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A. v. Bülow und J. Todenhöfer zu Krieg/Terror

1. Konkret 12, Dezember 2001, S. 14 - 17

«Wer waren die Insider?» / KONKRET-Interview


Was weiß die CIA über den 11. September? Daß selbst der frühere Bundesminister Andreas von Bülow über diese Frage nicht im «Spiegel» oder «Stern» nachdenken darf, sondern bei KONKRET ein Refugium findet, spricht Bände über die Lage der Nation. Mit ihm sprach Jürgen Elsässer


KONKRET: Beim Terroranschlag auf das World Trade Center ist noch vieles nicht aufgeklärt. So gab es vor dem 11. September Warnungen sowohl des französischen Geheimdienstes als auch des Mossad. Trotzdem waren die US-amerikanischen Behörden offenbar völlig unvorbereitet: keine erhöhte Sicherheitsstufe auf den Flughäfen, eine völlig verschlafene und unprofessionelle Reaktion der Luftraumüberwachung und der Flugabwehr.

Von Bülow: Das Merkwürdige ist, daß die Amerikaner bis zur Tat völlig ahnungslos waren und hinterher keine 48 Stunden brauchten, um der Weltöffentlichkeit den Täter zu präsentieren: Bin Laden und sein sagenumwobenes Terrornetz Al-Qaida. Was die Warnungen etwa des Mossad anging, würde man schon gerne wissen, was die gewußt und was sie weitergegeben haben. Das muß nicht immer dasselbe sein, wie zum Beispiel das Selbstmordattentat islamistischer Täter auf eine US-Kaserne in Beirut Anfang der achtziger Jahre zeigt: Der Mossad wußte im voraus den genauen LKW-Typ samt Farbe, den die Täter später benutzten. An die CIA weitergegeben haben sie aber nur die Warnung im allgemeinen, ohne diese Details.

KONKRET: Warum?

Von Bülow: Begründet wird diese Zurückhaltung bei Geheimdiensten mit dem Quellenschutz: Gibt man die Details preis, sind Rückschlüsse auf den oder die Informanten möglich. Daneben spielen die Geheimdienste, auch die westlichen, natürlich oft gegeneinander, ein bisweilen bizarres Machtspiel.

KONKRET: Also wußte die CIA vielleicht auch diesmal gar nicht so viel?

Von Bülow: Das will ich damit nicht gesagt haben. Denken Sie etwa zurück an den ersten Anschlag auf das World Trade Center im Jahre 1993. Damals wurde ja die ganze islamistische Bande geschnappt, die die Aktion durchgeführt hatte. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß die Kameraden schon lange vorher von CIA und FBI unterwandert waren. Der Bombenbastler war ein Agent provocateur des FBI, dessen Führungsoffizier versprochen hatte, die zur Explosion notwendigen Chemikalien rechtzeitig gegen harmlose auszutauschen, so daß die Täter zwar hätten in die Falle gelockt werden können, Schaden jedoch vermieden worden wäre. Doch das Versprechen wurde seitens des FBI nicht eingehalten. 1.000 Verletzte und einige Tote waren die Folge. Noch eine Seltsamkeit: Die Mitglieder der Terrorgruppe hatten eigentlich Einreiseverbot in die USA gehabt, standen auf einer Liste des FBI und des State Department. Doch die CIA sorgte dafür, daß dieses Verbot umgangen wurde.

Das Grauen des 11. September ist ein Gau der amerikanischen Dienste. Insgesamt gibt es 26 an der Zahl, und sie stehen in Konkurrenz zueinander. Man kann sich schon vorstellen, daß Nichtzyniker an diesem Wirrwarr und Chaos verzweifeln. Wer seinem Staat Terroranschläge vermeiden helfen will, findet sich in einem Sumpf sondergleichen wieder.

KONKRET: Also jeder gegen jeden, und die Terroristen profitieren davon?

Von Bülow: Die entscheidende Frage ist doch: Wer sind die Terroristen? Der frühere Chef einer strategischen Einheit zur Bekämpfung der obersten Ebene des internationalen Drogenhandels sagte in einer Kongreß-Anhörung, er habe in seiner dreißig-jährigen Tätigkeit für die Drug Enforcement Agency keinen größeren Fall erlebt, bei dem ihm nicht die CIA die Zügel aus der Hand genommen hätte.

