asyl- und migrationspolitik
PRO ASYL und Amnesty setzen bei Ausbau der Rechte für Flüchtlinge auf FDP
100 000 Menschen ohne sicheren Aufenthalt
In Deutschland sind etwa 80 000 Menschen in Sammellagern für Asylbewerber untergebracht, erklärten PRO ASYL und Amnesty International auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin. Fast immer handelt es sich um Frauen mit Kindern, die aus politischen oder religiösen Konflikten aus ihren Heimatländern geflohen sind. Immer weniger Menschen erreichen jedoch ihr Ziel. Im August registrierte das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration nur noch 2826 Asylanträge. Viele Asylbewerber werdem schon abgefangen, bevor sie die Grenze von Staaten am EU-Rand – Italien, Spanien, Griechenland – erreichen. Hieran üben Menschen- und Flüchtlingsorganisationen scharfe Kritik. Ihrer Meinung nach sei es völkerrechtswidrig, wenn Menschen auf hoher See gestoppt und zurückgeschickt würden. „Entweder muss Frontex abgeschafft werden oder unter direkte Kontrolle der EU und menschenrechtskonforme Leitlinien gestellt werden,“ forderte Wolfgang Grenz von AI. Für jene, die Deutschland erreichen, sei die Situation oft unzumutbar. So seien Flüchtlinge in Camps wie Bramsche, Katzhütte oder Seeligstadt unter unwürdigen Bedingungen untergebracht. „Das Schlimmste sind die Ratten und die völlig verdreckten Toiletten“, erzählt die 18jährige Irakerin Saja, die seit drei Jahren in der heruntergekommenen Siedlung an der Rosenheimerstr. in München hauste. Das Lager ist inzwischen geschlossen. Bundesweit gibt es fast 1000 solcher Quartiere.
Nach Angaben von PRO ASYL leben derzeit 100 000 Menschen ohne gesichertes Aufenthaltsrecht in Deutschland; 60 000 von ihnen seit mehr als sechs Jahren.
Die Flüchtlingsorganisationen haben hohe Erwartungen an die FDP, die die Bürgerrechte ernster nehmen würde als in früheren Jahren. „Wer glaubwürdig für unteilbare Bürgerrechte eintreten will, kann davon Flüchtlinge nicht ausschließen,“ glaubt Günter Burkhardt von Pro Asyl. Wolfgang Grenz verbindet mit dem Regierungswechsel eine Art „eingeschränkten Optimismus“.
(Azadî/jw, 1.10.2009)
Hessen erlaubt Kindern ohne Pass den Schulbesuch
„Kinder von statuslosen Eltern sollen in Hessen künftig die Schule besuchen dürfen,“ kündigte Kultusministerin Dorothea Henzler (FDP) in Wiesbaden an. Danach müssten sich die Schulleiter keine Meldebescheinigungen mehr vorlegen lassen. Ähnlich handeln die Bundesländer Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Bayern und NRW. „Gemäß UN-Kinderrechtskonvention haben alle Kinder ein Recht auf Schulbildung und auf die Förderung ihrer Entwicklung,“ erläuterte auch der Vize-Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn, ebenfalls FDP. Bislang hatte die CDU die Umsetzung des Votums der Mehrheit im Landtag nicht umgesetzt und stattdessen die alte schlechtere Regelung verlängert.
(Azadî/FR, 1.10.2009)
Hessischer Landtag beschließt Enquete-Kommission «Migration und Integration»
Am 6. Oktober setzte der hessische Landtag eine Enquete-Kommission „Migration und Integration in Hessen“ ein. Dem stimmten alle fünf Fraktionen zu. Als erster Integrationsminister des Landes Hessen wird Jörg-Uwe Hahn (FDP) in Kürze bekannt geben, welche „Modellregionen Integration“ gefördert werden sollen. Zur Enquete-Kommission gehören 13 Landtagsabgeordnete aus allen Fraktionen. Sie sollen bis zum Sommer 2011 einen Bericht zur Lebenssituation der Zuwanderer in Hessen vorlegen und Vorschläge für politische Initiativen machen. „Die Kommission soll Konzepte entwickeln, wie Potenziale erfolgreicher erkannt, gefördert und nutzbar gemacht werden können,“ heißt es u. a. in dem Landtagsbeschluss. Die linke Abgeordnete Barbara Cárdenas befürchtet jedoch, dass die Kommission auch als Feigenblatt für „Stillstand in der Migrationspolitik“ dienen könnte. Mit dem Handeln dürfe man nicht warten, bis in zwei Jahren die Ergebnisse der Kommission vorlägen.
