AZADI infodienst nr. 35
oktober 2005


Zur Sache: tÜrkei

EU-»Screening« mit Kroatien und Türkei begonnen

Die EU-Kommission in Brüssel nahm offiziell am 20. Oktober 2005 das sogenannte Screening mit den beiden EU-Kandidaten Kroatien und Türkei auf, in dem die Gesetzgebungen der EU mit denen der beiden Aufnahmeländer verglichen werden. Dieser Prozess, der etwa ein Jahr dauern wird, ist in 35, alle Politikfelder umfassende Kapitel aufgeteilt. Laut einem Fernsehbericht des türkischen Senders NTV muss die Türkei mit schlechten Bewertungen hinsichtlich der Meinungsfreiheit und in anderen Bereichen rechnen. Vermutlich wird im sogenannten Fortschrittsbericht der EU, der am 9. November vorgelegt werden soll, u. a. der Strafprozess gegen den Schriftsteller Orhan Pamuk angeprangert.

(Azadî/jw, 21.10.2005)

Farbleere

Wegen „zweckentfremdetem Gebrauch“ wurden Gefangenen im F-Typ-Gefängnis von Bolu Kokhl und Tomaten beschlagnahmt, weil die diese daraus Eingelegtes machen wollten. Ferner konfisziert wurden Plastikwasserbehälter, die Gefangene als Untertisch für Fernseher oder Mülleimer benutzten oder Zeitungen, die beim Sport als Unterlagen dienten.
Im F-Typ-Gefängnis Tekirdag entzog man den Gefangenen von ihren Familienangehörigen geschickte Ketten und Fotoalben. Anträge auf Aushändigung der Gegenstände wurden abgelehnt mit der Begründung, Ketten seien „für Frauen“ und Fotoalben „unnötig“.
In einem anderen Gefängnis wurde von Verwandten geschickte Unterwäsche nicht ausgehändigt, weil diese „militärgrün“ sei und die Sicherheit gefährde. Es werde nur schwarze, grau oder weiße genehmigt. Begründung: rote Unterhosen würden als Fahnen benutzt, grün sei die Militärkleidung, blau die der Gefängnisangestellten und bordeaux ähnele rot.

(Azadî/Özgür Gündem/ISKU, 21.10.2005)

Kriegsvorbereitung

„(…) Die beiden Monate (des einseitigen Waffenstillstands durch die kurdische Guerilla, Azadî) wurden kurz gesagt vergeudet. Der durch ein kleines Wort des Ministerpräsidenten hervorgerufene Optimismus ist durch das staatliche antidemokratische und rechtswidrige Verhalten ins Gegenteil umgeschlagen. Auch das ist das Werk Erdogans. Vor zwei Monaten sprach er (anlässlich eines Besuches in Diyarbakir, Azadî) von der kurdischen Frage, jetzt redet er von einer Militäroperation in Südkurdistan. Er redet so, als ob in den vergangenen zwei Monaten irgend etwas für den Frieden getan wurde, das von kurdischer Seite unbeantwortet geblieben wäre. Erdogan steht unter dem Druck der eigenen Basis, weil er die Kopftuch-Frage nicht lösen konnte. Seine Existenz versucht er mit demonstrativer Nähe zu den nationalistischen Kreisen und dem Militär zu sichern. Und deshalb spricht der gleiche Erdogan, der vor zwei Monaten von der kurdischen Frage und einer Lösung geredet hat, jetzt vom Krieg.
Die Regierung bereitet sich auf den Krieg vor. Der diplomatische Verkehr mit verschiedenen Ländern ist intensiv. Von ihrem Bündnispartner USA erwartet sie grünes Licht für einen Einmarsch nach Südkurdistan. Die USA signalisieren, unter der Bedingung, Druck auf Syrien und Iran auszuüben, grünes Licht zu geben.“

(Azadî/Auszug aus Özgür Gündem/ISKU, 23.10.2005)

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Linke kämpfen für das Leben!

