ENTSICHERT - der Polizeistaat lädt nach...

gesetzliches Korsett

Der nationale Sicherheitswahn in Gesetze gegossen. Die Politik der "Inneren Sicherheit" schafft sich ihre juristischen Mittel zur Durchsetzung des Polizeistaates. Die von Medien und Politik propagierten und von der Öffentlichkeit bereitwillig aufgenommenen Bedrohungsszenarien spiegeln dabei genau die Bereiche wieder, in denen die juristische Verschärfung stattfindet...

So wird gegen die "Organisierte Kriminalität" der "Große Lauschangriff" verabschiedet, um Deutschland vor dem angeblichen Ausraub durch phantasierte, hochorganisierte internationale Verbrecherbanden zu bewahren. Was genau die Organisierte Kriminalität sein soll, bleibt sehr diffus: "Organisierte Kriminalität" sei "kein abgrenzbarer Straftatbestand (.. ), sondern ein komplexes Kriminalitätsphänomen, das bestimmte Erscheinungsformen unterschiedlicher Delikte umfaßt. Wir haben es mit einer Form der Kriminalität zu tun, die aus konspirativen Strukturen, personellen Beziehungen, mafiösen Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Straftaten besteht". [1]

Ein weiteres Bild, das die Debatte beherrscht, sind die behaupteten "kriminellen Ausländer". Gegen sie fährt der deutsche Staat in der Pose des beleidigten, von ehrlosen Subjekten hintergangenen Gastgebers das verschärfte Ausländer und Asylrecht auf.

Eine besonders unverblümte (Wieder-) Einführung autoritärer, repressiver und ausgrenzender staatlicher Handlungsmodelle stellen die Anstrengungen zum "Schutz" deutscher Städte vor der neuerdings ausgemachten Heimsuchung durch "aggressive Bettler", "brutale Skater", "Drogenkriminelle", "Randalierer", "Ruhestörer", Graffiti SprayerInnen und was das bürgerliche Ordnungsempfinden noch an "bedrohlichem Gesindel" wahrzunehmen vermag, dar. Dem sollen unter anderem die verschiedenen Verschärfungen der Länderpolizeigesetze Ein halt gebieten und genau an der hier ausgemachten "Störung der öffentlichen Ordnung" setzt auch Kanthers Vorstoß einer "Aktion Sicherheitsnetz" an, der so weit geht. neben einer Verstärkung der Polizeipräsenz den Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes zu erweitern. Auch die Hauptverhandlungshaft und das beschleunigte Verfahren sind auf diese Bereiche zugeschnitten, um die "Störer" nach dem polizeilichen Angriff vor Gericht schnell und effektiv abfertigen zu können. Die Law and Order PädagogInnen versprechen sich angeblich eine große erzieherische Wirkung von der Hauptverhandlungshaft, die für Bagatelldelikte eine sofortige Inhaftierung vorsieht. die Strafe der - vermuteten - Tat also ohne lästiges rechtsstaatliches Geplänkel auf dem Fuße folgt. Auch wird erwogen, die Strafmündigkeit für Jugendliche auf 12 Jahre zu senken, "straf fällig gewordene" Jugendliche in geschlossenen Heimen wegzusperren und anderes mehr. Rupert Scholz, Vorsitzender der CDU/ CSU Bundestagsfraktion, will. daß zur Bekämpfung der "Kinderkriminalität neue Sanktionsmöglichkeiten im Jugendhilfegesetz gegenüber Kindern, aber auch gegenüber den erziehungsberechtigten Eltern, eingeführt werden". Überhaupt will er die ..Stärkung des Strafzwecks im Jugendstrafrecht" stärker berücksichtigt wissen. Ein staatliches Strafsystem. das sich gegen Kinder richtet, zeigt, wozu das repressive "Sicherheits"-Denken fähig ist, wenn es sich als Staatsdoktrin alle öffentlichen Bereiche unterwirft.

