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Der Prozeß schleppt sich seit nunmehr 50 (!) Verhandlungstagen dahin. Allzuviel Neues kommt nicht mehr zu Tage. Deswegen sind in diesem PROZESSINFO insgesamt fünf Verhandlungstage zusammengefaßt.
Nach den erwartungsgemäßen und unspektakulären Ausführungen der LKA- und BKA-Sachverständigen, die auftragsgemäß ihren Brandherd in den ersten Stock verlegten, obwohl dies nahezu allen Zeugenaussagen widerspricht, war bemerkenswert vor allem die Ablehnung der Abhörprotokolle als Beweismittel. Sie waren schlicht illegal, befand das Gericht.
Eine weitere Schlappe erlitt die Staatsanwaltschaft, als die Gerichtmediziner bestätigten, daß bei Safwan keinerlei Anzeichen für das Hantieren mit Brandbeschleunigern vorhanden waren. Es wird nunmehr höchste Zeit, daß diese Prozeßfarce mit einem klaren Freispruch beendet wird und die Ermittlungen gegen jene wieder aufgenommen werden, die sehr wohl solche verdächtigen Spuren hatten: die Nazis aus Grevesmühlen.

Inhalt:

46. Prozeßtag, Montag 24.03.97
47. Prozeßtag, Mittwoch 26.03.97
48. Prozeßtag, Mittwoch 02.04.97
49. Prozeßtag, Montag 07.04.97
50. Prozeßtag, Mittwoch 09.04.97


Abhörung war illegal

46. Prozeßtag, Montag 24.03.97

Bevor das LKA sein Brandgutachten vorstellte, wurde als Zeuge der Notarzt Dr. Uwe Krüger vernommen, der als Erster von der Lübecker Notarztgruppe am Brandhaus war.

Zum Brandgeschehen konnte er keine Auskünfte geben, teils weil, wie er ausführte, die lange Zeitspanne, die inzwischen vergangen ist, die Erinnerungen verändert haben könnte, teils, weil er das Haus auch nur kurz von Seite der Hafenstraße aus betrachtet hat, um sich dann den Verletzten zuzuwenden. Von Interesse für das Gericht war allerdings vielmehr eine andere Tätigkeit des Arztes: er fotografierte die Leiche Sylvio Amoussous, die im Vorbau gefunden wurde.

Die Todesumstände des jungen Togolesen geben bis heute Rätsel auf, zumal der Leichenfundort von der Kriminalpolizei nicht gesichert und untersucht wurde, bevor die Leiche abtransportiert war. Dr. Krüger führte aus, daß er genau im Eingang des Vorbaus gestanden hat und auch von dort die kaum zu erkennende Leiche fotografierte. Da Einsturzgefahr bestand, wagte er nicht, näher an Sylvios Leiche heranzutreten. Zu diesem Zeitpunkt war der Brandschutt um den toten Körper noch nicht beiseite geräumt, deshalb war auch erst nach intensivem Umschauen die Leiche auszumachen.

Dr. Krüger brachte die gemachten Fotos zur Verhandlung mit, wollte aber eine Garantie, daß sie nicht an Dritte herausgegeben werden - er verwies auf seine Schweigepflicht, die auch Toten gegenüber gelte.

Durch Nachfrage der Verteidigung stellte sich heraus, daß die Polizei bereits zweimal die Fotos zur Verfügung hatte, wenige Wochen nach dem Anschlag und dann wieder im Winter 1996. Dieses Vorgehen erstaunte den Arzt, da er davon ausging, daß die Polizei Abzüge von diesen Beweismitteln gemacht habe.

Nachdem der Zeuge angab, daß er das Haus von früheren Einsätzen her bereits kannte, lieferte Rechtsanwalt Haage (Nebenklagevertreter der El Omaris) wieder einmal den Beweis für seine Peinlichkeit: eifrig, ja gierig fragte er den Notarzt, ob seine früheren Einsätze vielleicht durch Schlägereien im Haus nötig geworden seien...!

