Freihandelsabkommen der beiden Amerika

FTAA - ALCA

Meldungen aus: Nachrichtenagentur Poonal

Neoliberalismus mit oder ohne die USA? 17/11/2000
Integration oder Freizone? 4/8/2000
Das Alternative Gipfeltreffen der Völker 26/3/1998
Brasilien: Abstimmung über das Freihandelsabkommen (2/3/2001)
Brasilien/Kanada: Verrückte Kühe und der Freihandel (16/2/2001)

Jungle World Nr. 47/2000: Fast Track zum Freihandel
Jungle World Nr. 27/1999: Wettlauf zum Cono Sur

no FTAA!

Poonal Nr. 456 vom 17.11.2000

Neoliberalismus mit oder ohne die USA?

Von Emir Sader

(Rio de Janeiro, November 2000, npl-Poonal).- Seit zehn Jahren steht die Gründung eines gesamtamerikanischen Wirtschaftsraumes als strittiger Punkt auf der politischen Tagesordnung der USA. Inzwischen herrscht hinsichtlich der Lateinamerika-Politik Einigkeit zwischen den beiden großen US-Parteien. Oberstes Ziel ist es, langfristig die wirtschaftliche und politische Vormachtstellung auf dem Doppelkontinent zu sichern. Deswegen soll im Kongress nun möglichst schnell der Weg für ein Freihandelsabkommen geebnet werden, das von Kanada bis Argentinien reicht.

Das Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) 1994 zwischen Mexiko, den USA und Kanada, wird von vielen lateinamerikanischen Wirtschaftsexperten als erster konkreter Schritt zur geplanten gesamtamerikanischen Freihandelszone (FTAA) interpretiert. Sie warnen vor den sozialen Konsequenzen eines solchen Abkommens für die Länder Lateinamerikas und plädieren stattdessen für die Stärkung des wirtschaftlichen Zusammenschlusses der südamerikanischen Staaten (Mercosur).

Nachdem Mercosur sich jahrelang nur auf bescheidenem Niveau zwischen den Vertragsstaaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay - Chile und Bolivien haben den Status von Assoziierten - entwickelte, erhielt das Projekt eine konkretere Form, als die Wirtschaftskrise in Mexiko 1994/95 die Kapazitäten der USA blockierte, wie vorgesehen Chile in den Nafta-Vertrag einzubinden. Ebenso wenig konnte Clinton damals gegen die Republikaner im Kongress einerseits und die US-Gewerkschaften andererseits den sogenannten Fast-Track (schnellen Weg) - ein Schnellverfahren für FTAA - durchzusetzen.

Mercosur gewann somit Zeit, sich zu konsolidieren, den Beitritt von Chile und Bolivien vorzubereiten und Verhandlungen mit den Ländern des zunehmend nationalistisch orientierten Andenpaktes aufzunehmen. Auf dem FTAA-Gipfel 1998 in Chile gelang es den Mercosur-Staaten, als Block mit Nordamerika zu verhandeln und festzulegen, dass ein gesamtamerikanische Wirtschaftsabkommen keinesfalls vor 2005 in Kraft treten wird.

Seitdem treiben die Währungs- und Wirtschaftskrisen in Brasilien und Argentinien einen Keil zwischen die beiden mächtigsten Mercosur-Partner. Angesichts dessen gibt es zwei Lösungen: die Dollarisierung, um das Risiko von Währungsschwankungen auszuschließen, oder eine einheitliche Währung für die Länder des Mercosur. Während die brasilianische Regierung sich zumindest offiziell gegen die Einführung der US-Währung ausspricht, ist Argentinien diesem Gedanken deutlich mehr zugeneigt als dem einer gemeinsamen regionalen Währung. In jedem Fall würde die Dollarisierung das definitive Ende des Mercosur bedeuten und gleichzeitig den Weg für FTAA freimachen.