Selbstverständlich ist von dieser Entwicklung auch der linke politische Widerstand betroffen Dieser wird durch fast alle Bereiche, in denen eine Verschärfung stattfindet, berührt oder ist direkt gemeint, sei es, daß politisch aktive KurdInnen nun schneller in den Folterstaat Türkei abgeschoben werden können, sei es, daß Versammlungsverbote wie bei einer antifaschistischen Demonstration in Saalfeld großräumig durchgesetzt werden können, sei es, daß das legale Verwanzen, Bespitzeln und Ab hören linker Zusammenhänge nun noch umfangreicher möglich wird Im Kern zielt diese Polizeistaatspolitik auf soziale und politische Säuberungen und sie greift auf verschiedenen Ebenen: Innenstädte (Obdachlose), ganze Regionen (bundeslandweite Demonstrationsverbote), Staatsgebiete (Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, Abschiebung von Flüchtlingen) oder halbe Kontinente ("Schengener Abkommen"). Ihre Äquivalente heißen "saubere Innenstadt". "Sicherheitsstaat" und "Festung Europa".

Die "Organisierte Kriminalität"

Kritische JuristInnen sprechen bei den umfangreichen Gesetzen, die angeblich das Ziel einer Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK) verfolgen, bereits von einem "Anti-OK-Sonderrechtssystem" [2].Der Begriff zeigt schon, daß es hier um juristische Maßnahmen in verschiedenen Bereichen und auf verschiedenen Ebenen geht, die ineinander greifen und aufeinander aufbauen.

Zuallererst sind hierbei eigentlich die bei den §§129/129a mit ihrer langen Repressionsgeschichte gegen linken Widerstand zu nennen Verschiedene polizeiliche Methoden, deren Ausweitung und Modernisierung zur Zeit in Gesetze gegossen wird, sind schon lange im Zusammenhang mit der "Terrorismusbekämpfung" Teil des deutschen "Rechtsstaates". Hierzu gehören die elektronische Informationssammlung, -speicherung und -verarbeitung, insbesondere die Rasterfahndung, und ursprünglich geheimdienstliche Methoden wie die (polizeiliche) Beobachtung und die Einschleusung und Anwerbung von verdeckten ErmittlerInnen. Ein großer Schub des Ausbaus dieser polizeilichen Möglichkeiten bzw. ihrer juristischen Grundlagen setzte dann im Zusammenhang mit der vorgeblichen Bekämpfung der Organisierten Krimina lität in den letzten Jahren ein. Zu nennen sind unter anderem:

Kurzer Prozeß:
"Hauptverhandlungshaft" und "beschleunigtes Verfahren" (§127b und §§417-42O StPO)

Die Juli letzten Jahres eingeführte Hauptverhandlungshaft ermöglicht es. auf frischer Tat Ertappte sofort für maximal eine Woche in Untersuchungshaft zu nehmen, wenn in dieser Zeit die Hauptverhandlung nach dem beschleunigten Verfahren eröffnet wird. Das beschleunigte Verfahren wurde 1994 im Zuge des Verbrechensbekämpfungsgesetzes eingeführt. Ein Ziel der Einführung der Hauptverhandlungshaft war es dann auch ausdrücklich, für die Gerichte einen Anreiz zu schaffen, das beschleunigte Verfahren häufiger anzuwenden. Das Neue am beschleunigten Verfahren ist im Kern, daß das Gericht nicht mehr zu einer umfassenden Beweisaufnahme verpflichtet ist und die Staatsanwaltschaft keine Anklageschrift mehr zu erstellen braucht.

Daraus ergibt sich schon, daß die Rechte der Verteidigung beim beschleunigten Verfahren erheblich eingeschränkt sind. Ohne eine Anklageschrift kann auch keine fundierte Verteidigung entwickelt werden. Innerhalb höchstens einer Woche ist es für die Verteidigung auch kaum möglich, entlastende ZeugInnen und Sachverständige zu laden. Aussagen von Bullen können schriftlich erfolgen, so daß sie von der Verteidigung nicht befragt werden können, was be deutet, daß Widersprüche in den belastenden Bullenaussagen nicht zutage gefördert werden können Die erste Hürde liegt für Angeklagte, die sich in Hauptverhandlungshaft befinden und auf die das beschleunigte Verfahren wartet, schon darin, in der kurzen Zeit aus dem Knast heraus einen vertrauenswürdigen Rechtsbeistand zu finden. Die Zuordnung einer Pflichtverteidigung ist ab einem erwarteten Strafmaß von sechs Monaten vorgesehen.