Haage, dem der Vorwurf gemacht werden muß, sich weniger um die Interessen seiner MandantInnen und die Wahrheitsfindung zu kümmern, als vielmehr sich als Hilfsarbeiter für die Staatsanwälte zu verstehen, erhielt jedoch eine deutliche Abfuhr:

Definitiv sei keine medizinische Hilfe wegen körperlicher Gewalt notwendig gewesen.

„Mittelalterliches Rechtsverständnis"

Nachdem die Fotos ausgiebig am Richtertisch betrachtet wurden, entgegnete die Verteidigung auf den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Protokolle der Abhörmaßnahmen in Safwans Zelle als Beweismittel zuzulassen: Nicht nur der Strafprozeßordnung, auch dem Grundgesetz hätte diese Maßnahme widersprochen, argumentierten Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter. Mit einer Fülle von Verweisen auf Gerichtsurteile und Paragraphen untermauerten sie ihren Antrag, die Abhörprotokolle als Beweismittel abzulehnen.

Und der juristischen Bewertung folgte die Einordnung der Maßnahme in die skandalös-einseitigen Gesamtermittlungen: besonders Barbara Klawitter benutzte passende und sehr scharfe Worte, die sich auch gut in einem richterlichen Urteil über die Staatsanwälte machen würden. Bezogen auf den letzten Satz, der den staatsanwaltschaftlichen Antrag auf Zulassung der Protokolle ziert („Wer jedoch unschuldig ist, muß sich nicht als unschuldig darstellen, wer jedoch schuldig ist, muß betonen, daß gegen ihn keine Beweise vorliegen" !!) legte die Verteidigung den Staatsanwälten nah, daß sie erst einmal „rechtsstaatliche Grundsätze studieren sollten, bevor sie ihre Tätigkeit fortsetzen".

Denn Dr. Böckenhauer und StA Bieler beweisen mit ihrer Stilblüte nur, daß sie einem Beschuldigten das Recht absprechen, sich zu verteidigen, bzw. schlußfolgern, daß ein Angeklagter sich schuldig bekennt, wenn er sich verteidigt. „Dieses Denken entspricht dem Mittelalter", faßte die Verteidigung zusammen, und vielleicht sollten sich die Ankläger, die in diesem Verfahren immer mehr und verdientermaßen zu Angeklagten werden, sich eine neue Tätigkeit im Inquisitionsausschuß des Vatikans suchen.

Vorsorglich beantragten Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter, daß einer der Übersetzer der Abhörbänder, Yachoua, wegen Befangenheit abgelehnt wird. Seine Übersetzungen bezeugen nicht nur Schwierigkeiten mit seinem Fach (Verwechselung der deutschen Artikel, auch die arabischen Worte für „Ohren" und „Gebäude" konnte er nicht eindeutig auseinanderhalten), sondern auch Wertungen enthält der Übersetzer sich nicht.

Zur Anklage gegen die Staatsanwälte gerät auch die Einschätzung der angeordneten Untersuchungshaft Safwans. Denn diese - so die Verteidigung - wurde zu ermittelnden Zwecken mißbraucht, Böckenhauer wollte Safwan zermürben, ein Geständnis erpressen. Safwan wurde anfangs mit (einem ebenfalls rechtswidrigen) Kontaktverbot zu seiner Familie belegt, erst als die Abhörmaßnahme bereitstand, durfte er Besuch empfangen. Er und seine Familie wurden vorsätzlich getäuscht, die Gespräche waren mitnichten privater Natur „big brother Böckenhauer" lauschte mit. Folglich wurde der Staatsanwalt darauf aufmerksam gemacht, daß das im Grundgesetz verankerte Menschenrecht auf Privatsphäre auch für Ausländer gelte, und weiter, daß die U-Haft nicht zur Beeinflussung des Aussageverhaltens mißbraucht werden darf. Man kann sich sicher sein, daß dies dem Staatsanwalt in seinem Studium durchaus gelehrt wurde, daß er dies auch heute eigentlich weiß. Nur, diese Varianten der Rechtsstaatlichkeit sind zu unbequem und lästig, wenn es darum geht, Opfer zu Tätern zu machen.