Im April 2001 findet im kanadischen Quebec der nächste FTAA-Gipfel statt. Im Gegensatz zu Mitte der 90er Jahre wollen nun auch die Republikaner noch vor dem Treffen im US-Kongress den Fast- Track durchsetzen, damit FTAA 2005 in Kraft treten kann. Dass sich Republikaner und Demokraten in der Ausrichtung der Lateinamerika- Politik inzwischen so einig sind, hat mehrere Gründe.

Zunächst ist Lateinamerika für die USA ein wichtigerer Markt als die EU. 1996 ist der Handel Nordamerikas mit dem Subkontinent im Süden doppelt so schnell gewachsen wie mit dem Rest der Welt. Außerdem würde FTAA die Handelsbeziehungen zwischen Lateinamerika und US-Konkurrent EU schwächen und nicht zuletzt eine weitere Liberalisierung der lateinamerikanischen Märkte einläuten. Die von den USA vorangetriebene Deregulierung staatlicher Auftragsvergabe in den lateinamerikanischen Staaten dient letztlich der Durchsetzung eines Wirtschaftsprogramms für den ganzen Kontinent, das US-Konzerne begünstigt, die die Tendenz zum Protektionismus vieler lateinamerikanischer Volkswirtschaften zynischerweise als Diskriminierung bezeichnen.

In diesem Kontext wird Mexiko von den internationalen Finanzorganisationen als Vorbild herausgestellt. Makroökonomisch weist das Land seit dem Inkrafttreten von NAFTA kontinentweit die besten Ergebnisse auf. Einschneidende wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen ermöglichten den Expansionsprozess. Zum einen wurden die Kriterien zur Nutzung der strategischen Ressourcen - in erster Linie des Erdöls - verändert. Um sich von der Schuldenkrise Anfang der 80er Jahre zu erholen, machte Mexiko das Erdöl zum neuen Motor der Wirtschaft und förderte die produktive Verkettung mit dem Ausland, insbesondere mit den USA, anstatt das interne Produktionssystem und den internen Markt zu konsolidieren. Parallel dazu wurde vor allem die erdölverarbeitende Industrie dem nordamerikanischen Kapital geöffnet, was den USA den Zugang zu Reserven ermöglichte, die näher und sicherer situiert sind als die des mittleren Ostens.

Weitere Umstrukturierungsmaßnahmen der mexikanischen Regierung bestanden in der Ausrichtung der Industrie auf die sogenannte Billigproduktion in Weltmarktfabriken, der Reorganisation des Arbeitsmarktes und der Einkommensverteilung sowie der wirtschaftliche Neuaufteilung des nationalen Territoriums. US- Konzerne nutzten die ernorme Lohndifferenz zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten und verwandelten den Norden Mexikos in eine gigantische Freihandelszone, wo mehr als 90 Prozent der benutzten Inputs importiert wird und keine gewerkschaftlichen Rechte für die Arbeiter existieren.

Begleitet ist die wirtschaftpolitische Umstrukturierung Mexikos vom Niedergang der sozialen Indikatoren. Die Öffnung des Handels gegenüber einem sehr viel weiter entwickelten Land - das Bruttosozialprodukt der USA liegt etwa 25 mal höher als das des mexikanischen Staates - führten in Mexiko zur Deindustrialisierung einheimischer Sektoren, der Vernichtung ganzer Bereiche der traditionellen Landwirtschaft sowie zur Verschärfung der sozialen Ungleichheit.

Trotzdem wird der sogenannte Dritte Weg Mexikos von den schwächelnden lateinamerikanischen Großmächten Brasilien, Argentinien und Chile immer ausdrücklicher als ein Modell hervor gehoben, das den Stillstand der anderen Ökonomien in der Region überwinden konnte, weil es sich an die US-Wirtschaft andockte. Ein kontinentaler Intregrationsprozess unter der Hegemonie der stärksten Ökonomie des Kontinentes gewinnt damit zunehmend an Legitimation. Legitimiert wird allerdings im gleichen Zuge auch die Etablierung einer neuen Ordnung, die real auf einem asymetrischen Liberalisierungsprozess zwischen Nord- und Südamerika, und ideologisch auf zwei Prinzipien beruht: dem juristischen Gleichberechtigungsprinzip und dem ökonomischen Prinzip des freien Wettbewerbs.

