Reader zur Veranstaltungsreihe der antirassistischen Gruppe Leipzig
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Was Benetton und Cohn-Bendit eint

Die Entscheidung, das antirassistische Grenzcamp (im Jahr 2001) in Frankfurt/Main (FFM) zu organisieren, fiel u.a. wegen des Images von Frankfurt als moderne, pluralistische und multikulturelle Metropole. Ein idealer Ort, um Kritik zu üben an scheinbar fortschrittlichen und nicht-rassistischen Konzepten wie dem Multikulturalismus, sowie an der Modernisierung des völkischen Rassismus hin zu einer flexiblen Form(1), wie er sich z.B. in der „neuen Einwanderungspolitik“ zeigt, in deren Mittelpunkt arbeitsmarktorientierte und nach Nützlichkeitskriterien bestimmte Zuwanderung stehen.

„Multikulturalismus“ als Feindbild – as we know it

Im Diskurs der Neuen Rechten bedeutet Multikulturalismus, daß die verschiedenen Völker räumlich und kulturell voneinander abgeschlossen existieren sollen. Eine wechselseitige Beeinflussung der Kulturen führe zu deren Niedergang. Die Neue Rechte kann sich mittels dieses Konzeptes von Multikulturalismus als fortschrittlich und anti-rassistisch darstellen: nicht nur, daß die überholten biologischen Rassen-Konstruktionen verworfen werden, auch eine unterschiedliche Wertigkeit zwischen den Kulturen wird scheinbar nicht vorgenommen. Sie ist unter der Oberfläche dennoch vorhanden: sie entsteht durch den Bezug auf die eigene Kultur in Abgrenzung zu den „Anderen“, die vor der Vermischung reingehalten werden muß und auf die nicht nur Rechte stolz sind. Der differentialistische Rassismus der Neuen Rechten geht völlig konform mit dem modernen Alltagsrassismus der Form „Ich habe nichts gegen die Türken. solange sie in der Türkei bleiben“
.

Multikulturalismus „von links“ – the „light“-version

Von linksliberaler Seite wurde der Multikulturalismus Anfang der 80er als neues Konzept von Institutionen entwickelt, die mit der Integration von MigrantInnen beschäftigt waren (Schul- und Sozialpädagogik, Sozialpolitik). Es löste den in der Praxis gescheiterten Ansatz der Integration durch Assimilation(2) ab. Der Diskurs wurde bald aufgenommen von Parteien, Kirchen und Intellektuellen als scheinbar fortschrittliches und antirassistisches Konzept – getreu dem Motto „Assimilation ist kulturelle Gleichmacherei, es leben die Unterschiede zwischen den Völkern“. Die BefürworterInnen des Multikulturalismus wollen ethnische Vielfalt bei gegenseitigem Verständnis und Toleranz. Anstatt „kulturelle Eigenheiten der Völker“ in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen zu lassen, soll sich die deutsche Kultur von genau dem, was vorher Grund zu Diskriminierung und rassistischer Verfolgung war, inspirieren und bereichern lassen.

what’s bad with multi-kulti?

Multikulturalismus ist eine Form des kulturellen Rassismus, der den biologischen Rassismus nach seiner Diskreditierung(3) 1945 ablöste: Mittels des Gebildes der Kulturnation ließen sich die alten Vorstellungen einer Wertigkeit innerhalb der Konstrukte Volk, Nation und Rasse neu legitimieren und ebenso unveränderlich festschreiben. Anstelle von biologischen Faktoren wurden nun Merkmalszuschreibungen auf kultureller Ebene vorgenommen, um Gruppen zu konstruieren und zu homogenisieren. Die „Objekte“ dieser Zuschreibung sind in ihren täglichen Interaktionen von ihnen beeinflußt und geprägt. Sie können sich aus der Einordnung in eine Gruppe aufgrund kultureller Merkmale genauso wenig befreien, wie es ihnen bei biologistischen Konstruktionen möglich wäre – sie sind gesellschaftlich stigmatisiert.

Der Begriff der Kultur ist in diesem Kontext mit ethnischer und nationaler Herkunft und den damit als quasi natürlich verbundenen Verhaltensweisen, Einstellungen und Gewohnheiten verknüpft. Diese Vorstellung einheitlicher Gruppen mit dauerhaften kulturellen Identitäten ist eine rassistische Konstruktion.