LKA-Brandsachverständiger

Nach diesem Antrag - dem das Gericht am 9.4.97 entsprach - wurde als weiterer Sachverständiger Dr. Holger Herdejürgen vom Landeskriminalamt in Kiel gehört.

Er widersprach - wen wunderts? - den Thesen von Prof. Achilles in den entscheidenden Punkten. Zwar konnte auch er die primären Brandschäden im und am Vorbau nicht leugnen, aber seine Wertung der Spuren sah ganz anders aus. So meinte er, daß die Durchbrennungen des Fußbodens durch das Abbrennen von Kunststoffteilen der Eingangstür herrühren. Überhaupt könne sich das Feuer nicht vom Vorbau in den 1. Stock ausgebreitet haben, da die Treppe aus Stein bestand. Das Brandspurenbild ergebe aber keine ausreichende Wärmefreisetzungsrate, die die These stütze, die Heißluftgase hätten den 1. Stock entzündet.

Spuren von Explosionen hat er nicht festgestellt, die Fensterscherben auf der Innenseite will er entweder durch Einschlagen, feuerwehrtechnische Maßnahmen oder schlicht durch das Herunterfallen der Scheibe erklären.

Die Brandausbruchstelle sieht er im rechten Flur des 1.OG, wo die berühmte verschwundene Spanplatte lag. Über dieser Platte sollen 2-3 Deckenbalken verkohlt sein, links und rechts von diesen Balken sollen die Verbrennungen abnehmen. Ebenfalls die Zimmerdecken zum Flurbereich sollen korrespondierende Spuren von Brandbelastung aufweisen.

Für das Verschwinden der Spanplatte will Herdejürgen auf keinen Fall verantwortlich sein, als das LKA den Ort verließ, sei die Platte jedenfalls noch dagewesen.

Sie sei ursprünglich 60 x 40cm groß und 22mm dick gewesen, allerdings fast vollständig zerstört. Auch die Unterlattung sei stark zerstört gewesen, die angrenzenden Bereiche verkohlt. Da von unten auch Bereiche teilweise vollständig unzerstört gewesen wären, ließe sich auf die Entflammung von der Oberfläche her schließen.

Die Platte sei jedoch „keine gute Materialspur" gewesen, da sie eben hauptsächlich aus einem „Loch" bestünde.

Weiterhin listete er eine ganze Reihe von (nicht verschwundenen) Asservaten auf, die jeweils mit dem Photoionisationsdetektor untersucht wurden, bei denen sich aber keine Reste von Brandbeschleunigern haben finden lassen. Am Interessantesten war die Anmerkung, daß im Vorbau auch Reste einer 0,33l-Flasche gefunden wurden...!

Im Frühjahr 1996 hatten die Ermittlungsbehörden noch verkündet, daß irgendwelche Spuren, die auf den Gebrauch von Molotowcocktails hindeuten könnten, nicht entdeckt worden wären!

„systembedingt"

Daß ein Nachweis irgendwelcher Brandlegungsmittel nicht möglich war, fand der Sachverständige schade, allerdings sei es „systembedingt"! Dr. Herdejürgen meinte es nicht so, aber der Interpretation, daß die kriminaltechnischen Untersuchungen durchaus etwas mit dem (Gesellschafts-) System zu tun haben, würden wir uns anschließen!


47. Prozeßtag, Mittwoch 26.03.97

Zu Beginn des Verhandlungstages klärte der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken das weitere Procedere: er gab bekannt, daß das Gericht in ca. 14 Tagen über die Anträge zu den Abhörprotokollen entscheiden würde, und daß der Sachverständige Achilles entlassen werden könne, da der wichtigste Teil seiner Ausführung in Person Dr. Könneckes (dem Experten für die Computer-Simulation) ja noch zur Verfügung stehe.