Nach dem Scheitern des WTO-Gipfels in Seattle scheint FTAA zu einem regionalen Ersatzprojekt für eine Wirtschaftsordnung zu avancieren, die sich momentan weltweit nicht durchsetzen lässt. In diesem Projekt spielt auch die Sicherheitspolitik eine entscheidende Rolle. Der von den USA stark vorangetriebene Verabschiedung des "Plan Colombia", ein militärisch-strategisches Konzept zur Bekämpfung der kolumbianischen Guerillas, soll unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung die US-Militärpräsenz auf den gesamten Subkontinent ausweiten.

Mittelfristig steht für die politisch sehr heterogenen Länder Lateinamerikas also die Entscheidung zwischen einer gesamtamerikanischen Freihandelszone und einem erweiterten Mercosur an. Ersteres würde aus der Region ein riesiges zollfreies Gebiet machen. Mercosur hat hingegen nur dann Erfolgsaussichten als wirtschaftspolitisches Integrationsprojekt, wenn es über soziale Legitimität verfügt. Ansonsten bleibt lediglich die Wahl zwischen Neoliberalismus mit oder ohne die USA.

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Poonal Nr. 442 vom 4. August 2000

Integration oder Freizone?

Von Emir Sader

(Río de Janeiro, Juli 2000, alai-Poonal).- Der Gemeinsame Markt des Südens (Mercosur) ist das einzige wirtschaftliche Integrationsprojekt Lateinamerikas ohne die Beteiligung der großen kapitalistischen Mächte des Nordens USA, EU und Japan. Der bescheidene Anfang des Mercosur nahm eine neue Form an, nachdem die Krisen in Mexiko 1994 und 1995 die nordamerikanischen Aspirationen blockierte, weitere lateinamerikanische Länder, wie das vorgesehene Chile, in den Nafta-Vertrag einzubinden. Zum einen nahm Chile selbst Abstand von der Idee, zum anderen verweigerte der US-Kongress Präsident Clinton den "fast track" (schnellen Weg) für die Verhandlung über neue Handelsabkommen.

So gewann das Mercosur-Projekt Zeit und Spielraum. Zeit, um sich zu konsolidieren und Spielraum für den Beitritt von Chile und Bolivien sowie für den Beginn der Verhandlungen mit den kriselnden Ländern des Andenpaktes. Auf dem Gipfel zur Alca (Amerikanische Freihandelszone) 1998 in Chile gelang es dem Mercosur als Block zu verhandeln und festzulegn, dass keine Vereinbarung im Rahmen der Alca vor 2005 in Kraft treten wird. Das war der stärkste Moment des Mercosur.

Seitdem trieben die Wirtschaftkrise in Brasilien und die Abwertung des Real einen Keil zwischen die beiden wichtigsten Mercosur- Partner und stellten die Zukunft der bis dahin geförderten lateinamerikanischen Integration in Frage. Die Wechselkursparität (mit dem Dollar) wurde zu einer Last für Argentinien, verstärkte dessen Haushaltsdefizit sowie das der Handels- und Zahlungsbilanz und stellte das Land vor ein Dilemma: Wie aus der Parität herausfinden ohne die Stabilität zu verlieren?

Aus diesem Dilemma gibt es zwei Auswege: Dollarisierung oder eine einheitliche Währung für die Region. Die brasilianische Regierung äußert sich zwar öffentlich gegen die erstgenannte Lösung, unternimmt aber auch keine Schritte in die andere Richtung. Sie ignoriert dabei, dass die Dollarisierung das definitive Ende des Mercosur bedeuten und gleichzeitig der Alca den Weg endgültig frei machen würde. Zur Alca findet im April 2001 im kanadischen Quebec das entscheidende Treffen statt, auf dem die Verträge unterschrieben werden sollen, die dann im Jahr 2005 in Kraft treten würden.

