AZADI infodienst nr. 78
juni 2009


 

koblenzer Prozess

 

Landgericht Koblenz verurteilt Kurden zu Bewährungsstrafen
Verteidiger schätzt Verfahrenskosten auf 500 bis 600 000 Euro

Am 9. Juni 2009 endete ein langer Prozess mit vier angeklagten kurdischen Aktivisten, zahlreichen Anträgen der Verteidigung, einer Haftbeschwerde und der Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 2. März 2009, derzufolge sämtliche Haftbefehle wegen massiver Verfahrensverzögerung durch das Landgericht Koblenz aufgehoben worden waren. Das OLG war damit weitgehend der Auffassung der Verteidigung gefolgt, wonach eine Flucht- und Verdunkelungsgefahr bei den Angeklagten ausgeschlossen werden könne und eine Fortdauer der U-Haft unverhältnismäßig sei. Die Verteidigung sprach von „Untersuchungshaft als Erpressungshaft“.

Die Urteile:

Hasan K.: 8 Monate auf 3 Jahre Bewährung (§ 20 Vereinsgesetz)
Aziz K.: 1 Jahr und 4 Monate auf 3 Jahre Bewährung (§ 20 Vereinsgesetz/§ 244 StGB)
Turabi K.: 1 Jahr auf 3 Jahre Bewährung (§ 20 Vereinsgesetz/Beihilfe § 244 StGB)
Cenep Yeter: 1 Jahr und 10 Monate auf 3 Jahre Bewährung (§ 129 StGB/§ 244 StGB)

Wie alles begann

Der Polizeiangriff am 13. März 2008 auf Aziz K., Turabi K. und Cenep Y. war filmreif. Auf der Fahrt von Koblenz nach Linz/Rheinl.-Pfalz hatten maskierte Polizeikräfte das Fahrzeug gestoppt, die Fensterscheiben wurden eingeschlagen, die Kurden aus dem Auto gezerrt, auf den Boden geworfen und gefesselt. Hierbei erlitt Cenep Y. eine Platzwunde am Auge, die im Krankenhaus behandelt werden musste. Nach seiner „Entlassung“ wurde er in die JVA verbracht und unter Hochsicherheitsbedingungen in Haft gehalten.
Aziz K. und Turabi K. wurden beschuldigt, als sogenannte Raumverantwortliche die PKK unterstützt (§ 129 StGB) zu haben; ferner waren sie im Zusammenhang mit dem Sammeln von Spenden mit dem Vorwurf der „räuberischen Erpressung“ und der gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung konfrontiert (§ 244 StGB).
Cenep Y. wurde beschuldigt, als PKK-Gebietsverantwortlicher Mitglied einer „kriminellen Vereinigung gewesen zu sein. Der weitere Vorwurf betraf ebenfalls § 244 StGB. Parallel zu der Festnahme der Kurden fanden auch Durchsuchungen der Wohnungen und der vorhandenen Fahrzeuge statt.
Das Amtsgericht Koblenz hatte in seinem Durchsuchungsbeschluss vom 12. März 2008 den Beschuldigten vorgeworfen, dass die von ihnen „entfalteten Tätigkeiten der Stärkung und Förderung des spezifischen Gefährdungspotentials der kriminellen Vereinigung wirksam und der Organisation vorteilhaft ist.“
Als vierter, aber nicht verhafteter, wurde Hasan K. wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz in das Verfahren einbezogen.