Die Staatsanwaltschaft schloß sich dem an, nicht ohne noch einmal Sätze zur angeblichen Befangenheit des Sachverständigen zu verlieren.

Als Sachverständiger stellte dann der BKA-Beamte Peter van Bebber, seines Zeichens Diplomchemiker, sein Gutachten vor. Als er die Untersuchungsbedingungen schilderte, gab das erneut Einblick in die Arbeitsqualität der Kripo: ein Heizlüfter habe im Vorbau gestanden, es sei nicht auszuschließen, daß bei der Arbeit „ein bißchen was passiert sei..."

Als nächstes haute er seinen Kollegen Dr. Herdejürgen in die Pfanne, denn die Durchbrennungen im Fußboden seien mit dem Abbrand von Kunststoffresten nicht zu erklären, zumal ein Türpfosten ja noch vorhanden war. Flüssige Brandlegungsmittel als Ursache, so wie Achilles, bot er als Erklärung an, um dann aber ganz andere Töne anzuschlagen: van Bebber gab zwar offen zu, daß er sich im Bereich der Spekulation bewegte, die von ihm aufgelisteten Spuren sollten aber die Unmöglichkeit eines Brandausbruches im Vorbau belegen: zwar wären die Spuren in der Wohnung Eid typisch für die Ausbreitung des Feuers durch die Heißgasschicht, aber diese Spuren hätten sich in der Wohnung links daneben nicht befunden. Eine Erklärung dafür konnte er nicht geben. Hätten beide Wohnungen gleich ausgesehen, würde dies für einen Brandausbruch im Vorbau sprechen.

Auch die geringen Schäden am Vorbaudach sprächen gegen einen dortigen Brandausbruch.

Schwelbrand im Flur?

Dann versuchte er, seine Theorie mit den Zeugenaussagen der BewohnerInnen in Einklang zu geben. Denn es mutet schon komisch an, daß Flüchtlinge den angeblichen Brandausbruchsort im Flur unbeschadet passiert haben müssen. Der BKA-Mann bot dafür an, daß es nach dem Verbrennen von Benzin oder ähnlichem im Flur zu einer Schwelbrandphase gekommen sein könnte. Dies würde den Rauch und das Fehlen von Flammen erklären. Im Vorbau dagegen stand genug Sauerstoff zur Verfügung, um einen Schwelbrand zu verhindern (gleiches sagte Prof. Achilles).

Nochmals betonte van Bebber, daß dies alles Spekulation seien und es „gewisse Erklärungsschwierigkeiten" gebe.

Verschwindet der Kaftan?

Abschließend beantragte die Verteidigung noch, daß das Kaftan-Nachthemd, das Safwan in der Brandnacht getragen hatte, von einem britischen Sachverständigen untersucht werden sollte.

Die Staatsanwaltschaft hatte gegen eine Untersuchung nichts einzuwenden, wollte dies aber durch das LKA tätigen lassen. Unter ProzeßbeobachterInnen war dies Anlaß, Wetten über die Wahrscheinlichkeit, daß der Kaftan für immer in den Katakomben des LKA verschwindet, abzuschließen...


48. Prozeßtag, Mittwoch 02.04.97

Mit Frau Dr. Löffler wurde erneut eine Sachverständige vom Bundeskriminalamt gehört. Sie ist beim BKA für Raumbrand und Explosionen tätig und, wie ihr Kollege van Bebber, Diplomchemikerin.

Ihr Vortrag war überraschend kurz, dabei hatte sie den Auftrag, anhand einer Computersimulation zu prüfen, ob die These vom Brandausbruch im 1.OG gestützt werden könne, oder ob andere Brandausbruchsstellen zu einem gleichen Spurenbild führen würden.

Sie trat mit ihrer Simulation gegen den Entwickler des Computerprogrammes, Dr. Könnecke an, eine natürlich schwere Aufgabe.. Sie handelte sie in einer halben Stunde ab, Ergebnis: wenn der Brand im Vorbau ausgebrochen ist, dann ist es dort heißer als im 1. OG gewesen, ist dagegen das 1. OG Brandausbruchsort, wurde eben dort mehr Wärme freigesetzt, als im Vorbau! Und ihre Simulation hätte keine Erklärung dafür, daß es im 1. OG starke Abbrennungen gebe, nicht aber auch im Vorbau, bei Brandausbruch dort.