Konkret: Aber am 11. September ging es nicht um ein Drogendelikt.

Von Bülow: Bin Laden ist ein Produkt der CIA, geschaffen zunächst im Kampf gegen die Sowjetunion. Es ging dabei nicht nur um die Abwehr der sowjetischen Intervention in Afghanistan. Es ging um die Destabilisierung der UdSSR über ihre Teilstaaten mit muslimischer Bevölkerung. Noch bevor die Kommunisten 1978 in Afghanistan an die Macht kamen, hatte die CIA Unruhen in Afghanistan unterstützt. Die Zentralregierung wurde nicht Herr der Lage. Die Kommunisten kamen ans Ruder, scheiterten ebenfalls und holten die sowjetischen Truppen ins Land. Damit waren sie in die Falle gelaufen, die der damalige US-Sicherheitsberater Brzezinski sich ausgedacht hatte und mit derer Hilfe er ihnen ein russisches Vietnam bereiten wollte. Nun wurden in einer Aktion, die die CIA zusammen mit den saudischen und pakistanischen Geheimdiensten ins Werk setzte und bei der die Finanzierung durch den Drogenhandel eine große Rolle spielte rund hunderttausend Freiheitskämpfer aus den muslimischen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens als Söldner zum Kampf gegen die gottlosen Sowjets angeworben, Freiheitskämpfer - in Anführungszeichen. In Wirklichkeit handelt es sich um die Taugenichtse und Raufbolde der gesamten islamischen Welt. Wo immer ein schwarzes Schaf der Familie oder des Dorfes nicht gut tat, lockte der Ruf der Mudjaheddin an den Hindukusch - wo man sich gegen Öl- und Drogengeld nützlich machen konnte. Die Taliban selbst wurden aus den koranstrengen Waisenhäusern Pakistans angeheuert. Osama Bin Laden war einer der Organisatoren des fundamentalistischen Werbefeldzuges, wobei ihm durchaus gestattet war, seine rund 10.000 Söldner aus militant antiwestlichen, antiamerikanischen Kreisen anzulocken. Teile dieser Truppe wurden eigens in CIA-Lagern für spezielle Aufgaben trainiert. Es handelt sich folglich eher um Desperados als um hochreligiöse Leute. So wie wenn wir die Radaubrüder unserer Fußballstadien zum heiligen Kampf gegen den Islam heranziehen würden. Doch für die Gehirnwäsche des westlichen Publikums mit dem Ziel, den neuen Feind Islamismus im Sinne des «Clash of Civilizations» einzuhämmern, sind sie bestens geeignet.

KONKRET: Sie waren beim Einmarsch der Sowjets in Afghanistan Mitglied der Bundesregierung. Wie hat das Kabinett Schmidt über die Sache diskutiert?

Von Bülow: Kaum. Ich erinnere mich nur, daß Washington mächtig Druck auf uns ausübte, wegen Afghanistan die Olympischen Spiele in Moskau zu boykottieren. Wie stark der Druck war, zeigt auch eine andere Episode: Anfang der achtziger Jahre drängte der amerikanische Viersterne-General und Nato-Oberbefehlshaber Haig mit aller Macht darauf, jedes noch so kleine nationale Manöver als Teil seiner großen Nato-Herbstmanöver deklarieren zu können. So kam es, daß an einem Wochenende alles in allem von Norwegen bis zur Türkei rund eine satte Million Nato-Soldaten von Westen Richtung Osten in Bewegung war. Als Staatssekretär erlaubte ich mir anzumerken, daß ich dies für problematisch hielte, zumal westlicherseits alle Warnlampen angingen, sollte der Warschauer Pakt uns ein ähnliches Szenario in Ost-West-Richtung bieten. Die kleine Kritik fand ein weltweites Echo, in den USA und bis nach Hawaii. Als ich kurz darauf dem Weißen Haus einen Besuch abzustatten hatte, lief mir scheinbar zufällig Brzezinski über den Weg mit der Frage: «Are you the guy talking about manouvres in Europe?» Aus heutiger Sicht zündelte der Mann schon damals von der europäischen wie der asiatischen Seite. Das geopolitische Spiel findet derzeit seine Fortsetzung in der Nato-Erweiterung bei gleichzeitigem Aufbau von militärischen Positionen in den selbständigen asiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion.Ich entsinne mich im übrigen, daß anläßlich der Kontakte zwischen SPD und KPdSU die Sowjets mehrfach deutlich machten, daß sie lieber heute als morgen aus Afghanistan abziehen würden, jedoch das zu erwartende Sicherheitschaos der sich bekämpfenden afghanischen und pakistanischen War- und Drogenlords fürchteten. Sie versuchten, die USA zu einem gemeinsamen Vorgehen zu gewinnen. Doch Washington blieb taub auf diesem Ohr.

