ENTSICHERT - der Polizeistaat lädt nach...

Soziale Marktwirtschaft

...langweilig wird sie nie! Hintergründe eines Umbaus: Längst schon hat die sogenannte "Innere Sicherheit« als innenpolitischer Propagandabegriff Einzug in die politische Auseinandersetzung und das politische Bewußtsein gehalten; Hochkonjunktur erfährt sie in diesem Jahr im Zusammenhang mit mehreren Landtagswahlen und der Bundestagswahl am 27. September.

Anders als in den 60er/70er Jahren handelt es sich beim Ausbau der "Inneren Sicherheit" nicht um eine Sondergesetzgebung, die in erster Linie den revolutionären Widerstand treffen soll. Vielmehr werden Betteln, Ladendiebstahl, einfacher Raub, Sachbeschädigung (z.B. Graffiti) und Drogenkonsum als höchst kriminelle Akte dargestellt, die angeblich die gesamte "Sicherheit und Ordnung" des kapitalistischen Systems ins Wanken bringen.

Diese Entwicklungen wurden und werden in der antifaschistischen Bewegung meist nur dort thematisiert, wo sie selbst Ziel der zunehmenden Repression ist. Dort, wo die verschärften und neu geschaffenen Instrumente der "Inneren Sicherheit" schon heute voll durchgreifen, bei Flüchtlingen, Obdachlosen und Junkies, bleibt die Auseinandersetzung zumeist auf einer Ebene moralischer Empörung und Appelle stehen.

Ohne jedoch den Versuch zu unternehmen, die ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu analysieren, die hinter dem Ausbau der "Inneren Sicherheit" stehen, wird sich keine erfolgreiche Strategie des Widerstandes dagegen entwickeln lassen.

Entscheidend ist nicht, wie es jetzt ist, sondern wohin die Reise geht.

Ausgehend von der Feststellung. daß es derzeit keine revolutionäre Bewegung ist, die die KapitalistInnen dazu bringt, um ihre Sicherheit zu fürchten, begeben wir uns auf die Suche nach den Menschen, die das "Sicherheitsrisiko" für die herrschende Klasse darstellen.

Folgende Thesen bilden die Grundlage der weiteren Analyse:

  1. Die Anzahl der Erwerbslosen [2] wird eher weiter steigen, als abnehmen
  2. Ein Großteil dieser Menschen wird für die Produktion langfristig nicht mehr benötigt
  3. Eine Anbindung und Integration dieser Menschen an das System durch den sogenannten Sozialstaat wird es in dem Maße, wie wir es bisher kannten, nicht mehr geben.

Die "Verbrecher" der Zukunft

Die Menschen, die nicht mehr in die Produktion eingebunden werden können, wer den langfristig als ein Unruhepol, als eine Gefährdung der kapitalistischen Sicherheit betrachtet Doch diese Gefährdung wird höchstwahrscheinlich zunächst nicht von einer gemeinsam handelnden Masse aus gehen, die anfängt, kollektiv für ihre Interessen zu kämpfen Ladendiebstahl, Raub, kleinere Betrügereien und Einbruch werden nach den Befürchtungen der herrschenden Elite in diesem Land zunehmend die Aneignungsformen der Zukunft sein.

Und in der Tat: In dem Maße, wie auf der einen Seite der Lebensstandard einer großen Masse sinkt und der Reichtum auf der anderen Seite immer weiter ansteigt, werden sich Menschen aufmachen, sich das zu besorgen, was ihnen vorenthalten wird. Eine absolute Verarmung der Menschen hier in den Metropolen und Verhältnisse wie im Trikont [³], werden aber nicht eintreten. Der Markt in der BRD ist für die meisten Unternehmen ein dermaßen wichtiges Standbein, daß es für sie vernichtend wäre, wenn ca. 10 Millionen KäuferInnen plötzlich ganz wegfallen würden Auch die politische Stabilität wäre bei einer absoluten Verarmung einer großen Masse. wenn auch nicht beseitigt, so doch auch nicht mehr sicher Und daß die politische Stabilität am Vorabend der Europäischen Währungsunion nicht gefährdet werden darf darüber sind sich alle bürgerlichen Parteien einig.