In diesem Kontext wird Mexiko erneut von den internationalen Finanzorganisationen als das Beispiel herausgestellt, dem es zu folgen gelte. Der Nordgürtel des Landes und der Boom der nordamerikanischen Wirtschaft bewirkten zusammen einen neuen expansiven Zyklus. Makro-ökonomisch weist Mexiko die besten Ergebnisse des gesamten Kontinents auf, begleitet allerdings von einer sich verschärfenden sozialen Krise. Noch stärker wird jetzt - mit dem Stempel des Dritten Weges versehen, der den Kontinent nach Aussagen der Präsidenten von Argentinien, Chile, Mexiko und Brasilien bereits beherrscht - das mexikanische Modell als das gehyped, welches den Stillstand überwunden hat, weil es sich an die US-Wirtschaft anband. So könnte legitimiert werden, sich einem kontinentalen Intregrationsprozess unter der Hegemonie der stärksten Ökonomie des Kontinentes anzuschließen.

Worin besteht der mexikanische Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre? Vier Merkmale kennzeichnen auf diesem Gebiet die Transformationen: die veränderten Kriterien für die Nutzung der nationalen strategischen Ressourcen (in erster Linie Erdöl), die Ausrichtung der Industrie auf die sogenannte Maquila-Produktion, eine Deregulierung des Arbeitsmarktes und der Einkommensverteilung und die wirtschaftliche Neuaufteilung des mexikanischen Territoriums.

Um sich von der Schuldenkrise zu Beginn der 80er Jahre zu erholen, machte Mexiko das Erdöl zum neuen Motor der Wirtschaft und förderte die produktive Verkettung mit dem Ausland, insbesondere mit den USA, anstatt das interne Produktionssystem und den nationalen Markt zu konsolidieren. Parallel dazu wurde die Förderung des "schwarzen Goldes" dem nordamerikanischen Kapital geöffnet, was für die USA bedeutet nun über Reserven zu verfügen, die näher und sicherer sind als die im mittleren Osten.

Das mexikanische Lohnniveau ausnutzend, das um das siebenfache unter dem der USA liegt, machten die nordamerikanischen Unternehmen aus dem Norden Mexikos eine Art gigantische Biligproduktions- und Freihandelszone, wo Arbeitskraft ohne gewerkschaftliche Rechte ausgebeutet wird. Dieses Ungleichgewicht vermindert die Migration der Mexikaner in die USA nicht etwa, sondern provoziert im Gegenteil den größten Migrationsstrom der Welt.

Nach dem Ende der Agrarreform im Zuge der mexikanischen Revolution manifestiert sich mit der Verkaufserlaubnis des den Campesinos einstmals übergebenen Land die wirtschaftliche Reorganisation des mexikanischen Territoriums. Dies entspricht den geopolitischen Interessen der USA, die neben der Kontrolle des Erdöls, auch die der Artenvielfalt (Biodiversität) und den Bau eines neuen Kanals zwischen den Ozeanen durch die Landenge von Tehuantepec einschließen. Das Kanalprojekt, über das immer noch nicht endgültig entschieden ist, repräsentiert die Markierung einer neuen wirtschaftlichen internen Desintegrationsgrenze und gleichzeitig die den USA untergeordnete Integration Mexikos.

Bei den jüngsten Wahlen handelt es sich um eine, in den Augen der USA, "vertrauenswürdige" Lösung durch die Rechte, mit einem siegreichen Kandidaten, der bereits die Privatisierung des staatlichen Erdölunternehmens Pemex akzeptierte. Der internationale Chor lässt nicht auf sich warten, CNN verkündet, dass "Mexiko die große demokratische Revolution des 21. Jahrhunderts" macht. Fox selbst sagt, er werde mit dem "aufrichtigen" Teil der PRI regieren.

Fernando de la Rúa in Argentinien führt die gleiche Wirtschaftspolitik ohne Menem weiter. Seine Popularität sank schnell. Fox verspricht die gleiche Wirtschaftspolitik ohne die PRI. Wird dies das Projekt des Dritten Weges für Brasilien sein? Die gleiche Wirtschaftspolitik ohne Fernando Henrique Cardoso? Brasilien und Lateinamerika stehen auf dem Scheideweg zwischen Dollarisierung oder regionaler Einheitswährung - zwischen einem erweiterten und vertieften Mercosur oder der Amerikanischen Freihandelszone.

