AZADI infodienst nr. 56
juli 2007


Razzien in mÜnchen

Kurdenverfolgung in der Türkei– Repression in Deutschland

Kaum ein halbes Jahr ist vergangen seit den letzten bundesweit organisierten Durchsuchungsaktionen kurdischer Objekte. In den frühen Morgenstunden des 5. Juli haben ca. 190 Polizeibeamte in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen die Privatwohnungen und Geschäftsräume von «mutmaßlichen Anhängern der verbotenen Organisation KONGRA-GEL» durchsucht und handys, Bücher, Kassetten, PCs und andere Unterlagen beschlagnahmt. Nach Angaben des Polizeipräsidiums München und der Staatsanwaltschaft waren allein im Großraum München hiervon 23 Objekte betroffen. Ziel der polizeilichen Aktion sollte das Auffinden von Beweismaterial zum Nachweis der Unterstützung von KONGRA-GEL sein, der auf Druck der Türkei im Jahre 2004 auf die EU-Terrorliste gesetzt worden war. Begründet wurden die Razzien in München ferner mit der Behauptung, es werde am Aufbau einer PKK-nahen Jugendorganisation gearbeitet.
Unter den mindestens 22 festgenommenen Personen befand sich auch der 69-jährige kurdische Schriftsteller und Publizist, Haydar Isik, gegen den wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der «Führungsriege der verbotenen Vereinigung» ein Haftbefehl durch das Amtsgericht München erlassen worden war.
In einer gemeinsamen Presseerklärung des Polizeipräsidiums und der Staatsanwaltschaft München I vom 5. Juli wurde ausgeführt, dass der Volkskongress Kurdistan (KONGRA-GEL) «mit massiver Waffengewalt» für einen «autarken kurdischen Staat» kämpfe und eine «Separation von der Türkei» anstrebe. Diese Behauptung ist eine glatte Verleumdung und gibt das wieder, was der türkische Staat unablässig erklärt. Vor dem Hintergrund der Parlamentswahlen am 22. Juli überboten sich die Parteien in der Hetze gegen die kurdische Bevölkerung, gegen Mitglieder der prokurdischen DTP und insbesondere gegen den früheren PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. So forderte die ultrarechte «Partei der Nationalistischen Bewegung» (MHP) auf öffentlichen Wahlversammlungen dessen Hinrichtung, proklamierte den Verzicht auf die Gewährung von Rechten für die kurdische Bevölkerung sowie eine Abkehr von den Kopenhagener Kriterien, die die EU als Voraussetzung für einen Beitritt der Türkei verlange. Mit derartigen Forderungen konnte sich die MHP der Unterstützung der militärischen Elite des Landes sicher sein.
So warf Generalstabschef Yasar Büyükanit insbesondere dem europäischen Ausland vor, den «Terrorismus» (der PKK u.a.) zu unterstützen und forderte zu einer politischen Offensive gegen die «Unterstützer des Terrorismus» auf. Außerdem falle die EU der Türkei bei der «Lösung des Kurdenproblems» durch ihre Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte in den Rücken.
Deutschland hat wieder einmal verstanden. Die Durchsuchungsaktionen dürften auf große Zustimmung dieser nationalistisch-chauvinistischen Polit- und Militärkreise gefallen sein. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden haben ihnen einen Bärendienst erwiesen und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, Handlanger dieser schmutzigen Politik zu sein.

Azadî und die Föderation kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM) verurteilten das Vorgehen der Behörden und forderten die Freilassung aller Festgenommenen. Das Grundübel der staatlichen Kriminalisierungs- und Strafverfolgungspraxis liege in dem 1993 erlassenen Betätigungsverbot der PKK begründet, das in den folgenden Jahren ohne großen Aufhebens und ungeachtet jeglicher grundlegenden Veränderungen der kurdischen Freiheitsbewegung auf KADEK, KONGRA-GEL und KKK ausgeweitet worden ist.

Gerne würden wir darauf verzichten wollen, seit Jahren immer wieder auf diese Tatsache hinzuweisen. Dies mag manche/n langweilen – insbesondere vor dem Hintergrund der drastischen sozialen Einschnitte und einem rasant fortschreitenden Abbau bürgerlicher Grundrechte. Doch darf die dramatische politische Gesamtentwicklung nicht dazu führen, dass länger zurückliegende Ereignisse, die nach wie vor für eine Vielzahl von Menschen einschneidende Folgen haben, nicht mehr im Fokus des allgemeinen Interesses stehen. Was gestern von der herrschenden Politik gegen Migrantinnen und Migranten «reformiert» wurde, wird sich zweifellos morgen gegen alle richten. Deshalb muss die Forderung nach Aufhebung des sog. PKK-Verbots unvermindert erhoben werden.

Kundgebung gegen Repression

Gegen die jüngste Repressionswelle haben in München der Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein, DIDF, die GEW, Marxistische Initiative, Libertad, DKP und die LINKSPARTEI auf einer Kundgebung protestiert. In einem gemeinsamen Flugblatt wurde Deutschland aufgefordert, nicht weiter Teilhaber im schmutzigen Krieg des türkischen Staates gegen die Kurden zu sein. Brigitte Wolf (LINKSPARTEI) forderte in einem Redebeitrag die Aufhebung des PKK-Verbots sowie die sofortige Freilassung von Haydar Isik.

