AZADI infodienst nr. 59
oktober 2007


 

repression

Ab 1. November „ePass“ mit Foto und Fingerabdrücken

Ab 1. November wird der elektronische Pass ausgehändigt, von dessen Einführung sich Bundesinnenminister Schäuble einen großen Sicherheitsgewinn verspricht. Zusätzlich zu dem seit 2005 vorgeschriebenen digitalen Passbild werden zwei Fingerabdrücke auf einem Chip erfasst. Diese werden laut Gesetz anders als das Foto nach Ausgabe des Passes nicht bei den Meldeämtern gespeichert. Bisher sind von diesem „ePass“ 4,3 Millionen ausgegeben worden. Künftig werden die Daten der Passanträge nur noch elektronisch übermittelt. 6000 Gemeinden sind laut Bundesdruckerei bereits an das System angeschlossen. Jährlich werden durchschnittlich 2,5 Millionen Anträge für neue Pässe ausgestellt. Die neuen 10 Jahre gültigen Ausweise kosten 59 Euro. Für Personen unter 24 Jahren gelten sie nur sechs Jahre – Preis 37,50 Euro. Ein Kinderpass (6. bis 12. Lebensjahr) kostet 13,— Euro.

(Azadî/FR, 4.10.2007)

Europarat:
Gegen rassistische Rasterfahndungen

In einer Empfehlung an seine 47 Mitgliedsländer hat der Europarat ein klares Verbot von Rasterfahndungen gefordert, die ausschließlich auf bestimmten rassistisch orientierten Merkmalen basieren. Polizeikontrollen, Überwachungen bestimmter Personen und Ermittlungen müssten mit einem „nach objektiven Kriterien begründeten Verdacht“ begründet werden.

(Azadî/ND, 5.10.2007)

Vor 30 Jahren:
Zur Vorgeschichte des „Deutschen Herbstes“

„(…) Insgesamt wurden in Westdeutschland und Westberlin von 1971 bis 1980 zwölf Menschen von der Polizei erschossen, die wegen des Verdachts verfolgt wurden, Mitglieder oder Unterstützer ‚terroristischer Vereinigungen’ gewesen zu sein. Insgesamt werden in diesen Jahren 150 Menschen von Polizeikugeln tödlich getroffen. Eine Untersuchung von 59 Todesschüssen in den Jahren 1980 – 1984 und deren Behandlung durch die Justiz ergibt folgendes Bild: In 76 Prozent der Fälle wurde keine Anklage erhoben. Von den verbleibenden 24 Prozent, die gerichtlich überprüft wurden, endeten vier Fälle mit einem Freispruch, drei mit einer Geldstrafe und sieben mit einer Haftstrafe zur Bewährung – die längste ein Jahr. In keinem einzigen Fall musste ein Polizist den Dienst quittieren.“

(Azadî/jw, aus der Reihe „Stammheim, der Staat und die RAF“, 8.10.2007)

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Erosion der Menschenrechte durch Antiterrorbekämpfung
Warnung vor „entgrenztem Präventivstaat“

„Die militärische Sicht in der Antiterrorbekämpfung stärkt die Tendenz, dass Rechtswege und Gerichte zurückgedrängt werden,“ fasst Gerald Staberock von der Internationalen Juristenkommission Genf auf einer Konferenz „Terrorismusbekämpfung und Menschenrechtsschutz“ in Berlin zusammen, die von Amnesty International, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein und dem neu gegründeten Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte durchgeführt wurde. „Wir erleben eine globale Erosion der Menschenrechte.“ Im Zentrum der Veranstaltung standen die Entführung von Terrorverdächtigen durch den US-Geheimdienst CIA und die weltweite Aufweichung des Folterverbots. Es werde ein „KIima des Generalverdachts“ gegen bestimmte religiöse und Ausländergruppen geschaffen. Dass Geheimdienste und Polizei zunehmend vernetzt werden und dabei systematisch Informationen verwenden, die unter Folter erpresst wurden, komme einem „Komplizentum“ gleich, so der Jurist. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) warnte vor „achselzuckender Gleichgültigkeit“ angesichts der Gefahr, „in einen entgrenzten Präventivstaat zu laufen“. Menschenrechtler müssten verstärkt zusammenarbeiten.

(Azadî/jw, 8.10.2007)

 

Britische Studie: Antiterror-Krieg ein Desaster
Neue Politik notwendig

Der so genannte Krieg gegen den Terrorismus ist nach Ansicht britischer Wissenschaftler zu einem „Desaster“ geworden. Der Westen müsse sein Vorgehen in Irak und Afghanistan grundlegend ändern und unbedingt von Angriffen auf den Iran absehen, heißt es in einer Studie der Oxford Research Group. „Der Westen muss einfach erkennen, welche gefährlichen Fehler in den letzten sechs Jahren gemacht wurden und die Notwendigkeit einer neuen Politik erkennen,“ äußerte Paul Rogers, Leiter der Studie. „Jeder einzelne Aspekt des Krieges gegen den Terrorismus war in Irak und Afghanistan kontraproduktiv, von den Opfern unter Zivilisten bis hin zu Massenverhaftungen ohne Gerichtsverfahren. Es war ein Desaster.“

(Azadî/ND, 9.10.2007)

 

