Gegen Faschismus und Klassenjustiz - Die Antifaschistische Aktion!

EIN WIDERSPRUCH - KEIN ANTAGONISMUS

  Hannover. Seit den "Chaostagen” im August 1995, bei denen es zu Auseinandersetzungen zwischen Punkern und der Polizei kam, geistert ein Begriff durch die bundesweite Medienlandschaft, der zuvor nur mit einigen Demonstrationen - vor allem gegen faschistische Zentren - in Südniedersachsen verbunden wurde: das sogenannte Deeskalationskonzept der Polizei.

Die Streitigkeiten innerhalb der Niedersächsischen Polizei bzw. im Innenministerium und auf der politischen Bühne haben gar soweit geführt, daß Hannovers Polizeichef Sanders im Alter von 61 Jahren am 25. August 1995, kurz vor seiner Beförderung, seinen Rücktritt einreichte. Er übernahm damit die Verantwortung für den Einsatz der Polizei bei den "Chaostagen”, da der Druck reaktionärer Kreise in Politik und im Sicherheitsapparat nach wochenlanger Diskussion zu groß geworden war.

"Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund, Gerhard Vogler, bezichtigte Glogowski, 'nach Göttingen nunmehr auch Hannover zu einem Kultort für gewalttätige Ausschreitungen' gemacht zu haben.”[17]

Mit dem taktischen Schritt des vorzeitigen Rücktritts entstand ein Puffer für die politisch Verantwortlichen im Niedersächsischen Innenministerium, allen voran der Niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski und der ihm unterstellte Staatssekretär Claus Henning Schapper.

Göttingen. Am 24. August 1995 wartete das Göttinger Tageblatt unter der Überschrift "Will Generalstaatsanwaltschaft ein paar Bauernopfer?” mit einemArtikel auf, in dem sich die Göttinger Polizei als Opfer der Ermittlungen des LKA und der Celler Generalstaatsanwaltschaft (GSA) bezeichnet.

"Bei der Polizei in Göttingen haben die Ermittlungen (…), unterdessen helle Empörung ausgelöst”, heißt es. "Es gehe der Generalstaatsanwaltschaft in Celle offenbar vor allem darum, die sogenannte Deeskalations-Linie in Mißkredit zu bringen (…).

Die politische Linie passe der Generalstaatsanwaltschaft nicht. (…). Die Göttinger Polizisten fühlen sich aber auch vom Landeskriminalamt (LKA) über den Tisch gezogen. Beamte der LKA-Sonderkommission, die in Göttingen jahrelang vergeblich die Urheber zahlreicher Anschläge auszumachen versuchte, hätten offenbar akribisch Aktenvermerke über ihre Göttinger Kollegen angelegt (…).”

Die Göttinger Polizei fühlt sich also in Ermangelung der Fähigkeit, die gesamtpolitische Situation zu erfassen, als Opfer und von ihren eigenen Kollegen des Landeskriminalamtes "über den Tisch gezogen”.

Aber wesentlich aufschlußreicher ist die Tatsache, daß die Göttinger Polizeiführung dem Hick-Hack zwischen den Einsatzstrategien für Demonstrationen eine politische Dimension bescheinigt. Darüberhinaus unterstellt sie der Generalstaatsanwaltschaft politische Motive. Hatte doch Generalstaatsanwalt Manfred Endler ein Jahr zuvor beteuert, "weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft betreiben in irgendeiner Form Politik (…) Es ist unsere Aufgabe, Straftaten zu verfolgen.”[18] Dies sieht offensichtlich nicht einmal mehr die Göttinger Polizei so.

