AZADI  RECHTSHILFEFONDS
für Kurdinnen und Kurden in Deutschland e.V.

Pressemitteilung

 

4. Januar 2019

Termine, Verfahren und Gefangene

Salih KARAASLAN: Urteilsverkündung

Nachdem im §129b-Verfahren gegen den kurdischen Politiker Salih Karaaslan am 08. Januar 2020 die Plädoyers erfolgen, wird der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart am 15. Januar das Urteil verkünden. Herrn Karaaslan wird vorgeworfen, sich an einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ betätigt zu haben und als „hauptamtlicher Kader“ zwischen Juli 2016 und Juni 2018 das PKK-Gebiet Freiburg geleitet zu haben. Seine Verteidigerin, Rechtsanwältin Anna Busl, hatte schon zu Beginn der Hauptverhandlung am 17. April 2019 einen umfangreichen Einstellungsantrag gestellt und die Entwicklung in der Türkei – insbesondere 2016/2018 – aufgezeigt: Umbau des Staates zu einer Diktatur, Aufkündigung des Friedensprozesses durch das Regime sowie die folgenden Militärangriffe gegen die kurdische Bevölkerung und die Volksverteidigungseinheiten YPG/YPJ in Nordsyrien. Zugleich forderte sie die Rücknahme der durch das Bundesjustizministerium erteilten Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung ihres Mandanten. Diese sei willkürlich und der türkische Staat kein geeignetes Schutzobjekt. Außerdem dürfe das Strafgesetzbuch nicht angewendet werden, weil es sich um einen vom türkischen Staat verursachten internationalen Konflikt im Sinne des Völkerrechts handele.

Die Urteilsverkündung findet am 
15. Januar 2020, um 9.00 Uhr im OLG, Olgastraße 2 in Stuttgart

statt. 

 

Brüsseler Verfahren

Am 14. Januar 2020 wird der Kassationshof in Brüssel eine bedeutsame Entscheidung treffen über die grundlegende Frage, ob sog. Terrorismus-Verfahren gegen Kurd*innen nach belgischem  Recht überhaupt stattfinden können.

Seit Jahren schon beschäftigt sich die belgische Justiz durch mehrere Instanzen mit Verfahren gegen kurdische Exilpolitiker*innen und Mitarbeiter*innen kurdischer Medienunternehmen. Hintergrund waren Razzien in Brüssel, die die Polizei 2010 in den Büros des Kurdischen Nationalkongresses (KNK) als auch in den Produktionsstätten des kurdischen Fernsehens durchführte. Im Zuge dieser Durchsuchungen wurden nicht nur Dokumente und technisches Gerät in großem Umfang beschlagnahmt, sondern auch etliche Kurdinnen und Kurden zumindest vorübergehend festgenommen. Die Ermittlungen mündeten in einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft gegen insgesamt 40 Personen. Allen unterstellte sie, an Taten einer „terroristischen“ Organisation – hier die PKK gemeint  - beteiligt oder in ihr verantwortlich tätig gewesen zu sein.

Am 8. März 2019 fand eine Verhandlung vor dem Revisionsgericht in Brüssel statt. Es ging und geht um die zentrale Frage, ob das Verfahren bezogen auf das Antiterrorgesetz nach geltendem belgischen Recht, aber auch mit Blick auf europäisches Recht , überhaupt eröffnet werden kann.

Das Gericht hatte sich – auf der Basis umfangreicher Anträge der Verteidigung – intensiv mit den politischen Hintergründen des seit bald einhundert Jahren ungelösten türkisch-kurdischen Konfliktes auseinandergesetzt. Es kam zu dem Ergebnis, dass es sich hier um einen bewaffneten innerstaatlichen Konflikt handelt, bei dem die PKK bzw. die Volksverteidigungskräfte (HPG) als e i n e  Seite zu werten seien und nicht als terroristische Organisationen. Die Richter argumentierten zudem mit dem Zusatzprotokoll des Genfer Abkommens, wonach Freiheitskämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung anzuerkennen sind. Weil die PKK auf europäischem Boden keine militärischen Angriffe führe, sei das Antiterrorgesetz nicht anwendbar.

Aus diesen Gründen könnten die Verfahren nicht eröffnet werden.

Weil die Staatsanwaltschaft hiergegen Berufung einlegte,  muss das oberste belgische Gericht nun am 14. Januar entscheiden.