Damit steht ihr Gutachten gegen das von Dr. Könnecke, aber das war wohl auch der inoffizielle Auftrag.

Befragung

Die Sachverständigen wurden dann gemeinsam befragt, dabei war es wieder einmal Richter Wilcken, der durch kompetente und sachdienliche Fragen auffiel.

So mutete es ihm merkwürdig an, daß bei einem vorausgesetzten Brandausbruch im 1.OG die BewohnerInnen dieses Stockwerkes mit als letzte, nach denen im 3.OG (Frau Makodila rief als erste die Polizei an), das Feuer bemerkten.

Richter Wilcken versuchte auch, den Tod Sylvio Amoussous mit den Brandgutachten abzugleichen, als einzige Möglichkeit für ein Ausbrechen im 1.OG stünde dann, daß Sylvio quasi als brennende Fackel nach unten gelaufen ist. Insgesamt machte der Vorsitzende nicht den Eindruck, als ob ihn die Thesen von LKA und BKA überzeugt hätten. Zu viele Ereignisse erscheinen unplausibel (Brandausbreitung in den Vorbau durch brennende Teile, diese hätten bis zur Tür fallen müssen, also eine Distanz von mehreren Metern Ebene überwinden müssen).

Die Staatsanwaltschaft formulierte diverse Fragen, die mundgerecht für ihre Gutachter waren, aber es führte nur zu Wiederholungen der bekannten Thesen. Beide Staatsanwälte suchten noch nach weiteren Möglichkeiten ein Bergauffließen von Benzin zu erklären - vergeblich natürlich.

Zwischen den Sachverständigen kam es noch zu einer Diskussion, wie wahrscheinlich ein Schwelbrand im 1.OG sei, erneut mußte van Bebber den hypothetischen Charakter seiner Theorie zugeben.

Die Befragung mußte an den nächsten Verhandlungstagen fortgesetzt werden.


49. Prozeßtag Montag 07.04.97

Am heutigen Prozeßtag wurde die Befragung des Sachverständigen Herdejürgen durch Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage fortgesetzt. Die erneute Befragung sollte weitere Aufschlüsse über den Brandausbruchsort geben. Die Fragen von Böckenhauer und Bieler brachten zwar keine neuen Erkenntnisse über den Brandausbruchsort, dafür aber über die Klüngelei zwischen Staatsanwaltschaft und den mutmaßlichen Sachverständigen. So hat Staatsanwalt Bieler den Sachverständigen Herdejürgen mehre Male angerufen und ihn darauf hingewiesen, doch mal etwas genauer auf diese oder jene Indizien zu achten oder jene zu berücksichtigen. Kurz gesagt, hat er ihn aufgefordert, die Theorie der Staatsanwaltschaft zu belegen. Einiges Aufsehen verursachten allerdings die neusten Entdeckungen des Herrn Bieler, der feststellte, daß die ganze Zeit mit falschen Meßwerten operiert wurde. So hätte das Benzin in Richtung Treppe gar keine 13 Zentimeter bergauf fließen müssen, sonder bergab. Auf der dem Gericht vorliegenden Grafik in einem Gutachten des BKA, in der die angebliche Fließrichtung des Benzins im ersten Stock eingezeichnet ist, seien mehrere Pfeile falsch eingezeichnet, so daß die Staatsanwaltschaft eine erneute Vermessung beantragte. Der Vorsitzende Richter Wilcken wollte sich allerdings noch nicht sofort zu einer Zustimmung entschließen sondern abwarten, ob dies überhaupt nötig wird.