Doch die " Sozialleistungen" können auch in einer sozialdemokratischen Ära nicht wieder relevant ansteigen Das bislang vorherrschende Wirtschaftsmodell (hohe Löhne, große Staats und Sozialausgaben = große Kaufkraft = gesteigerte Warenproduktion = Arbeitsplätze = noch größere Kaufkraft usw. = Wirtschaftswachstum = politische Stabilität). welches auf den Theorien des Ökonomen Keynes [4] und sozialdemokratischen Sozialstaatsmodellen basierte, ist in der BRD längst an seine Grenzen gestoßen und findet so sein Ende.

Mittlerweile ist die Produktivität durch Umstrukturierungen innerhalb der Fabriken und durch Computertechnologie derart gestiegen, daß selbst ein erhöhter Absatz so gut wie keine neuen Arbeitsplätze mehr schafft. Volkswagen wird beispielsweise im Jahr 1998 eine Belegschaftsgröße erreichen, die mit 1992 zu vergleichen sein wird. Das Produktionsziel weist allerdings eine Zahl von ca. 5 Millionen Autos auf, statt wie 1992 ca. 3 Millionen.

Armut und Erwerbslosigkeit werden auch von bürgerlicher Seite thematisiert, ohne jedoch die ökonomischen Veränderungen und die sich daraus ergebenden Umstrukturierungen der Gesellschaft miteinander in Verbindung zu bringen. Die bürgerlichen PolitikerInnen befürworten den Kapitalismus als ein an sich für den Menschen hervorragendes System.

Wie also sollen sie den jetzigen Zustand, mit dem so viele Menschen unzufrieden sind, erklären? Die bürgerliche "Opposition" in diesem Lande ist sich endlich einig: "Der Dicke muß weg, und diese Regierung ist unfähig". Die Betriebsräte schreien es bei jeder Gelegenheit von der Bütt: "Schuld an den Entlassungen ist die Unfähigkeit der Manager". 1995 lag die Arbeitslosenquote in Westdeutschland bei 8,2%, 197° bei 0,8% Wir stellen also fest, daß in diesen 25 Jahren eine völlige Verblödung der Eliten dieser Republik stattgefunden hat.

In Spanien ist die Erwerbslosigkeit im gleichen Zeitraum von 2,4% (1970) auf 22,7% (1995) gestiegen.[5]. Die geistige Verwahrlosung einer ganzen Nation? Korrekt zu Ende gedacht bliebe die Forderung: Zurück in die 70er! - Fragt sich nur ob zu Franco oder zu Brandt. [6] Die Verantwortung für gesellschaftliche Veränderungen liegt in der bürgerlichen Betrachtungsweise einzig und allein an den handelnden Personen. Guter Kapitalist böser Kapitalist.

Auch so manches linke Flugblatt ist voll solcher Gedanken: Becksteinscher Wahnsinn, Kanther-Syndrom, seine Generalität Schönbohm, der Bluthund Schröder und seine Herrlichkeit Joschka Fischer. Alle getrieben von dem unbändigen Streben nach mehr Geld für ihre KapitalistInnen und ihre eigene Macht. So wird jede wissenschaftliche Logik einer Entwicklung von Gesellschaften auf den Kopf gestellt. Von den marxistischen bis zu den bürgerlichen WirtschaftswissenschaftlerInnen waren sich in den letzten hundert Jahren fast alle einig, daß die Bedingungen einer Produktion die Staatspolitik bestimmen. Nun scheinen die SoziologInnen die Welt zu erobern. Es wird alles daran gesetzt, die handelnden Personen für eine Entwicklung verantwortlich zu machen, anstatt nach den Gründen für das Handeln zu fragen.