 

Politisch motivierte Verfahren und Gefangene

Mit Beginn des neuen Jahres befinden sich sechs kurdische Aktivisten wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“  (§§ 129a/b StGB) in Untersuchungs- und zwei in Strafhaft. Der Haftbefehl einer kurdischen Aktivistin wurde im Dezember 2019 außer Vollzug gesetzt, das Verfahren vor dem OLG Stuttgart-Stammheim wird jedoch weitergeführt. Die nächsten Termine: 10., 17., 23., 24. 30. und  31. Januar 2020,  jeweils 9:00 Uhr, Asperger Str. 60.

Gegen eine weitere – nicht inhaftierte – Kurdin läuft der Prozess vor dem Kammergericht in Berlin seit dem 25. Oktober 2019.

Vor dem OLG Stuttgart-Innenstadt endet ein Verfahren am 15. Januar (s.oben), vor dem OLG Stuttgart-Stammheim laufen die §§129a/b-Prozesse seit April 2019 gegen drei inhaftierte Angeklagte und zwei, die sich auf freiem Fuß befinden.

Zwei kurdische Aktivisten wurden im Juni bzw. August 2019 verhaftet und in U-Haft genommen.  Laut Beschluss des Staatsschutzsenats des OLG Koblenz vom 27. November 2019 ist die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft gegen einen von ihnen zugelassen. Ein Eröffnungstermin steht noch nicht fest.

Außerdem war Anfang März 2019 der Kurde Cerkez K. aufgrund eines Ersuchens der deutschen Justiz (OLG Hamburg) auf der Insel Zypern fest- und in Auslieferungshaft genommen worden, weil er in den Jahren 2013/14 angeblich in Deutschland für die PKK tätig gewesen sein soll. Im Frühsommer entschied das Gericht in Larnaka, eine Auslieferung von Cerkez K. abzulehnen. Nicht zuletzt wegen seines Verteidigers aus Deutschland, der die Gelegenheit erhalten hatte,  in einer mündlichen Anhörung ausführlich die Dimension der Kriminalisierung von Kurd*innen hier schildern konnte.

 

AZADÎ unterstützte

Im vergangenen Jahr hat AZADÎ Menschen unterstützt, die aus unterschiedlichen Gründen von straf- oder verwaltungsrechtlichen Verfahren betroffen waren. Entschieden wurde über 82 eingereichte Unterstützungsanträge und ein  Gesamtbetrag von 24.248,98 Euro bewilligt.

Die politischen Gefangenen erhielten 2019 Einkaufsgeld in einer Höhe von 18.000,– Euro.

Diese Unterstützungsleistungen waren möglich durch Mitgliedsbeiträge, anderweitige kontinuierliche  Zuwendungen und Spenden.

Hierfür möchten wir uns sehr bedanken.

 

Ausblick 

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte im Mai 2019 bei der Vorstellung der „Statistik politisch motivierter Kriminalität“ u.a.:  „Mit dem militärischen Vorgehen der Türkei wurden ‚die Kurden‘ stärker als in der jüngeren Vergangenheit in den Augen der Öffentlichkeit als Opfer wahrgenommen.“  Das habe zwar zu einer „sensiblen außenpolitischen Situation“ geführt, doch bleibe „die langfristige ganzheitliche Bekämpfung der in Deutschland trotz des hier vorliegenden Betätigungsverbots weiterhin agierenden Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oberstes Ziel.“

So wurde aufgrund eines Haftbefehls des BGH  am 2. Januar des neuen Jahres der kurdische Aktivist Gökmen C. am Flughafen Frankfurt/M. durch Beamte der Bundespolizei festgenommen und am folgenden Tag dem Ermittlungsrichter zur Eröffnung des Haftbefehls vorgeführt. Er wird beschuldigt, als „hauptamtlicher Kader“ der PKK verschiedene Gebiete und Regionen verantwortlich geleitet zu haben (§§129a/b StGB). In diesem Rahmen sei er für organisatorische, personelle und propagandistische Angelegenheiten zuständig gewesen, habe Veranstaltungen und Versammlungen veranlasst sowie Spendensammlungen koordiniert.

Damit hat auch diese Bundesregierung ihre Haltung bekräftigt, sich weiterhin an die Seite des türkischen Regimes zu positionieren und dessen antikurdische, antidemokratische und völkerrechtswidrige Politik zu unterstützen – Opfer hin, Opfer her.

Aufgabe aller demokratischen Kräfte wird es auch 2020 sein, dieser rücksichtslosen, von Interessen geleiteten Politik eine klare Absage zu erteilen. Deshalb werden die Forderungen nach Aufhebung des PKK-Verbots, der Streichung der §§129, 129 a/b, der Einstellung der politischen Verfahren und der Freilassung der politischen Gefangenen auch in diesem Jahr auf der Agenda stehen.

 

   

 
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