Im beschleunigten Verfahren kann bis zu einem Jahr Freiheitsentzug verhängt werden. Das heißt, eine Verurteilung bis zu einem Jahr Knast ist im Extremfall innerhalb einer Woche ohne Anklageschrift und ohne die Möglichkeit, alle entlastenden Beweise vorzubringen, möglich. Es bleibt dann nur noch die Möglichkeit, in Berufung oder Revision zu gehen.

Die zweite gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, nach der die Hauptverhandlungshaft verhängt werden kann, ist, wenn "zu befürchten ist, daß der Festgenommene der Hauptverhandlung fernbleiben wird". Diese Regelung ist ausdrücklich auf "reisende Straftäter", sprich, TeilnehmerInnen bundesweiter Demonstrationen, auf Wohnungslose und auf AusländerInnen zugeschnitten. [4]

Die Hauptverhandlungshaft kommt bei Bagatelldelikten zum Zuge wie z.B. ,,Sachbeschädigung", aber auch bei besonders häufig zur Kriminalisierung linken Widerstands benutzten Vorwürfen wie "Verstoß gegen das Versammlungsgesetz", "Landfriedensbruch" und "Widerstand gegen die Staatsgewalt". Das Ziel liegt in diesem Fall auf der Hand: Interessierte sollen es sich zweimal überlegen, ob sie an einer Demo oder Kundgebung teilnehmen, wenn sie damit rechnen müssen, von der Demo weg verhaftet und sofort für eine Woche in Haft zu kommen. Erklärtes Ziel ist laut Gesetzesbegründung die "erhebliche erzieherische und abschreckende Wirkung" der prompten Strafe. Durch die Hintertür wird zudem die Möglichkeit eingeführt, Knast für die vermuteten Beschuldigten von Bagatelldelikten wie Graffiti Sprayen, Ladendiebstahl und Schwarzfahren zu verhängen - was selbst unter bürgerlichen JuristInnen ein umstrittenes Vorgehen ist.

Wie die praktische Umsetzung einer solchen Kanther-pädagogik beispielsweise aussieht, wird im sogenannten "Bochumer Modell" ersichtlich. Dieses sieht vor, daß Ladendieblnnen, Schwarzfahrerlnnen, Zechprellerlnnen, Graffiti-Sprayerlnnen u.ä. noch am selben Tag vor Gericht gestellt werden. Um dies reibungslos zu ermöglichen, hat sich die Horrorrunde von Polizei, Staatsanwaltschaft und Industrie- und Handelskammer extra aufeinander abgestimmt. Laut dem Direktor des Amtsgerichts Bochum seien die TäterInnen aufgrund dieses Schocks zu 90% "geständig". Von 143 Beschuldigten waren 77 nicht deutsch, in 53 % der Fälle wurde eine Geldstrafe, in 9,7 % eine Freiheitsstrafe zur Bewährung und in 14,6 % eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung unter sechs Monaten verhängt, die übrigen Verfahren wurden eingestellt. [5] In Stuttgart wurden im Jahr 1997 insgesamt 82 "Turboverfahren" überwiegend mit einer rechtskräftigen Verurteilung innerhalb eines Tages abgeschlossen. Es ging um Diebstahl, Telefonkartenbetrug, Urkundenfälschung im Ausländerrecht, unerlaubtes Fahren ohne Führerschein, Körperverletzung, Handtaschenraub, Autoaufbruch und Wohnungseinbruch. [6]