Es ist unbestritten, daß sich die KapitalistInnen nach dem Zusammenbruch der sog. realsozialistischen Staaten Osteuropas um einiges sicherer fühlen und viel aggressiver auftreten, als noch in den 80er Jahren. Dies erklärt allerdings nicht, warum sie bereit sind, "Unruhe" unter ihre Lohnabhängigen zu bringen. Auf der Suche nach dem größtmöglichen Profit hatten sie im letzten Jahrhundert die "Ruhe" der wirtschaftlichen Zentren entdeckt. Es war durchaus von Vorteil, einen relativen Frieden in den Metropolen der Produktion zu haben. Hier nämlich war der Gewinn am höchsten, und eine Störung der Produktion (Streik, innere Unruhen etc.) hat Unmengen von Geld verschlungen. Warum also sollte dieser herrliche Frieden der Produktion auf einmal aufgegeben werden? Es ist scheinbar unlogisch daß Millionen Menschen auf die Straße gesetzt werden, und ihre Arbeits- und Kaufkraft aufgegeben wird, um dafür aus den übrigbleibenden Kernbelegschaften um so mehr herauszupressen.

Vom Fordismus zum Toyotismus - Der Versuch, vom Klassenkampf zum "individuellen Loser" zu kommen...

Wir befinden uns in einer Phase einer enormen Umstrukturierung der kapitalistischen Gesellschaft. Seit Mitte der 70er Jahre gerät das bisher vorherrschende fordistische Produktions- und Gesellschaftsmodell immer mehr an seine Grenzen.

Der Name Fordismus geht zurück auf den US Industriellen Henry Ford, der als erster auf der Basis des Fließbands, standardisierter Arbeitsabläufe und einer extremen Arbeitsteilung Autos als Massenwaren produzierte. Durch diese standardisierte Massenproduktion gelang es, die Kosten für jedes einzelne Produkt enorm zu verringern.

Unter Fordismus wird allerdings nicht nur eine bestimmte Form der Warenproduktion verstanden, sondern das gesamte System der ökonomischen, politischen und sozialen Zusammenhänge.

Die ständige Ausweitung der Produktion im Fordismus verlangte nach immer mehr Arbeitskräften.

Noch vorhandene frühere Produktionsweisen, wie z.B. handwerkliche Fertigung oder auf Selbstversorgung ausgerichtete Landwirtschaft, wurden immer weiter verdrängt. So wurden nicht nur immer mehr Menschen zu abhängigen LohnarbeiterInnen, sondern gleichzeitig wurden auch immer mehr Menschen abhängig von den industriell hergestellten Massenkonsumgütern.

Der Fordismus benötigte für den Absatz seiner Massengüter den Massenkonsum Dies konnte nur funktionieren, wenn die Bevölkerung auch genügend Kaufkraft hatte, die Waren zu kaufen Die fordistische Produktionsweise ermöglichte nicht nur, Waren billiger und in Massen herzustellen, sondern auch, die Steigerungen der Produktion durch Lohnsteigerungen teilweise an die ArbeiterInnen weiterzugeben und damit den Konsum anzukurbeln.

Der "Traum" vom Auto und Reihenhaus wurde für viele ArbeiterInnen zur Realität Mitte der 70er Jahre allerdings kam es zu den ersten Krisensymptomen des fordistischen Gesellschaftsmodells Immer stärker wurden die Grenzen deutlich. Die Profite Wuchsen im Verhältnis zum investierten Kapital immer langsamer.

Es zeigte sich daß der Massenkonsum und die Massenproduktion sich nicht einfach immer weiter steigern liessen Die Absatz märkte waren gesättigt Hinzu kam, daß Anfang der 70er Jahre Vollbeschäftigung herrschte (Die Arbeitslosenrate lag 197° bei o,8%) Während die Gewerkschaften also günstige Bedingungen vorfanden, Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen, hatte das Kapital Absatzschwierigkeiten und damit Probleme, seinen Profit zu realisieren.

Die KapitalistInnen reagierten mit Lohnkürzungen, der Stillegung oder Umstrukturierung unproduktiver Bereiche [7] und Massenentlassungen.

Durch die gestiegene "Arbeitslosigkeit" stiegen jedoch nicht nur die Sozialausgaben an, auch der Absatz stagnierte durch die schwindende Kaufkraft Der Staat versuchte stabilisierend zu wirken durch die Erhöhung der staatlichen Nachfrage und durch Subventionierung der Betriebe Folge war eine immer größere Staatsverschuldung, die durch höhere Steuern und Abgaben kompensiert werden sollte. Doch auch damit sank der Massenkonsum weiter Die gesellschaftlichen und staatlichen Rahmenbedingungen, die bis dahin dazu beitrugen. das fordistische System zu stabilisieren. wurden immer mehr zur Schranke einer weiteren Entwicklung.