Das Hauptverfahren wird eröffnet
Rechtswidriges Vorgehen der Ermittlungsbehörden

Vor der 12. Strafkammer (Staatsschutz) des Landgerichts Koblenz begann am 22. September 2008 die Hauptverhandlung gegen die kurdischen Aktivisten. Von Beginn an wandte sich die Verteidigung dagegen, dass ihre Mandanten mit dem Vorwurf der Unterstützung einer „kriminellen Vereinigung“ nach § 129 StGB ausgesetzt wurden, obgleich ihnen – wenn überhaupt – lediglich Verstöße gegen das Vereinsgesetz vorzuwerfen sei. Doch eröffnet der § 129 den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit zur weitreichenden Auforschung von Personen, wofür allerdings der Verdacht einer Katalogtat im Sinne von § 100a Strafprozessordnung gegeben sein muss, was nach Auffassung der Verteidiger-in nicht der Fall war. Deshalb beantragte der Bonner Rechtsanwalt Heydenreich u. a. die Vernichtung sämtlicher Gedächtsnisprotokolle, die überwachende Beamte bzw,. der beauftragte Dolmetscher über den Besuch voln Familienangehörigen seines Mandanten angefertigt hatte und die anschließend zu den Verfahrensakten gegeben wurden. Das Überwachungspersonal sollte dazu verpflichtet werden, die Anfertigung derartiger Protokolle zu unterlassen, weil sie sowohl den „Kernbereich privater und familiärer Lebensgestaltung des Angeklagten“ als auch seiner Familienangehörigen verletzen. „Die Überwachung von Angehörigenbesuchen ist damit, abgesehen von Anstaltsordnung und –sicherheit, ausschließlich zum Zweck der Verhinderung von Verdunklungshandlungen und Fluchtbemühungen und in den durch diese Zweckbestimmung gezogenen Grenzen, nicht jedoch mit dem Ziel weiterer Ermittlungen und Erkenntnisgewinnung legitimiert.“ Eine „Ausnutzung“ der Überwachung engster Familienmitglieder zu Ermittlungszwecken widerspreche den „Grundlagen rechtsstaatlicher Verfahrensführung“’ und sei deshalb „rechtswidrig“.

In einem weiteren Antrag wandte sich der Verteidiger gegen die in dem Verfahren durch „Telefonüberwachungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse“, weil diese „ohne rechtfertigende rechtliche Grundlage erfolgt“ sei. Insgesamt sind 32 Anschlüsse „über unterschiedliche Zeiträume überwacht und aufgezeichnet“ worden, wobei es an einer „richterlichen Anordnung“ gefehlt habe. Es habe sich vielmehr der Eindruck aufgedrängt, dass es sich bei den Anordnungen lediglich um von einem Richter unterzeichnete staatsanwaltliche Verfügungen gehandelt habe. Das Amtsgericht Koblenz hatte nahezu wortidentisch die Begründung der Staatsanwaltschaft sowohl für alle angeordneten Tüen, Observierungsmaßnahmen, Durchsuchungs- und Haftbefehle übernommen.
Nach Auffassung von Rechtsanwalt Heydenreich habe im Hinblick auf die Überwachungen von Beginn an der Verdacht einer Katalogtat im Sinne von § 100 S t P O gefehlt. Deshalb sei die Annahme eines Anfangsverdachts des § 129 StGB „willkürlich im Rechtssinn“.

Schlussplädoyer des Staatsanwalts

In seinem Plädoyer zeichnete Staatsanwalt Trobisch noch einmal ein Bild der Angeklagten als Funktionäre der PKK, deren Aufgabe im Zeitraum 2007/2008 insbesondere die Finanzbeschaffung gewesen sei. In Abstimmung mit dem Gebietsverantwortlichen für Bonn, Cenep Y., seien insgesamt 30.000,-- Euro Spenden gesammelt worden. Außerdem seien die Raumverantwortlichen bzw. der Stadtverantwortliche zuständig gewesen für den Fahrkartenverkauf oder die Organisierung von Veranstaltungen. Das hätten alle Angeklagten eingeräumt. Der Tatvorwurf der gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung (Faustschläge ins Gesicht des Zeugen S.) sei durch die Angeklagten bestätigt worden. Der Vorwurf der „räuberischen Erpressung“ im Zusammenhang mit dem Sammeln von Spendengeldern habe sich jedoch nicht bestätigen lassen können.

