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Bürgerrechtsorganisationen beginnen EU-weite Kampagne gegen unkontrollierten Daten- und Informationstransfer
Unter dem Motto „Hol dir deine Daten zurück“ startete am 1. Oktober in Berlin eine EU-weite Kampagne gegen Datenmissbrauch. Organisationen aus der gesamten EU rufen dazu auf, so genannte Auskunftsersuchen an die verschiedenen Polizeibehörden zu stellen. Erstunterzeichner des Aufrufs sind bislang 16 deutsche Organisationen und 20 aus dem EU-Raum und der Schweiz. Bürgerrechtler warnen davor, dass, je mehr Daten zwischen Bundeskriminalamt (BKA), EUROPOL und ausländischen Polizeien hin- und hergeschoben würden, desto größer die Gefahr des Missbrauchs sei. Insbesondere geraten Migranten verdachtslos in die Computer (des Schengen-Informationssystems SIS und des Visa-Informationssystems VIS), aber auch politisch Aktive.
Anlass der Kampagne ist das so genannte Stockholm-Programm der EU-Innenminister, das im Dezember verabschiedet werden soll und eine Art 5-Jahres-Programm darstelle, das die „Schaffung eines grenzenlosen Informationsverbundes unter Einbeziehung der USA“ vorsehe. Damit drohe, dass unkontrolliert und möglicherweise unberechtigt gespeicherte Daten von anderen Staaten übernommen werden. Die Initiatoren der Kampagne fordern die Bürger_innen dazu auf, hiergegen vorzugehen: „Wir brauchen eine europäische Bürgerrechtsbewegung“, fordert Mathias Monroy, der regelmäßig im Internet über die polizeilich-geheimdienstliche Aufrüstung der EU berichtet, „denn die entscheidenden Gesetze werden längst nicht mehr auf nationalstaatlicher, sondern immer mehr auf EU-Ebene getroffen.“
Formulare: http://www.datenschmutz.de/cgi-bin/moin.cgi/AuskunftErsuchen
Informationen zum Stockholm-Programm: http://stockholm.noblogs.org/
(Azadî/jw, 1./5.10.2009)
BAW fordert erneut Freigabe der gesperrten Buback-Akten
Erneut hat die Bundesanwaltschaft (BAW) vom Bundesinnenministerium die Freigabe der gesperrten Geheimdienstakten zum RAF-Mord am damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback gefordert. Zwar hatte Innenminister Wolfgang Schäuble Anfang September die Zusendung der erbetenen Akten angekündigt, ihre Verwertung für ein etwaiges Gerichtsverfahren gegen das frühere RAF-Mitglied Verena Becker jedoch untersagt. Seit Ende August befindet sie sich wegen neuer Indizien für eine mögliche Mittäterschaft im Buback-Fall in Untersuchungshaft. Buback war am 7. April 1977 in Karlsruhe ermordet worden. Becker arbeitete nach einer vierjährigen Haftzeit mit dem Verfassungsschutz zusammen und wurde 1989 begnadigt. Von den Akten erhofft sich die BAW weiteren Aufschluss über deren Rolle bei der Buback-Ermordung.
(Azadî/ND, 5.10.2009)
Verteidiger im mg-Verfahren verzichten auf Plädoyer:
«Wir konnten gegen den politischen Druck nichts ausrichten»
Das Verfahren gegen drei Berliner, denen vorgeworfen wird, als Mitglieder der „militanten gruppe“ (mg) in Brandenburg Bundeswehrfahrzeuge angezündet zu haben, neigt sich dem Ende zu. Für den 14. Oktober waren die Plädoyers der Verteidigung erwartet worden. Die Anwälte verzichteten jedoch darauf und erklärten stattdessen:
„Wir werden in diesem Verfahren mit den offenkundigen Grenzen des Rechtsstaats konfrontiert. Deshalb verzichten wir auf ein Plädoyer. Wir kapitulieren damit vor den politischen Vorgaben, die diesen Prozess bestimmen.
In diesem Verfahren ging es nie um eine unvoreingenommene Beweisaufnahme. Zu groß war der Druck, endlich Erfolge in Sachen mg vorweisen zu können, nachdem jahrelang erfolglos gegen die Gruppe ermittelt worden ist. Dieser Druck lässt sich in den Ermittlungen nachweisen und er wird sich – so unsere Befürchtung – im Urteil gegen unsere Mandanten niederschlagen.