Wie die Hauptverhandlungshaft und das beschleunigte Verfahren von der Staatsanwaltschaft als Instrument genutzt wer den können, um zu versuchen, eine Verteidigung nahezu vollkommen auszuhebeln, zeigt folgendes Beispiel. In Ingolstadt wurde ein Antifaschist auf einer Mahn wache und Demonstration gegen ein europaweites Vernetzungstreffen faschistischer Gruppierungen festgenommen Nach sei ner Festnahme sollte er schon 24 Stunden später in der rechtskräftigen Hauptverhandlung verurteilt werden. Offensichtlich ging die Staatsanwaltschaft davon aus, daß der Münchner Anwalt des Antifaschisten innerhalb dieser Zeit nicht zur Verhandlung erscheinen könne. Denn als dieser wider Erwarten rechtzeitig in Ingolstadt ankam, war von einem beschleunigten Verfahren keine Rede mehr. [7]

Nie mehr allein:
Der "Große Lauschangriff"

Wenn eines sicher ist, dann dies: die SPD knickt immer ein. Mangels inhaltlicher Unterschiede zur CDU kann dies auch nicht verwundern, geht es ihr doch nur darum, sich mit substanzlosen Scheindebatten als Vertreterin der "menschlichen" Variante kapitalhöriger Standortpolitik von der CDU abzugrenzen. Nach einem von der Presse dramatisierten Hickhack um die Position des Bürgermeisters von Bremen, Scherf (SPD), wurde die Zweidrittelmehrheit im Bundesrat zur Durchsetzung der Grundgesetzänderung zum Großen Lauschangriff am 6. Februar 1998 schließlich erwartungsgemäß erreicht.

Eine weitere sichere Tatsache ist die, daß das vielbeschworene Grundgesetz in seinen emanzipatorischen Tendenzen das Papier nicht wert ist, auf dem es gedruckt ist. Der

Grundsatz "Die Wohnung ist unverletzlich" (Art. 13 GG) wird durch Zusatzregelungen ebenso ausgehebelt wie dies 1993 beim Artikel 16 GG (Politisch Verfolgte genießen Asyl) geschah Es stellt sich bei der Diskussion um den Großen Lauschangriff häufig der Eindruck ein, als sei das legale Aushorchen von Wohnungen etwas gänzlich Neues. Dies war jedoch durch das Grundgesetz auch schon vorher zur Gefahrenbekämpfung und zur präventiven Bekämpfung schwerer Straftaten erlaubt und ist in den Polizeigesetzen einiger Länder konkretisiert. Polizei und VerfassungsschützerInnen durften so auch ohne vorherige richterliche Erlaubnis Wanzen und sogar Videokameras in Wohnungen, Anwaltskanzleien, Arztpraxen und Redaktionen installieren, wenn sie eine "dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit" witterten. Dies ist der sogenannte präventive Lausch und Spähangriff [8]. Auch die "repressiven gemeint ist die zur Strafverfolgung eingesetzte "elektronische Wohnraumüberwachung" war durch die Hintertür schon erlaubt. Denn auch die Ergebnisse, die beim Lausch und Spähangriff zur Gefahrenabwehr erlangt wurden, durften im Strafverfahren benutzt werden. Schon längst erlaubt sind auch das Abhören von zu Hause geführten Telefongesprächen und der Einsatz verdeckter ErmittlerInnen. für die in Wohnungen natürlich keine besonderen Beschränkungen gelten.

Neu ist, daß bei einem Tatverdacht, der nicht einmal dringend zu sein braucht, ErmittlerInnen mit richterlicher Erlaubnis die Wohnungen von Verdächtigen verwanzen und aushorchen dürfen und auch Räume. in denen sich Verdächtige "vermutlich" aufhalten. Das Ausführungsgesetz enthält einen langen Katalog von Straftaten, bei denen das Aushorchen legal ist. Diese Liste umfaßt etwa 50 Einzeldelikte mit rund 100 Begehungsformen, darunter auch solche mit relativ geringer Strafandrohung. die für das entworfene Bild der Organisierten Kriminalität nicht gerade typisch sind. Sogar schon ein schlichter Ladendiebstahl reicht demnach für den heimlichen Verwanzungsbesuch aus, ebenso jedoch auch beispielsweise der Verrat von Staatsgeheimnissen. [9] Dies spricht den Behauptungen der Law and Order-RechtsstaatlerInnen Hohn, die weiterhin unverändert dreist verkünden, das Gesetz sei zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität verabschiedet worden. Der Begriff der Organisierten Kriminalität, deren hochstilisierte Bedrohungen von Anfang bis Ende die ganze Debatte beherrschten, taucht im Gesetz außer in der Überschrift gar nicht mehr auf, geschweige denn, daß definiert wäre, was darunter eigentlich zu verstehen sei.