Bei drei Kurden sei der Tatbestand 20 Vereinsgesetz gegeben, bei Cenep Y. lägen die Voraussetzungen des § 129 StGB als Gebietsverantwortlicher für Bonn/Koblenz vor, weil er übergeordnet tätig gewesen sei. Trobisch zitierte den BKA-Beamten Schier, der im Verfahren erklärt habe, dass bei PKK und Nachfolgeorganisationen weiterhin eine kriminelle Vereinigung erkennbar sei. Kurdische Jugendliche hätten Brandanschläge verübt, wobei allerdings nicht hätte nachgewiesen werden können, dass es eine Verbindung zu PKK/CDK bzw. Anordnung durch diese gegeben habe. Allerdings habe es auch keine Distanzierung zu den Anschlägen gegeben.

Alleine aufgrund der PKK-Mitgliedschaft von Cenep Y. müsse davon ausgegangen werden, dass dieser mit solchen Aktionen einverstanden gewesen sei. Bei Aziz K. und Turabi K. könne eine Unterstützung nach 129 nicht aufrechterhalten werden, weil diese nicht über einen entsprechenden Kenntnisstand verfügt hätten. Bei ihnen bleibe der Vorwurf nach § 224 und § 20 Vereinsgesetz.

Zur Entlastung der Angeklagten sei anzuführen, dass der Hintergrund von deren Aktivitäten der patriotische Kampf sei und sie nicht aus egoistischen Motiven gehandelt hätten. Es müsse eine gewisse Gruppendynamik durch die Organisierung berücksichtigt werden. Außerdem sei eine ca. 11-monatige U-Haft als belastend anzuführen. Anzuerkennen auch, dass Cenep Y. im Gegensatz nicht vorbestraft sei.
Alle hätten sich zwar erst spät geständig, aber reuig gezeigt. Die durch das OLG Koblenz festgestellte Verfahrensverzögerung müsse positiv für die Angeklagten gewertet werden.
Er beantragte folgende Strafen: Hasan K. nach § 20 Vereinsgesetz: 10 Monate, Cenep Y. nach § 129 StGB: 2 Jahre; Aziz K.: 1 Jahr, 6 Monate (inkl. gefährl.Körperverletzung) und
Turabi K. 1 Jahr, 2 Monate (inkl. gefährl. Körperverletzung)
Alle Strafen seien zur Bewährung auf 3 Jahre ohne Auflagen auszusetzen.

Rechtsanwalt Pradel: Kurden haben ein Recht auf politische Betätigung

Rechtsanwalt Pradel, Verteidiger von Hasan K., bestätigte, dass sein Mandant mit dem kurdischen Widerstand sympathisiere. Der Grund hierfür liege im Herkunftsland und hänge mit der Verfolgungssituation der Kurden in der Türkei und in Europa zusammen. In Deutschland werde das kurdische Problem auf das Strafrecht reduziert und die Bedeutung des Widerstands der kurdischen Bevölkerung verkannt.
Für die politische Einschätzung werde von den Behörden immer auch die EU-Terrorliste angeführt, auf der die PKK verzeichnet sei, obwohl es keine Möglichkeit einer rechtlichen Prüfung gebe. Vielmehr stünden für derartige Listungen politische Interessen im Vordergrund. Ohne den kurdischen Widerstand, zu dem auch die PKK gehöre, wäre der Konflikt international nicht wahrgenommen worden und wäre auch nicht Gegenstand der EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei. Ebenso wenig hätte es – wenn auch nur rudimentäre - Änderungen der Rechte von Kurden und Minderheiten insgesamt nicht gegeben. Es sei das Recht der Kurden, sich politisch zu engagieren. Nicht nachzuvollziehen sei, dass das strafrechtlich verfolgt wird mit allen auch asylrechtlichen Konsequenzen. Politisches Engagement schließlich sei aber ohne politische Strukturen nun einmal nicht möglich. Sein Mandant habe sich hier im rechtlichen Rahmen betätigt. Es müsse die Frage einer Aufhebung des Betätigungsverbots gestellt werden. Die Arbeit für die PKK solle nicht unter den § 20 VG subsumiert werden. Die Unterstützung des Mandanten habe sich auf das Sammeln von Spenden beschränkt, mehr habe sich durch die Verhandlung nicht ergeben.
Zum BKA-Zeugen Schier wolle er bemerken, dass dieser absolut keine Kenntnisse über die Situation in Koblenz habe, weshalb er den Vorgang nicht habe beurteilen können.
Hinsichtlich der Brandanschläge durch kurdische Jugendliche äußerte Pradel, dass es keine konkrete Zurechnung gegeben habe und durch keine Organisation dazu aufgerufen worden sei. Vielmehr habe es habe Veröffentlichungen von kurdischen Jugendlichen zu den Anschlägen im Internet gegeben. Es könne nicht behauptet werden, dass die PKK als kriminelle Vereinigung fortbestehe.
Zum Schluss: Er wolle sich für eine Strafe am unteren Rahmen des Vereinsgesetz aussprechen.