KONKRET: Hatte nicht auch der BND seinen Anteil an der Afghanistanoperation der CIA?

Von Bülow: Höchstens als Sekundant. Die Deutschen entwickeln zuweilen sentimentale Bindungen zu den leidgeprüften Völkerschaften der Region. Bei Jürgen Todenhöfer, dem inoffiziellen Afghanistanemissär der CDU, kann ich mir durchaus vorstellen, daß er gemeinsam mit den Mudjaheddin am Lagerfeuer saß und Freiheitslieder sang. Die verdeckten Operateure der CIA verfolgen knallhart die verdeckten, demokratisch nicht legitimierten Ziele ihres Landes. Als die CIA einst den 30.000 kurdischen Kämpfern gegen Saddam Hussein nach jahrzehntelanger verdeckter Nutzung im Interesse des Schah-regierten Iran den Geld- beziehungsweise Drogenhahn zudrehte und Führer und Mannschaften der Vernichtung durch den Diktator preisgab, meinte Henry Kissinger, der Vorgänger Brzezinskis, man solle doch bitte verdeckte Operationen nicht mit Missionsarbeit verwechseln.

KONKRET: Zurück zum 11.9. Mir scheint bemerkenswert, daß Präsident Bush am Tattag nicht nach New York kommen wollte - aus Angst, auch auf ihn beziehungsweise die Airforce One sei ein Attentat geplant. William Safire von der «New York Times» hat recherchiert, daß die Terroristen Informanten in den US-Geheimdiensten gehabt haben müssen.

Von Bülow: Das ist durchaus möglich. Noch interessanter scheint mir die Interpretation eines britischen Flugingenieurs zu sein, der behauptet, die Linienmaschinen seien am 11. September nicht gekidnappt, sondern über eine «Hintertür» in den Bordcomputern unter Ausschaltung der Piloten vom Boden aus in die Ziele gesteuert worden.

KONKRET: Das Gegenteil ließe sich leicht beweisen, wenn die Ermittlungsbehörden die Auswertung der Flugschreiber und Voice-Recorder der Flugzeuge drei und vier - die eine ist ins Pentagon gesteuert worden, die andere abgestürzt - veröffentlichen würden. Aber das passiert nicht.

Von Bülow: Es gibt eine Reihe ungeklärter Abstürze an der amerikanischen Ostküste, etwa die Swissair-Maschine oder die der Egypt Air. Für die Version des britischen Flugingenieurs könnte auch sprechen, daß die angeblichen Flugzeugentführer offensichtlich gar nicht in der Lage waren, eine Maschine zu steuern. Zeitungen aus Florida berichten, daß die Flugausbildung dieser Leute vollkommen gescheitert sei. Über einen der Verdächtigten sagte die Flugschule, nach 600 Flugstunden hätte man ihm noch nicht einmal eine Cessna anvertrauen können. Über einen anderen hieß es, er sei so dumm, daß Zweifel aufgekommen seien, ob er Überhaupt ein Auto zu steuern in der Lage sei.

KONKRET: Dabei muß man bedenken, daß zumindest Maschine Nummer drei ein außerordentlich kompliziertes Flugmanöver durchgeführt hat.

