AZADI infodienst nr. 56
juli 2007


Zur Sache: Türkei

 

MAN und Mercedes produzieren in der Türkei
Beschäftigte billig und motiviert

Derzeit liegt die Türkei auf Platz 16 der Weltrangliste der Autoproduktion, erklärt Ercan Tezer., Generalsekretär des Verbandes der türkischen Automobilindustrie. Der deutsche Lastwagenhersteller MAN fertigt im Werk bei Ankara jährlich rund 4000 Busse und Laster. Mercedes betreibt im zentralanatolischen Aksaray eine auf 16 000 Einheiten jährlich ausgelegte Lkw-Produktion. Die Reisebus-Produktion wurde sogar vollständig nach Hosdere bei Istanbul verlegt: «Die Lohnkosten liegen hier bei sieben bis neun Euro pro Stunde gegenüber 34 bis 35 Euro im EU-Durchschnitt», betont Jürgen Ziegler, Präsident von Mercedes-Benz Türk. Für die Türkei spreche die überdurchschnittliche Qualifikation und Motivation der Beschäftigten, erklärt Andreas Glunz, Türkei-Koordinator der Beratungsfirma KPMG.

(Azadî/FR, 10.7.2007)

 

Eren Keskin zu Haftstrafe verurteilt
Menschenrechtlerin sieht ihr Leben bedroht

Wegen eines Redebeitrags auf einer DEHAP-Veranstaltung zum Thema Menschenrechte im Februar 2005, wurde die Rechtsanwältin und Menschenrechtlerin Eren Keskin zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt. Ihr wurde zur Last gelegt, das Wort «Kurdistan» verwendet und «Die Geschichte der Türkei ist eine schmutzige Geschichte» gesagt zu haben.
Ein weiteres Ermittlungsverfahren wurde gegen sie aufgrund einer vom türkischen Generalstab gestellten Strafanzeige eingeleitet. Der Grund: In der deutschen Tageszeitung «Tagesspiegel» vom 24. Juni 2006 hatte sie sich in einem Interview zu einem Anschlag auf das Oberste Verwaltungsgericht in der Türkei und eine mögliche Verwicklung des Generalstabs geäußert.
In einer Pressekonferenz zu der Haftstrafe und das eingeleitete Ermittlungsverfahren, erklärte Eren Keskin in Istanbul, dass ihr Leben bedroht sei. Sie verwies auf Lynchversuche der jüngsten Zeit sowie die mafiösen Strukturen in der Türkei. Polizeioperationen hätten ihre These bestätigt, dass es Militärs seien, die hinter den Bandenstrukturen steckten. Sie bekräftigte dennoch: «Ich werde das Wort Kurdistan weiter benutzen. Dieses Wort wurde bereits in jener Zeit verwendet, als die Republik Türkei gegründet wurde.»

(Azadî/ÖP/ISKU, 11.7.2007)

 

Deutsch-türkische Beziehungen in Zahlen

Laut der Frankfurter Rundschau vom 18. Juli 2007 dürften die ausländischen Direktinvestitionen der türkischen Wirtschaft von knapp über eine Milliarde Dollar im Jahre 2002 in diesem Jahr auf fast 30 Milliarden geklettert sein. Fast 3000 deutsche Unternehmen sind dort tätig, davon kamen im vergangenen Jahr allein 500 nach Anatolien. Das bilaterale Handelsvolumen zwischen der Türkei und Deutschland erreichte 2006 mit 23,5 Milliarden Euro einen neuen Rekord.

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Osman Murat Ülke:
Unendliche Serie von Verfolgung und Bestrafung

Kriegsdienstverweigerer muss «legalisiert» werden !

Erneut soll Osman Murat Ülke, der im September 1995 seine Kriegsdienstverweigerung erklärt und die Einberufungspapiere öffentlich verbrannt hatte, ins Gefängnis. «Wir wollten den allgegenwärtigen Militarismus mit gewaltfreien Methoden des zivilen Ungehorsams in Frage stellen,» hatte er damals betont. Kriegsdienstverweigerung gilt in der Türkei als schwere Straftat und wird verfolgt. Murat Ülke wurde mit einer Unzahl von Prozessen und Inhaftierungen wegen Befehlsverweigerung und Fahnenflucht überzogen. Bis 1999 verbrachte er 701Tage in Haft. Dann wurde er freigelassen und schien «vergessen». Er blieb illegalisiert, hatte keine gültigen Papiere und musste jederzeit mit erneuter Verhaftung rechnen. Im Januar 2006 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Türkei dem Pazifisten eine Entschädigung über 10 000 Euro zu zahlen habe, weil die türkische Militärjustiz «unverein» sei «mit dem Strafrecht einer demokratischen Gesellschaft». Ülke sei Opfer «einer unendlichen Serie von Verfolgung und Bestrafung geworden, die seine Persönlichkeit unterdrücken und ihn entwürdigen». Weil nichts geschah, hat das Ministerkomitee des Europarates im Februar 2007 die Türkei deshalb kritisiert. Im Juni versicherte die Regierung, es sei ein Gesetz in Vorbereitung, das Mehrfachbestrafungen von Kriegsdienstverweigerern vermeiden solle. Stattdessen erhielt Osman Murat Ülke nun die Aufforderung, eine angeblich noch ausstehende Haftstrafe über 17 Monate und 15 Tage anzutreten. Ülkes Anwalt Kevin Boyle fordert die Aufhebung des Bescheides.

(Azadî/jw, 18.7.2007)

 

Wahlen 2007: Kurdinnen und Kurden im türkischen Parlament

Ermittlungen gegen Leyla Zana / Gefangenenbesuche von Abgeordneten erschwert

«Heute ist für uns ein Festtag», kommentierte Selma Irmak, Beauftragte der Vizechefin der DTP (Partei für eine demokratische Gesellschaft), das Ergebnis der Wahlen in der Türkei am 22. Juli. Danach ziehen 22 von der DTP unterstützte unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten des Bündnisses «1000 Hoffnungen» ins Parlament. Diese Zahl wird ihnen die Gründung einer eigenen Fraktion erlauben. Gleichzeitig wurde bekannt, dass die ehemalige Parlamentsabgeordnete und langjährige politische Gefangene, Leyla Zana, mit mehreren Ermittlungsverfahren überzogen wird. Die Staatsanwaltschaften werfen ihr vor, auf Wahlveranstaltungen eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen sowie die Lösung der Kurdischen Frage u. a. innerhalb eines Provinzsystems die Schaffung einer «Provinz Kurdistan» gefordert zu haben. Dies auszusprechen, sei zwar «ein Tabu», doch sei sie davon überzeugt, dass die heutigen Kritiker «in 5 oder 10 Jahren diejenigen sein werden», die «das umsetzen und praktizieren». Weiter erklärte sie, dass die Errichtung von Provinzen «keinen Separatismus» darstelle, «sondern ein Lösungsmodell», welches in vielen Ländern existiere.
Unmittelbar nach den Wahlen hat das Justizministerium eine Änderungen der Bestimmungen zu Besuchen bei Gefangenen bekannt gegeben. Hatten zuvor Abgeordnete das Recht, Gefangene sogar ohne Trennscheibe zu besuchen, ist dies ab sofort im Falle von «Terroristen» abgeschafft. Die neuen Bestimmungen scheinen unmittelbar für Abdullah Öcalan erlassen worden zu sein, betreffen aber auch alle anderen Untersuchungs- und Strafgefangene, denen Straftaten nach dem Antiterrorgesetz vorgeworfen werden.

(Azadî/ANF/DIHA/ISKU, 28.7.2007)

 

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