Frankfurter Rundschau (lokal), 3.6.03

Nach dem globalen Protest kommt der lokale Widerstand

Wie Frankfurter Schüler mit Attac beim G-8-Gipfel im französischen Evian den Mächtigen auf die Pelle rückten

Von Stephan Loichinger

Seattle, Genua, Göteborg, Prag, Evian. Wo die Mächtigen der Weltpolitik sich treffen, sind seit einiger Zeit die, die nicht ohnmächtig bleiben wollen, nicht weit. Weiter als einen Pflastersteinwurf zwar, oft vielleicht außer Rufweite zu all den Ministerpräsidenten, Staatschefs und Berufs-Anzugträgern. Aber doch viel näher als vor dem eigenen Fernsehschirm, der regelmäßig die Bilder der bunten Bande der Protestierenden zeigt, und so nah immerhin, dass der Einzelne auch in einer Masse von schätzungsweise 120 000 mittendrin statt nur dabei ist. "Bei der großen Demonstration am Sonntag in Evian mitzulaufen, hat mir das Gefühl gegeben, dass eine Veränderung möglich ist", sagt der Frankfurter Schüler Serdar Damar, der am Sonntag in Evian bei der Hauptprotestkundgebung gegen den heute zu Ende gehenden G-8-Gipfel dabei gewesen ist.

Am Montag steht der 24-jährige Serdar wieder auf dem Schulhof seines Abendgymnasiums. Gleich fängt der Unterricht an. Die Begeisterung über das "Intergalactic Village", das Attac und andere Organisationen als eine Art gallisches Dorf der Globalisierungskritiker mit vielen Zelten und noch mehr Wir-Gefühl im Genfer Vorort Annemasse aufgebaut haben, hält an. Man habe füreinander gekocht, miteinander "diskutiert, wie die Welt aussehen könnte", für einige Tage in einer großen internationalen Gemeinschaft gelebt. "Sehr lehrreich", sei das für ihn gewesen, sagt Serdar. Von der "Radikalität" der paar Tausend, die eine Straße mit brennenden Barrikaden blockierten, distanziert er sich. Das bringe nichts: "Mit 3000 Leuten kann man nicht den Staatsapparat besiegen."

Serdar ist in der vorigen Woche mit einem Zug von Attac in die Nähe von Genf gefahren. Tage bevor der G-8-Gipfel losgegangen ist, haben die jugendlichen Protestler auf ihrem Gegengipfel in Annemasse mit Diskutieren über die Weltlage und Alternativen dazu begonnen. Serdar sagt, er habe "bestimmt mehr mitgenommen als die, die nur übers Wochenende zum Demonstrieren gekommen sind".

Nicht jeder aber hatte dazu die Zeit und das Geld. Jonas Rest etwa, ein 19-jähriger Abiturient. Er nahm den Bus, den die örtliche Attac-Gruppe Samstag früh um 5.30 Uhr nach Evian schickte. Sechs Stunden später war Jonas im Camp des intergalaktischen Dorfes. Nicht zuletzt die "gute Infrastruktur" dort fand er "beeindruckend". Und "reizvoll", wie Serdar, die "Gemeinschaft der Aktivisten aus verschiedenen Ländern", die "kämpferische Stimmung".

Nach der Ankunft ging Jonas zu Diskussionsforen, abends zu einem Konzert im Camp mit Manu Chao, dem Barden der Globalisierungskritik, dann kurzer Schlaf und am Sonntag der Zug der 120 000 gegen die Verwalter des weltweiten Sozialgefälles, die derweil auf einem schmucken Schiff über den Genfer See schipperten. Dann fuhr der Bus schon wieder ab in Richtung Frankfurt am Main.

Der einigermaßen stressige Trip habe sich dennoch gelohnt, findet das junge Attac-Mitglied Jonas. Gerade die Deutschen müssten derzeit "gemeinsam gegen Sozialabbau kämpfen". In Evian habe er "große Solidarität, ein Miteinander verschiedener Gruppen" gesehen. "Es ist eine internationale Bewegung, man weiß es, aber dort vor Ort kriegt man es mit." Nun, zurück zu Hause, fühlt er sich motiviert. "Der Widerstand muss lokal fortgesetzt werden!"


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