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Poonal Nr.332 vom 26. März 1998

Das Alternative Gipfeltreffen der Völker

(Santiago, 20. März 1998, alai-Poonal).- Ein vielfältiges Sprektrum von Organisationen und sozialen Netzwerken des Kontinents ruft zum Gipfeltreffen der Völker - parallel zum II Gipfel der Amerikanischen Staaten - auf. Letzteres wird vom 15. bis 18. April dieses Jahres in Santiago de Chile stattfinden wird. Dort werden die Staatschefs formell den Startschuß für die Amerikanische Freihandelszone (ALCA) besiegeln, die ab dem Jahr 2005 Wirklichkeit werden soll. Der erste Gipfel der Amerikanischen Staaten, 1994 in Miami, und die folgenden Ministertreffen waren durch das Fehlen jedweder sozialer Partizipation gekennzeichnet, obwohl die gefüllten Entscheidungen auf direkte und drastische Art und Weise alle gesellschaftlichen Gruppen betreffen, argumentieren die Förderer und Förderinnen der Gegeninitiative. Mehr noch, so fügen sie hinzu, in der Praxis werden die regionalen und nun auch kontinentalen Prozesse der Integration und des "Freihandels" vorangetrieben, ohne Arbeitsrechte, Umwelt, soziale Rechte und die Menschenrechte ganz generell zu berücksichtigen. Es findet ihrer Meinung nach vielmehr eine "Standardisierung nach Unten" statt.

Trotzdem wächst gleichzeitig auf dem ganzen Kontinent das Interesse und die Notwendigkeit, Vorschläge für Alternativen zu gestalten. So haben beispielsweise verschiedene wichtige Bewegungen, soziale Organisationen und Netzwerke von Nicht- Regierungsorganisationen bereits im Mai 1997 eine Parallelveranstaltung organisiert, als sich die Wirtschaftsminister im brasilianischen Bello Horizonte trafen. Dort zogen sie folgende Schlüsse:

Die kontinentale soziale Allianz

Auf dieser Vorgeschichte basierend, sind die organisierten sozialen Gruppen dabei, eine große kontinentale soziale Allianz aufzubauen, deren Grundlage der Dialog und ein Aktionsvorschlag der verschiedenen Netzwerke und Organisationen aus den Bereichen Soziales, Arbeit, Frauen, Umwelt, Kirche, Politik und Menschenrechte bildet. Um dieses Projekt voranzutreiben, berufen sie vom 15. bis 18. April in Santiago de Chile den Ersten Gipfel der Völker Amerikas ein.

Das Ziel dieses Gipfels auf Länderebene ist, zu informieren, zu sensibilisieren, die Gruppen der sogenannten Zivilgesellschaft in die Diskussion um das Thema der ALCA einzubeziehen und eine übergreifende soziale Allianz in jedem einzelnen Land zu bilden. Auf internationalem Niveau soll eine gemeinsame alternative "Agenda" der BürgerInnen formuliert werden, die ermöglicht, sich den durch die ökonomische Globalisierung und die Handelsabkommen verursachten Problemen gegenüberzustellen. Darüber hinaus wird die Ausarbeitung eines Vorschlags für eine alternative Entwicklung, der der sozialen Komponente Rechnung trägt und in bezug auf die Umwelt nachhaltig ist, vorangebracht.

Der Gipfel der Völker sieht die Diskussion und Ausarbeitung einer kontinentalen "Sozialcharta" und eines Dokuments vor, das an die auf dem offiziellen Gipfel versammelten Präsidenten übergeben wird.