Auch die örtliche SPD, die sich noch kurz nach der militanten Demonstration vom 16. Juli 1994 genötigt sah, sich zu distanzieren, zeigt sich "empört über die Ermittlungen gegen Göttinger Polizisten im Zusammenhang mit der Deeskalationstaktik der Polizei. Offensichtlich politisch motiviert seien die Attacken der Celler Generalstaatsanwaltschaft. Auf der offenbar vergeblichen Suche nach Terroristen torpediere die Staatsanwaltschaft erfolgreiche Einsatzkonzepte der Polizei und verpulvere für aufgeblasene Ermittlungsverfahren Steuergelder, erklärte der Stadtverband(…)”.[19]

Widersprüchliche Aussagen zum Widerspruch

Als nach der Demonstration zum 2. Oktober 1992 erstmals über die Presse öffentlich wurde, daß sich die örtliche Polizei im Clinch mit dem LKA befände, glaubte niemand so recht an einen handfesten Streit. Damals hatte die Göttinger Polzeiführung den Schnüfflern des LKA untersagt, Observationsaufnahmen während der AgitProp-Aktion und der anschließenden Demonstration unter dem Motto "Schafft die antifaschistische Einheit” zu fertigen und ihren Kollegen faktisch einen Platzverweis erteilt.

"Wie am Mittwoch bekannt wurde, war der polizeiinterne Streit vor allem daran entbrannt, daß die LKA-Fahnder den Demonstrationszug mit starken Kräften observieren, fotografieren und filmen wollten. Von den Einwendungen der Göttinger Polizeiführung, die dadurch die Gefahr einer Eskalation befürchtete, wollten sich die Terrorfahnder nicht überzeugen lassen.”[20]

Der Streit wurde damals öffentlich, weil er erst auf der Ebene des Innenministeriums beigelegt werden konnte.

Jetzt behauptet die Göttinger Polizei gar: "Es gehe der Generalstaatsanwaltschaft in Celle offenbar vor allem darum, die sogenannte Deeskalations-Linie in Mißkredit zu bringen (…).”

Hingegen geht aus der Antwort des Niedersächsischen Innenministeriums vom 6. Juni 1995 an das OLG Celle auf Anfrage bezüglich der Existenz einer "Deeskalationsstrategie” hervor, daß es kein Deeskalationskonzept gibt - weder seitens des Innenministeriums noch seitens der Göttinger Polizei.

"Daher gibt es auch kein durch das Innenministerium vorgegebenes landesweites 'Deeskalationskonzept' - auch nicht speziell für den Bereich Göttingen i.S. einer 'Göttinger Linie' - , das für bestimmte Lagen oder Situationen immer ein standardisiertes Bündel polizeilicher Maßnahmen bzw. das Absehen von bestimmten Maßnahmen vorsieht. Allerdings wurden und werden diese Abwägungen auch im polizeilichen Sprachgebrauch als 'Deeskalation' bezeichnet, ohne daß dies (s.o) in einem Konzept oder einer Strategie mündet. Vielmehr liegen diese Entscheidungen jeweils in der Kompetenz des den Einsatz leitenden Polizeiführers.”

Hier wird mehr als deutlich, daß es die gegenüber der Öffentlichkeit als liberal verkaufte "Deeskalationstrategie” nicht gibt. Vor allem nicht in demSinne, daß die Polizei von sich aus ein liberaleres Einsatzkonzept einführt. Vielmehr muß der Entschluß, eine liberale Demonstrationseinsatztaktik zu fahren, als "spontane”, sich aus den politischen Kräfteverhältnissen entwickelnde Entscheidung gesehen werden.

Im direkt auf die eben zitierte Textstelle folgenden Absatz aus der Antwort des Innenministeriums wird deutlich, daß die Polizei aufgrund der für sie politisch verfahrenen Situation handeln mußte.

"Anzahl und Art und Weise des Verlaufs vor allem der gewalttätigen demonstrativen Aktionen in Göttingen haben dazu geführt, daß die polizeiliche Einsatzbewältigung in Göttingen immer im Lichte der Öffentlichkeit gestanden hat. Nachdem in den Jahren 1991/1992 die Autonome Antifa (M) vermehrt ihre Demo-Konzepte öffentlich bekannt machte und sich dementsprechend verhielt, entwickelte sich daraus eine polizeiliche Einsatztaktik, die dann von der Öffentlichkeit und in der politischen Diskussion als 'Deeskalationsstrategie' bezeichnet wurde.”

Hieraus geht hervor, daß die derzeitige antifaschistische Demonstrationskultur nicht auf das Wohlwollen der Polizei zurückzuführen ist, sondern auf die Glaubwürdigkeit der Politik der Autonomen Antifa (M).

