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Von Woche zu Woche schleppt sich der Prozeß um den Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim an der Lübecker Hafenstraße weiter. Immer zahlreicher werden die Bestätigungen, daß die Theorie der Staatsanwaltschaft von der Brandlegung im ersten Stock durch einen Hausbewohner nicht stimmen kann. Je mehr ehemalige HausbewohnerInnen vernommen werden, desto mehr „Merkwürdigkeiten“ aus den Ermittlungen werden bekannt. Diese setzen sich auch bis in den Gerichtssaal fort, wenn die Staatsanwälte nach „Männerbekanntschaften“ fragen und immer wieder versuchen, die Flüchtlinge als unglaubwürdig hinzustellen.

Was diese Farce mit Safwan zu tun hat, kann schon lange keiner mehr beantworten. Doch Woche für Woche geht es weiter. Während die tatsächlichen Täter weiter unbehelligt bleiben und die Opfer um ihren Aufenthalt bangen müssen.

Keine Flammen im 1.Stock

30.Prozeßtag: Montag, 13.01.97

Der 30. Prozeßtag begann mit ca. halbstündiger Verspätung, zudem war Rechtsanwältin Heinecke, eine der zwei Verteidigerinnen von Safwan, wegen Krankheit nicht anwesend.

Das Braten von Fischen am frühen Morgen (?)

Es wurde mit der Vernehmung von Frau Agonglovi, einer ehemaligen Bewohnerin des Flüchtlingsheims an der Hafenstraße, fortgefahren. Sie war bereits am 29. Prozeßtag ausführlich befragt worden, so daß die Vernehmung nur noch ca. 30 Minuten dauerte und im wesentlichen nichts Neues zu Tage förderte. Außer der Tatsache vielleicht, daß Staatsanwalt Böckenhauer an diesem Tag das Tatmotiv in einem angeblichen Streit über „das Braten von Fischen schon am frühen Morgen“ suchte. Wirklich absurd! Auf diese Art und Weise sollen Sachverhalte aufgeklärt werden? Nein, darum geht es der Staatsanwaltschaft ganz offensichtlich nicht. Darauf verwiesen sowohl die Verteidung, als auch die NebenklagevertreterInnen Ehrhardt und Wagner, die nach der Vernehmung von Frau Agonglovi Erklärungen abgaben, in denen sie das Eindringen in die Privatssphäre der Zeugin seitens der Staatsanwaltschaft auf das Schärfste kritisierten. (siehe Dokumentation)

Feuer am Vorbau und ein offenes Fenster

Nach einer halbstündigen Pause betrat die 36jährige, aus Zaire stammende Frau Katuta den Zeugenstand. Sie berichtete, wie sie und ihre Familie sich in der Brandnacht vor den Flammen in Sicherheit gebracht hatten und wie sie mitansehen mußten, daß die Kinder der Familie Makodila am geschlossenen Fenster um Hilfe riefen und schließlich nicht mehr gerettet werden konnten. Auf Nachfrage des vorsitzenden Richters Wilcken erklärte Frau Katuta, daß sie auf dem Weg zur Telefonzelle am hölzernen Vorbau des Flüchtlingsheims vorbeigekommen war und dort sehr viel Feuer gesehen hatte.

Nach der Mittagspause folgte die Befragung seitens der Staatsanwaltschaft. Bei dieser wurde wiederum deutlich, daß auch bei Frau Katuta die polizeilichen Vernehmungen, die nach dem Brand durchgeführt worden waren, unter abenteuerlichen Bedingungen stattgefunden hatten. So war zumeist kein vereidigter Dolmetscher zugegen, auch waren Vernehmungsprotokolle teilweise nicht unterschrieben. Daß auf diese Art und Weise große Verständigungsschwierigkeiten auftreten mußten, bzw. aus solchen Vernehmungen konstruierte Vorhaltungen der Staatsanwaltschaft vom Gericht nicht zugelassen wurden, ist die logische Konsequenz.

Hinzukommt bei Frau Katuta, daß sie erst seit drei Monaten ein Hörgerät besitzt, was die Kommunikation bei der polizeilichen Vernehmung zusätzlich erschwert haben dürfte. Die Finanzierung ihres Hörgerätes war ihr im übrigen mit der absurden Begründung verwehrt worden, sie habe ihre Hörprobleme bereits gehabt, als sie in Zaire lebte.

Im weiteren Verlauf der Vernehmung bestätigte Frau Katuta ebenfalls, daß es im hölzernen Vorbau des Flüchtlingsheims ein Fenster gab, was nicht verschließbar und leicht zu öffnen war. Das wußte sie ganz genau, hatte sie doch des öfteren den Schmutz, der beim Putzen der Treppe angefallen war, eben aus diesem Fenster hinausgeworfen. Das heißt, es war auch für Brandstifter von außen möglich, ins Haus zu gelangen, bzw. dort eine brennbare Flüssigkeit zu vergießen.


31.Prozeßtag: Mittwoch, 15.01.97

Die Erklärungen der NebenklagevertreterInnen Ehrhardt und Wagner sowie der Verteidigung vom Prozeßtag zuvor wollte die Staatsanwaltschaft wohl nicht auf sich sitzen lassen. Böckenhauer verlas gleich zu Beginn eine Erklärung, in der er die Zeugin Marie Agonglovi rundheraus für unglaubwürdig erklärte. Ihre Schilderung, daß sie im 1. Stock direkt neben ihrer Tür keine Flammen gesehen hätte, stünde in Widerspruch zu den polizeilichen Vernehmungen. Die Zeugin habe den Angeklagten lediglich entlasten wollen. Das „Herumstochern in höchstpersönlichen Angelegenheiten” (wie es die Verteidigung genannt hatte) hätte sehr wohl Sachzusammenhang gehabt.