Unter den Veranstaltern befinden sich folgende Organisationen: Lateinamerikanische Koordination von Organisationen auf dem Land (CLOC), Vía Campesina, Regionale Interamerikanische Arbeiterorganisation (CIOSL-ORIT), CUT Chile, CUT Brasilien, Kanadischer Arbeiterkongreß, Chilenisches Aktionsnetz für eine Initiative der Völker (RECHIP), Gemeinsame Grenzen - Kanada, Bündnis für einen Verantwortlichen Handel (sic) - USA, Mexikanisches Aktionsnetz gegenüber dem Freihandel (RMALC), Quebecensisches Netz zur Kontinentalen Integration (RQIC), Ökumenisches Zentrum "Diego de Medellín".

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Poonal Nr. 469 vom 2. März 2001

Brasilien: Abstimmung über das Freihandelsabkommen

Von Emir Sader

(Rio de Janeiro, Februar 2001, alai-Poonal).- Die brasilianische Regierung glaubte - aus Naivität, Inkompetenz oder aus bösem Willen - uneingeschränkt an die Marktgesetze, den wirtschaftlichen Liberalismus und an die Unparteilichkeit der internationalen Organisationen. Sie nahm an, die Welthandelsorganisation (WTO) würde als oberste Schiedsinstanz gegen jegliche Art von Protektionismus vorgehen. So wurde die Regierung in Brasilia zur treuesten Verfechterin der Deregulierung und des Neoliberalismus - wie ein Neureicher, der zu spät zum Festmahl kommt und mehr als die anderen das vorgesetzte Menu lobt.

Jetzt wird die Rechnung präsentiert: Brasilien erleidet drastische und ungerechte Sanktionen in allen derzeitigen internationalen Handelskonflikten, an denen es beteiligt ist. Das war wohl dazu nötig, die Regierung die offensichtliche Lektion der Dependenztheorie lernen zu lassen.

Fraglos sind die internationalen Beziehungen - insbesondere die Handelsbeziehungen - ein Bereich, in dem Mächte miteinander streiten, und diese Auseinandersetzungen werden im Kontext der internationalen Rezession an Heftigkeit zunehmen. Diese elementare Wahrheit - die in Lateinamerika seit der Texten von Raul Prebish und der Kritik der CEPAL an den Theorien des internationalen Handels bekannt sind - hatte die brasilianische Regierung nicht wahrhaben wollen.

Kurz vor seinem Rücktritt hatte der frühere Außenminister Luis Felipe Lampreira zugegeben, erkannt zu haben, dass sich die unterentwickelten Länder auf dem internationalen Markt schützen müssen, um konkurrieren zu können. Eine wichtige Erkenntnis, die auch in Büchern nach zu lesen ist und die eines der großen wirtschaftssozialen Phänomene des vergangenen Jahrhunderts hervorrief: die Industrialisierung der Länder in der kapitalistischen Peripherie, unter anderem Brasiliens.

Die offizielle Ideologie der Regierung bleibt, - ungeachtet aller Widersprüche - der fundamentalistische Marktliberalismus. So erklärten manche, die brasilianische Industrialisierung sei eine Verirrung, weil sie die heiligen Regeln des Marktes verletzt habe. Von ihnen wird die Wechselkurspolitik als Grund für die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung gesehen. Dieser althergebrachten Vision zufolge hätte Brasilien ein Exporteur von Primärgütern bleiben sollen - ein Zustand, dem sich das Land heute wieder annähert, denn im Exportgeschäft nehmen Kaffee und Soja die Führungsposition ein, nachdem die entwicklungsfördernde monetäre Politik aufgegeben wurde.

Die drei Mega-Märkte, die die Macht auf der Welt untereinander aufteilen - alle in der nördlichen Hemisphäre -, konnten ihre Integration nur erreichen, indem sie die Gesetze des Liberalismus verletzten und ihre Beziehungen reglementierten. Sie unterstützten sich gegenseitig, brachen mit dem Freihandel - alles Maßnahmen, ohne die weder die Europäische Union, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen noch die südostasiatische Integration möglich gewesen wären. Der Mersocur, soweit er bislang entwickelt ist, hat den regionalen Handel bevorzugt, gleichfalls ohne sich an die Normen des Freihandels zu halten.