Stagnierendes Absatzwachstum und verändertes Konsumverhalten führten dazu, daß nur das Unternehmen Erfolg hatte, das flex ibel und schnell auf die Nachfrageschwankungen des Marktes reagieren konnte.

Flexibilisierung und Globalisierung waren nun die Zauberworte des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus (Postfordismus heißt nichts anderes als "nach dem Fordismus". Da die Merkmale der neuen kapitalistischen Phase sich erst langsam herausbilden, fiel den SoziologInnen und Ökonomen nichts besseres ein).

Durch diese Krise entstand auch eine neue Qualität der "internationalen Arbeitsteilung", die in dem mündete, was heute Globalisierung genannt wird. Die multinationalen Konzerne begannen, ihre Massenproduktion teilweise in die Länder des Trikont zu verlagern, in denen die Kosten für die Arbeitskraft geringer und die staatlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen günstiger für das Kapital waren als in den Metropolen mit ihren überkommenen fordistischen Gesellschaftsbedingungen. Weltweit entstehen auf der einen Seite Inseln der hochtechnisierten Produktion mit hochqualifizierten, sozial abgesicherten und gut bezahlten Arbeitsplätzen mit einer festen Kernbelegschaft, auf der anderen Seite immer mehr schlechtbezahlte, unsichere Jobs (Teilzeitverträge, Scheinselbständigkeit, Leiharbeit) in der Zuliefererindustrie

"Die Menschen sind von Natur aus ziemlich faul"...

Während der Fordismus den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit stets deutlich und bewußt in seine Arbeitsstruktur einbaute, versucht das toyotistische Organisationsmodell. diesen zu verschleiern. Der Fordismus. der jeden Arbeitsgang in seine kleinste Einheit unterteilt. reduziert auch das gesamte Können der jeweiligen ArbeiterInnen auf die jeweils notwendige Bewegung. [8] Für Frederick W. Taylor, den eigentlichen Theoretiker der fordistischen Ära (deswegen auch oftmals Fordismus-Taylorismus), galt der Leitsatz: ..Die Menschen sind von Natur aus ziemlich faul." Und er fügte hinzu: "In den meisten Fällen greifen die Arbeiter zu dem Mittel einer verlangsamten Geschwindigkeit, um den Arbeitgeber nicht erkennen zu lassen, .welche Zeit wirklich nötig ist, um eine bestimmte Arbeit durchzuführen."

Entsprechend dieser Anschauung über die ArbeiterInnen gestaltete sich auch die Hierarchie in den Fabriken. Hier galt die Regel mehr als die Logik. Wenn jemand auf die Idee kam. er könne sich durch Hinweise auf Verbesserungen an den Bändern das Wohlwollen des Meisters oder Abteilungsleiters sichern, war er schief gewickelt. Jede Veränderung eines Arbeitsablaufes aufgrund eines Verbesserungsvorschlages durch ArbeiterInnen war unerwünscht und wurde als eigener Autoritätsverlust angesehen. So versuchten die ArbeiterInnen, sich ihr Leben unter gegebenen Umständen so bequem wie möglich zu machen und die entdeckten kleinen Verbesserungen für den eigenen Vorteil zu nutzen. In diesem Be reich bl~as Denken in jeder Fabrik auf Taylor stellte dazu fest: "Die Gewohnheit. zu diesem Zweck Arbeit vorzutäuschen, ist so verbreitet, daß man in einem Werk kaum einen einzigen Arbeiter findet. der nicht einen erheblichen Teil seiner Zeit der Erkundung widmet. bis zu welchem Punkt er seine Arbeitsgeschwindigkeit verlangsamen und trotzdem den Eindruck erwecken kann. hinreichend schnell zu arbeiten - sei er nun als Zeit. Akkord oder Kontraktlöhner oder auf der Grundlage irgend eines anderen Kriteriums eingestellt worden." [9]

Der Kunde ist König...