Rechtsanwältin Pues: Verfahrensbeteiligte können sich nicht wirklich hineinversetzen in die Situation der Angeklagten

Rechtsanwältin Anni Pues, Verteidigerin von Turabi K., betonte die lange Dauer des Verfahrens. Sie habe sich überlegt, welche Worte angemessen sein könnten. Ihr zentraler Gedanke: „Wir alle hier können uns nur bedingt in die Situation der Angeklagten hineinversetzen und die Motivation ihres Handelns verstehen. Es trennen uns professionelle Verfahrensbeteiligten Welten zu den Angeklagten, ihren Familien und Freunden. Krieg und Unterdrückung sind für uns schwer vorstellbar, etwas, das uns bis heute hier erspart geblieben ist.“ Herr K. sei nach dem Militärputsch 1984 in die BRD geflohen. Er habe selber im Verlauf einer Auseinandersetzung mit Sicherheitskräften eine Schussverletzung am Kopf davongetragen und könne glücklich sein, damals nicht erschossen worden zu sein. Dieser persönliche Hintergrund müsse bei der Verurteilung mitbewertet werden. Im politischen Raum stehe die Klärung der Aufhebung des PKK-Verbots. Die Sache hier sei im gerichtlichen Raum zu klären. Sie gehe davon, dass es nur eine Strafe nach dem Vereinsgesetz sein könne. Was den Vorfall am 4. März betreffe, so sei das ihrer Meinung nach als psychische Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu werten. Zwar sei ihr Mandant dabei gewesen und habe K. und Y. unterstützt, insofern trage er einen Teil an der Veranwortung. Ein darüber hinausgehender Beitrag sei aber nicht ersichtlich gewesen.
Herr K. habe durch die Haft gesundheitlichen Schaden erlitten und seine Einlassungen seien positiv zu bewerten, die von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe aber überzogen. Sie plädiere für eine möglichst milde Gesamtstrafe zur Bewährung.
Ihr Mandant und seine Familie hätten es schwer gehabt und die strafrechtlichen Konsequenzen des Verhaltens bitter erfahren müssen: die Familie sei während K.’s Haft ohne Einkommen und der Sohn habde seine Ausbildung nicht fortsetzen können. Nach der Freilassung von Herrn K. sei dieser zu seiner Familie zurückgekehrt und habe seine Arbeit wieder aufnehmen und der Sohn seine Ausbildung fortsetzen können.