Um sich jedoch zu integrieren, hat das ausgeglichenste Modell - das europäische - im Bewusstsein der Dimension der internationalen Integration die Bewohner des Kontinents in die Entscheidung über die europäische Einigung durch Volksbefragungen mit einbezogen. Im Fall Amerikas ist diese Frage noch brisanter, da es sich um extrem ungleiche Ökonomien handelt, zumal die USA rund 70 Prozent der Wirtschaftskraft des Kontinents ausmachen. Die Dominanz, die die USA in einer Gesamt-Amerikanischen Freihandelszone (Alca) hätte, verdeutlicht die Vormachtstellung, die sie bereits in der Nordamerikanischen Freihandelszone (Nafta) einnimmt: Mexiko wickelt 90 Prozent seines Außenhandels mit den USA ab, aber nur 4 Prozent mit Kanada.

Der Vorschlag einer Amerikanischen Freihandelszone bedeutet die Festigung und Formalisierung der nordamerikanischen Hegemonie auf dem Kontinent, eine Art Erneuerung der Monroe-Doktrin. Jegliche Form auch nur minimaler Gleichheit für Lateinamerika würde zuerst eine lateinamerikanische Integration voraus setzen, um eine Kraft zu entwickeln, die kollektive Verhandlungen mit den USA wie auch den anderen Mega-Märkten möglich macht. Ebenfalls wäre eine politische Allianz mit anderen wichtigen Ländern wie China, Indien, Südafrika, Iran und anderen notwendig.

Da das Schicksal Brasiliens und der anderen Länder des Kontinents vor der Form eine Einbindung in den internationalen Markt abhängt, muss jegliche Entscheidung in diesem Kontext den Bewohnern der jeweiligen Länder zur Abstimmung vorgelegt werden. Die Regierungen dürfen Entscheidungen mit solch großem Wirkungsgrad nur nach Volksabstimmungen treffen, wobei auch Alternativen existieren müssen. Und die Parlamente sollten die Gesetze in diesem Sinne verabschieden. Wenn nicht, wären kontinentweite Aufrufe für einen bestimmten Tag, zum Beispiel den 12. Oktober möglich, so wie es Brasilien mit dem Plebiszit zur Auslandsschuld getan hat.

Dies ist eine der vielen Initiativen des Weltsozialforums in Porto Alegre. Es wird viele Proteste bei dem Ministertreffen der Alca-Staaten am 7. und 8. April in Buenos Aires geben, das schon jetzt als das "Seattle des Südens" bezeichnet wird. Neben den Protesten sollen Alternativen für die lateinamerikanische Integration entwickelt werden und das Projekt von Volksbefragungen über das Wie der Integration vorangetrieben werden.

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Brasilien/Kanada: Nr. 467 vom 16. Februar 2001

Verrückte Kühe und der Freihandel

(Brasilia, 8. Februar 2001, pulsar-Poonal).- Der brasilianische Landwirtschaftsminister Marcus Pratini de Moras hat den kanadischen Boykott von brasilianischem Rindfleisch als "Beerdigung" der Verhandlungen für die amerikanische Freihandelszone (ALCA) bezeichnet. Kanada hatte zuvor den Kauf von Rindfleisch aus dem südamerikanischen Land mit dem Hinweis ausgesetzt, es fürchte eine Ansteckung seiner Konsumenten mit dem BSE-Virus. Brasilien dagegen interpretiert die Entscheidung als eine Repressalie, die als wahren Hintergrund einen vier Jahre währenden Handelsstreit zwischen dem brasilianischen Luftfahrunternehmen Embrär und der kanadischen Firma Bombardier hat.

Landwirtschaftsminister Pratini schließt jede weitere Initiative für die vorgesehene Realisierung der kontinentweiten Freihandelszone ab 2005 aus, zumal sich auch die NAFTA-Staaten USA und Mexiko dem Einfuhrverbot für brasilianisches Rindfleisch anschlossen. Der brasilianische Kongress hat als erste Reaktion die Verabschiedung bilateraler Abkommen mit Kanada suspendiert. In Sao Paulo kippten Barbesitzer aus Protest importierten Whisky aus Kanada auf den Müll.

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