Der Toyotismus (T. Ohno gilt als Vater des Toyota-Produktionsmodells. von daher wäre wohl Ohnoismus passender) versucht, genau diesen Widerspruch oberflächlich zu verwischen. um die volle Arbeitskraft eines Menschen auszunutzen. Es wird systematisch versucht. überflüssige Hierarchien abzubauen, um damit nicht zuletzt den ArbeiterInnen ein gewisses Gefühl von Selbständigkeit und Eigenverantwortung zu geben. Es soll zur Spaltung der ArbeiterInnen untereinander und zur gegenseitigen Kontrolle führen. Wird der Druck auf die Lohnabhängigen erhöht, so heißt es nicht mehr, daß die Befehle von oben halt so sind, sondern daß die KundInnen (oder der Markt) es halt so verlangen. Dabei ist es völlig unbedeutend, ob die KundInnen nun Privatpersonen, ein anderes Unternehmen oder gar eine andere Abteilung (Costcenter) im selben Werk sind.

Die Logik der Argumentation ist immer dieselbe: Wenn wir unsere KundInnen nicht mehr zufriedenstellen. kaufen sie halt woanders. Da ist es auf einmal nicht mehr der Chef der dich antreibt oder auch feuert, sondern es ist der Markt, der die "Kontrollfunktion" übernimmt. So werden kleine Einheiten geschaffen. wo einer auf den anderen acht gibt, daß auch ja nicht rumgegammelt wird und so die Arbeitsplätze der Kolleginnen und Kollegen auf's Spiel gesetzt werden. Hier werden auf einmal gemeinsame Interessen zwischen ArbeiterInnen und Management behauptet, worüber vorher alle gelacht hätten. Die Faulheit der Menschen wird fürs Kapital ins Positive verwandelt. Da, wo früher noch die eigenmächtigen Eingriffe der ArbeiterInnen als Störung der Arbeitsordnung unerwünscht waren. fordert Ohno sie ein. Dieses System hat ebenso wie das fordistische seinen ganz eigenen Einfluß auf das Denken und Handeln einer Gesellschaft.

Peitsche statt Zuckerbrot

Kommen wir nach diesem Exkurs zu den ökonomischen Hintergründen wieder auf die als "Sicherheitsrisiko" eingestuften Massen und die staatliche Reaktion zurück. Die "Wohlstandsgesellschaft" des Fordismus, in der es der großen Masse der Lohnabhängigen relativ gut ging und sie teilhatten am Konsum, spaltet sich heute immer weiter auf Während auf der einen Seite ein Teil der Beschäftigten am Wohlstand weiter teilhat und seine Stellung sichern kann, rutscht der größte Teil in immer unsicherere Verhältnisse ab.

In dieser Situation, in der die Unterschiede zwischen Arm und Reich rasant größer und auch immer sichtbarer werden. wächst die Angst derjenigen, die am Reichtum weiter teilhaben vor denen. denen eines Tages nichts anderes mehr übrigbleiben wird, als sich das zu holen, was sie zum Leben brauchen. Private Sicherheitsdienste, Schwarze Sheriffs in Einkaufsstraßen, Abdrängung der Armut in bestimmte Stadtteile etc. zeugen schon heute davon. Also raus mit Obdachlosen, BettlerInnen, SozialhilfeempfängerInnen, Junkies und Flüchtlingen aus den Konsummeilen des Mittelstands. Wie die gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse den ökonomischen Umstrukturierungen angepaßt werden. zeigt sich gerade hier deutlich. Die Teilung der Gesellschaft setzt sich fort in der Umstrukturierung der Städte. Luxuseinkaufsstraßen und Konsummeilen in den Innenstädten, sanierte gepflegte Wohngegenden mit Boutiquen, Ökoläden etc. An den Rändern der Städte hingegen Wohnghettos und der billige Supermarkt. Und die Bullen sorgen dafür, daß alle dort bleiben. wo sie entsprechend ihres sozialen Status hingehören sollen.