Der Vorwurf der Mitgliedschaft in der „militanten gruppe“, der unseren Mandanten gemacht wird, beruht lediglich auf Indizien und auf Informationen des Verfassungsschutzes. Bereits einmal hat der Inlandsgeheimdienst in dieser Sache Beschuldigungen erhoben, die sich im Nachhinein als nicht haltbar erwiesen: Gegen drei Personen wurde 2001 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Nach zwei Jahren musste das BKA feststellen, dass die umfangreichen Ermittlungen zu keinerlei brauchbaren Erkenntnissen geführt hatten. Das Verfahren wurde erst fünf Jahre später eingestellt. Am Ende hieß es lapidar: Der Anfangsverdacht habe nicht erhärtet werden können. Der Anfangsverdacht, nur zur Erinnerung, war ein Tipp des Verfassungsschutzes.
Spätestens ab Sommer 2006 verfolgte das Bundeskriminalamt einen weiteren Ermittlungsansatz. […] Im Zuge der Ermittlungen stieß das BKA auf unsere Mandanten. […] Stichhaltige Belege, dass sie Mitglieder der mg waren, hat dieses Verfahren nicht zutage getragen. Vielmehr hat das Gericht alle Punkte, die an der Version der Bundesanwaltschaft (BAW) kratzten, beiseite geschoben. Gleichzeitig war das Verfahren von Anfang an gekennzeichnet durch die Stigmatisierung von Angeklagten und Prozessbesuchern, Aussagebeschränkungen seitens der Beamten, verkleidete Zeugen und unvollständige Akteneinsicht. […]
Wir haben die Hoffnung aufgegeben, mit unseren Argumenten vor Gericht Gehör zu finden. Weil wir den Eindruck gewonnen haben, gegen den politischen Druck nichts ausrichten zu können, haben wir uns dazu entschlossen, nicht zu plädieren.“
Rechtsanwälte Franke, Herzog, Hoffmann, Lindemann, Schrage und Rechtsanwältin Weyers für die Verteidigung.
Das Ende eines merkwürdigen Prozesses
Am 16. Oktober verurteilte das Kammergericht Berlin Florian I., Oliver R. und Axel H. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von drei bzw. dreieinhalb Jahren. Die Verteidiger kündigten Revision gegen die Urteile an.
(Azadî/jw/FR, 15.,17.10.2009)

Bündnisgrüner Geheimdienst gegen Linke
Hatten die Grünen in grauer Vorzeit die Abschaffung der Geheimdienste gefordert und dies vor Angriffen aus der konservativen Ecke vehement verteidigt, sind sie heute wieder auf Linie und erledigen jetzt selbst die Schmutzarbeit. So haben sie bundesweit in den Landtagen detaillierte Informationen über die LINKEN zusammengetragen. In einem Formular werden die Parteifreunde u.a. gebeten, Angaben über „personelle Zwistigkeiten“ oder zur Stasi-Vergangenheit einzelner Linken-Abgeordneter zu machen. Hierzu erklärte der stellvertr. Vorsitzende der Linksfraktion, Ulrich Maurer: „Die Erfinder dieser grünen Rasterfahndung sollten sich beim Verfassungsschutz bewerben.“ Eine Grünen-Sprecherin: man habe mit der Aktion lediglich „Informationen einsammeln“ wollen. Ja, eben.
(Azadî/FR, 15.10.2009)
Koalitionsvereinbarungen zu Bürgerrechten und «Inneren Sicherheit»
Ex-Innenminister Baum: Klage gegen Vorratsdatenspeicherung und BKA-Gesetz bleibt
Im Zuge der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP zu dem innenpolitischen Problemkomplex sprachen die Unterhändler von einem Durchbruch. Im Zentrum der Auseinandersetzungen standen die Forderungen der FDP nach Korrekturen zur heimlichen Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung und zum BKA-Gesetz. Danach soll eine Vorratsdatenspeicherung nur noch ausgewertet werden dürfen, wenn „Leib und Leben in Gefahr“ sind, wobei sich diese Voraussetzungen nur auf den kleinsten Teil der betroffenen Daten beziehen. Weiterhin gilt: für die Ahndung von Delikten dürfen Behörden nach wie vor ungehindert auf die Verkehrsdaten zugreifen.