Die SPD präsentierte sich in der öffentlichen Diskussion als CDU light. Obwohl sie den Großen Lauschangriff schon auf dem Parteitag 1993 in Wiesbaden beschlossen hatte, gab sie sich kurz vor knapp noch einmal etwas kritisch. Per Vermittlungsausschuß und erneuter Abstimmung im Bundestag wurden daraufhin die geschützten Berufsgruppen um JournalistInnen, ÄrztInnen und RechtsanwältInnen - also diejenigen, deren "Zeugnisverweigerungsrecht" durch das Aushorchen praktisch ausgehebelt würde erweitert. Durch diese "Nachbesserungen" im Detail wurde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, es gebe eine wirkliche Diskussion um die Grundgesetzänderung mit der SPD als kritischer Kraft Daß jedoch auch an diesem Punkt der Politik inhaltliche Unterschiede zur CDU einfach nicht vorhanden waren, wurde von Gerhard Schröder kurzerhand zugegeben: Er verkündete, er werde dem Lauschangriffsgesetz in der vom Bundestag verabschiedeten und von ihm befürworteten Form zustimmen, wenn das Vermittlungsverfahren ergebnislos bliebe. [10]

Wer bietet mehr? - Verschärfung der Länder-Polizeigesetze

Mit dem neuen niedersächsischen Verbrechensbekämpfungsgesetz langte die SPD Alleinregierung im Mai 1996 gleich richtig zu, um dem, laut bayerischem Innenminister Beckstein "Marktführer in Sachen Sicherheit" [11] Bayern, in nichts mehr nachstehen zu müssen.

Besonders tat sich Niedersachsen dabei mit dem neuartigen flächendeckenden Aufenthaltsverbot (§17 Abs. 2 Satz 1 NGefAG) hervor. Die Polizei bekam damit ein Instrument in die Hand, das sie ohne richterliche Anordnung fast beliebig einsetzen kann. Das Gesetz im Wortlaut: "Recht fertigen Tatsachen die Annahme, daß eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird, so kann ihr für eine bestimmte Zeit verboten wer den, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, es sei denn, sie hat dort ihre Wohnung. Örtlicher Bereich (...) ist ein Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet (...)"

Welcher Art die "Tatsachen" zu sein haben, die die polizeiliche "Annahme" rechtfertigen sollen, ist nicht näher bestimmt. Ist vielleicht anzunehmen, daß eine dunkelhäutige Person am Bahnhof dealen wird? Natürlich, denn dies kann in jeder Zeitung nachgelesen werden. Auch sagt sich die Polizei, daß ärmlich aussehende Personen in der örtlichen Edel-Konsummeile klauen statt kaufen oder zumindest betteln, daß Obdachlose - wer sonst? - in der Innenstadt verbotenerweise in Hausfluren übernachten, daß jugendliche SkaterInnen PassantInnen gefährden oder Wände besprühen, daß DemoteilnehmerInnen gegen das Versammlungsrecht verstoßen. Von AusländerInnen - von wem sonst? - ist anzunehmen, daß sie gegen das Ausländergesetz und von Flüchtlingen, daß sie gegen das Asylgesetz verstoßen werden usw. "Es handelt sich hier (bei Platzverweisen, Aufenthaltsverboten und Unterbindungsgewahrsam), (...) letztlich um Instrumente der sozialen und "politischen Säuberung" von Innenstädten, Konsummeilen, bestimmten Stadtteilen, Wohngegenden und Landstrichen". [12] Die saubere Stadt nach Kanthers und Glogowskis Ausmerzungsvisionen wird Wirklichkeit!