Von Bülow: Sie steuerte zunächst das Weiße Haus in Washington an und änderte dann mit einem 270-Grad-Looping knapp über die Telegraphenleitungen hinweg ihren Kurs aufs Pentagon. Das erfordert Können und viel Flugerfahrung. Im übrigen mache ich mir die Theorie des britischen Flugingenieurs ja nicht zu eigen. Ich behaupte nur, daß die Zweifel und Fragen, die er und andere formulieren, öffentlich debattiert und fachmännisch untersucht werden müssen.

KONKRET: Auch bei den Insider-Börsengeschäften werden keine Fragen mehr gestellt.

Von Bülow: In der Tat. In der Woche vor dem Anschlag stieg der Umsatz mit Aktien, die später infolge der Ereignisse im Kurs drastisch abstürzen sollten, um 1.200 Prozent. Die Aktien wurden zum Kurs vor dem Ereignis teuer verkauft, sollten jedoch einige Zeit danach erst übereignet werden. Man konnte sich so als Verkäufer nachträglich zum Crashkurs eindecken und die Differenz als Gewinn einstreichen. Es handelte sich um Aktien der beiden Fluggesellschaften, aber auch der im World Trade Center in je 22 Stockwerken beherbergten Finanzinstitute Morgan Stanley und Merryll-Lynch. Außerdem kauften diese lnsider amerikanische Staatsanleihen im Wert von fünf Milliarden Dollar in der Erwartung, daß auf Grund der nationalen Katastrophe ihr Wert steil ansteigen werde. Wer waren die Insider, und über welche Kanäle gelangten sie zu ihrer Kenntnis? Und wo sind die Erkenntnisse der amerikanischen Finanzfahndung, die routinemäßig auffällige Spekulationen auf künftige Terrorereignisse zur Gewinnung von Hinweisen auf Attentate erfaßt?

KONKRET: Bush senior arbeitet über die Carlyle Group, eine internationale Anlagefirma, für die Familie Bin Laden in Saudi Arabien. «Die Vorstellung, daß der Vater des Präsidenten, auch er ein ehemaliger Präsident, Geschäfte mit einer Firma macht, die vom FBI wegen der Terroranschläge am 11. September untersucht wird, ist schrecklich», schrieb die US-amerikanische Antikorruptions-NGO «Judicial Watch».

Von Bülow: Bush senior ist ein alter CIA-Mann. Er war 1976/77 Direktor der Agency. Bekannt sind seine Verbindungen zum panamesischen Präsidenten Noriega, der auf seinem Staatsgebiet den Drogenhandel nach Amerika und die Landung von Flugzeugen voller Drogengeld zum Zwecke der internationalen Geldwäsche erlaubte. Seine jährlichen 200.000 Extra-Dollars aus CIA-Quellen überstiegen eine Zeitlang das Gehalt selbst des US-Präsidenten.

KONKRET: Es gibt Berichte, daß der Krieg gegen Afghanistan keine Reaktion der USA auf den Terror vom 11.9. ist, sondern bereits vorher geplant war. «Evidence suggests, that Washington had planned to move against Bin Laden in the summer», schrieb der britische «Guardian»..

Von Bülow: Eine amerikanische Öl- und Gasgesellschaft will seit Jahren Öl aus dem Kaspischen Becken über eine milliardenschwere Pipeline durch Afghanistan zum indischen Ozean transportieren. Die CIA hoffte, die Taliban zum Schutz der Investition nutzen und zugleich die Trasse über das Territorium des «Rüpelstaates» Iran verhindern zu können. Möglicherweise führt ja der Krieg jetzt zu einer neuen Regierung in Kabul, die dem Vorhaben aufgeschlossen gegenübersteht.