Zur heimlichen Ausspähung von Rechnern: die soll künftig nur möglich sein, wenn die Bundesanwaltschaft einen Antrag stellt und ein Richter des Bundesgerichtshofs dem zustimmt. Bisher war vorgesehen, dass der Präsident des Bundeskriminalamtes einen Antrag stellen und ein Ermittlungsrichter ihn genehmigen muss. Rechtmäßig bleibt mithin die Durchsuchung ohne konkreten Tatverdacht. Verhindern konnte die FDP, dass auch Zoll und Verfassungsschutz derlei Aktionen durchführen dürfen. Hier müsse erst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden, erklärte die Union.
Mit der Entscheidung, die umstrittene Sperrung von Internetseiten, auf denen Kinderpornographie zu sehen sind, auszusetzen, hat sich die FDP durchgesetzt.
Dennoch: Für den ehemaligen Innenminister Gerhard Baum bleibt die Online-Durchsuchung problematisch, weshalb er die Beschwerde gegen das BKA-Gesetz aufrechterhalten will. „Das Gesetz hat noch viele andere hoch problematische Punkte: Bei den Berufsgruppen sind beispielsweise nur die Anwälte herausgenommen worden, und nicht die Ärzte, auch nicht die Journalisten. Das ist weiter ein Stein des Anstoßes. Diese ganze Sicherheitsarchitektur, die in dem BKA-Gesetz zum Ausdruck kommt, bleibt weiter Gegenstand unserer Verfassungsbeschwerde,“ erklärt Baum gegenüber der Frankfurter Rundschau. Er halte die Speicherung „an sich für einen nicht notwendigen und verfassungswidrigen Grundrechtseingriff.“
(Azadî/FR, 17.10.2009)
Gegen Überwachungs- und Kontrollwahn: BigBrotherAward-Verleihung 2009 an Schäuble und
von der Leyen
Neben Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen wurde auch Wolfgang Schäuble, der derzeitige und wohl künftige Bundesinnenminister, am 16. Oktober in Bielefeld mit dem „BigBrotherAward“ 2009 ausgezeichnet. Schäuble erhielt den Preis in Abwesenheit für den Umbau des Bundeskriminalamtes in ein zentrales „deutsches FBI“ mit geheimpolizeilichen Befugnissen zur „präventiven“ Vorfeldausforschung, die Legalisierung der heimlichen Online-Durchsuchung von Computern sowie für die Errichtung einer gemeinsamen so genannten Antiterrordatei und einer neuen Abhörzentrale für alle Sicherheitsbehörden.
Der Laudator, Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, sprach Schäubles „politische Dramatisierung von Gefahrenpotenzialen und das Schüren von Bedrohungsängsten“ an und warf ihm vor, mutmaßliche Terroristen oder Terrorverdächtige als Feinde der Rechtsordnung rechtlos zu stellen und durch Folter erpresste Aussagen zu nutzen.
Ursula von der Leyen erhielt den BigBrotherAward dafür, dass sie im letzten Jahr ein System zur Inhaltskontrolle im Internet initiiert und zu diesem Zweck sexuell missbrauchte Kinder instrumentalisiert habe. Außerdem wurden mehrere Unternehmen der Überwachungstechnik „ausgezeichnet“.
Organisator der Preisverleihung ist der Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. (FoeBuD), der den BigBrotherAward in diesem Jahr zum zehnten Mal vergeben hat.
(Azadî/jw, 17.10.2009)
DAV lobt und kritisiert innenpolitischen Kurs der schwarzgelben Koalition
„Wir begrüßen, dass die neue Bundesregierung den Bürger- und Freiheitsrechten in ihrem Koalitionsvertrag mehr Beachtung schenkt,“ erklärte Wolfgang Ewer, Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Dies gelte insbesondere für die „geplanten Korrekturen bei den Sicherheitsgesetzen“, deren Umsetzung man „intensiv begleiten“ und notfalls „anmahnen“ werde. Der DAV lehne jedoch die Pläne der Koalition zur Reform des Jugendstrafrechts kategorisch ab, weil sich dadurch an den Grundproblemen gar nichts ändern würde. Weder die Einführung eines „Warnschussarrests“ noch die angekündigte Erhöhung der Jugendstrafe für Mord seien geeignete Mittel.