Die Parteien sind sich darüber einig geworden. daß aufgrund der ständig wachsenden Anzahl der Erwerbslosen. ein "Sozialstaat", wie er bisher existierte. nicht mehr finanzierbar ist. Und wirklich ergibt sich daraus eine ständig steigende Staatsbelastung. Ein kapitalistisches Wirtschaftssystem in einer kapitalistischen Weltwirtschaft hätte damit langfristig kaum eine Chance, führend am Markt zu bleiben. Der kapitalistische Zauber des keynesianistischen Modells wonach ein Staat durch hohe Ausgaben eine größere Kaufkraft schaffte und dadurch vermehrt Menschen in Lohn und Brot standen, ist vorbei. Jeder keynesianistische Modellversuch der ReformistInnen wird langfristig in einem Fiasko der Staatsfinanzen enden, was in ein bis zwei Jahrzehnten eine Wirtschaftsdiktatur durch den Internationalen Währungsfond (IWF) zur logischen Folge hätte. Was also tun mit den Millionen von Menschen, die sich nur noch bedingt oder auch gar nicht mehr in die Verwertungsstrategien des Kapitals einbauen lassen, und kaum noch als "künstliche" Kaufkraft benutzt werden können?

Die meisten derjenigen. die länger als ein Jahr erwerbslos sind, bleiben es den Statistiken der "Arbeitsämter" zufolge auch langfristig. Das heißt. die Verwertungs- und VerwaltungsstrategInnen einer Wirtschaft, die nach Möglichkeiten der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen suchen. gehen davon aus. daß sie in diesem Zeitraum das Gros der noch nutzbaren Ressourcen herausfiltern müssen. Das ist auch meist der Zeitraum, in dem sich Menschen noch nicht aufgegeben haben und bereit sind. irgendwie um ihre Zukunft zu kämpfen. Um zu verhindern. daß die Menschen in dieser Zeit anfangen. sich zu wehren oder sonst auf dumme Gedanken kommen. wird das Mittel der Zwangsarbeit diskutiert. In Dresden läuft im Moment ein Modellversuch, bei dem alle. die sich arbeitslos melden. entweder ein Jahr Zwangsarbeit leisten müssen oder aber die Erwerbslosenkohle empfindlich zusammengestrichen bekommen. Hier haben einige StrategInnen das Prinzip des faschistischen "Reichsarbeitsdienstes" [10] begriffen.

Abzuwarten bleibt, ob die Menschen bei solchen sinnlosen Tätigkeiten irgendwann anfangen zu protestieren, bzw. ob sich eine breite Ablehnung unter den zukünftigen Erwerbslosen entwickelt, so daß der Staat zu einer härteren Gangart gezwungen wäre.

Bei Reichen zu klauen, Ladendiebstahl, Zigarettenschmuggel, Betteln oder auch Vollschmieren von Häuserwänden mit Graffitis sind an sich keine revolutionären Taten. Dadurch wird sich das System nicht verändern. Durch all diese "Kriminalität" holen sich vielleicht Einzelne das, was ihnen vorenthalten wird. Manche mögen jetzt einwerfen. daß da ja nicht nur "lebensnotwendige" Sachen geklaut werden, sondern auch Videorecorder und ähnliches. Doch was lebensnotwendig ist bestimmt ja nicht eine Person alleine, sondern wird gesellschaftlich vermittelt. Wenn z B. ein siebenjähriges Kind kein Tamagotchi-Ei besitzt, so wäre das zwar unserer Meinung nach egal, nur wird es damit zum Außenseiter in der Klasse, unter FreundInnen etc., und so wird es sich berechtigterweise diesen Schrott besorgen. Tagtäglich, Stunde um Stunde, Minute für Minute, wird den Menschen in diesem Land eingetrichtert, daß sie unbedingt und auf jeden Fall noch dieses und jenes zum Leben brauchen. Und genau dieses wird den Menschen vorenthalten, da ihnen überhaupt keine Gelegenheit mehr gegeben wird, sich das nötige Kleingeld legal zu besorgen bzw. ihr Einkommen nie ausreichen wird, all die schönen Sachen aus der Werbung zu kaufen.