Ausgangsbedingungen

Das, was das Innenministerium dezent mit den Worten, "daß die polizeiliche Einsatzbewältigung in Göttingen immer im Lichte der Öffentlichkeit gestanden hat,” umschreibt, heißt im Rückblick nichts anderes, als daß die Göttinger Polizei seit 1986 immer wieder in die Schlagzeilen geriet und ihr Image stark angekratzt war. Ein paar Schlaglichter verdeutlichen dies:

* z. B. die "JuZI-Razzia” im Jahre 1986. Nach einer Räumung von drei besetzten Häusern wurden am Abend des 1.Dezember über 400 Menschen mehrere Stunden festgesetzt und ED-behandelt.Diese polizeiterroristische Aktion wurde Jahre später als rechtswidrig erklärt.

* z. B. die Räumung des Max-Planck-Gymnasiums nach einer Besetzung durch SchülerInnen im Zuge des Widerstandes gegen die Schulreform 1987. Bei dieser Aktion wurden zum Teil 13-jährige SchülerInnen brutal zusammengeschlagen. Diese Polizeiaktion verursachte einige Tage später nicht nur eine Demonstration mit über 3000 Personen - zu großen Teilen empörten Eltern - sondern kostete auch den damaligen Oberstadtdirektor seinen weichen aber wackeligen Sessel.

* z. B. der Skandal um den politischen Mord an der Antifaschistin Conny Wessmann durch die Polizei. Vor allem die Praktiken der politischen Abteilung des Zivilen Streifenkommandos (ZSK) wurden durch diese Aktion zutage gefördert ("Sollen wir sie plattmachen!?”)[21]. Dies reihte sich (personell) nahtlos in den sogenannten SpuDok-Skandal ein[22], der schon Anfang der 80er Jahre für breite Empörung über die Grenzen Göttingens hinaus gesorgt hatte. Dieser rankte sich ebenfalls um die politische Zivilpolizei und ihre Methoden.

* und schließlich die Übergriffe der Polizei im November 1991 bei einer Mahnwache zum Gedenken an die Antifaschistin Conny. Es kam dort zu überfallartigen Szenen durch die Polizei, nur weil DemonstrantInnen politische Parolen an die Wände angebracht hatten. Dabei wurden zum Teil unbeteiligte Personen verletzt.

Diese durch die Polizei eskalierte politische Gesamtsituation zwang die Polizei, ihr bisheriges aggressives Einsatzkonzept auf Demonstrationen zu überdenken.

Ein Ausdruck des angekratzten Images der Polizei war die Tatsache, daß sie sich nach internen Beratungen mit dem Innenministerium genötigt sah, eine Pressestelle einzurichten.[23]

In diese Situation hinein erfolgte der Schritt der Autonomen Antifa (M) mit der Silvester-Demonstration 1991/ 92. Da die Polizei sich zurückhalten mußte, war es in der Folgezeit möglich, eine andere Demonstrationskultur in Südniedersachsen zu etablieren, die sich nicht mehr bedingungslos an die repressiven Spielregeln des ausgehöhlten Demonstrationsrechtes halten mußte.

Es geht in der politischen Auseinandersetzung immer darum, reaktionäre Entwicklungen zurückzudrängen bzw. politisches Terrain zu erkämpfen, was in diesem Falle nichts anderes heißt, als die Polizei zur Zurückhaltung zu zwingen.

Es wurde die Möglichkeit geschaffen, daß sich breite Kreise an Demonstrationen beteiligen. Viele waren zuvor durch die konfrontative Situation bei den bis dato üblichen Demonstrationen abgeschreckt. Darüberhinaus konnte praktisch wie politisch der Schwarze Block durchgesetzt werden sowie sich einer erzwungenen Kontaktaufnahme mit der Polizei bzw. anderen Kontrollinstanzen durch die Anmeldepflicht bei Demonstrationen entzogen werden. Auch die oftmals durch Provokationen der Polizei ausgelösten Auseinandersetzungen wurden wegen der Abwesenheit der Polizeieinheiten verhindert. Diese Auseinandersetzungen hatten in der Vergangenheit oftmals dazu geführt, daß die eigentlichen politischen Inhalte der Demonstration von Meldungen über "Ausschreitungen” überlagert wurden.