Bei der anschließenden Befragung durch die Verteidigung, schilderte Herdejürgen die Rahmenbedingungen seiner Untersuchungen ab dem 19. Januar 1996. So erklärte er, er sei am Morgen des 19. Gegen 10 Uhr am Brandhaus angekommen, K 6 (Spurensicherung) sei schon vor Ort gewesen und hätte teilweise schon damit begonnen aufzuräumen. Eine genaue Absprache zwischen ihm, den anderen Gutachtern und der Spurensicherung habe es nicht gegeben und so begann er quasi auf eigene Faust mit seiner Inaugenscheinnahme. Die kurze, aber treffende Bemerkung der Verteidigung lautete: "Schlimm, wenn die eine Hand nicht weiß, was die andere tut." Obwohl ihm unterschiedliche Szenarien, wie z.B. das zerbrochene Fenster oberhalb des Vorbaus, durch das ein Gegenstand hätte geworfen worden sein, auffielen, hielt er es nicht für nötig die Spurensicherung darauf hinzuweisen. Auf die Frage der Verteidigung nach der angeblichen Brandausbruchsstelle, einer mehrere Quadratmeter großen Sperrholzplatte, die nur auf wenigen Quadratdezimetern durchgebrannt gewesen sei, und welche bis heute nicht wieder aufgetaucht ist, antwortete er kurz: "Ein Loch kann man nicht sicherstellen." Es folgte eine anschauliche Darstellung der Verteidigerin Barbara Klawitter, die mit Hilfe eines Blatt Papiers, welches die Bodenplatte darstellen sollte. Sie bohrte an mehren Stellen Löcher in das Blatt und fragte den angeblichen Sachverständigen, ob er ihr nun weis machen wolle, er könne dieses Blatt Papier nun nicht mehr sicherstellen. Herdejürgen entgegnete ein Schulterzucken. Auf Nachfragen der Verteidigung über die Verbrennungen der Eingangstür des Vorbaus, die ebenfalls neben mehren Teilen des Bodens Durchbrennungen aufwies, und dessen Rahmen sich für einen Brand, wie ihn die Staatsanwaltschaft gern gehabt hätte, merkwürdig verformt hatte, konnte Herdejürgen nur entgegnen, daß er sich nie besonders um die Tür gekümmert habe. Als Herdejürgen plötzlich ein Gutachten des BKA zückte, auf das er sich berufen wollte, wurde es noch einmal unruhig im Gerichtsaal, denn dieses Gutachten war bis dahin weder Verteidigung noch dem Gericht bekannt und sorgte für mehrere Fragen seitens des Gerichts und der Verteidigung. Dieser Prozeßtag endete mit der Entlassung des Sachverständigen Herdejürgen und einem erneuten und klaren Sieg für die Verteidigung und somit für Safwan Eid.


50. Prozeßtag Mittwoch 09.04.97

Der 50. Prozeßtag begann nicht gut für die Staatsanwaltschaft. Mit deutlichen Worten wurde ihr Antrag, die Abhörprotokolle von Safwans Besuchergesprächen in der U-Haft als Beweismittel zuzulassen abgeschmettert. Die Abhörmaßnahme, so führte Richter Wilcken aus, sei illegal gewesen. Das so gewonnene Material dürfe nicht verwendet werden. Dies gelte ausdrücklich auch dann, wenn der Angeklagte bereits Einlassungen zu den Tonbändern gemacht hat.

Abhörungen illegal

Zur Begründung bezog sich Richter Wilcken auf das Grundgesetz, daß die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert. Auch der Besucherraum in der Untersuchungshaft sei eine „private Stätte des Aufenthalts und somit als Wohnung anzusehen". Durch die ständige Möglichkeit von Abhörmaßnahmen würde der Beschuldigte zum „bloßen Objekt des Ermittlungsverfahrens. Dies ist mit der Würde des Menschen nicht vereinbar."

Mit dieser Entscheidung ist der Staatsanwaltschaft ihre letzte vage Hoffnung genommen worden, noch so etwas wie Beweise in das Verfahren einzuführen. Allerdings geben auch die Abhörprotokolle nur dann Belastendes her, wenn sie - wie geschehen - fragwürdig und tendenziös übersetzt werden. Dies festzuhalten ist für die Öffentlichkeit wichtig, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, hier hätte es wirkliche Beweise gegeben, die allein aus formalen Gründen nicht herangezogen werden durften.