(Azadî/ANF/ÖP/ISKU, 9.7.2007)

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Interview Interview Interview Interview Interview

Am 17. Juli wurde auch der kurdische Schriftsteller Haydar Isik aus der Haft entlassen. Aus diesem Anlass sprach AZADÎ mit dessen Verteidiger, Rechtsanwalt Hartmut Wächtler.

Was wurde Herrn Isik konkret vorgeworfen?

Herrn Isik wird im wesentlichen vorgeworfen, die kurdische PKK unterstützt zu haben. Dafür soll er Geld gesammelt und an die PKK weitergeleitet haben. Das ist ein Verstoß gegen das deutsche Vereinsgesetz, da die PKK hier verboten ist.

Was führte dazu, dass Herr Isik aus der Haft entlassen wurde?

Nachdem ich Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt hatte, hätte nun das Landgericht über die Stichhaltigkeit der Vorwürfe zu befinden gehabt. Dem ist die Staatsanwaltschaft zuvorgekommen, indem man beantragt hat, Herrn Isik gegen Auflagen aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

War die Entlassung mit Auflagen verbunden?

Es gibt Meldeauflagen. Die wichtigste andere Auflage ist, dass Herr Isik mit einer Reihe von Personen keinen Kontakt haben darf. Unter anderem wird er auch selbst auf der Namensliste der Kontaktverbote genannt! Diese Liste der angeblich konspirativen Menschen, mit denen Herr Haydar nicht sprechen darf, enthält Menschen, die seinen Verein «Dersim-Gesellschaft für Wiederaufbau e.V.» unterstützen, deswegen steht er auch selbst mit 20,- Euro monatlich darauf. Dieser ganz offizielle Verein, dessen homepage jedermann im Internet bewundern kann, hilft sozialen und kulturellen Projekten in seinem Heimatort Dersim (Tunceli).
Die dortige Bürgermeisterin Frau Songül war schon oft in Deutschland und wurde 2004 von Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) im Münchner Rathaus begrüßt. Es ist absurd, aus dieser offenen und offiziellen Hilfsaktion für seinen Geburtsort Dersim eine PKK-Unterstützung zu konstruieren. Da wundert es nicht mehr, wenn er nun auch laut richterlicher Verfügung nicht mehr mit sich selbst Kontakt halten darf! Natürlich habe ich auch gegen diese Auflagen Beschwerde eingelegt.

Das war tatsächlich alles?

Ihm wird zum Beispiel auch vorgehalten, dass er vor dem Newroz-Fest der Kurden im März 2007, das vom Kulturreferat der Stadt München mit 3000 Euro unterstützt wurde, die Parolen auf den Flugblättern und Transparenten kontrolliert habe. Jeder Eingeweihte weiss, dass es eine der Auflagen der Ordnungsbehörden ist, dass auf solchen Festen keine Parolen für die PKK und Öcalan gezeigt werden, weil das in Deutschland verboten ist. Wenn er also nicht kontrolliert hätte und solche Parolen zu sehen gewesen wären, wäre das für die Behörden der «Beweis», dass hinter den Newroz-Feiern die PKK steckt. Kontrolliert aber ein Mann wie Haydar Isik die erreichbaren Flugblätter und Transparente, soll das auch gegen ihn verwendet werden. Eine solche Argumentation kann ich nicht mehr ernst nehmen.
Auf der anderen Seite saß Herr Isik jetzt 12 Tage in Untersuchungshaft, das muss man ernst nehmen. Ich bin sicher, dass in diesem Verfahren das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Gab es Unterstützung für Herrn Isik?

Glücklicherweise haben sich viele Organisationen, die Haydar Isik kennen, nicht davon abhalten lassen, sich mit ihm zu solidarisieren. Die GEW Bayern, der Herr Isik als ehemaliger Lehrer angehört, hat schon wenige Tage nach seiner Verhaftung dagegen protestiert, weil sie seine politische Haltung seit Jahren erlebt haben. Ebenso haben seine Schriftsteller-Kollegen vom PEN-Club gegen die Verhaftung protestiert und eine Runde von internationalen Persönlichkeiten aus aller Welt, vor allem Intellektuelle und Schriftsteller, unter ihnen so bekannte Leute wie der Nobelpreisträger István Kertesz.

Wie bewerten Sie das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden und was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

Ich kann die Aktion der Strafverfolger gegen Herrn Isik nicht ganz ernst nehmen- zu abwegig sind manche Vorwürfe.
Die deutsche Politik und die deutschen Strafverfolger sollten Augenmass bewahren. Wir waren vor einigen Jahren schon einmal so weit, dass ein vernünftiger Umgang mit der Kurdenfrage, die durch die vielen MitbürgerInnen kurdischer Abstammung in Deutschland natürlich auch hier ein Problem ist, in Sicht schien. Dadurch, dass man auf Ausgleich bedachte Männer wie Haydar Isik einsperrt, kommt man einer Lösung keinen Schritt näher.

 

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