Der Kapitalismus, dessen BetreiberInnen und ProfiteurInnen jetzt nach mehr Sicherheit schreien, bringt den Menschen immer mehr Unsicherheit ins Leben. Er stellt Millionen von Menschen vor die Frage, ob sie sich morgen noch ihren Lebensunterhalt verdienen können Millionen Menschen machen sich Gedanken, wie sie die Raten für das Haus, den Wagen noch zusammenkriegen, wie sie die Miete bezahlen sollen, oder ob sie ihren Kindern überhaupt noch mal einen Urlaub finanzieren können. Unter diesen Umständen ist es nichts weiter als legitim, daß die Menschen versuchen, ihre finanzielle Lage irgendwie zu verbessern. Der Kapitalismus, egal mit was für einer Regierung, bringt einen Teil der Menschen in eine Lage, in der sie nur noch mit immer mehr polizeistaatlichen Mitteln gehalten werden können

Hilflosigkeit der ReformistInnen und die Chance der radikalen Linken...

Alles in allem sieht es jedoch recht beschissen aus: Die bundesdeutsche Linke ist fast in der Bedeutungslosigkeit versunken. Viele ehemalige Gruppen und Organisationen sind ganz von der Bildfläche verschwunden, und die meisten der sogenannten Linksliberalen haben sich schließlich auf eine Seite der Barrikade geschlagen, wiegen sich im Schoß des Kapitals. Galt es bei den Intellektuellen noch vor 20 Jahren als chic, das System zu kritisieren, Menschenrechte einzufordern und vor einem autoritären Staat zu warnen, so haben sich jene von damals so etabliert, daß sie sich vor ihren einstigen Schützlingen fürchten. Die von der Punkband Slime so zutreffend porträtierten "linken Spießer" sind zur Verteidigung des Staatsterrorismus angetreten. Die PDS-Spitze hat sich den Vorsatz gegeben, doppelt so schnell den letzten Hauch kritischer Positionen aufzugeben, wie es die Grünen geschafft haben. Die meisten Gewerkschaften sind mittlerweile nur noch Betriebsratsvereine, und deren Aufgabe ist klar beschrieben: "Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten (...) vertrauensvoll (...) zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes zusammen." [11]

So wäre es nicht weiter verwunderlich, wenn die Rechnung endlich aufginge und jeglicher Widerstand in Betriebsfamilie, Alkohol und einem guten Schuß Deutschtümelei untergeht. Und wenn nicht, sorgen die Instrumente der "Inneren Sicherheit" dafür daß die Unsicherheit, die der Kapitalismus für immer mehr Menschen bedeutet, nicht zur Unsicherheit der Kapitalist Innen und ProfiteurInnen der Umstrukturierungen gerät.

Trotz allem liegt in der Krise mit all ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft auch die Chance der radikalen Linken. Ob es die zu immer schlechteren Bedingungen und immer weniger Lohn arbeitenden Kernbelegschaften sind, das neue "Proletariat" in den unsicheren Bereichen im Zuliefersektor das Dienstleistungsproletariat, die zunehmende Zahl der Erwerbslosen oder zur Zwangsarbeit Verdonnerten oder die zur Flucht in die Metropolen gezwungenen MigrantInnen, von denen die kommenden Kämpfe ausgehen werden, und ob sie überhaupt eine revolutionäre Perspektive eröffnen oder in der Barbarei enden, ist offen. Ob weiterhin jeder gegen jeden die eigene Haut auf Kosten der anderen zu retten versucht, oder ob sich eine revolutionäre Bewegung entwickelt, die den Kampf gegen das Kapital und gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse führt, hängt auch davon ab, wie es uns, die wir uns als Teil der antifaschistischen und revolutionären Bewegung verstehen, gelingen wird, eine revolutionäre Perspektive in Theorie und Praxis zu eröffnen.

Mit der Antifa - Bewegung ins nächste Jahrtausend?

Was hat das ganze mit Antifaschismus zu tun, mag sich nun manche(r) fragen. Eine ganze Menge.

Recht hilflos stehen die Reste der linken und antifaschistischen Bewegung der gesellschaftlichen Entwicklung gegenüber. Die FaschistInnen werden immer mehr, "rechts" sein gerät zur Jugendmode, ganze Gebiete sind unter der Kontrolle faschistischer Banden und Organisationen. Die alten Konzepte der antifaschistischen Bewegung (Öffentlichkeitsarbeit, Bündnisdemonstrationen, Verhinderung von Aufmärschen und gezielte Angriffe auf organisierte FaschistInnen) geraten immer mehr an die Grenzen der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse. Wo die FaschistInnen nicht mehr eine kleine Minderheit sind und auch noch Sympathien in weiten Kreisen der Bevölkerung genießen und stillschweigende Duldung oder gar offene Unterstützung durch staatliche Stellen erhalten, bleibt, selbst wenn es gelingt eine größere Bündnisdemonstration auf die Beine zu stellen oder einen Aufmarsch zu verhindern, ein fader Beigeschmack zurück.

