AZADI infodienst nr. 25/26
dezember 2004 / januar 2005


Die unendliche GefÄngnisgeschichte von Mehmet T.:

Von Griechenland an BRD ausgeliefert

Seit dem 24. Januar 2005 ist der kurdische Politiker Mehmet T. wieder in einem deutschen Gefängnis, ausgeliefert von Griechenland auf der Grundlage eines Auslieferungsersuchens der deutschen Behörden.

Nach dem Putsch des türkischen Militärs im Jahre 1980, wurden Dutzende kurdischer Aktivisten ermordet, Tausende verfolgt, verhaftet und in Militärgefängnissen brutal gefoltert. Mehmet T. war einer dieser Gefangenen. Nach 16 Jahren Haft wurde er freigelassen. Zu seiner Familie zurückkehren konnte er jedoch nicht. Weil er gemeinsam mit anderen Gefangenen ein Buch über die Haftzeit und den Gefängniswiderstand geschrieben hatte, fanden ständig Wohnungsdurchsuchungen und Bedrohungen statt. Er war gezwungen, sich für das Exil zu entscheiden. Schließlich kam er auf Umwegen nach Deutschland. In diese Zeit fiel der Druck der Türkei auf Syrien, den damaligen Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, jegliche Unterstützung zu versagen. Öcalan musste Syrien am 9. Oktober 1998 verlassen. Es folgte eine Odyssee durch verschiedene europäische Länder, von denen keines bereit war, ihm Zuflucht zu gewähren. Wie bekannt, wurde er im Februar 1999 mit Hilfe internationaler Geheimdienste von Kenia in die Türkei verschleppt. Weltweit protestierten Kurd(inn)en hiergegen, so auch in der BRD. Es kam zu Demonstrationen, Kundgebungen, aber auch Besetzungen von Parteienbüros, Botschaften oder Generalkonsulaten der an der Geheimdienstaktion beteiligten Länder.

Im August 2000 wurde Mehmet T. in Köln verhaftet und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129) bezichtigt. Außerdem wurde er verantwortlich gemacht für die Besetzung des Generalkonsulats in Düsseldorf 1999.

Das Oberlandesgericht (OLG) verurteilte ihn im Dezember 2001 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten. Am 25. September 2002 wurde er auf Bewährung und mit einer Reihe von Auflagen entlassen. Dazu gehörte u. a. die regelmäßige polizeiliche Meldepflicht und ein quasi Politikverbot. Mehmet T. hat sich diesen Einschränkungen widersetzt und ist nach Griechenland gegangen, wo er ursprünglich auch Asyl beantragt hatte.

Diese „Dreistigkeit“ jedoch wollten die deutschen Behörden nicht ungestraft lassen und begehrten von Griechenland die Auslieferung in die BRD. Am 23. September 2004 wurde Mehmet T. in Athen verhaftet und wie so oft in seinem Leben seiner Freiheit beraubt.

Und nun befindet er sich wieder in jenem deutschen Gefängnis, aus dem er zwei Jahre zuvor entlassen worden war.

AZADI wird über den Fortgang des Verfahrens berichten.

 

Europäischer Haftbefehl:

Niederlande fordert Auslieferung von Mehmet B.

Am 19. Januar 2005 wurde der 40-jährige Mehmet B. am Bahnhof in Hannover durch das Mobile Einsatzkommando der Polizei festgenommen, weil er – laut Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) – ein „international gesuchter Funktionär der kurdischen Arbeiterpartei PKK“ sei. Rechtsgrundlage für die Festnahme ist offenbar ein Auslieferungsersuchen der Niederlande, die dem Kurden Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“ vorwirft. Das veranlasste die niederländischen Behörden, einen europäischen Haftbefehl bei der Staatsanwaltschaft Arnheim zu beantragen.

Der Staatsanwaltschaft Celle erklärte gegenüber der HAZ, der Festgenommene lebe hier legal, „ohne sich etwas zu Schulden kommen zu lassen“ (HAZ) und ein Polizeisprecher beschrieb die hiesigen kurdischen Aktivisten als „unauffällig“ (was aus Polizeisicht wohl besonders auffällig bedeuten soll). Über die Anordnung und Zulässigkeit der beantragten Auslieferung wird das Oberlandesgericht (OLG) Celle entscheiden; für deren Bewilligung ist wie bei Remzi Kartal die Bundesregierung zuständig.