Rechtsanwalt Schüttler: Mandant wirkte deeskalierend

Rechtsanwalt Schüttler, Mitverteidiger von Turabi K. erläuterte, dass sein Mandant entscheidend zur Deeskalation der Auseinandersetzungen am 4.3. 2008 beigetragen habe. Seine Spendensammeltätigkeit sei nur gering gewesen, weil er durch Familie und Arbeit nur wenig Zeit für solche Aktivitäten gehabt habe. Er appelliere an das Gericht, eine milde Strafe auszusprechen.

Rechtsanwalt Heydenreich: 500 bis 600 000,–Euro Verfahrenskosten
Justiz produziert sich ihre Straftaten selber

Rechtsanwalt Heydenreich, Verteidiger von Aziz K., betonte, dass dieses Verfahren durch eine Verständigung der Beteiligten habe beendet werden können. Er wolle auf einige Aspekte und Umstände des Verfahrens hinweisen:
Die Kurden seien politisch ökonomisch, sozial und kulturell ein unterdrücktes Volk im Herkunftsgebiet, weshalb viele von ihnen nach Deutschland kommen und sich politisch betätigen würden, um von hier aus an der Unterdrückungssituation etwas zu ändern. Herr K. habe bei Landsleuten Spenden gesammelt, um die Angehörigen seines Volkes zu unterstützen. Die juristischen und politischen Autoritäten in Deutschland seien der Meinung, dass das bestraft werden müsse. Und genau deswegen stehe er vor Gericht und werde bestraft. Die Angeklagten hätten gemeinsam 30.000 Euro Spenden gesammelt.
Dem gegenüber stünden zwecks Verfolgung der Angeklagten etwa 300 000 Euro an Dolmetscherkosten, plus Verfahrenskosten + Kosten für Telekommunikationsüberwachung insgesamt ca. 500 bis 600 000 Euro, also das 20-fache dessen, um was es hier gegangen sei.
„Historisch und rechtspolitisch gibt es im Strafrecht das ultima-ratio-Prinzip, um Schlimmeres zu verhindern. Die deutsche Justiz ist überlastet, es fehlt überall an Stellen: bei der Polizei, den Gerichten, den Staatsanwaltschaften. Schwerstverbrechen können deshalb nicht verfolgt werden. Das will ich in meinem Schlusswort einmal ansprechen.“
Der geschädigte Zeuge S. habe 200 Euro gespendet und sei als Spender registriert worden. Dieser habe die Angeklagten telefonisch (abgehörte Gespräche) immer wieder aufgefordert, dass man ihn (in einer privaten Angelegenheit, Azadi) helfen solle. Deswegen hätten diese ihn aufgesucht und etwa eine halbe Stunde mit ihm gesprochen. Nachdem sie dem Zeugen klar gemacht hätten, nichts für ihn tun zu können, sei S. laut und unverschämt geworden und habe die 3 Angeklagten hinausgeworfen. Vor der Gaststätte dann sei es zu einer Auseinandersetzung gekommen, die in einer kurzen Schlägerei geendet sei, bei der S. etwas abbekommen habe.
„Wir haben diesen Zeugen hier erlebt und seine nachhaltigen Lügen. Dieser Vorfall spielte sich im Bereich eines kriminellen Unrechts ab, mit dem sich nicht unbedingt ein Oberstaatsanwalt beschäftigen sollte. Das wäre nicht der Fall gewesen, hätte es sich um eine „normale“ Schlägerei gehandelt. Dieses Geschehen jedenfalls hatte nichts mit gewaltsamer Spendengelderpressung zu tun. Es ist vielmehr politisch und juristisch missbraucht worden.“
Hintergrund sei, dass dieser Vorfall in andere Verfahren eingeführt werden solle als Beispiel für den Einsatz von Gewalt beim Sammeln von Spendengelder für die kurdische Organisation. Dafür spreche, dass im § 129-Prozess, der derzeit gegen den Kurden Hüseyin A. vor dem OLG Düsseldorf läuft, der Chefermittler PKK des Bundeskriminalamtes, Schier, in der Verhandlung am 8. Juni das Koblenzer Verfahren als Beweis für eine angeblich nach wie vor bestehende „Strafgewalt“ angekündigt hat.