Beispiele für die praktische Durchführung einer solchen Politik gibt es jetzt schon genug. Frankfurt wurde 1995 anläßlich einer kurdischen Großdemonstration für KurdInnen gesperrt. Die ganze Stadt wurde mit Straßensperren und Kontrollen überzogen, schwarzhaarige, dunkelhäutige und südländisch aussehende Menschen waren betroffen. Im Oktober 1997 verhinderte im thüringischen Saalfeld ein martialisches Polizeiaufgebot eine Demonstration gegen ein Nazizentrum, an der mehrere tausend AntifaschistInnen teilnehmen wollten und die von einem breiten Bündnis vorbereitet wurde. Die Stadt Saalfeld wurde abgeriegelt, mehrere hundert anreisende AntifaschistInnen festgenommen und bis zu 34 Stunden festgehalten, teilweise wurden sie in Schnellverfahren abgeurteilt.

Eine weitere Neuerung im niedersächsischen Polizeigesetz ist die viertägige Vorbeugehaft, wie sie in Bayern schon für maximal zwei Wochen erlaubt ist. Der Polizeipräsident von Hannover kommentierte die niedersächsische Regelung folgendermaßen: Der Einführung des Unterbindungsgewahrsams komme "eine abschreckende Einwirkung auf potentielle Gewalttäter" zu; "jemand, der vier Tage hinter Schloß und Riegel gesessen habe", sei "weder bereit noch in der Lage (...), nach seiner Entlassung weiter zu randalieren" [13].

Mit der anlaß- und verdachtsunabhängigen Kontrolle zieht Niedersachsen mit Baden-Württemberg und Bayern gleich. Ein im November 1997 erlassenes Gesetz erlaubt mittlerweile auch in Thüringen die "verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrolle. Dies bedeutet, daß die Polizei, wann und wo sie es für richtig und wen sie für verdächtig hält, kontrollieren kann. Seit Januar diesen Jahres ist es auch mit dem neuen "Sicherheits- und Ordnungsgesetz" in Mecklenburg-Vorpommern für die Polizei möglich, in Grenznähe und auf Straßen "mit grenzüberschreitender Bedeutung" nach Gutdünken zu kontrollieren.

Beim Abhören von Wohnungen und dem Einsatz verdeckter ErmittlerInnen geht die jüngste Änderung des niedersächsischen Landespolizeigesetzes sogar noch über den Großen Lauschangriff hinaus.

Abhöraktionen sind schon "zur Abwehr der Gefahr, daß eine Person eine Straftat begeht" erlaubt. Dies ist die niedrigstmögliche Eingreifschwelle überhaupt. Auch in Mecklenburg-Vorpommern darf schon zur Vorbeugung gegen schwere Straftaten die Wohnung abgehört werden. [14]

Verschärfungen im Ausländer- und Asylrecht - Hoch die nationale Souveränität

Durch die Entwicklung im rassistischen deutschen AusländerInnen- und Asylrecht der letzten Jahre sind erfolgreich viele Forderungen faschistischer Parteien umgesetzt worden. Eine solide Grundlage, AusländerInnen in Deutschland zu Rechtssubjekten zweiter Klasse zu machen, stellt das seit 1991 geltende Ausländergesetz dar Es beinhaltet die umfassende Überwachung von AusländerInnen und den Datenfluß zwischen den Behörden. [15] Der faktischen Abschaffung des Asylrechts im Mai 1993 folgten weitere Verschärfungen. 19 94 wurde das Ausländergesetz dahingehend geändert, daß selbst bei Vorliegen der ohnehin schwierigen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung eine solche dann nicht erteilt wird, wenn bereits eine Ausweisung oder Abschiebung etwa nach dem Asylverfahrensgesetz, er folgt ist. [16] Ganz deutlich zielt die Justiz auch auf die politische Tätigkeit von AusländerInnen: Ein bei einer "verbotenen Demonstration" begangener Landfriedensbruch soll automatisch als besonders schwerer Landfriedensbruch gelten, der die Abschiebung zwingend nach sich zieht!