Um die Debatte über die ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen wird die antifaschistische Bewegung nicht herumkommen, will sie nicht mit den alten gesellschaftlichen Strukturen untergehen, aus denen sie entstanden ist. Die folgenden Gedanken sind weder ausgereift noch ausreichend. Sie sollten als Anstoß zu einer Diskussion über den Zusammenhang zwischen dem verstärkten Wiederaufblühen von Faschismus, Rassismus und Nationalismus und den gesellschaftlichen Umbrüchen im Übergang zum Postfordismus gesehen werden

Daß gerade jetzt, in der Umbruchphase von Fordismus zu Postfordismus, rassistische und faschistische Hetze immer mehr Fuß fassen kann, hängt zusammen mit den ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Die fordistischen Zugeständnisse an die ArbeiterInnen in Deutschland, aber auch die Privilegien der Angestellten und BeamtInnen bröckeln immer mehr weg.

Anstatt aber zu einem solidarischen internationalistischen Widerstand zu kommen, der sich gegen das kapitalistische System als Ursache für Ausbeutung, Armut und Erwerbslosigkeit richtet, ist das Treten nach unten angesagt. Jeder gegen jeden versucht seine überholten "Privilegien" aus der Ära des Fordismus zu sichern. Die Propaganda der FaschistInnen, daß das ganze Leben ein Existenzkampf sei, in dem sich nur die Stärkeren durchsetzen, erscheint da quasi als praktische Lebenshilfe. Ein großer Teil des Potentials der Faschisten fühlt sich als VerliererInnen der gesellschaftlichen Umstrukturierung. Als Teil des "deutschen Staatsvolkes" fordern sie ihr "natürliches Recht" ein, auch teilzuhaben am Reichtum der Nation.

Verlierer sollen die anderen sein...

Es ist die Sehnsucht nach den "guten alten Zeiten" des Fordismus, deren Wohlstand und Sicherheit sie allmählich verlieren. Gerade diejenigen, die am meisten profitierten und die bis heute noch nicht die VerliererInnen sind, haben die größte Angst, morgen zu ihnen zu gehören. Die "modernere" Fraktion der FaschistInnen setzt voll auf den Postfordismus, sie sind seine ProfiteurInnen. Als kommende Elite wollen sie den Weg mitbestimmen.

Der "Müll" und "Ballast" des Fordismus soll so schnell wie möglich abgeworfen werden.

Der Faschismus enthält sowohl ein rückwärtsgewandtes, reaktionäres Element, das die Sehnsucht nach den vermeintlichen und tatsächlichen Privilegien des Fordismus nährt, aber gleichzeitig auch "kompatibel" mit den Anforderungen der postfordistischen Gesellschaft ist. Denn wie nah ist der Schritt von der Unterwerfung unter die toyotistische Betriebsgemeinschaft zur Volksgemeinschaft, wie nah ist der Schritt von der Leistungselite zum Führerkult und wie nah ist der Schritt vom erwerbslosen Sozialhilfeempfänger, der auf "unser aller Kosten lebt" zum "Volksschädling", der "ausgemerzt" wird. Durch diese Verbindung gewinnt der Faschismus gerade in der jetzigen Situation an Attraktivität und somit auch an Gefährlichkeit. Denn nicht nur den GewinnerInnen, sondern auch den VerliererInnen bietet er (scheinbar) eine Perspektive.

Das Kapital setzt immer dann auf die Variante repressiver, autoritärer oder faschistischer Herrschaft, wenn es eine ökonomische Umbruchsituation nicht anders durchsetzen kann. So war es der Kapitalis-

[Der fehlende Teil und die Fußnoten werden nachgeliefert. Er ist aber auch in der gedruckten Fassung der Broschüre enthalten :-)]


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