AZADI infodienst nr. 101
mai 2011


 

gerichtsurteil

 

Identitätskampagne „Auch ich bin PKKler/in“ von 2001:
EU-Menschenrechtsgerichtshof sieht das Recht auf Meinungsfreiheit durch deutsche Gerichtsurteile nicht verletzt /Kurdin hatte Individualbeschwerde eingereicht

Die Kurdin Aysel A. hatte im April 2007 eine Individualbeschwerde nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gegen die Bundesrepublik Deutschland beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Hierin hatte sie insbesondere geltend gemacht, dass ihr Recht auf freie Meinungsäußerung durch ihre strafrechtliche Verurteilung verletzt worden sei. Hintergrund der Beschwerde war ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz, das bis zur letzten juristischen Instanz (Bundesverfassungsgericht) in Deutschland geführt worden ist. Einstimmig erklärte der Europäische Gerichtshof die Rüge der Kurdin nach Artikel 10 der Konvention für zulässig, die Individualbeschwerde jedoch für unzulässig. Ferner entschieden die RichterInnen der 5. Sektion mit sechs zu einer Stimme, dass Artikel 10 der Konvention nicht verletzt worden ist. Mit dieser Entscheidung hat sich der Gerichtshof im Großen und Ganzen den Urteilsbegründungen der deutschen Gerichte angeschlossen.
Aysel A. hatte die im Jahre 2001 vom damaligen Präsidialrat der PKK beschlossene Unterschriftenkampagne „Auch ich bin PKKler/in“ wie Zehntausende andere Kurdinnen und Kurden unterschrieben und sich an der Kampagne beteiligt. Zentraler Inhalt der Selbsterklärung war der fundamentale strategische Wechsel der PKK, mit ausschließlich politischen Mitteln eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage zu erreichen. Um ihre Unterstützung für diesen neuen Weg dokumentieren zu können, waren Kurdinnen und Kurden europaweit aufgerufen, die Erklärung, verbunden mit konkreten Forderungen an die Staaten der EU, ihre Verantwortung zu übernehmen, zu unterschreiben. Hierzu gehörte auch das Bekenntnis, das gegen die PKK ausgesprochene Verbot und die strafrechtliche Verfolgung der Mitgliedschaft in der PKK sowie der strafrechtlichen Verfolgung der aktiven Sympathie für die PKK auf das Schärfste zu verurteilen. Dem folgte die Aussage: „Weiterhin erkläre ich, dass ich dieses Verbot nicht anerkenne und sämtliche Verantwortung übernehme, die sich daraus ergibt.“
Im Laufe der Kampagne sind Zehntausende von unterschriebenen Selbsterklärungen gesammelt und verschiedenen Behörden (Staatsanwaltschaften /Gerichten/Landtagen u.a.) übergeben worden.
Dieser letzte Satz des Aufrufs schließlich führte in der Folge zu Tausenden von Strafverfahren gegen UnterzeichnerInnen wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz (§ 18 Satz 2 bzw. 20 Abs. 1). Betroffen hiervon war auch Aysel A. Sie wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Landgericht war der Meinung, dass sich die Kurdin durch die Unterzeichnung der Erklärung und ihre aktive Mitwirkung an der Umsetzung der Kampagne über das PKK-Betätigungsverbot hinweggesetzt habe. Sie hingegen betonte, sie habe nicht gegen Gesetze verstoßen, sondern nur ihre Meinung frei äußern wollen.
Vom Recht auf freie Meinungsäußerung sei – so das Landgericht – die Kritik am PKK-Verbot und die Forderung nach dessen Aufhebung gedeckt, nicht jedoch die Ankündigung, dass man das Verbot nicht anerkenne und die Konsequenzen hieraus übernehmen wolle. Außerdem zeigten sich die Richter davon überzeugt, dass die Kampagne das Ziel verfolge, die Strafverfolgungsbehörden mit den Selbsterklärungen so zu belasten, dass sie diese nicht mehr bewältigen könnten.
Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, die der Bundesgerichtshof (BGH) im Januar 2004 verworfen und die Argumentation des Landgerichts bestätigt hatte. Daraufhin hat die Kurdin Verfassungsbeschwerde mit der Begründung der Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung eingelegt. Im September 2006 wies das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde als unbegründet zurück.

(Stark gekürzte Fassung des 20seitigen Urteils des EU-Menschenrechtsgerichtshofes vom 27.2.2011– nichtamtliche Übersetzung aus dem Englischen/Azadî)

 

 

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