Bereits in der Gesellschaft vorhandene Vorstellungen des völkischen Rassismus werden übernommen. Sie werden entweder positiv besetzt oder es werden entgegengesetzte Eigenschaften konstruiert. Aus „unzivilisierten Schwarzen“ werden „naturverbundene Afrikaner mit Rhythmus im Blut“; es sind anstatt „arbeitsscheuen Asylanten“ nun die „nützlichen ausländischen Arbeitnehmer“, ohne die es der deutschen Wirtschaft viel schlechter gehen würde. Sämtliche Argumente dienen jedoch dem Zweck, MigrantInnen vor Rassisten zu verteidigen und zu begründen, warum sie nicht diskriminiert und verfolgt werden dürfen – ein bezeichnendes Anerkennen und Einlassen auf rassistische Logik, wenn Menschen nur deswegen nicht ermordet werden dürfen, weil sie der deutschen Gesellschaft, Wirtschaft und Staat nützlich sind.

Kulturelle Unterschiede werden hervorgehoben: Wer kennt nicht die Multi-Kulti-Feste mit den alle Klischees erfüllenden MigrantInnen? Dieselben Unterschiede werden darüber hinaus als Gründe für soziale Realitäten benannt: Wenn z.B. das Zusammenleben in Großfamilien auf beengten Raum hier beibehalten wird, geschieht dies angeblich nicht aus tatsächlich bestehender Armut, sondern ausschließlich weil es „der Kultur entspricht“. Soziale Probleme werden dadurch kulturalisiert. Das Ziel der Hervorhebung von kulturellen Unterschieden ist es, eine positive Thematisierung in der Gesellschaft und die Überwindung rassistischer Vorurteile zu erreichen – Die Folge davon ist die jedoch die Festschreibung dieser Vorstellungen. BefürworterInnen des Multikulturalismus zementieren die bestehende soziale Ungleichheit und schließen Gruppen dauerhaft aus, indem sie Unterschiede fördern:(4) „Die multikulturelle Gesellschaft ist mithin immer auch eine ungerechte Gesellschaft. Und ungerecht wird sie auch bleiben müssen.“ (Cohn-Bendit)(5) Überhaupt nicht an der Änderung oder gar Abschaffung der bestehenden Verhältnisse interessiert, plädieren die Multi-Kulti-Propagandisten für ein Einrichten und Gewöhnen darin, ohne ihre eigene privilegierte und von den kapitalistischen Verhältnissen profitierende Rolle zu hinterfragen: „Wir müssen lernen, mit der Armut zu leben, ohne gleich in Ohnmacht zu fallen, wenn wir sie zu Gesicht bekommen.[...] Für viele Deutsche eine vielversprechende Karriere – sie können als Vorarbeiter eine leitende Funktion übernehmen.“ (Dan Nitescu)(6).

Eine „natürliche Angst vor fremden Kulturen“ soll es geben, und durch die Konfrontation mit diesen entstünden zwangsläufig Konflikte – diese Grundprämissen multikultureller Arbeit, die z.B. das Dezernat für Multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt/Main (ein Vorreiterprojekt der Grünen) hat, legitimieren Rassismus par excellence. Diese Annahme von Fremdenangst als biologischer Konstante ist ebenso wie der als unveränderlich gesetzte und auf ethnischer Herkunft basierende Kultur-Begriff eine Schnittstelle zum neu-rechten Diskurs. Ist die Verschiedenartigkeit der Ethnien erst einmal vorausgesetzt, ist der Schritt zur Aufstellung einer Wertigkeit innerhalb der kulturellen Vielfalt fast unvermeidlich: Die eigene Kultur konstituiert sich genau in Abgrenzung zu den „anderen“ Kulturen.