(Azadi/HAZ v. 19.1.2005)

Asyl eines früheren TKP/ML-TIKKO Aktivisten abgelehnt

VG Osnabrück: Strafverfolgung kein politisches Verbrechen / Kurde bei Rückkehr nicht gefährdet

Das Verwaltungsgericht (VG) Osnabrück hat in einer mündlichen Verhandlung vom 22. November 2004 den Antrag eines Kurden auf Anerkennung als Asylberechtigter nach §§51, 53 AuslG abgelehnt, dessen Klage hiergegen abgewiesen und die Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge für Recht erkannt.

Kurde stellt Asylantrag

Der „türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit“ ist laut eigenen Angaben im September 2003 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik eingereist und hat am 31. Oktober Anerkennung als Asylberechtigter beantragt. Seit 1990 habe er keinen festen Wohnsitz mehr in der Türkei gehabt und sich seitdem in der Provinz Tunceli (kurdisch: Dersim) bei den Guerilla-Kämpfern der TIKKO aufgehalten. Er sei nie an Guerilla-Angriffen beteiligt gewesen, sondern nachts in die Dörfer gegangen, um die Bewohner für die Organisation zu gewinnen. 1995 sei er nach Istanbul zurückgekehrt und für die TKP mit Propagandaaufgaben betraut gewesen. Lediglich zur Selbstverteidigung habe er eine Pistole getragen. Weil auch sein Bruder für die Organisation aktiv gewesen sei, habe man vonseiten der Behörden Druck auf seine Familie ausgeübt. Im Jahre 2000 oder 2001 habe er sich einen Ausweis mit einem anderen Namen besorgt und sei mit Hilfe von Parteifreunden aus der Türkei ausgereist, wo er weiterhin als Mitglied der TKP/ML-TIKKO gesucht werde.

Das Bundesamt hat aufgrund der Schilderung des Kurden eine Auskunft des Auswärtige Amtes eingeholt. Danach habe das Polizeipräsidium Tunceli Ermittlungen gegen den Asylsuchenden eingeleitet wegen dessen politischer Aktivitäten. Ihm und weiteren Personen werden Verbrechen gegen die Staatsorgane nach Artikel 146 Abs. 1 sowie 168 Abs. 2 Türkisches Strafgesetzbuch vorgeworfen. Der Kurde werde per Haftbefehl gesucht.

«Offensichtlich unbegründet» – Verfolgungsmaßnahmen legitim

Trotzdem wurde der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Begründung: „Durch seine Einbindung in die Kaderstrukturen der terroristischen Organisation TKP/ML sei die Strafverfolgung nicht als politisches Verbrechen zu interpretieren.“ Durch seine Einreise in die BRD habe er sich „einer möglichen strafrechtlichen Verurteilung entziehen wollen“. Auf Art. 16a Abs. 1 GG könne sich nur berufen, „wer selbst politische Verfolgung erlitten“ habe oder „zu befürchten hat“. Doch seien „Maßnahmen des Heimatstaates zur Abwehr von Terrorismus […] keine politische Verfolgung“. Das VG Osnabrück stellt in seiner Entscheidung weiter fest: „Bei der TKP/ML handelt es sich um eine terroristische Organisation“, die eine „gewaltsame Zerschlagung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung eines sozialistischen Systems“ anstrebe. Es müsse davon ausgegangen werden, „dass strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen des türkischen Staates grundsätzlich legitim sind und nicht als politisch motivierte Verfolgung einzustufen sind“.