Anlässlich einer von TAYAD organisierten Konferenz in Berlin zum Thema „Widerstand – Tod und Leben in politischer Gefangenschaft“ (in der Türkei, Azadî), erklärte der stellvertretende Chefredakteur der Tageszeitung junge welt u.a. „Der Kampf gegen die Einführung der Isolationszellen in den Gefängnissen der Türkei verdient unsere Unterstützung, die Kämpfenden unsere Solidarität – wie sie auch Motto der Konferenz ist. Nach 120 Toten und mehr als 600 Genossinnen und Genossen, die ein Leben lang mit den gesundheitlichen Folgen des Todesfastens zu kämpfen haben werden, ist es mehr als überfällig, laut und klar zu sagen: Hört auf! Wir brauchen euch, lebend, für andere Kämpfe. Solidarität heißt im Fall der türkischen Genossinnen und Genossen, ihnen eine Beendigung des Hungerstreiks bzw. Todesfastens zu ermöglichen, ohne dass sie dabei ihre politische Würde und Ehre verlieren. (…) Wer nimmt diese großen Opfer des politischen Kampfes in der Türkei wirklich wahr? Wer denn noch hierzulande? Wer solidarisiert sich mit den Todesfastenden? Selbst in der türkischen Linken sind die Hungerstreikenden isoliert – was als breiter Protest von Gefangenen begann, ist zu lange schon auf die Angehörigen einer Organisation, der DHKP-C, reduziert, und auf die Unterstützung eines einzigen Menschenrechtsvereins, TAYAD, zurückgeworfen. Der Kampf gegen die Isolationshaft darf kein Selbstzweck sein.
Zeitschriften linker Organisationen sollten sich nicht mit Todesanzeigen zieren und auch noch stolz darauf sein. Linke kämpfen für das Leben. (…)“

(Azadî/jw, 22.10.2005)

Immer noch Folter in der Türkei

Laut dem Bericht der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) über die Situation von Behandlungs- und Rehabilitationszentren im Jahre 2004 ist Folter nach wie vor sehr verbreitet. Von 898 im vergangenen Jahr gestellten Anträgen wegen erlittener Folter stammten 359 aus Istanbul, 197 aus Adana, 149 aus Diyarbakir, 148 aus Izmir und 45 aus Ankara. Ferner verweist der Bericht auch auf anhaltende Folter in den Gefängnissen der Türkei.

(Azadî/Özgür Gündem/ISKU, 22.10.2005)

Polizei verweigerte Prozessteilnahme

Zur Eröffnung eines Prozesses gegen vier Polizisten kam es in der türkischen Stadt Eskisehir zu Zusammenstößen zwischen Polizeikräften und kurdischen Demonstranten. Diese waren zu der Gerichtsverhandlung aus der Provinz Mardin (1200 Kilometer entfernt) angereist, wo im November letzten Jahres ein Kurde und dessen 12-jähriger Sohn von Polizisten erschossen worden waren. Die Polizei versperrte den Kurden den Weg zum Gericht, woraufhin diese Steine warfen; zwölf Personen wurden festgenommen. Ferner verließen die Anwälte der Familienangehörigen der Getöteten den Verhandlungssaal, weil Beobachtern von Menschenrechtsorganisationen der Zugang ebenfalls verwehrt wurde.

(Azadî/FR/jw, 25.10.2005)

Orhan Pamuk: Abwesenheit türkischer Offizieller eine Ehre

„Als er über seine Kunst und seinen Romanhelden Ka sprach, klatschte niemand. Als er jedoch auf das Thema Minderheitenrechte und die ‚dunklen Punkte der Geschichte’ einging, brach ein Beifallssturm aus,“ nörgelte die in Frankfurt erscheinende türkische Tageszeitung „Hürriyet“ über die Rede des diesjährigen Trägers des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Orhan Pamuk. Seit dieser Anfang des Jahres in einem Interview gesagt hatte, dass „in der Türkei eine Million Armenier und 30 000 Kurden getötet worden“ sind, diffamieren ihn türkische Medien und nationalistisch eingestellte Türken als „Vaterlandsverräter“. Darüber, dass an der Feierstunde in Frankfurt/M. kein türkischer Offizieller anwesend war, meinte Pamuk, darüber sei er „nicht traurig“ gewesen. Vielmehr habe er die Abwesenheit eines Vertreters des türkischen Staates als „Ehre“ empfunden.

(Azadî/ND, 25.10.2005)

 

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