Die multikulturelle Toleranz ist natürlich nicht unbegrenzt, sondern mit Forderungen an die MigrantInnen verbunden. Sie sollen ökonomisch oder kulturell in die Erwartungen passen, also entweder Billiglohnarbeiter oder gesuchte Fachkräfte sein und sich um Integration bemühen. „Die Zuwanderer müssen lernen, sich in die inländischen Strukturen, das Rechtssystem und die Wertvorstellungen der Deutschen einzufinden.“ (Amt für multikulturelle Angelegenheiten FFM). Eine Spaltung der MigrantInnen anhand egoistischer Verwertungskategorien findet also auch hier statt. Daß die rassistischen Vorstellungen unter der dünnen Schicht des Toleranz-Ideals und der Distanzierung von Vorurteilen bloß verdeckt sind, zeigt sich dann, wenn das Modell des friedlichen und toleranten Zusammenlebens in der Praxis nicht funktioniert: die multikulturelle Unduldsamkeit entdeckt keine Ursache bei den „toleranten“ Deutschen, sondern nur Fehler bei den „Anderen“, von denen sich in der Folge noch stärker abgegrenzt wird. MigrantInnen müssen sich in der multikulturellen Prüfung beweisen, und wehe, sie genügen den Anforderungen nicht. Integration bleibt auf oberflächlicher Ebene: es gibt für MigrantInnen weder gleiche Rechte noch eine Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben. Die Kommunale Ausländervertretung(7) hat beispielhaft trotz des Anspruchs, die Mitsprache Nichtdeutscher in Frankfurt/Main zu ermöglichen, folgerichtig nur beratende Funktion.

Das Multikulturalismus-Konzept bekämpft den Rassismus in der Gesellschaft nicht, sondern modernisiert diesen zu einem kulturellen Kosten-Nutzen-Rassismus. Soziale und ökonomische Konflikte werden auf kulturelle Konflikte heruntergespielt und auf dieser Ebene „befriedet“: Nichtgenehmer Widerstand (z.B. die Forderung nach politischer Machtbeteiligung) wird unterdrückt. Multikulturalisten hinterfragen weder die herrschenden Verhältnisse noch wollen sie diese angreifen. Sie tragen die bestehenden Unterteilungen von berechtigter und nicht berechtigter Migration mit: politische Fluchtgründe sind akzeptabel, wirtschaftliche und soziale nicht – das Recht auf Migration aus Hoffnung auf bessere Lebensperspektiven findet hier keinen Platz.

Exkurs zum Amt für multikulturelle Angelegenheiten/FFM

Das Amt für Multikulturelle Angelegenheiten(8) (AMKA, auch „Antidiskriminierungsstelle“) wurde im Sommer 1989 unter einer rot-grünen Koalition in Frankfurt/Main gegründet und stellt ein Vorzeigeprojekt der Grünen in der Umsetzung des Multikulturalismus-Konzeptes dar. Das in Deutschland einzigartige Amt will ein Modell für die „Umsetzung einer neuen Zuwanderungs- und Integrationspolitik“ sein. Seine Aufgaben sieht es in der Einnahme einer Vermittlerposition bei Ämtern und Bevölkerung und der Förderung einer „dynamische Entwicklung einer kulturellen Identität“ bei MigrantInnen. Nicht selten vermittelt das Amt in Konflikten zugunsten „friedliebender Deutschen“, die von „schwer integrierbaren Ausländern“ belästigt werden: es erklärt die Ursache des Konfliktes ausschließlich aus kulturellen Besonderheiten der MigrantInnen und ethnisiert sie damit.