Durch den Erhalt des Schwarzen Blocks wurde nicht nur in der konkreten Situation einSchutz vor den Kameras der Polizei und der Faschisten erreicht, sondern vielmehr macht der Schwarze Block deutlich, daß es sich bei einer entspechenden Demonstration um eine Initiative einer linksradikalen Kraft handelt, die in grundsätzlicher Opposition zum kapitalistischen Gesellschaftssystem steht.

D(i)eEskalation

Die Entwicklung in Göttingen auf die gesamte politische Situation zu übertragen und grundsätzlich als deeskaliert oder entspannt zu bezeichnen, wäre kurzsichtig.

Hier sollte nicht vergessen werden, daß Demonstrationen nur einen Teil der politischen Arbeit darstellen und Göttingen eine Sonderstellung in der BRD einnimmt.

Die sogenannte Deeskalationslinie, mit der sich sowohl der Polizeiapparat vor Ort aber auch wahlweise das Niedersächsische Innenministerium brüsten, ist eine dem Staat abgezwungene schein-liberale Haltung. Eine Zurückhaltung der Staatsgewalt, sei es auch nur an der Demonstrations-Einsatztaktik, muß erkämpft werden. Der Erhalt dieser von reaktionären Kreisen als "rechtsfreier Raum” bezeichneten Demonstrationskultur, ist eine Frage des politischen Kräfteverhältnisses. Das hat auch die GSA Celle bzw. der BGH erkannt.

Es geht dabei nicht vordergründig um die Erhaltung einer "liberalen Linie” auf Seiten der Polizei. Vielmehr war und ist das Ziel der Politik der Autonomen Antifa (M) niemals, die Polizei zu liberalisieren oder das Innenministerium zu überzeugen, sondern Handlungsmöglichkeiten für eine radikale linke Politik zu finden. Im Spannungsfeld des entstandenen System-internen Widerspruchs zwischen LKA, GSA auf der einen Seite und der Göttinger Polizei auf der anderen Seite bewegt sich die Politik der Autonomen Antifa (M). Dieser Konflikt innerhalb des Apparates der Inneren Sicherheit dauert nun schon über 2 1/2 Jahre an. Dabei geht es , polizeistrategisch gedacht,

lediglich um die Frage, wie denn nun der linksradikale Widerstand kleinzukriegen ist; durchSpaltung, offenes Draufschlagen, Totdeeskalieren oder, oder, oder.

Rückblickend bleibt nüchtern festzustellen, daß dieser Widerspruch im Apparat der antifaschistischen Arbeit weniger entgegenstand als die eskalierte Situation in Göttingen Mitte/ Ende der 80er Jahre.

Wenn hingegen in der politischen Diskussion - auch innerhalb der Linken und der Solidaritätsgruppen - die Frage der Rolle der Polizei mehr in den Vordergrund rückt, als die radikal-antifaschistsiche Politik, die im Zentrum der Kriminalisierung steht, muß die Frage aufgeworfen werden, wem diese verzerrte Diskussion nützt. Wird behauptet, die Existenz der antifaschistischen

Demonstrationskultur in Südniedersachsen, sei auf das Verhalten der Polizei zurückzuführen, so wird genau das gewollte Bild bürgerlicher Kreise reproduziert, auch in der Linken.

Ob die Göttinger Polizei oder der Ortsverband der SPD - alle sehen derzeit die Göttinger Polizei als Opfer.

Die verzerrte Diskussion um den System-internen Widerspruch zwischen den Polizeibehörden blendet die eigentliche Auseinandersetzung aus. Es geht grundsätzlich - egal ob deeskaliert oder eskaliert - um die Vernichtung der Idee, daß es eine Alternative zum kapitalistischenVerwertungssystem gibt.

Für diese Alternative, für antagonistische Politik, steht die Autonome Antifa (M) vor Gericht.


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