EinbÜrgerung eines Kurden vom Verwaltungsgericht Gießen aberkannt
Am 3. Januar 2005 gab das Regierungspräsidium Gießen öffentlich bekannt, dass dem Kurden Selahaddin T., einem Vater von fünf Kindern, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder entzogen worden sei. Hierbei beruft sich die Behörde auf ein entsprechendes Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom November 2004.
Die Vorgeschichte
Selahaddin T. reiste am 8. Juni 1993 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Am 23.Juli1993 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag ab. Das Verwaltungsgericht Braunschweig verpflichtete jedoch die BRD mit Urteil vom 31. Mai 1994, den Kläger als asylberechtigt anzuerkennen, weil dieser als PKK-freundliche und politisch orientierte Person in der Türkei bekannt und aus diesem Grunde gefährdet sei. Zudem sei er für die pro-kurdische Partei HEP tätig gewesen. Daraufhin erhielt der Kurde am 30. August 1994 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Am 5. Juli 2000 stellte der Kläger, seine Ehefrau und ein Kind einen Antrag auf Einbürgerung; im Juli 2002 sind sie in den deutschen Staatsverband eingebürgert worden. Ihre türkische Staatsangehörigkeit konnten sie beibehalten.
Am 13. August 2002 informierte das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz das Regierungspräsidium Gießen darüber, dass Erkenntnisse über den Kurden vorlägen, die an das Hessische Innenministerium weitergeleitet worden seien. Dieses wiederum teilte dem Gericht am 29. Januar 2003 mit, der Kläger habe sich für die PKK engagiert. Aus diesem Grunde sei die Einbürgerung zurück zu nehmen. Der Betroffene erhielt am 19. Februar 2003 Gelegenheit zu einer Stellungnahme. Mit Bescheid vom 30. Juli 2003 hat das Regierungspräsidium die Einbürgerung zurückgenommen, die Rückgabe der Urkunde angeordnet und hierfür eine Gebühr von 255,— Euro festgelegt.
«Falsche Loyalitätserklärung»
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof bestätigte in seinem Urteil vom 26.November2004 (Aktenzeichen: 10 E 2961/03) sowohl die Entscheidung des Regierungspräsidiums vom Juli 2003 als auch des Verwaltungsgerichts (VG) Gießen vom 3. Mai 2004. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass Selahaddin T. „eine falsche Loyalitätserklärung abgegeben“ habe, weil er „Mitglied im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein und in dessen Vorstand tätig gewesen sei“, der „in der YEK-KOM organisiert“ und „der PKK zuzurechnen sei“. Der Verein müsse „als von der PKK beeinflusst und gesteuert“ angesehen und dessen „Aktivitäten als PKK-Aktivitäten qualifiziert“ werden. Weil der Kurde an „Volksversammlungen des PKK-Gebiets Gießen sowie weiteren PKK-nahen Aktivitäten teilgenommen“ habe, „sei die erfolgte Einbürgerung rechtswidrig“ gewesen und „könne zurückgenommen werden“, zumal er durch die Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit nicht staatenlos würde.

Klage des Betroffenen
Gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Gießen vom 30. Juli 2003 hatte Selahaddin T. Klage erhoben: Er habe keine „falsche Loyalitätserklärung“ abgegeben und der Deutsch-Kurdische Freundschaftsverein unterstütze nicht die Ziele der PKK. Vielmehr arbeite er auf kulturellem Gebiet; seine Aktivitäten seien legal. Er habe an Veranstaltungen teilgenommen, was für im Exil lebende Kurden normal sei. Der Verein sei auch „vom Gießener Oberbürgermeister, dem Polizeipräsidenten, dem Regierungspräsidenten und anderen politischen Funktionären besucht worden“. Er selbst sei „einfaches Mitglied des Vereins und lediglich als Kassenprüfer tätig gewesen“ und habe „in keiner Weise die Ziele der PKK unterstützt“.
Als Kassenprüfer innere Sicherheit gefährdet
Die Klage wurde abgewiesen und damit begründet, dass „der Verein über YEK-KOM eng mit der PKK verbunden“ und „zentraler Anlaufpunkt für das PKK-Gebiet Gießen“ sei. Außerdem habe der Verein „PKK-Kundgebungen und Demonstrationen veranstaltet“–so am 17.10.2003 für Öcalan. Ferner habe eine Durchsuchung am 2.8.2003 ergeben, „dass in den Vereinsräumen ERNK-Symbole und Bilder von Öcalan in großem Umfang aufgehängt gewesen“ seien. Durch seine Tätigkeit als Kassenprüfer des Vereins habe der Kläger gezeigt, dass man ihn vonseiten des Vereins als „loyal gegenüber den Vereinszielen“ betrachtet hätte.
Am 5. April 2004 hat das VG Gießen den Kläger in einer mündlichen Verhandlung „informatorisch angehört“.
Nach Auffassung des Gerichts hätten „tatsächliche Anhaltspunkte“ für die Annahme vorgelegen, dass der Kurde „Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes und gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung in einem und für einen Personenzusammenschluss unterstützt“ habe. Seine Tätigkeit als Kassenprüfer des Vereins habe sich gegen „die Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ gerichtet. Deshalb sei die erfolgte Einbürgerung rechtswidrig gewesen.
