AZADI infodienst nr. 35
oktober 2005


Verbot war Provokation und Angriff auf Medienfreiheit

Interview mit Prof. Dr. Norman Paech, MdB

Erst einmal möchten wir Ihnen herzlich gratulieren, dass Sie für die Linkspartei.PDS ein Bundestagsmandat erringen konnten. Wir wünschen Ihnen eine erfolgreiche Parlamentsarbeit.
Am 5. September ließ Bundesinnenminister Otto Schily die prokurdische Zeitung „Özgür Politika“ sowie die Nachrichtenagentur MHA durchsuchen, verbieten und schließen. Weiteres Angriffsziel waren der Kölner Mezopotamien- und der Düsseldorfer Musikverlag MÎR.
Was glauben Sie, hat den Innenminister zu diesem brachialen Vorgehen gegen kurdische Institutionen veranlasst und wie bewerten Sie diese gegen die Kurdinnen und Kurden gerichtete Provokation ?

Prof. Dr. Norman Paech: Schilys Attacke war nicht nur eine Provokation der kurdischen Gemeinschaft, sondern auch ein Angriff auf die Medienfreiheit. Dies hat ihm nun das Gericht bescheinigt und dem Abgang des Innenministers noch eine zusätzliche Begründung geliefert. Alles spricht dafür, dass Schily das Verbot für den Wahlkampf missbrauchte, um eine konservative türkischstämmige Wählerschaft noch für die SPD zu gewinnen. Die türkische Regierung, die ein solches Verbot bereits seit langem forderte, lag ihm dabei bestimmt nicht am Herzen.

Wir befinden uns im 12. Jahr des vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther erlassenen sog. PKK-Verbots. Die kurdische Bewegung hat sich in den vergangenen Jahren politisch-strukturell außerordentlich verändert und zahlreiche Friedens- und Demokratisierungsprojekte initiiert. Sollte mit der neuerlichen massiven Kriminalisierungsaktion dieser Prozess torpediert werden?

Prof. Dr. Norman Paech: Der Aufbau und die Stabilisierung eines ständigen äußeren wie inneren Feindbildes gehört zum instrumentellen Arsenal einer jeden konservativen „law and order“-Politik, gleich welcher Partei. Ob Kanther oder Schily, beide kooperieren dabei in fataler Weise mit dem Militärkomplex in der Türkei. Sie verbauen der kurdischen Bewegung ihren nach demokratischen Regeln angestammten Platz in der türkischen Gesellschaft und verhindern dadurch eine politische Lösung der kurdischen Frage. Sie haben den Wert des Selbstbestimmungsrechts der Völker für den inneren Frieden der Staaten nicht begriffen.

Der Verfolgungsdruck gegen die kurdische Bevölkerung in Deutschland wird seit 1993 unvermindert aufrechterhalten. Nach wie vor befinden sich kurdische Politiker wegen ihrer politischen Aktivitäten in deutschen Gefängnissen oder sehen sich Kurdinnen und Kurden wegen ihrer politischen Betätigung mit Strafverfahren und zum Teil hohen Geldstrafen, der Aberkennung ihres Asyls oder der Einbürgerungsverweigerung konfrontiert. Werden Sie sich als Abgeordneter der Linkspartei.PDS im Rahmen Ihrer parlamentarischen Arbeit für eine Aufhebung des PKK-Verbots und ein Ende der Kriminalisierung einsetzen?

Prof. Dr. Norman Paech: Ich habe mich immer für die Beendigung der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung und ihre Anerkennung als politischer Faktor in der türkischen und deutschen Gesellschaft eingesetzt. Das werde ich auch in meiner Arbeit im Deutschen Bundestag fortsetzen.

AZADÎ dankt Ihnen für das Gespräch

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Vorwürfe des Innenministeriums waren „absurd und aus der Luft gegriffen“

Gegenüber der Zeitung junge welt erklärte der Gesellschafter von „Özgür Politika“, Cemal Ucar, u.a., dass er davon ausgehe, dass „unsere Klage gegen das Verbot (in der noch ausstehenden Hauptverhandlung; Azadî) Erfolg haben wird.“ Der Vorwurf des Bundesinnenministeriums, die Zeitung sei in die Strukturen der verbotenen PKK eingebunden, halte er für „absurd und aus der Luft gegriffen.“ Vielmehr handele es sich bei dem Verlag und der Zeitung um „eine kurdische Tageszeitung, die Kurden in Europa informieren will“, wobei „eine engagierte Berichterstattung über die Ereignisse in Kurdistan wichtig“ sei. Dies betreffe „das militärische, aber auch das kulturelle und politische Geschehen.“ Darin sehe er „nichts Staatsgefährdendes“. Er halte es für richtig, auch „über die Gefechte zwischen der PKK und dem türkischen Militär“ zu informieren“ oder „über den Gesundheitszustand von Abdullah Öcalan, der in türkischer Haft“ sitze und bereits „seit vier Monaten keinen Besuch bekommen“ dürfe.
Nun werden Verhandlungen zwischen Bundesverwaltungsamt und Bundesinnenministerium über die Rückgabe des Inventars und der eingezogenen Vermögen stattfinden. Es werde nach Einschätzung von Cemal Ucar jedoch „nicht einfach, sofort weiterzumachen, denn unsere Mitarbeiter sind inzwischen arbeitslos, alle PCs, das Archiv, Unterlagen und die Bücherei beschlagnahmt worden.“ Deshalb sei derzeit nicht klar, wann die Zeitung wieder erscheinen könne.

(Azadî/jw, 21.10.2005)

 

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