«Keine beachtliche Gefahr»

Außerdem stehe der Kurde „nicht in der beachtlichen Gefahr, im Falle seiner Rückkehr in die Türkei Misshandlungen oder der Folter ausgesetzt zu sein.“ Hierbei verweist das Gericht auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Mai 2004, wonach es zwar noch derartige Fälle gebe, deren Intensität jedoch deutlich zurückgegangen sei. Dem Auswärtigen Amt sei seit über 3 Jahren kein einziger Fall bekannt geworden, „in dem ein aus der BRD in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde.“ Diese Auffassung habe das Außenministerium im Oktober 2004 in einer Auskunft an das VG Frankfurt/M. bestätigt und auf den derzeitigen Reformprozess in der Türkei hingewiesen, der „energisch“ vorangetrieben werde und gegenüber Folter eine „Null-Toleranzpolitik“ verfolge. Zudem werde zum 1. April 2005 ein „komplett neues Strafgesetzbuch in Kraft gesetzt“.

(Azadi)

 

Repression und Desintegration zum Jahresende

In Duisburg

Am 14. Dezember 2004 wurden die Räumlichkeiten einschließlich Keller, Dachboden sowie Garage des „Kurdistan Solidaritätszentrums“ Duisburg durchsucht und drei Kurden, Abdulrahman A., Necati L. und Nadir Y. festgenommen. Begründet wurde die Razzia laut Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Essen u. a. mit dem Verdacht der Spendengelderpressung. Es sei davon auszugehen, dass der Beschuldigte Nadir Y. häufig die Räumlichkeiten des Vereins, „der Anlaufstelle der PKK-Sympathisanten“, aufsuche. Nach Auffassung des Gerichts wäre eine weitere Sachaufklärung ohne Durchsuchungsanordnung „zumindest wesentlich erschwert“ worden.

Necati L. und Nadir Y. befinden sich seit ihrer Festnahme in Untersuchungshaft; Abdulrahman ist wegen „illegalen“ Aufenthalts in der BRD in die JVA Büren verbracht worden.

(Azadi)

In Leverkusen

Ohne richterlichen Beschluss haben 20 bis 25 Polizeibeamte am Nachmittag des 14. Dezember 2004 die Räume des „Mesopotamischen Jugend- und Kulturhauses“ in Leverkusen durchsucht und die Personalien aller Anwesenden aufgenommen. Ein Beweissicherungsteam der Polizei hat zudem alle Räume kontrolliert und fotografiert.

Gegenüber dem „Leverkusener Stadt-Anzeiger“ erklärte Wilhelm Krabbe, Leiter des Staatsschutz-Kommissariats Köln, ein Durchsuchungsbefehl sei nicht nötig gewesen, weil die Razzia aufgrund § 12 Polizeigesetz stattgefunden habe. Danach dürfe die Polizei die Identität von Personen feststellen, die sich an Orten aufhalten, die die Annahme rechtfertigen, dass dort „Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder geplant“ würden. Der Kripo sei im November eine Straftat im Zusammenhang mit einer laufenden Spendenaktion von YEK-KOM gemeldet worden. Wie die Föderation gegenüber AZADI erklärte, wird sie juristisch gegen die Behauptung, sie stehe im Zusammenhang mit einer Spendenaktion, vorgehen.

Der Integrationsrat der Stadt Leverkusen hat sich mit einem Schreiben vom 29. Dezember an den Innenminister des Landes NRW, Dr. Fritz Behrens, gewandt und gegen die Durchsuchungsaktion des Kölner Staatsschutz-Kommissariats protestiert. So verweist er u.a. darauf, dass sich „zum Zeitpunkt der rabiaten Durchsuchung in den Vereinsräumen 15 Kinder im Alter von 6 bis 7 Jahren befanden, die am Musikunterricht für das Saiteninstrument Saz teilnahmen und die durch diese Aktion in Schrecken versetzt wurden“. Ferner macht er darauf aufmerksam, dass der Verein etwa 250 Mitglieder habe und ca. 500 Personen die „Dienste und Angebote des Vereins in Anspruch nehmen“ würden. Darüber hinaus arbeite er „schon seit vielen Jahren eng mit dem Ausländerbeirat der Stadt Leverkusen im Rahmen der Integrationspolitik zusammen“ und werde dies auch mit dem „neu gewählten Integrationsrat, dem Nachfolgegremium des Ausländerbeirates“ fortsetzen. Durch seine Mitwirkung habe der Verein „nicht unwesentlich zu dem friedlichen Zusammenleben der verschiedenen Nationalitäten und Bevölkerungsgruppen in Leverkusen beigetragen.“ Regelmäßig würden Vereinsvertreter „als stimmberechtigte Mitglieder in den Ausländerbeirat gewählt.“ Der Integrationsrat befürchtet, dass aufgrund „derartiger unsensibler Polizeiaktionen“ die Integrationsbemühungen behindert und „gleichzeitig bei den Betroffenen, aber auch bei anderen nichtdeutschen Bürgern der Eindruck vermittelt“ werde, „dass man Bürger zweiter Klasse und der Willkür staatlicher Organe ausgeliefert ist.“ Der Integrationsrat fordert Innenminister Dr. Behrens auf, darauf hinzuwirken, dass der Verein „von solchen ungerechtfertigten Polizeiaktionen verschont bleibt.“