Auch bei anderen " Straftaten" kann die Abschiebung jetzt leichter erfolgen. Regelmäßige und gleichwohl folgenlose Skandale zeigen, daß die Abschiebepraxis der BRD in ihrer Brutalität noch weit über den gesetzlichen Rahmen hinausgeht, der die Richtung jedoch vorgibt. Die Reihe der Beispiele ist lang, in der Flüchtlinge in Abschiebehaft zum " Selbstmord" getrieben wurden oder geknebelt und gefesselt bei der Abschiebung mysteriös zu Tode kamen.

Jüngstes Beispiel staatlicher Abschiebepolitik stellt der Gesetzesentwurf vom Februar 1998 dar, nach dem ausreisepflichtigen und "geduldeten" Flüchtlingen die Sozialhilfe, sprich: Nahrung das Wohngeld und die medizinische Versorgung, gestrichen werden soll, um ihre " Bereitschaft" zur Rückkehr in ihre Fluchtländer zu erzwingen. "Ohne eine Anspruchseinschränkung fehlt jeder Anreiz, Deutschland freiwillig zu verlassen", so Niedersachsens Innenminister Glogowski (SPD). [17] Betroffen sind abgelehnte AsylbewerberInnen, also Dank der "Asylrechtsänderung" von 1993 weitaus die meisten, und Kriegsflüchtlinge, also beispielsweise Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Nur ausnahmsweise, wenn die Ansprüche "unabweisbar" sind, sollen noch geringfügige Leistungen gewährt werden. Nach den Erfahrungen der Wohlfahrtsverbände fallen unter diesen Begriff häufig nur eine Rückfahrkarte und Zehrgeld für die Rückreise. "Unabweisbar" sind also Flüchtlingen gegenüber keineswegs die existentiellen Grundbedürfnisse!

Ohnehin erhalten Flüchtlinge nur eine um 20% gekürzte Sozialhilfe, die ja bekanntlich das Existenzminimum für Menschen sichern soll. Dies ist eine konkrete und deutliche Sprache der Bundesrepublik Deutschland, die in ihrer Geringschätzung für die betroffene Menschengruppe dieselbe Stoßrichtung hat wie die Stiefelpraxis der Straßennazis.

Der Entwurf wurde im Bundesrat von allen CDU CSU geführten und von den allein von der SPD regierten Ländern unterstützt. [18]

Fußnoten

[1] Presse und Informationsdienst der Bundesregierung: Politik zur Inneren Sicherheit, S. 9-4. [zurück]

[2] Eckart Klawitter: Die Reduktion der Verteidigungsrechte im Anti-OK-Sonderrechtssystem in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heft 3/97, S- 248. [zurück]

[3] Alle Gesetze aus: Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung: Politik zur Inneren Sicherheit, S. 18ff. [zurück]

[4] Lutz Meyer-Gossner: Kommentar zur Strafprozeßordnung, Erstes Buch, 9. Abschnitt, §129b [zurück]

[5] Christoph Meertens: "Kurzer Prozeß" und Hauptverhandlungshaft, in: Grundrechte Report, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 202-203. [zurück]

[6] FAZ, 16.1.1998. [zurück]

[7] Rote Hilfe, 1/98, S. 3. [zurück]

[8] Spiegel Nr. 6/2.2.1998, S. 23. [zurück]

[9] Spiegel Nr. 6/2.211998, S. 24. [zurück]

[10] FR, 7.2.1998. [zurück]

[11] Passauer Neue Presse, 10.2.1998. [zurück]

[12] Rolf Gössner: Soziale "Säuberung" per Platzverweis in: Grundrechte-Report, Reinbek bei Hamburg 9-997, S. 9-23. [zurück]

[13] Jürgen Seifert: Chaos Tage: Modell Hannover- Aufenthaltsverbote als Instrument zur Durchsetzung von Versammlungsverboten? in: Kritische Justiz 3/96, S. 358. [zurück]

[14] FR, 3O.1.1998. [zurück]

[15] Paul V. Bedick: Überwachung ohne Grenzen, in: Grundrechte-Report, Reinbeck bei Hamburg 1997. [zurück]

[16] Rote Hilfe 1/98, S. 3. [zurück]

[17] FR, 7.2.1998. [zurück]

[18] FR, 7.2.1998. [zurück]


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