AZADI infodienst nr. 32
juli 2005


Gerichtsurteile

BGH: Sicherheitsverwahrung auch nach Ende der Haft rechtens

Gerichte können auch dann noch nachträgliche Sicherheitsverwahrung für Strafgefangene anordnen, wenn diese ihre Strafe schon verbüßt haben. Dieses Urteil verkündete der Bundesgerichtshof (BGH) am 1. Juli. Voraussetzung ist allerdings dass die Staatsanwaltschaft den Antrag bereits vor Ende der Haft gestellt und den Gefangenen darüber informiert hat. Im Mai hatte der BGH entschieden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch für Straftäter angeordnet werden kann, die ihre Haft bereits vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes angetreten haben. Mit dem neuen Urteil wurde diese Rechtsprechung ergänzt.
Aktenzeichen: 2 StR 9/05

(Azadî/ND, 2.7.2005)

VGH Leipzig: Großer Lauschangriff gestoppt

PDS sieht sich durch Urteil bestätigt

In wesentlichen Teilen hat der Verfassungsgerichtshof (VGH) in Leipzig das Gesetz des "Frei"staates Sachsen zum "Großen Lauschangriff" aufgehoben. Die Vorschrift verstoße gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und der Menschenwürde - entschieden die Richter am 21. Juli 2005. Zudem werde das Trennungsgebot für Aufgaben von Polizei und Geheimdienst verletzt. 29 PDS-Abgeordneter und ein Parlamentarier der FDP hatten in der vergangenen Wahlperiode Klage gegen das Gesetz eingereicht. "Unser Ziel ist im Wesentlichen erreicht", erklärte Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Linkspartei. Bis zum 30. Juni 2006 soll die Landesregierung Zeit haben, um das Gesetz zu ändern. Der "Kernbereich privater Lebensgestaltung" müsse hierbei allerdings unangetastet bleiben, auch bereits eingeleitete Abhörmaßnahmen müssten abgebrochen oder Aufzeichnungen vernichtet werden.
Aktenzeichen: Vf. 67-II-04

(Azadî/ND, 22.7.2005)

Entschädigung für rechtswidrige Unterbringung

Gefangener erhält 650 Euro pro Monat

Wegen einer zu engen Zelle hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe einem Untersuchungsgefangenen eine Entschädigung von mehr als 650 Euro pro Monat zugesprochen. Der Mann war im Dezember 2002 in U-Haft genommen worden und musste 157 Tage in einer Zelle von weniger als 9 Quadratmetern Grundfläche gemeinsam mit einem anderen Häftling verbringen. Die Toilette war nicht gesondert entlüftet und nur durch einen Vorhang abgetrennt. Diese Verhältnisse hätten nicht den Grundsätzen einer menschenwürdigen Unterbringung entsprochen. Laut Gesetz haben U-Häftlinge Anspruch auf eine Einzelzelle.
Aktenzeichen: 12 U 300/04

(Azadî/jw, 21.7.2005)

Bundesverfassungsgericht:
Gesetz zum präventiven Lauschen unzulässig

Eine gute Nachricht: Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts erklärte das Gesetz des Landes Niedersachsen zur vorbeugenden Telefonüberwachung für verfassungswidrig. Es verstoße gegen das Fernmeldegeheimnis. Vier Mal wurde das vom CDU-Innenminister Uwe Schünemann initiierte Gesetz seit Inkrafttreten 2003 von der Polizei in Anspruch genommen und nur einmal führte es zu einer Festnahme. Sie durfte, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung“ begangen werden, Verbindungsdaten, Standortkennungen von Handys, e-mail- und SMS-Verkehr auswerten. Auch „Kontakt- und Begleitpersonen“ konnten abgehört werden. Laut Urteil der Richter fehlen die Kriterien, nach denen die Polizei das Verhalten Unschuldiger von tatsächlichen kriminellen Vorbereitungen unterscheiden soll. Auch fehle dem Land Niedersachsen die Gesetzgebungskompetenz für die präventive Telefonüberwachung. „Hardliner Schünemann muss die Lauscher einziehen“ kommentierten die Landtags-Grünen die Karlsruher Entscheidung. Der Richter am Oberlandesgericht Oldenburg, Robert Suermann, hatte die Verfassungsbeschwerde eingereicht. Er nannte das Urteil einen „tollen Erfolg“.
Aktenzeichen: 1 BvR 668/04 v. 27.7.2005

(Azadî/FR,ND,jw, 28.7.2005)

 

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