Gustave Soussou: Keine Flammen im 1. Stock

Den dann folgenden Zeugen muß die Staatsanwaltschaft wohl auch für unglaubwürdig erklären: Denn auch Gustave Soussou, der mit dem 14jährigen Ray und dem unter mysteriösen Umständen im Vorbau ums Leben gekommenen Sylvio Ammoussou in einem Zimmer des 1. Stockwerks geschlafen hatte, bemerkte keinerlei Flammen auf dem Flur. Hier aber soll nach der Theorie der Staatsanwaltschaft der Brand begonnen haben.

Sylvio habe ihn geweckt: „Feuer! Feuer!” Er sei aufgesprungen und sofort auf den Flur gelaufen. Hier sei es sehr dunkel gewesen. Keinerlei Flammen, nur „wenig Rauch“. So dunkel, daß Gustave statt ins Treppenhaus zu gelangen, die Tür zur Dusche öffnete und sich nur tastend wieder hinaus bewegte. Dann sei er in das Zimmer von Kate, das direkt an der Ecke Hafenstraße/Konstinstraße gelegen ist, gelangt. Hier sei es durch Licht von draußen etwas heller gewesen. Er half mit, die zwei Kinder von Kate zu retten. Dabei sprang er zunächst aus dem Fenster auf das Dach des Vorbaus und dann auf die Straße. Dabei zog er sich Verletzungen am Fuß und im Gesicht zu.

Die Staatsanwaltschaft sucht nach Widersprüchen

Immer wieder fragten die Staatsanwälte, warum er denn nicht über die Treppe geflohen sei, wenn er doch gar keine Flammen gesehen habe. Die Antwort, er sei in Panik gewesen, eigentlich „gar nicht ich selbst“, scheint sie nicht überzeugen zu können. Dabei hatte Dr. Böckenhauer große Schwierigkeiten, Fragen zu formulieren, die den Vorschriften der Strafprozeßordnung entsprechen. Immer wieder will er aus Protokollen Vorhaltungen machen, die ohne gültige Rechtsbelehrung und ohne Dolmetscher zustande gekommen sind. Als Richter Wilcken ihm unter die Arme greifen will, reagiert er gereizt und nervös. Schließlich ist er so durcheinander, daß er zunächst abbricht und seinen Junior Bieler weiterfragen läßt. Der versucht, für seinen Kollegen in die Bresche zu springen: „Was Staatsanwalt Böckenhauer meinte, war ...“

Familienvater? Streit mit Safwan ?

Die Verteidigung befragt Gustave nach seiner polizeilichen Vernehmung am 19. Januar, noch im Krankenhaus. Zunächst wußte Gustave gar nicht, ob es dort eine Vernehmung gegeben hat: „Wenn die Polizisten sich als solche vorgestellt hätten ...“ Ob sie ihn dort gefragt hätten, ob er Familienvater sei - Nein. Ob er von einem Streit mit Safwan berichtet habe - Nein. Hintergrund der Fragen: Am darauf folgenden Tag beantragte Staatsanwalt Böckenhauer den Haftbefehl gegen Safwan. Begründung: der „Familienvater“, an dessen Tür Benzin gekippt worden sei, wäre Gustave Soussou. Safwan hätte mit ihm Streit gehabt. Eine Behauptung, die so offensichtlich unwahr ist, daß sie auch von den Staatsanwälten nicht mehr aufrechterhalten wird. Dennoch reichte diese Begründung für den Haftbefehl gegen Safwan aus.

Kommentar von Gabriele Heinecke zum Schluß ihrer Befragung von Gustave: „Alle weiteren Fragen habe ich an Staatsanwalt Böckenhauer.“

Tumult um Haage

Wütenden Protest von anwesenden Flüchtlingen gibt es, als Rechtsanwalt Haage (einer der Vertreter der Familie El Omari) tendenziös formulierte Fragen stellt. Ray habe etwas anderes gesagt als Gustave, ob Ray denn die Unwahrheit sagen würde? Haage muß mehrfach umformulieren (und erweist sich dabei nicht gerade als juristisches Genie). Richter Wilcken hat große Mühe, die erhitzten Gemüter wieder zu beruhigen.

Wie starb Sylvio ?

Das größte Fragezeichen nach Gustaves Aussage sind die Todesumstände von Sylvio Ammoussou. Seine Leiche war stark verkohlt im Vorbau gefunden worden - in seiner Lunge fand sich kein Ruß. Doch Gustave will ihn im verrauchten Flur gesehen haben - sogar mit ihm gesprochen haben. Eine Verwechslung ?


Erklärung der Verteidigung vom 13.01.96 zur Vernehmung von Marie Agonglovi durch die Staatsanwaltschaft:

"Jede Form der Andersartigkeit wird zum Verdacht"


Prozeßinfo Nr. 13, 17.01. 1997

Lübecker Bündnis gegen Rassismus
Willy-Brandt-Allee 9
23554 Lübeck
Tel. 0451 - 70 20 748