Gegen die Durchsuchung wurde Beschwerde eingelegt.

(Azadi/Leverkusener Stadt-Anzeiger, 17.12.2004)

In Stuttgart

Ebenfalls am 14. Dezember 2004 fand eine Durchsuchung des „Mesopotamischen Kulturvereins“ in Stuttgart sowie der Wohnung des Vorsitzenden Ali G. statt. Diese Durchsuchung erfolgte auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 17. November 2004 an das Amtsgericht Stuttgart. Mithilfe dieser Maßnahme sollten Gegenstände sichergestellt werden, „die als Beweismittel im Zusammenhang mit einer Tätigkeit des Beschuldigten für den KONGRA-GEL bzw. die PKK bzw. den KADEK von Bedeutung sein könnten“. Hierzu seien insbesondere zu zählen:

• die Fahne des Kongra Gel (gelbe Sonne auf rot/grünem Grund), welche derart an einer Wand im Mesopotamischen Kulturverein e.V. aufgehängt war, dass sie von außen deutlich gesehen werden konnte, sowie weitere Fahnen/ Flaggen der genannten Vereinigung;
• Propaganda-Material jeglicher Art;
• Kontounterlagen, Rechnungen, Zahlungsbelege u.a., die Aufschluss über Zahlungen an die genannten Organisationen oder an deren Verantwortliche oder umgekehrt geben könnten;
• Unterlagen über Vereinsaktivitäten und „Räumlichkeiten;
• Unterlagen über Kontakte zu anderen Unterstützern der genannten Vereinigung;
• Mobiltelefone, soweit sie Aufschluss über Kontakte zu anderen Vereinsunterstützern geben können“

Darüber hinaus seien ebenfalls sicherzustellen: „Daten, die auf elektromagnetische, elektrische oder sonstige Weise gespeichert oder archiviert sind.“

Anlass der Durchsuchung war, dass „am 9.11.2004 gegen 18.00 Uhr durch Beamte der Landespolizeidirektion Stuttgart II, Dezernat 1.6, festgestellt“ worden sei, „dass an der Wand des Mesopotamischen Kulturvereins e.V. eine Fahne des KONGRA-GEL hing, welche von außen gut zu erkennen war.“

Gegen die Durchsuchung wurde Beschwerde eingelegt.

Die Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland, YEK-KOM, kritisiert in einer Pressemitteilung vom 15. Dezember 2004 die Vorgehensweise gegenüber den Kurd(inn)en und ihren Institutionen. Sie beweise „wieder einmal“, dass die Bemühungen der Kurden um Integration „seitens der Regierung und ihrer bürokratischen Apparate blockiert“ würden. Der Dachverband fordert „ein Ende der Kriminalisierung und Diskriminierung der Kurden“.

(Azadi)

Denunziationsaufruf

„KONGRA-GEL, Nachfolger von PKK und KADEK, hat eine Spendenkampagne gestartet. Wie bekannt, ist KONGRA-GEL in Deutschland verboten. Jede Art der Unterstützung wird als Unterstützung einer illegalen Organisation bewertet und das ist laut Gesetz strafbar.“

Dieses gemeinsam vom thüringischen Landeskriminalamt und Verfassungsschutz in türkischer Sprache herausgegebene Flugblatt, wurde in den Herbstmonaten an alle ausländischen Vereine des Landes verteilt.

(Azadi)

 

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