Kriminalisierung von YEK-KOM
Nach Erkenntnissen des hessischen Innenministeriums bzw. des Verfassungsschutzes sei die am 27. März 1994 in Bochum gegründete Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) als Mitgliedsverein „in die Strukturen der Konföderation kurdischer Vereine in Europa, KON-KURD, eingebunden“. YEK-KOM finanziere sich durch „Mitgliedsbeiträge, Spenden und öffentliche Zuschüsse“. Bezugnehmend auf den Verfassungsschutzbericht NRW für das Jahr 2003 wird weiter darauf verwiesen, dass deren Organ, YEK-KOM-Bülteni, „bislang 14-täglich“ erscheine und „umfassend auf die kurdische Gesamtproblematik sowie die Belange des KADEK“ eingehe. Dies beweise, dass „sowohl KON-KURD als auch YEK-KOM eng mit den Zielen und den Strukturen der PKK/des KADEK verbunden“ seien. Somit treffe dies auch auf den Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein Gießen zu, der „mit seiner politischen Ausrichtung nicht mit anderen kurdischen Vereinen vergleichbar“ sei, die „nicht der YEK-KOM angeschlossen“ seien. Die Stigmatisierung als „PKK-Verein“ wird in dem VG-Urteil explizit auch auf den „Nachfolgeverein Mesopotamisches Kurdisches Kulturzentrum“ ausgeweitet. Aktivitäten für derlei kurdische Einrichtungen, die von den Behörden der PKK zugerechnet werden, rechtfertigen ihnen zufolge den Ausschlussgrund nach §86 Nr. 2 AuslG. Außerdem gefährde eine Betätigung für die PKK die auswärtigen Belange der BRD: „Sowohl in der Türkei als auch in der Bundesrepublik Deutschland hat die PKK/ERNK in der Vergangenheit und nunmehr in ihrer Nachfolge der KADEK Bestrebungen verfolgt, die, von Gewaltbereitschaft getragen, gegen die Sicherheit des Bundes gerichtet waren bzw. sind“, so die kühne und durch nichts belegte Behauptung des Gießener Gerichts. Bis zum Beweis des Gegenteils müsse dies „auch für den am 15.11.2003 als Nachfolgeorganisation gegründeten Volkskongress Kurdistans, KONGRA-GEL, gelten.“ (Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 21. Oktober 2004. In einem Revisionsverfahren zweier Kurden haben die Karlsruher Richter ein Urteil des Oberlandesgerichts Celle in dem Punkt missbilligt, in dem behauptet wurde, die PKK würde sich unter bestimmten Bedingungen vorbehalten, trotz des eingeschlagenen Friedensweges wieder zum Gewaltkurs zurückzukehren. Ausdrücklich wird in der BGH-Entscheidung darauf verwiesen, dass es hierbei alleinig um die Situation in Deutschland zu gehen und sich nicht auf die Türkei zu beziehen habe.)
PKK gefährdet NATO-Partner Türkei
Wie eng die gemeinsamen Interessen zwischen der BRD und der Türkei sind, zeigt sich auch in folgender Passage des Gerichtsurteils: „Hinzu kommt, dass die PKK nicht nur in der Türkei, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland und in der Europäischen Union als terroristische und gewaltbereite Vereinigung angesehen wird, die zudem in der Bundesrepublik Deutschland rechtskräftig verboten ist.“ Eine Betätigung für oder eine Mitgliedschaft in dieser Organisation stelle nicht nur eine „Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ dar, sondern gefährde auch die auswärtigen Belange der BRD „im Hinblick auf den NATO-Partner Türkei“.

Abschwörung als innerer Vorgang
Um eine Aberkennung der Staatsangehörigkeit zu verhindern mit der Versicherung, politisch nicht mehr aktiv zu sein, ist nach Auffassung des VG Gießen „mehr als ein bloß äußeres, zeitweiliges oder situationsbedingtes Unterlassen der früheren Unterstützungshandlungen“ vonnöten. Vielmehr setze dies „grundsätzlich einen individuellen und von innerer Akzeptanz mitgetragenen kollektiven oder individuellen Lernprozess voraus“. Es müsse „ein innerer Vorgang stattgefunden haben“, um „mit hinreichender Gewissheit zukünftig die Verfolgung oder Unterstützung der inkriminierten Bestrebungen auszuschließen“. Ein „reines Zweckverhalten angesichts eines laufenden Einbürgerungsverfahrens“ genüge nicht.
Selahaddin T. hatte erklärt, aufgrund seiner starken beruflichen Beanspruchung seit mehreren Jahren an keinen Veranstaltungen mehr teilgenommen zu haben. Nach Meinung des Gerichts belege dies „aber nicht, dass sich der Kläger von den Zielen und Bestrebungen des Deutsch-Kurdischen Freundschaftsvereins bzw. denen der PKK“ losgesagt habe, u.a., weil er „wohl nach wie vor Mitglied des Vereins in Gießen“ sei. Dass eine seiner Töchter eine Veranstaltung des Vereins im Jahre 2002 angemeldet habe, zeige „eine starke innere Verbundenheit des Klägers und seiner gesamten Familie zur PKK“.
Die „Glaubhaftmachung“ einer Abwendung von früheren Aktivitäten setze voraus, „dass der Einbürgerungsbewerber einräumt oder zumindest nicht bestreitet, früher eine durch § 86 Nr. 2 AuslG normierte Bestrebung unterstützt zu haben“.
Das VG Gießen stützt sich in seinen Einschätzungen u. a. auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) NRW vom 27.6.2000 (Aktenzeichen: 8A609/00), in dem darauf hingewiesen wird, dass eine „dauernde Hinwendung zu Deutschland grundsätzlich nicht anzunehmen“ sei, „wenn sich ein Einbürgerungsbewerber in einer politischen Emigrantenorganisation betätige“.
Verfassungsbeschwerde erhoben
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hatte in seinem Urteil festgelegt, dass der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung des VG Gießen „wegen Versäumung der Begründungsfrist unzulässig“ sei. Hiergegen und gegen die Rücknahme der Einbürgerung von Selahaddin T. hat dessen Verteidiger am 30. Dezember 2004 Verfassungsbeschwerde erhoben.