den vollen und das Selbstbestimmungsrecht der Frau selbst über ihren eigenen

Körper nebenbei mal eben so übergeht. Eine solche Haltung hat mann nicht mal kurz 5 Minuten lang wie einen Niesanfall. Damit gehen wir davon aus, dass ein geouteter Vergewaltiger vermutlich nicht zum ersten Mal zum Täter wurde und vor allem nicht aus ein paar Gruppendiskussionen als ganz neuer Mensch hervorgeht. Seine Metamorphose dürfte selbst unter professioneller Betreuung einige Jahre in Anspruch nehmen. Bis dahin ist er als Vergewaltiger für eine linksradikale Gruppe untragbar. Vor allem stellen wir Tätern, die zu Reflexion und Diskussion erst mit Zuckerbrot und Peitsche getrieben werden müssen ("Jetzt sag schon, daß es Scheiße war, dann darfst du bleiben") eine schlechte Sozialprognose. Sie stellen leider den Regelfall dar.

Einen Vergewaltiger aus unseren Zusammenhängen rauszuschmeißen stellt vor allem eine der wenigen Sanktionsmöglichkeiten, die wir als linke Zusammenhänge haben, dar. Hierauf müssen sich Frauen verlassen können. Wir erhoffen uns von Definitionsrecht der Frau und Sanktionen (mindestens Rausschmiss!) Ausstrahlungswirkung. Frauen sollen ermutigt, statt entmutigt werden, Vergewaltiger zu outen!

Des Weiteren missfällt uns nicht nur der Inhalt, sondern auch der ganze Stil der Auseinandersetzung in Eurem Beitrag maßlos. Kritik an Euch von Links ist Euch undenkbar, da es sie nicht geben darf. Das harmloseste ist, dass Ihr Szene konsequent in Anführungszeichen schreibt (wie damals der Westen die sogenannte "DDR"). Also etwas, was es eigentlich gar nicht gibt, was man nicht ernst nehmen muss, was für Euch keinesfalls irgendwie Orientierungsrahmen oder gar maßgeblich ist. Angesichts Eures weiteren Umgangs mit Euren Kritikerinnen kann man dies jedoch getrost unter Peanuts fallen lassen, Euer bevorzugtes Mittel, mit Kritikerinnen umzugehen, ist Diffamierung. Ihr fangt, gemessen an dem, was nachkommt, noch ganz soft an. Zusammenhängen, die Stellungnahmen und Sanktionen von Euch fordern, bescheinigt Ihr Bürgerlichkeit und unpolitische Haltung. Das ist zwar nicht besonders nett, wenn man Menschen, die sich als linksradikal verstehen, so etikettiert, doch angesichts dessen, wohin Ihr Euch dann versteigt, noch nachgerade freundlich. Wir alle hätten autoritäres und vorbürgerliches Gedankengut zumindest hingenommen. Die, die Euch Täterschutz unterstellen, rücken sich damit zumindest inhaltlich in gefährliche Nähe der Republikaner, denen noch vor uns der Täterschutz angeblich schwer an der Fettleber lag und die sich - darf man's glauben - mit uns um die Opfer sorgen. Am härtesten trifft's mal wieder Frauen/Lesben. Die propagieren ganz offen über Plakatserien und Interimartikel mit "Dead men can't rape" und "Wir kastrieren auch ohne Chip-Kartei". Deren Geisteshaltung seht Ihr damit direkt bei der NPD angesiedelt. (Die Kampagne zur Wiedereinführung der Todesstrafe für Kinderschänder und Vergewaltiger war eine NPD-Kampagne von vor 2 Jahren.) Bleibt für uns eigentlich nur noch die Frage, seit wann Ihr so empfindlich gegenüber markigen, prägnanten Parolen seid.

Bereits vor dem Outing eines bei Euch organisierten Vergewaltigers wurdet \h( aufgefordert, Euch mit Sexismus auseinanderzusetzen. Dies habt Ihr kontinuierlich mit der Begründung abgelehnt, dass diese Diskussion regelmäßig linke Gruppen sprenge. Wir gehen davon aus, dass wer Jugendarbeit macht und an die Veränderbarkeit des Menschen glaubt, daran auch arbeiten muss. Eine sensible Diskussion zu Sexismus steht bei Euch offensichtlich noch aus.

Sexismus ist für uns kein Nebenwiderspruch. Für uns ist Antisexismus neben Antirassismus eine der Grundlagen der Antifa-Arbeit. Mit dieser Aussage wollen wir uns nicht allzusehr beweihräuchern und mit Lorbeer bekränzen. An kontinuierlicher Auseinandersetzung zum Thema haben wir die üblichen Defizite gemischter Gruppen - sie sind immens. Das einzige, was wir damit ausdrücken wollen, ist, dass Antisexismus für uns einer der Gründe ist warum wir die ganze Scheiße machen. So viel Spaß macht es nämlich oft nicht, den Nazis hinterherzurennen.

Am Schluss Eures Positionspapiers schreibt Ihr, dass es für Euch Grenzen gibt, an denen Ihr es nicht mehr leisten könnt öderes für falsch haltet, weiterhin auf eine Person einzuwirken. Wo diese Grenze liegt, benennt Ihr nicht.

Für uns sind diese Grenzen Euch gegenüber überschritten. Ihr wollt Vergewaltigungen von der vergewaltigten Frau detailliert geschildert haben, Ihr entlastet die Täter, Ihr lehnt Sanktionen gegen Täter weitestgehend ab. Kurz:

Die AAB betreibt massiv Täterschutz!

Wir fordern alle AAB-Mitgliederinnen, denen es mit Antisexismus ernst ist, auf, aus der AAB auszutreten!

AAB-Mitgliederinnen, denen es mit Antisexismus ernst ist und die sich immer noch nicht von der AAB lösen können, fordern wir auf, die ausstehende Diskussion um Vergewaltigung und-Sexismus endlich durchzusetzen und sich öffentlich kritisch zu äußern!

Bis die AAB glaubhaft in der Lage ist, die auf der linksradikalen Szene formulierten Minimalstandards bezüglich Antisexismus zu akzeptieren und einzuhalten, fordern wir alle linken Zusammenhänge, insbesondere Antifa-Gruppen auf, die AAB zu boykottieren!

Keine Bündnisse mit der AAB, keine Lautsprecherwagen, kein kostenloses Drucken, keine Zurverfügungstellung von Räumen!

Antifaschistische Gruppe im Prenzlauer Berg - AGiP

PS.: Wir begrüßen aufs schärfste den Beitrag der "Nestbeschmutzerinnen" AAB in der Interim Nr. 495, wäre die Interim vor Fertigstellung unseres Papiers herausgekommen, wären unsere Formulierungen doch etwas schärfer ausgefallen. .

Quelle: Interim 497

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