AZADI infodienst nr. 101
mai 2011


 

asyl- und Migrationspolitik

 

Vorerst keine Abschiebungen nach Damaskus
«Rückführungsabkommen» mit Syrien aber bleibt

„Angesichts der gravierenden Menschenrechtsverletzungen und der extrem instabilen Situation bis zur Klärung der Verhältnisse in Syrien” hat der bayerische Landtag am 18. Mai entschieden, vorerst keine Personen nach Syrien abschieben. Einen ähnlichen Antrag der Grünen hatte die CSU noch im April abgelehnt. Die Entscheidung des bayerischen Landtags bedeute für die etwa 230 betroffenen Flüchtlinge in Bayern „endlich Rechtssicherheit“, betont Agnes Andrae vom Bayerischen Flüchtlingsrat.
In Niedersachsen hatte CDU-Innenminister Uwe Schünemann bereits Anfang Mai die Ausländerbehörden angewiesen, vorläufig niemand zwangsweise nach Syrien abzuschieben. Außerdem sollten syrische Abschiebehäftlinge freigelassen werden.
Somit haben inzwischen – nach einem Rundschreiben des Bundesinnenministeriums vom 28. April – fast alle Bundesländer die Rückführungen nach Damaskus gestoppt.
Außerdem hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Entscheidungen über Asylgesuche aus Syrien ausgesetzt.
Die Flüchtlingsorganisationen kritisieren, dass die Bundesregierung weiterhin an dem „Rücknahmeabkommen“, das der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble 2009 mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad geschlossen hatte, festhält. Für den Niedersächsischen Flüchtlingsrat ist das ein „Griff in die Trickkiste“, weil Bund und Länder einen offiziell verfügten Abschiebestopp vermeiden wollen. So könnten Abschiebungen nach Syrien jederzeit wieder aufgenommen werden.
Nach Angaben von Amnesty International müssen abgeschobene Oppositionelle in Syrien mit schwerer Folterung rechnen. Ein Asylantrag kann von der syrischen Justiz als „Verbreitung falscher Informationen über Syrien im Ausland“ verfolgt werden. Anfang Februar sind die Kurden Anuar und Bedir Naso aus Hildesheim von ihrer Familie getrennt und abgeschoben worden. Sofort nach Ankunft sind sie in Damaskus ohne Angaben von Gründen verhaftet worden.

(taz/Azadî, 18.5.2011)

 

Folteropfer soll Kosten für Zwangsabschiebung selbst zahlen
PRO ASYL: Abgrund behördlichen Zynismus

Nach einem Bericht von PRO ASYL wurde ein 24jähriger Syrer, der im September 2008 ausgewiesen und nach Syrien abgeschoben worden ist, dort inhaftiert und gefoltert. Nachdem ihm erneut die Flucht nach Deutschland gelungen war, hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Urteil vom 13. Januar 2011 die Fakten der Haft und Folter als glaubhaft bestätigt und weitere Abschiebungsversuche untersagt. Als einen „Abgrund des behördlichen Zynismus“ bezeichnet Bernd Mesovic von PRO ASYL die nunmehr von der Ausländerbehörde Wiesbaden erhobene Forderung, dass das Folteropfer die Kosten der zwangsweisen Abschiebung selbst zu zahlen habe. Auf Heller und Pfennig, nämlich 5.347,81 €. Dabei hat gerade diese Behörde laut PRO ASYL offenbar dazu beigetragen, dass sich das Folterrisiko für den Syrer erhöhte. Sie hatte nämlich dem syrischen Konsulat den Ausweisungsgrund – eine Straftat – zusammen mit der Beantragung des Passersatzpapieres mitgeteilt. „Diese Unterlagen waren in einem verschlossenen Umschlag, den die mitfliegenden Begleitbeamten der Bundespolizei am Flughafen Damaskus direkt an syrische Grenzbeamte übergaben. Da der abgeschobene Syrer über den Inhalt des verschlossenen Umschlags zuvor nicht informiert gewesen war, hatte er angegeben, lediglich wegen illegalen Aufenthalts abgeschoben worden zu sein. Deshalb sei er von den syrischen Verhörbeamten als Lügner bezeichnet und während Verhör und Folter immer wieder nach der Straftat gefragt worden, die sich aus den Unterlagen ergab,“ so PRO ASYL. Das Hessische Innenministerium hat nach Bekanntwerden des Falles am 4. April verfügt, dass die zuständige Zentrale Ausländerbehörde künftig sogar Hinweise an die deutsche Botschaft in Damaskus über Verurteilungen und die Höhe des Strafmaßes zu unterlassen habe. Bestätigt hat das Ministerium auch den Fall des abgeschobenen Syrers und erklärt, dass den Begleitkräften mangels Übersetzung der in dem verschlossenen Umschlag befindlichen Dokumente nicht ersichtlich gewesen sei, dass die Unterlagen auch Hinweise auf eine verbüßte Haftstrafe enthalten hätten. „In den Augen der Syrer war der Abgeschobene ein Lügner, aus dem die Wahrheit mit Folter herausgeholt werden sollte,“ so Bernd Mesovic.