(Azadî/FR, 7.10.2009)
Ex-Chef von Cap Anamur vom Vorwurf der Schleusung freigesprochen
Elias Bierdel: «Die Schandmauer steht heute woanders»
Über fünf Jahre nach der Rettung von schiffbrüchigen afrikanischen Flüchtlingen durch ein Schiff der Hilfsorganisation Cap Anamur vor Sizilien, endete der Prozess in Italien gegen den damaligen Vorsitzenden, Elias Bierdel und den ersten Offizier mit einem Freispruch. „Lebensretter gehören nicht auf die Anklagebank“, kommentierte die LINKS-Abgeordnete Sevim Dagdelen. Am 20. Juni 2004 hatte die Cap Anamur 37 Afrikaner aus einem Schlauchboot im Mittelmeer gerettet und die Menschen in Italien an Land gebracht. Bierdel und zwei weitere Personen waren vorübergehend festgenommen worden, nachdem das Schiff und die Flüchtlinge den sizilianischen Hafen von Porto Empedocle erreicht hatten. Nur wenige Tage nach ihrer Rettung wurden bis auf einen alle Afrikaner von den italienischen Behörden wieder abgeschoben und gegen Bierdel, Stefan Schmidt und Daschkewitsch wegen „bandenmäßiger Schleuserei“ Ermittlungen eingeleitet; der Prozess hatte Ende 2006 begonnen.
„Für mich ist das kein Grund zum Jubel,“ äußerte Elias Bierdel nach dem Urteil. Es seien gerade erst wieder Flüchtlinge an der sizilianischen Küste ertrunken, während im Gerichtssaal verhandelt wurde. Für ihn sei es „keine Überraschung, dass sich herausstellt, dass wir keine Kriminellen sind“. Bierdel berichtete, dass einer der damaligen Flüchtlinge nachweislich bei einem erneuten Versuch, über das Meer zu fliehen, ums Leben gekommen sei.
Heute untersucht Elias Bierdel, der seinerzeit als Vorsitzender von Cap Anamur abgewählt worden war, mit seinem Projekt „Borderline Europe“ Menschenrechtsverletzungen an der EU-Außengrenze. Aufgewachsen ist er in West-Berlin – 50 Meter von der Mauer entfernt: „Die Schandmauer steht heute woanders,“ meint er. Tausende Menschen würden an Europas Grenzen, bewacht von der EU-Agentur FRONTEX „verschwinden, ertrinken, verdursten“.
(Azadî/FR, 8.10.2009)
Abschottung mit FRONTEX: Wildwest auf dem Meer
Deutsche Hubschrauber jagen Flüchtlinge
Auf der Suche nach Schutz vor Verfolgung oder in der Hoffnung auf ein besseres Leben, überqueren rund 100 000 Flüchtlinge jährlich das Mittelmeer, wobei nach Schätzungen von Hilfsorganisationen etwa 10 000 Menschen in den vergangenen zehn Jahren zu Tode gekommen sind. Viele erreichen die Küsten nicht, weil sie von Beamten der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX mit Schiffen und Hubschraubern zur Umkehr gezwungen werden. So hat einer FRONTEX-Statistik zufolge die Agentur im Jahr 2008 nach eigenen Angaben 5969 Menschen von einer Umkehr „überzeugt“ oder zur „nächstgelegenen Küste begleitet“ – für Rechtsexperten und Menschenrechtsorganisationen ein ungeheuerliches Vorgehen: „Das ist weder mit den Genfer Flüchtlingskonventionen noch mit der EU-Menschenrechtskonvention vereinbar,“ sagt Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Nach Aussagen von Menschenrechtsorganisationen hat Deutschland bei den Rückführungsaktionen auf dem Meer große Hilfe geleistet, was vom Bundesinnenministerium nicht bestritten wird. Man wolle – so die Erläuterung – Flüchtlinge daran hindern, sich mit „seeuntauglichen Booten“ in Gefahr z u begeben. Anders Bernd Mesovic von PRO ASYL: „Deutsche Helikopter beobachten, geben Positionen durch – und unten auf dem Meer herrscht dann Wildwest,“ so Bernd Mesovic. Er kenne Fälle, in denen Flüchtlingsboote von Polizeischiffen überfahren und sogar aufgeschlitzt wurden.