Alles in allem kann man davon ausgehen, daß die strategischen Köpfe der CIA in aller Regel den geopolitischen Vorstellungen folgen, die der bereits erwähnte Brzezinski in «Die einzige Weltmacht» niedergeschrieben hat. Dieses Buch ist zusammen mit Huntingtons «Clash of Civilizations» die Blaupause für die verdeckte, letztlich maßgebende US-Außenpolitik der nächsten Jahre und Jahrzehnte: Brzezinski überprüft die wichtigsten Staaten der Reihe nach darauf hin, wer sich zum Gegner der US-Dominanz aufwerfen könnte. Es werden Ansätze gesucht, wie diese potentiellen Gegner geschwächt werden können - er sieht das Ganze als Schachspiel, in dem die Hauptfiguren als Staaten gegeneinander gesetzt werden und innerhalb der Staaten oft ethnische Minderheiten als Bauern Verwendung finden. Man fördert die Scharfmacher unter den Führern von Minderheiten, desavouiert die Friedfertigen, schürt die Leidenschaften, vermittelt Waffen, finanziert über Drogen. Sollte die jeweilige Zentralregierung sich dann gezwungen sehen, zur Erhaltung des Landfriedens etwas robuster vorzugehen, folgt die öffentliche Anklage wegen Verletzung der Menschenrechte. Brzezinski ist wie besessen von der Frage nach der Beherrschung des eurasischen Raums zwischen Atlantik und Pazifik, für ihn der Schlüssel zur globalen Dominanz. Und da der Mensch, fehlbar wie er nun einmal ist, hassen will und muß, bietet der Harvard-Professor Huntington den Islam als neuen Gegner des Westens, dem er das orthodoxe Christentum Osteuropas gleichordnet.

KONKRET: Welche Kontakte zwischen Bin Laden und der CIA gibt es aus der jüngeren Vergangenheit?

Von Bülow: «Le Figaro» meint, Bin Laden habe sich noch im Juli dieses Jahres mit dem CIA-Chef in Dubai getroffen. Der CIA-Mann habe sich in seinem Bekanntenkreis dieses Treffens gerühmt.

KONKRET: Wenn Sie auf die Rolle der CIA und anderer westlicher Dienste in bezug auf den 11. September hinweisen, werden Sie sicherlich mit dem Vorwurf konfrontiert, Verschwörungstheorien anzuhängen.

Von Bülow: Nicht ich bin derjenige, der eine Verschwörungstheorie vertritt. Vielmehr müssen diejenigen sich den Vorwurf gefallen lassen, die ohne stichhaltige Beweise - jedenfalls wurden bisher keine vorgelegt - eine Bin-Laden-Verschwörung am Werke sehen. Dabei werden wieder die Medien zur Desinformation genutzt. Zum Beispiel las man in der «New York Times», Bin Laden habe in einer Erklärung die Attentate begrüßt, die Täter als «Helden» gelobt. Die Äußerung wurde von einem in Afghanistan lebenden Palästinenser übermittelt, der weitergab, was ein Freund aus der Umgebung Bin Ladens über dessen Reaktion gehört haben wollte. Zur gleichen Zeit übersetzte der «Bonner Generalanzeiger» die von BBC übermittelte Erklärung Bin Ladens, in der er den Tod Unschuldiger am 11.9. bedauerte. Wieso wählt die «New York Times» die mit hoher Wahrscheinlichkeit verfälschte Nachricht?Ich behaupte jedenfalls nicht, daß ich Antworten hätte auf Fragen, die in den Medien nicht gestellt werden - mit der Folge daß die Verantwortlichen sich zu überzeugenden Antworten nicht veranlaßt sehen. Statt dessen werden Bilder vermittelt, die den im Sandsturm reitenden Bin Laden zeigen, den apokalyptischen Reiter, den unberechenbaren, hinterhältigen, grausamen neuen Feind!

KONKRET: Warum reagieren die Medien, auch in Deutschland, wie gleichgeschaltet?

Von Bülow: Lediglich Frankreich scheint einigermaßen der Hysterie und der uneingeschränkten Gefolgschaft zu trotzen. In der Politik wie in den Medien. Die Wellen der Gleichschaltung habe ich nun schon mehrfach erlebt. Bei der Neutronenwaffe hatte es noch nicht geklappt. Doch anläßlich der Nachrüstung von 100 Mittelstreckenraketen Anfang der achtziger Jahre wurde die Gleichschaltung bereits handgreiflich. Dann bei der Unterdrückung jeder Wortmeldung über den angeblich schnellen Weg zu den blühenden Landschaften. Mit am schlimmsten habe ich die Manipulation aus Anlaß des Golfkrieges empfunden, wo Saddam Hussein nach massiver Aufrüstung durch den Westen unter anderem in die Falle der amerikanischen Botschafterin lief, die ihm zugesichert hatte, daß Grenzstreitigkeiten mit Kuwait die USA nicht kümmerten. Beim Krieg der Sterne unter Reagan und jetzt wieder Bush zeichnet sich dieselbe Tendenz auch in unserer Presselandschaft ab.