Keine Brandspuren bei Safwan

Nach der eher unergiebigen Befragung eines Feuerwehrmanns, der an der Bergung der Leiche von Sylvio Amoussou beteiligt war, kamen die gerichtsmedizinischen Sachverständigen, Frau Dr. Gerling und Prof. Oehmichen zu Wort. Gleich zu Beginn versetzte Prof. Oehmichen der Staatsanwaltschaft den nächsten Schlag: Die Brandverletzungen an den Ohren, die er bei Safwan untersucht hat, rühren nach seiner Einschätzung nicht von Flammeneinwirkung, sondern von „diffuser Hitze" her. Sie sind wahrscheinlich auf dem Dach entstanden, auf das sich Safwan zusammen mit anderen HausbewohnerInnen geflüchtet hatte. Zudem habe diese Hitze Safwan eher von hinten getroffen. Es gibt keinerlei Anzeichen für das Hantieren mit Brandbeschleunigern oder eine Brandstiftung durch ihn. Prof. Oehmichen hat auch Gesicht und Hände auf entsprechende Spuren untersucht - und keine gefunden. (Übrigens ganz im Gegensatz zu den verdächtigen Nazis aus Grevesmühlen, dazu mehr im nächsten Prozeßinfo)

Die Obduktionsergebnisse

Im folgenden trugen Dr. Gerling und Prof. Oehmichen en detail die Ergebnisse der Obduktionen der Brandopfer vor. In der nüchternen Sprache der Gerichtsmediziner schilderten sie den schrecklichen Zustand der Leichen und die wahrscheinliche Umstände ihres Todes. Schwere Verletzungen durch Sprung aus dem Fenster, Rauchvergiftung, Hitzeeinwirkung ...

An diesen Schilderungen wurde nochmals deutlich, daß die stärksten Brandeinwirkungen an den Leichen zu finden waren, die im zweiten Stock an der Ecke Konstinstraße/Hofseite gefunden wurden. An einer Stelle also, die nach dem Brandszenario der Staatsanwaltschaft erst spät vom Brand hätte betroffen sein dürfen. Ein anderer Toter, der dicht über dem angeblichen Brandausbruchsort gefunden wurde, war jedoch an einer Rauchvergiftung gestorben ohne Spuren direkter Brandeinwirkung aufzuweisen.

Woran starb Sylvio Amoussou?

Die Frage nach den merkwürdigen Todesumständen von Sylvio, dessen stark verkohlte Leiche im Vorbau des Gebäudes gefunden wurde, begleitete bereits den gesamten Prozeß. Prof. Oehmichen bestätigte noch einmal, daß seine Obduktion ergeben habe, daß Sylvio weniger als 5% Kohlenmonoxid (CO) im Blut hatte, mithin nicht an einer Rauchvergiftung gestorben ist. Auch andere Merkmale sprechen gegen diese Todesursache, ebenso eine weitere Untersuchung durch ein anderes Institut.

Gleichzeitig hält Oehmichen aber auch einen gewaltsamen Tod für unwahrscheinlich. Der Draht, der an der Leiche festgestellt worden sei, habe lediglich locker aufgelegen. Irgendwelche Spuren für Fesselung oder Würgen habe es nicht gegeben. Kehlkopf und Lunge seien intakt gewesen. Ebensowenig habe sich Gewalteinwirkung auf den Kopf oder das Genick feststellen lassen. Oehmichen räumte ein, daß er lediglich „keinen positiven Befund" für Gewalteinwirkung habe, wegen der starken Zerstörung der Leiche diese aber auch nicht völlig ausschließen könne.

Als wahrscheinlichste Todesursache nannte er einen „Hitzeschock", bei dem auf plötzliche Hitze mit einem schockartigen Zusammenbruch reagiert wird.