(Azadî/FR, 8.10.2009)
Koalition plant Einführung von Integrationsverträgen
Dem Abschlussdokument der CDU/CSU/FDP-Arbeitsgruppe Integration zufolge sollen so genannte Integrationsverträge eingeführt werden, in denen Neuzuwanderer, aber auch bereits lange hier lebende Migranten über Eingliederungsmaßnahmen informiert werden. Zuvor sollen sie aber Sprach- und Integrationskurse absolvieren, was „später kontinuierlich überprüft“ werde. Erleichterungen soll es bei der Anerkennung von Berufs- und Bildungsabschlüssen aus dem Ausland geben. Besonders gut integrierte Einwanderer sollen früher Deutsche werden können. Gegen beide Verbesserungen sperren sich derzeit noch die Innenpolitiker der Union. Auf Druck der FDP wurde zumindest die Prüfung vereinbart, ob sich das Options-Modell beim Staatsangehörigkeitsrecht bewährt hat. Einigkeit gab es zum Problem von Zwangsverheiratungen, die künftig nicht mehr nur als schwere Nötigung, sondern als eigener Straftatbestand geahndet werden sollen. Die Opfern sollen ein verbessertes Rückkehrrecht nach Deutschland erhalten. Generell ist beabsichtigt, dem Politikfeld Integration mehr Gewicht zu verleihen; ein eigenes Ministerium wird ausgeschlossen.
(Azadî/FR, 16.10.2009)
OECD-Studie belegt: Migrantenkinder in der BRD werden vom Arbeitsmarkt ferngehalten
Nachkommen von Einwanderern in Deutschland und Österreich haben auf dem Arbeitsmarkt deutlich schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als junge Leute ohne ausländische Wurzeln. Das ergab eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). In Deutschland sind geringer Qualifizierte unter Migrantenkindern überrepräsentiert, in der Altersgruppe der 20- bis 29Jährigen sei der Anteil der jungen Leute ohne Abitur oder abgeschlossene Berufsausbildung doppelt so hoch wie in der gleichen Altersgruppe ohne ausländischen Hintergrund. Im niedrig qualifizierten Arbeitsmarkt seien sie gut integriert, nicht aber bei den Arbeitsplätzen für Akademiker oder Facharbeitern – auch, wenn sie die erforderlichen Voraussetzungen mitbringen. In der BRD haben 90 Prozent der 20- bis 29jährigen hochqualifizierten Männer ohne ausländischen Hintergrund einen Arbeitsplatz; bei der vergleichbaren Gruppe mit Zuwanderungsgeschichte seien es hingegen nur 81 Prozent. In der öffentlichen Verwaltung findet man aus Zuwandererfamilien nur drei Prozent.
(Azadî/jw, 17.10.2009)
Berlin: Schwimmaktion für menschenwürdige Behandlung von Migranten und Flüchtlingen
Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ hat mit einer Schwimmaktion in der Spree auf die menschenunwürdige Behandlung von Migranten und Flüchtlingen aufmerksam machen wollen. Mitglieder der Vereinigung schwammen durch den Fluss, um eine Flaschenpost mit ihren Forderungen zum Berliner Reichstag zu bringen. Am Ufer waren stellvertretend für Flüchtlinge an den Mittelmeerküsten Europas eine Reihe von Holzfiguren aufgestellt. „Ärzte ohne Grenzen“ verwiesen auf die dramatische Situation auf Malta, in Italien und Griechenland. Sie erklärten, dass die Flüchtlinge häufig traumatisiert seien und trotzdem in Auffanglagern untergebracht würden, wo sie unter prekären Bedingungen leben müssten mit einem nur begrenzten Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Organisation fordert bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten die Einhaltung des Mindeststandards der europäischen Gesetzgebung.
(Azadî/ND, 21.10.2009)