AZADI infodienst nr. 78
juni 2009


 

Rachejustiz:
BGH verfÜgt Fortdauer der Haft von Muzaffer Ayata bis zur Endstrafe

 

Der Verteidiger von Muzaffer Ayata, Rechtsanwalt Wolfgang Kronauer, hatte am 12. Mai erneut die Freilassung seines Mandanten beantragt. Als Begründung führte er insbesondere an, dass Ayata nur noch eine Haftstrafe von etwas mehr als 5 Monaten zu verbüßen habe und die Aufrechterhaltung des Haftbefehls unverhältnismäßig sei. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) sah das anders. Er verwarf die Beschwerde und entschied am 19. Mai, dass der kurdische Politiker bis zur Endstrafe – voraussichtlich 8. Oktober dieses Jahres – in Haft bleiben müsse. Die Richter begründeten ihre Entscheidung mit einer „Fluchtgefahr“ unabhängig von der Höhe der Reststrafe und verwiesen hierbei auf Äußerungen Ayatas, wonach dieser nach Haftverbüßung weiterhin im Rahmen seiner politischen Arbeit für die Rechte des kurdischen Volkes auch einen Aufenthalt im westeuropäischen Ausland in Betracht ziehe.
Im Falle von Muzaffer Ayata wird offenbar ein Exempel statuiert. Der Politiker hat sich von Anfang an weder kooperativ und unterwürfig verhalten noch abschwörende Bekenntnisse abgegeben. Besonders übel genommen haben ihm Richter und Bundesanwaltschaft, dass er „zu Beginn der Hauptverhandlung im Rahmen seiner Einlassung über mehrere Sitzungstage politische Erklärungen zur kurdischen Fragen verlesen“ habe – so das OLG Frankfurt/M. u. a. in seiner Begründung vom 29.12.2008 zur Ablehnung einer vorzeitigen Freilassung von Muzaffer Ayata.

(Azadî)

 

Nachfolgend die Chronologie der Verfolgung Muzaffer Ayatas in Deutschland
(In der Türkei war der Politiker wegen seines politischen Engagements vor dem September-Putsch 1980 verhaftet und zum Tode verurteilt worden. Diese Strafe ist 1991 in eine 40-jährige Haft umgewandelt worden. Nach mehr als 20 Jahren Gefängnis wurde er im Jahre 2000 aus der Haft entlassen und musste wegen Verfolgung aufgrund seiner Aktivitäten bei der prokurdischen Partei HADEP flüchten. Anfang 2002 kam er nach Deutschland):

8. August 2006 Festnahme in Mannheim
9. August Verhaftung
24. Mai 2007 Prozesseröffnung vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Frankfurt/M.
7. Dezember 2007 In der Tageszeitung Milliyet wird berichtet, dass die Türkei eine Auslieferung von Ayata beantragt hat
18. März 2008 Verlesung der Anordnung zur Auslieferung von Muzaffer Ayata an die Türkei
10. April 2008

Urteil nach § 129 StGB: 3 Jahre und 6 Monate
Wegen der Höhe des Strafmaßes wird Revision gegen das Urteil eingelegt.

10. November 2008 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) beschließt die Aufhebung des OLG-Urteils „im Strafaus- Spruch“ und verweist die Sache zur Neuverhandlung zurück an einen anderen Senat des OLG Frankfurt/M.
11. Dezember 2008 Verteidigung beantragt die Aufhebung des Haftbefehls.
17. Dezember 2008 Der Generalbundesanwalt weist den Antrag als„unbegründet“ zurück und beantragt die Fortdauer der U-Haft.
29. Dezember 2008 Der 4. Strafsenat des OLG Frankfurt/M. weist den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls ebenfalls zurück und ordnet die Fortdauer der U-Haft an. Begründung in der Haupt sache: Fluchtgefahr/fehlende Distanzierung zur PKK/Prozesserklärung Ayatas „zur kurdischen Frage“ über mehrere Sitzungstage.
2. März 2009 Beginn der Neuverhandlung nach Revisionsentscheidung vor dem 4. Strafsenat des OLG Frankfurt/M.
9. März 2009

Urteil: 3 Jahre und 2 Monate (Reduzierung des Strafmaßes um 4 Monate).
Auch gegen dieses Urteil hat die Verteidigung Revision eingelegt.

12. Mai 2009 Ayatas Verteidiger Wolfgang Kronauer beantragt erneut die Aufhebung des Haftbefehls insbesondere vor dem Hintergrund der Reststrafe von weniger als 5 Monaten.
19. Mai 2009 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) verwirft Die Beschwerde des Angeklagten und beschließt die Fortdauer der U-Haft. Begründung: Fluchtgefahr und Verweis auf Äußerungen Ayatas, er wolle nach der Haft weiterhin politisch für die Rechte des kurdischen Volkes arbeiten und ziehe einen Aufenthalt im westeuropäischen Ausland in Betracht.
8. Oktober 2009 ist Endstrafe.

 

OLG Frankfurt/M. lehnt Auslieferung von Muzaffer AYATA in die Türkei ab

Auf der Grundlage einer Verbalnote der Bundesregierung vom 14. Mai 2009 hat das Oberlandesgericht Frankfurt/M. am 27. Mai beschlossen, die von der Türkei begehrte Auslieferung des kurdischen Politikers Muzaffer Ayata abzulehnen. Gleichzeitig wird die Aufhebung des Haftbefehls vom 13. März 2008 angeordnet.
Wie in dem Beschluss weiter ausgeführt, hat die Staatsanwaltschaft „bereits die Löschung der Überhaftnotierung“ veranlasst.
Muzaffer Ayata wurde am 8. August 2006 festgenommen und am 10. April 2008 nach § 129 StGB (Mitgliedschaft in einer „kriminellen“ Vereinigung) zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hatte die Verteidigung Revision eingelegt, der zumindest im Hinblick auf das Strafmaß durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) entsprochen worden ist. Im Zuge der Neuverhandlung hat der 4. Strafsenat des OLG Frankfurt/M. am 9. März 2009 die Freiheitsstrafe um 4 Monate reduziert. Auch gegen dieses Urteil wurde Revision eingelegt; eine Entscheidung steht derzeit noch aus.
Mehrmalige Anträge auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls, insbesondere vor dem Hintergrund einer restlichen Strafe von weniger als 5 Monaten, sind verworfen worden, zuletzt durch eine Entscheidung des BGH vom 19. Mai. Somit ist auszugehen, dass die Justiz den kurdischen Politiker bis zur Endstrafe – voraussichtlich am 8. Oktober – in Haft lässt. Begründet wird diese Haltung mit einer angeblichen Fluchtgefahr und letztlich der Unbeugsamkeit des Kurden, weil er weder mit den Behörden kooperiert noch irgendwelche abschwörenden Erklärungen abgegeben hat noch bereit ist, sein Engagement für die Rechte des kurdischen Volkes einzustellen.

(Azadî,10.6.2009)

 

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