Einer dieser Nachbarschafts-Konflikte entzündete sich 1992 im Frankfurter Nordend zwischen Anwohnern und dort lebenden Roma-Familien, denen Lärmbelästigung, Vermüllung und Wohnungseinbrüche angedichtet wurden – ein „normaler Vorgang“ in Deutschland, wo es eine lange Tradition des mörderischen Rassismus gegen Sinti und Roma gibt. Die erste Amtshandlung des AMKA war bezeichnenderweise der Versuch einer Bestandsaufnahme der in Frankfurt lebenden Sinti und Roma, um sich einen Überblick über die bei ihnen quasi „zwangsläufig“ anzutreffende Bettelei, Kriminalität und Prostitution zu verschaffen – das Problem, das zur Analyse ansteht, sind natürlich „die Zigeuner“, denen die Schuld an ihrer Diskriminierung damit zugeschoben wird. Die an Ämter verschickten Fragebögen lösten jedoch berechtigte Assoziationen an die „Sondererfassungen“ der Sinti und Roma im Nazi-Staat aus, die ihren massenhaften Deportationen und Ermordungen ab 1937 vorausgingen. Infolge vielfältiger Proteste und Vorwürfe besonders von Organisationen von Sinti und Roma verzichtete das Amt zwar auf die Studie mit der Begründung, die „hohe Sensibilität der Betroffenen“ nicht bedacht zu haben, aber der fade Nachgeschmack bleibt: die Opfer rassistischer Diskriminierung sind angeblich selbst daran schuld, und die Arbeit des AMKA ist von rassistischen Klischees geprägt. Cohn-Bendit schreibt im Rückblick auf dieses Ereignis: „Wo Sinti und Roma auftauchen, werden sie in aller Regel schnell zu trouble-makers, die fast ausschließlich als Last und Zumutung erscheinen und die in der Tat insofern asozial oder genauer: nicht-sozial sind, als sie nicht erkennen lassen, daß sie zu der Gesellschaft, in der sie leben, Zugang finden wollen.“(9) – die Klischees haben die Proteste überdauert. Und für MigrantInnen heißt „sozial sein“, sich in die hegemoniale Gesellschaft der Deutschen zu integrieren.

In seinen Argumentationen läßt sich das AMKA häufig auf rassistische Vorbehalte ein und rechtfertigt die Anwesenheit von MigrantInnen mit ihren wirtschaftlichen und kulturellen Nutzen. Solange sie die hochgesteckten Erwartungen nicht enttäuschen, sind sie erwünscht und sogar Hoffnungsträger für die Weiterentwicklung der deutschen Gesellschaft: „Die meisten Asylbewerber sind Menschen, die eine irrsinnige Energie haben. Die haben es geschafft, aus ganz kaputten Zusammenhängen zu fliehen. Und diese Energie würden sie unheimlich produktiv einsetzen hier in dieser Gesellschaft.“(10) Das AMKA spaltet MigrantInnen z.B. entlang der Eingliederung in das Multi-Kulti-Konzept, in „alteingesessene, gute“ versus „neue, kriminelle Ausländer“ und unterdrückt eigene migrantische Widerstandsformen.

„Eine multi-ethnische und multi-kulturelle Gesellschaft kann überhaupt nicht anders entstehen als mit der scharfen Pisse des Rassismus gedüngt.“
(Gerd Koenen(11))

Antirassistische Gruppe Leipzig

Fußnoten

1 Dennoch bleibt die völkische Variante weiterhin aktuell, wie es z.B. die Leitkultur-Debatte zeigt

2 das Aufgehen der MigrantInnen in der Mehrheitsgesellschaft

3 Infolge der nationalsozialistische Ideologie und der Bilanz seiner Herrschaft, die Vernichtung von Millionen JüdInnen, Sinti und Roma und anderer Menschen, war ein positiver Bezug auf biologischen Rassismus gesellschaftlich geächtet

4 In den USA bedeutet die Förderung des Multikulturalismus eine Anerkennung des Grabens zwischen den verschiedenen Gruppen; Gleichheit als sozialpolitisches Ziel wird stillschweigend aufgegeben.

5 ehemaliger grüner Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten seit der Gründung 1989 bis 1997 in: Heimat Babylon. D. Cohn-Bendit, T. Schmid

6 Autor im Frankfurter Sponti-Blatt Pflasterstrand

7 Die Kommunale Ausländer- und Ausländerinnen-Vertretung (KAV) wird gewählt von allen AusländerInnen mit Wohnort FFM. Sie wird von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung angehört, hat aber kein Mitspracherecht, sondern nur beratende Funktion. Ähnliches gibt es heute lt. Gesetz in allen hessischen Kommunen über 1000 gemeldeten Ausländern (Hessische Gemeindeordnung von 1993)

8 Eine ausführliche Untersuchung stellt folgendes Buch dar: L. Mestre Vives: Wer wie über wen? Eine Untersuchung über das Amt für Multikulturelle Angelegenheiten, 1998

9 D. Cohn-Bendit, T. Schmid, Heimat Babylon, 1992

10 D. Cohn-Bendit, Spiegel 22/1989, S. 103

11 Pflasterstrand 1990

Zuerst veröffentlicht in: CEE IEH Newsflyer #79/200

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