Wie Heydenreich ferner sagte, produziere sich die Justiz durch solche Vorgänge ihre Straftaten selber. Das zeige sich auch an der von Schier erklärten Rechtstatsache, wonach ein erheblicher Prozentsatz politisch motivierter Ausländerkriminalität die Verstöße gegen § 20 Vereinsgesetz ausmache. Deshalb gehe er davon aus, dass etwa 90 % durch Staatsschutzkammern verfolgte Verfahren das Spendensammeln von Kurden betreffe.
Würde die PKK nicht mehr verboten oder das Spendensammeln nach § 20 VG fallengelassen, fiele das einfach weg.

An die Kammer des Koblenzer Gerichts gerichtet betonte Heydenreich, dass diese rechtstatsächlich Erhebliches geleistet habe, nämlich im Hinblick auf die Dauer der U-Haft wegen angeblicher Fluchtgefahr der Angeklagten. Diese Kammer habe in zwei Entscheidungen auf dieser Gefahrenbehauptung bestanden, ohne dies zweifellos zu belegen. „Man hat angenommen, dass alle am nächsten Tag auf einem anderen Planeten, aber nicht in diesem Gerichtssaal, sind. Doch saßen alle nach ihrer Freilassung immer pünktlich hier. Dieser Umstand sollte zu Gedanken führen, was man mit dem Instrument der Fluchtgefahr anstellt und was die Realität ist. Dieses Verfahren hat viel Zeit, Arbeit und Mühe gekostet. Aber es hat sich letztlich im Ergebnis gelohnt.“

Rechtsanwältin Aengenheister, ebenfalls Verteidigerin von Aziz K., wies auf die Unzulänglichkeit und Respektlosigkeit des Zeugen Simsek hin, die für Deutsche schon einen Affront bedeuten, für Kurden aber eine noch größere Beleidigung darstellen würden. Letztlich hätten dessen Provokationen vor der Gaststätte zu der Eskalation und spontanen Reaktionen geführt. Außerdem wäre die Verletzungsintensität bei S. gering und die Auseinandersetzungen schnell beendet gewesen. Bei der Urteilszumessung müssten die Einlassungen ihres Mandaten und die lange U-Haftzeit von immerhin 11 Monaten und 20 Tagen strafmildernd berücksichtigt werden, die für ihn und seine Familie äußerst belastend gewesen wäre. Alle Angeklagten hätten die angebliche Fluchtgefahr durch ein regelmäßiges Erscheinen nach der Freilassung eindrucksvoll widerlegt. Sie plädiere für eine Gesamtstrafe von nicht mehr als 9 Monaten auf Bewährung.

Rechtsanwalt Jasenski: Dieses Verfahren ist juristische Behandlung eines politischen Problems

Rechtsanwalt Jasenski, Verteidiger von Cenep Y., führte aus, dass sein Mandant seine politische Tätigkeit und Beteiligung an der Auseinandersetzung eingeräumt habe. Vor dem Hintergrund des Auftretens des Zeugen S. müsse von einem minderschweren Fall ausgegangen werden.