KONKRET: Sie haben das Phänomen zutreffend beschrieben, aber noch nicht erklärt.

Von Bülow: Von einem Informanten in den USA weiß ich, daß in den größeren Redaktionen und Nachrichtenagenturen eine Person des Vertrauens der CIA sitzt, die in der Lage ist, kritische Angelegenheiten im Zweifelsfall vom Transportband der Nachrichten zu nehmen oder das Totschweigen zu veranlassen. Ob der BND ähnliche Macht hat, weiß ich nicht. Die maßgeblichen Medienzaren der USA sitzen in Beratungsgremien der Geheimdienste. Die CIA hilft ausländischen Journalisten und Nachrichtenagenturen mit Geld auf die Sprünge. Im übrigen stehen Journalisten oft im Klientelverhältnis zu den Diensten. Die heiße Story wird von dort herausgereicht zur angemessenen Verbreitung. Verläßt der Journalist den Mainstream, bleiben die Lieferungen aus. Bleibt er jedoch auf Kurs, wird er zu Hintergrundgesprächen und Konferenzen eingeladen, oft an den schönsten Orten der Welt, in den besten Hotels, mit prominenten Gesprächspartnern. Wer als «Defense intellectual» gilt, hat ein schönes Leben und exklusive Informationen - von Korruption will da keiner sprechen. Aber der Unterschied zu einem Journalisten, der etwa in Frankfurt-Bockenheim an seinem Schreibtisch sitzt und täglich auf sich gestellt seine Informationen zusammensuchen muß, ist beträchtlich.

Ein Weiteres kommt hinzu: Die wichtigste Aufgabe der Geheimdienste ist die Täuschung der Öffentlichkeit. Der eigentlichen Kausalkette soll niemand auf die Schliche kommen. Einen Bergstamm in Burma mit 30.000 Mann zum Kampf gegen den Vietcong zu gewinnen, ist nicht schwer, dazu reicht es, Geld und Waffen bereitzustellen. Viel schwieriger ist es, das Ganze so zu drehen, daß der Dienst nicht selbst als Verursacher und Auftraggeber in Erscheinung tritt. Also dirigiert und finanziert die CIA über raffinierte Umwege. Die mittel-amerikanischen Contras bekamen Waffen und Geld über Drogenhändler, die im Gegenzug geschützt vor Strafverfolgung ihre Ware in den USA oder Europa absetzen konnten. Die Wäsche des eingenommenen Drogengeldes wird gedeckt, damit der geheime Kreislauf funktioniert. Alles wird so verwickelt arrangiert, daß jeder für verrückt erklärt werden kann, der die wirklichen Zusammenhänge erahnt oder darstellt. Um so kommoder ist die Welt eingerichtet für Journalisten, die auf dem Schoß der Geheimdienstleute sitzen und auf die Desinformation zum Füllen ihrer Spalten warten.

KONKRET: Sie waren Staatssekretär und Minister. Wie reagieren die Sozialdemokraten ihrer Generation - Leute wie Bahr und Schmidt - auf ihre Recherchen?

Von Bülow: Da gibt es keine Reaktion. Wer meine Analyse für richtig hält, müßte auf Gegenkurs gehen. Wer sie für falsch hält, müßte argumentieren können.


Andreas von Bülow

Jahrgang 1937, hat seine Erfahrungen mit staatlicher Vertuschung gemacht. Im Schalck-Golodkowski-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages wurden ihm Erkenntnisse über die Stasi bereitwillig zur Verfügung gestellt, doch sobald es um die Rolle der westlichen Geheimdienste ging, biß er auf Granit. Der frühere Staatssekretär im Verteidigungsministerium (1976-1980) und Bundesforschungsminister (1980-1982) hat über die «kriminellenMachenschaften der Geheimdienste» das Buch «Im Namen des Staates» verfaßt und arbeitet heute als Anwalt.

Konkret 12, Dezember 2001, S. 14 - 17


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