(Pressemitteilung PRO ASYL/Azadî, 26.5.2011)

 

Integrationsministerin Öney: „Türkische Milieus etwas gewalttätiger“ als deutsche
Ziele der wachsenden Gülen-Bewegung hinterfragen

Die neue Integrationsministerin von Baden-Württemberg, Bilkay Öney (SPD), hat in einem Interview mit den Deutsch-Türkischen Nachrichten über ihre Pläne, „kaum integrierte Migranten stärker mit muttersprachlichen Medien zu helfen, Gewalt unter Jugendlichen und die Aggressivität, die vom türkischen Staat ausgeht“, auf die Frage, ob die sich in der Türkei zuspitzende „Kurdenfrage“ auch nach Deutschland „schwappen“ würde, ausgeführt: „Das Thema beschäftigt die Türkei in der Tat seit Jahren. In Deutschland gab es hin und wieder Ausschreitungen durch Extremisten – sowohl auf kurdischer als auch auf türkischer Seite. Wir beobachten das aufmerksam, aber derzeit sehe ich keinen Grund zur Sorge.“
Befragt nach der „Gewalt unter Jugendlichen“ in „türkischen Milieus“ im Vergleich zum Rest der Gesellschaft, antwortet die Ministerin u.a.: „Dazu gibt es viele spannende Untersuchungen, aber die spannendsten kommen direkt aus der Türkei selbst. Ein sehr bekannter türkischer Psychologe aus Istanbul, Yanki Yazgan, hat einmal gesagt, dass die Menschen in der Türkei aggressiv sind, weil auch der Staat mit seinen Einrichtungen recht aggressiv ist. […] Studien in Deutschland bestätigen auch, dass türkische Milieus etwas gewalttätiger sind als vergleichbare deutsche. In Berlin haben 44 Prozent der so genannten jugendlichen Intensivtäter einen arabischen Hintergrund und 33 Prozent sind türkischer Herkunft. […] Wie Sie wissen, kommen die meisten arabischen Jugendlichen aus Deutschland aus so genannten Krisenregionen und Kriegsgebieten. Ich weiß also nicht, ob man den Jugendlichen diese Situation vorwerfen kann.“
Ob sie die Gülen-Bewegung als „Segen oder Gefahr“ einschätze, meint Frau Öney: „Die Gülen-Bewegung hat in den letzten Jahren einen großen Zuwachs und Zuspruch erfahren. Wir müssen gucken, warum das so ist und wie sich das im normalen Leben äußert. Frage ist auch, was die Gülen-Bewegung mit diesem Zuwachs erreichen will und welche Ziele sie verfolgt. Es darf kein Zweifel darin bestehen, dass sich die Gülen-Bewegung uneingeschränkt zu den Werten und Normen unserer Rechts- und Verfassungsordnung bekennt.“

(www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de, 23.5.2011)

 

Stadt Ulm entzieht Verurteiltem deutsche Staatsangehörigkeit

Einem 26jährigen türkischstämmigen Mann, der als Mitglied der so genannten „Sauerland-Terrorgruppe“ verurteilt wurde und sich derzeit in Haft befindet, will die Stadt Ulm die ihm 2005 erteilte deutsche Staatsangehörigkeit wieder entziehen, um ihn in die Türkei abschieben zu können. Er soll während des Einbürgerungsverfahrens ein polizeiliches Ermittlungsverfahren und damit zusammenhängende U-Haft verschwiegen haben. Zudem widerspreche die Verurteilung zu einer 5jährigen Freiheitsstrafe als Mitglied der Sauerland-Gruppe der im Einbürgerungsverfahren abgegebenen Loyalitätserklärung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Für die Bonner Anwältin des Betroffenen ist das eine vorgeschobene Argumentation, weshalb sie gegen die Ausbürgerung kämpft.

(Südwestpresse Ulm/Azadî, 26.5.2011)

 

 

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