Auch bei diesem Verfahren handelt es sich eigentlich um eine politische Frage. Es gehe um den Kampf des kurdischen Volkes für seine Rechte. Alle Mandanten seien betroffen von den menschenverachtenden Unterdrückungsmaßnahmen in der Türkei. Auch Herr Y. leide noch heute unter den Folgen der Folter. Dem politischen Engagement lägen eindringliche und persönliche Erfahrungen zugrunde, die für uns als Außenstehende nur schwer nachvollziehbar seien. Die kurdischen Organisationen hätten sich immer wieder um Lösungen des Konflikts bemüht, die Reaktionen des türkischen Staates aber das Verbot von drei legalen kurdischen Parteien gewesen; aktuell sei die DTP von einem Verbot bedroht. Es habe Friedensbemühungen und Waffenstillstände gegeben. Doch unter Bruch des Völkerrechts sei die türkische Armee in den Nordirak einmarschiert. Das alles habe auch Bezüge zum Prozess, z.B. durch telefonische Nachfragen bei den Angeklagten, ob es den Verwandten gut gehe und ob sie bei den Militäroperationen nicht getroffen worden seien. Sie hätten durchweg nicht aus eigennütziger Motivation gehandelt, was berücksichtigt werden solle, wenn man mit dem Mittel des Strafrechts arbeite. Es handele sich um die juristische Behandlung eines politischen Problems.
So sei seinem Mandanten die Zeitung Özgür Politika nicht ausgehändigt worden mit der Begründung, dass diese verboten sei, obwohl das Verbot im Oktober 2005 durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts längst wieder aufgehoben worden war.

Der BKA-Ermittler Schier habe im Hinblick auf den § 129 StGB in diesem Verfahren als (verbotene) Aktivitäten das Spendensammeln, heimatgerichtete Aktivitäten und die Strafgewalt genannt. Doch hätten alle von ihm genannen Fälle in der Zeit nach der Inhaftierung seines Mandanten gelegen. Es müsse grundsätzlich die Frage gestellt werden, ob es sich tatsächlich bei der PKK noch um eine kriminelle Vereinigung handelt, die auf die Begehung von Straftaten abziele.
Auch sein Mandant habe unverhältnismäßig lange in U-Haft verbringen müssen, die bei ihm zu gravierenden gesundheitlichen Schäden geführt habe. Cenep Y. werde sich trotz auch in Zukunft für die Rechte und Interessen des kurdischen Volkes engagieren.

Die vier Angeklagten haben auf ein eigenes Schlusswort verzichtet und schließen sich den Ausführungen ihrer Verteider/in an.

Richter Göttgen: Keine „räuberische Erpressung“

Der vorsitzende Richter machte alle Angeklagten dafür verantwortlich, für die PKK im Bereich der Finanzbeschaffung tätig gewesen zu sein und 30.000,-- Euro gesammelt zu haben. Aufgrund der umfassenden und inhaltsreichen Telefonüberwachung hätten die Angeklagten nur die Möglichkeit gehabt, bestimmte Vorwürfe zu bestätigen. Bei zwei Kurden hätte das Gericht den § 129 fallengelassen und „räuberische Erpressung“ im Zusammenhang mit Spendensammeln nicht erkannt. Die körperliche Auseinandersetzung habe unabhängig davon stattgefunden.

Obwohl die Kammer Verständnis habe für die Situation des kurdischen Volkes in der Türkei, bleibe das Organisationsdelikt bestehen. Die Struktur der PKK/des Kongra-Gel sei unverändert und der § 129 habe somit Bestand.
Das Gericht erkenne an, dass die Angeklagten nicht aus egoistischen Motiven gehandelt hätten.
Bei Herrn Y. lägen die Voraussetzungen des § 129 StGB vor. Bezüglich des § 244 werde ein minderschwerer Fall festgestellt, weil es vonseiten des Zeugen S. Provokationen gegeben habe und die Verletzung des Zeugen S. nicht so schlimm gewesen sei. Strafmildernd berücksichtigt habe das Gericht auch die lange Haft- und Verfahrensdauer. Bei allen könne eine positive Sozialprognose festgestellt werden.
An die Staatsanwalt gewandt, betonte der vorsitzende Richter die Besonderheiten der Kosten in diesem Fall (Voraussetzungen für Quotelung lägen nicht vor). Jeder Fall müsse einzeln geregelt werden.

Oberstaatsanwalt Schmengler erklärte, auf Rechtsmittel verzichten zu wollen, ebenso die Verteidigung von Aziz K. und Turabi K.

(Azadî, 9.6.2009)

 

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