Online-Durchsuchung vor Bundesverfassungsgericht

Vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 10. Oktober die mündliche Verhandlung über die umstrittene Online-Durchsuchung von Computern terrorverdächtiger Personen begonnen. Im Streit über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes in Nordrhein-Westfalen, hatten u. a. der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum und die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (beide FDP) Klage beim BVerfG eingereicht.
Die Richter kritisierten am eigentlichen Streit um das NRW-Verfassungsschutzgesetz u.a. den zweideutigen Wortlaut des Gesetzes. So sei nicht klar, wo die Grenzen der Ausspähung gezogen würden. Man werde grundsätzlich über die Zulässigkeit von Online-Durchsuchungen und den verfassungsrechtlichen Schutz der Privatsphäre zu entscheiden haben, machte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier zu Beginn der Anhörung deutlich. „Diese Fragen werden möglicherweise weit über die hier konkret streitgegenständlichen Vorschriften hinaus Bedeutung erlangen.“
Ein Urteil der Verfassungsrichter wird erst für das kommende Jahr erwartet.

(Azadî/ND, 11.10.2007)

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Big-Brother-Preis für General­bundesanwältin Harms
Außer Konkurrenz auch Bundesinnenminister Schäuble „geehrt“

In der Kategorie „Behörden/Verwaltung“ wurde der diesjährige Big Brother Award an Generalbundesanwältin Monika Harms verliehen. In seiner Laudatio bei der Verleihung am 12. Oktober in Bielefeld begründete der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, die Wahl. Zum einen erhalte die Bundesanwältin den Preis für ihre Maßnahmen gegen Gegner des G-8-Gipfels im Mai. So habe sie beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs beantragt, auf der Suche nach Bekennerschreiben militanter Gegner in Hamburg systematische Briefkontrollen durchführen zu lassen. Zum anderen habe sie angeordnet, von Gipfelgegnern, die der Militanz verdächtigt wurden, Körpergeruchsproben aufzunehmen und zu konservieren. Beide Maßnahmen seien „im Rahmen von Terrorismus-Ermittlungen und Razzien gegen Globalisierungskritiker durchgeführt worden, die sich damit bereits im Vorfeld des G-8-Gipfels unter Terrorverdacht gestellt sahen.“ Diese Ermittlungen hätten bisher zwar noch zu keinen Anklagen geführt, dafür aber „zu umfangreichen Vorfeld-Ausforschungen per Datenerfassung und –verarbeitung, Ausforschungen, die der Erstellung von Sozioprogrammen des G-8-Protest- und Widerstandspotenzials dienen.“
Nicht-Preisträger wurde Bundesinnenminister Schäuble – „als zwanghafter Scharfmacher in Sachen Sicherheit & Terror“. Wie kaum ein anderer versteht er es, „mit seiner Panikmache und Drohpolitik die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen.“ Damit erfülle er„einen klassischen Wesenszug des Terrors“, nämlich „mit dem Ziel, Bevölkerung und Parlamentarier so lange weich zu klopfen, bis sie seine umstrittenen Pläne geradezu herbeisehnen und absegnen.“ So Rolf Gössner.

(Azadî/aus den Redetexten v. 12.10.2007)

 

Herbst 2007:
Überwachungsstaat droht

„Deutschland im Herbst 2007: Medien und Publizistik ergehen sich in düsteren Erinnerungen an den Deutschen Herbst des Jahres 1977. Dabei rechtfertigt die Gegenwart durchaus die Frage, ob nicht nach dem Ablauf der nächsten 30 Jahre Anlass bestehen wird, auch dem Herbst des Jahres 2007 ein ähnlich düsteres Gedenken zu widmen. (…)
Der Bundesinnenminister warnt vor Terroranschlägen mit nuklearverseuchtem Sprengstoff und rät uns, dennoch bei Laune zu bleiben. Da wird die Seelsorge zur Sicherheitspolitik gleich mitgeliefert. Ein Anschlag sei nur noch eine Frage des Wann. Im angeblich unabweisbaren Interesse der Ausweichlichkeit dessen, was er selbst als unausweichlich ankündigt, fordert er die dringliche Verabschiedung immer neuer Gesetze, die den Rechtsstaat näher an den Überwachungsstaat rücken. Augenscheinlich hat er immer noch nicht bemerkt, dass die Mehrheit der Bevölkerung längst keinen Innenminister mehr braucht, um zu wissen, dass ihr Land als Bestandteil des westlichen Lagers nicht von Amts wegen vor dem islamistischen Terror geschützt ist. (…)“

(Azadî/FR, aus Kommentar von Rupert v. Plottnitz, 12.10.2007)

 

Hartz IV – Element eines autoritären Staates

Für den Psychoanalytiker Reinhold Bianchi stellen die Hartz IV-Gesetze eine Art „Verfolgungsbetreuung“ dar. Sie dienten der „Einschüchterung, Disziplinierung und Entmündigung der Betroffenen“, womit sie „ein wichtiges Element beim Aufbau eines autoritären Staates bilden, mit dem sich die Machteliten für ihre aggressiven Aktionen nach innen und außen fit zu machen und gegen Krisenreaktionen von unten absichern wollen.“
Die neoliberalen Eliten würden von der „sozialen Spaltung“ profitieren, die die „Gewinne exorbitant steigert und die sozial Schwächeren dafür bezahlen lässt.“ Bianchi ist Mitautor des Buches „Solidarisch Mensch werden – psychische und soziale Destruktion im Neoliberalismus und Wege zu ihrer Überwindung“ (VSA-Verlag)

(Azadî/Bianchi in der jw, 16.10.2007)

 

 

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