AZADI infodienst nr. 78
juni 2009


 

Asyl- und Migrationspolitik

 

Bleiberechtsregelung läuft zum Jahresende aus
Volker M. Hügel: 80 Prozent der Flüchtlinge fallen in die Duldung zurück

In einem Interview mit der jungen welt, macht das Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrats NRW, Volker Maria Hügel, im Zusammenhang mit der zum Jahresende auslaufenden Bleiberechtsregelung auf die verschlechterte Situation langjährig „Geduldeter“ aufmerksam.
„Flüchtlinge mit einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe müssen erneut eine Abschiebung fürchten.“ Hügel geht davon aus, dass „80 Prozent dieser Flüchtlinge in die Duldung zurückfallen“ werden. Auf die Frage, wie das passieren könne, erläutert er: „Ihr Aufenthalt ist nur gesichert, wenn sie keinen Anspruch mehr auf Leistung haben – unabhängig davon, ob sie diese geltend machen. Beispiel: Mann, Frau und zwei Kinder leben von einem Nettogehalt von 1 678 Euro – die Warmmiete einberechnet. Diese Familie kann zusätzlich noch ergänzende Sozialleistung in Höhe von 296 Euro beantragen. Selbst wenn sie darauf verzichtet, erhält sie keinen Aufenthalt. Ihre einzige Chance ist, diese 296 Euro zusätzlich durch Erwerbstätigkeit heranzuschaffen.“ Flüchtlingsorganisationen fordern eine Lockerung dieser Regelung. Die Innenministerkonferenz hatte vor zwei Jahren in der Bleiberechtsregelung den Einreisestichtag für Flüchtlingsfamilien auf sechs Jahre und für Alleinstehende auf acht Jahre festgelegt.
Volker Maria Hügel, der auch im Vorstand von PRO ASYL aktiv ist, befürchtet, dass nun auch selbst jene Menschen, die „schon zehn Jahre hier leben“, um ihren Aufenthalt bangen müssen. „100 000 Geduldete leben in Deutschland, davon 62 000 länger als sechs Jahre. Und viele der 29 000 mit Aufenthalt auf Probe werden Probleme bekommen.“ Auch „vermeintliche“ Straftäter erhalten kein Bleiberecht und das trifft zu, wenn „jemand zur Zahlung von 50 Tagessätzen verurteilt wurde.“ Bagatelldelikte, die „erst nach zehn Jahren aus dem Bundeszentralregister getilgt“ werden.
Flüchtlingsorganisationen fordern eine Nachbesserung bzw. Lockerung der Bleiberechtsregelung, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise.

(Azadî/jw, 8.6.2009)

 

Einbürgerungszahl auf Rekordtief
Sevim Dagdelen: Bundesregierung verantwortlich

Laut der Bilanz des Statistischen Bundesamtes erhielten im vergangenen Jahr lediglich 94 500 Ausländer-innen einen deutschen Pass – etwa 18 000 weniger als 2007 und halb so viele wie kurz nach Inkrafttreten der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Besonders niedrig war die Einbürgerungsrate mit 0,8 Prozent bei den 2,2 Millionen hier lebender EU-Bürger-innen. Bei der größten Migrant-inn-engruppe, den Türken, lag die Quote mit 1,7 Prozent unter dem Durchschnitt. Die Aufgabe des Passes und die verschärften Anforderungen an deutsche Sprachkenntnisse haben sich als Barrieren erwiesen. Am höchsten lag die „Neudeutschen“-Quote bei ehemals irakischen Staatsbürgern. Sevim Dagdelen, Linken-Abgeordnete im Bundestag, kritisierte die Tendenz und macht das „zweifelhafte Verdienst der Bundesregierung und ihrer Integrationsbeauftragten Maria Böhmer“ verantwortlich. Durch ihre Verschärfung des Einbürgerungsrechts habe die Bundesregierung die Bilanz selbst herbeigeführt.

(Azadî/FR, 13./14.6.2009)

 

Gesetzesinitiative zum Schutz vor Zwangsehen

Die Frauen- und Gleichstellungsminister-innen aller Bundesländer planen, ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht für zwangsverheiratete Frauen durchzusetzen. Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes begrüßt den Gesetzesvorschlag. „Vor den Sommerferien häufen sich bei uns die Fälle von Frauen, die Angst vor Heiratsverschleppung haben“, sagt deren Geschäftsführerin Christa Stolle. „Diese Frauen sind entsetzt, wenn wir ihnen mitteilen müssen, dass sie nicht mehr in Deutschland leben können.“ Bei Frauen, die – wie in zahlreichen Fällen geschieht – aus ihrer erzwungenen Ehe wieder nach Deutschland fliehen, erlischt aber nach einer 6-monatigen Abwesenheit das Aufenthaltsrecht. Sie müssen dann „zurück zum gewalttätigen Ehemann“, was für Beraterin Behshid Najafi „eine unglaublich tragische Situation“ sei. Im Jahre 2008 haben rund 130 Zwangsverheiratete in deutschen Beratungsstellen Zuflucht gesucht, wobei Expert-inn-en von einer wesentlich höheren Dunkelziffer ausgehen. Die Bundesregierung hat mehrere Organisationen mit einer Studie zum Ausmaß des Verbrechens beauftragt, die im Herbst 2010 vorliegen soll.
Es sollen wegen der Änderung von Verwaltungsvorschriften oder des Ausländerrechts noch Gespräche mit dem Bundesinnenministerium geführt werden.

(Azadî/FR, 20./21.6.2009)

 

 

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