nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Fri Sep  4 00:27:02 1998
 

An das
Landgericht
Lübeck

13.1.1997

2a KLs (29/96)

In der Strafsache
gegen
Herrn Safwan Eid

wird zur Vernehmung der Zeugin Frau Agonglovi namens der Verteidigung folgende Erklärung gem. § 257 StPO abgegeben:

Trotz der Bemühungen der Staatsanwaltschaft, die Glaubwürdigkeit der Zeugin Agonglovi in Zweifel zu ziehen, ist festzuhalten:
Wie schon im Rahmen ihrer zahlreichen Befragungen und Vernehmungen im Ermittlungsverfahren hat die Zeugin auch in der Hauptverhandlung bestätigt, daß es dort, wo die Staatsanwaltschaft den Brandausbruchsort haben möchte, um die Aussage des Zeugen Leonhardt zu stützen, kein Feuer gegeben hat. Die Zeugin hat in aller Deutlichkeit erklärt, daß es in unmittelbarer Nähe ihrer Zimmertür nicht gebrannt hat und sie dort weder Feuer noch Feuerschein wahrgenommen hat.

Feuer oder Feuerschein hat die Zeugin am Ende des Flurs im 1. OG wahrgenommen, und zwar dort, wo der Flur breiter ist, d.h. in unmittelbarer Nähe zum Treppenhaus. Die Zeugin hat ihre Wahrnehmungen noch dahingehend präzisiert, daß sie nicht sagen kann, ob sie Feuer oder Feuerschein durch die Flurfensterscheibe oder im Flur wahrgenommen hat.

Die Tatsache, daß die Zeugin ihre Brille nicht trug, als sie, wie sie beschrieb, ihren Kopf aus ihrer Zimmertür steckte, ändert nichts. Denn die Zeugin ist kurzsichtig. Hätte es links oder rechts oder gegenüber ihrer Zimmertür, also in ihrer unmittelbaren Nähe, ein Feuer gegeben, so hätte die Zeugin dies auf jeden Fall, wie sie bestätigt hat, wahrnehmen müssen.

Soweit zu den Bekundungen der Zeugin. Einer Kommentierung bedarf jedoch noch die Vernehmung der Zeugin durch die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft. In der bisher durchgeführten Beweisaufnahme war es richterliche Praxis, von der gesetzlichen Möglichkeit der Zurückweisung von Fragen nur zurückhaltend Gebrauch zu machen. Die Verteidigung hält dies für richtig, ist doch das Fragerecht ein elementares Recht zur Realisierung der Teilhabe an der gerichtlichen Beweiserhebung.

Die Verteidigung tritt nicht nur in diesem Verfahren, sondern grundsätzlich dafür ein, das Fragerecht nicht zu beschneiden, d.h. alle Fragen, die auch nur im weitesten Sinn zur Sache gehören, für zulässig zu erachten. Dazu gehören selbstverständlich auch Fragen, die sich auf die Glaubwürdigkeit beziehen.

Gleichwohl sollte es, ungeachtet dar Regelung des § 68 a StPO, Grenzen geben, die aus Respekt vor der Persönlichkeit der Zeugin oder des Zeugen nicht ohne Not überschritten werden. Wo diese Grenzen gezogen werden, mag im Einzelfall unterschiedlich beurteilt werden, je nach Interessenlage und Rolle des jeweiligen Verfahrensbeteiligten.

Was allerdings die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft mit der Zeugin Agonglovi gemacht haben, hat vielleicht nicht die von der StPO zu Recht weit gezogenen Grenzen des Fragerechte überschritten, wohl aber die des Anstands.

Um aufzuklären, ob unser Mandant Safwan Eid das Feuer gelegt hat, bedarf es wohl kaum der Aufklärung, ob die Kinder von Frau Agonglovi von einem oder zwei oder drei verschiedenen Vätern abstammen. Auch erschließt sich der Verteidigung nicht, von welcher Relevanz es sein soll, ob eine andere Zeugin wechselnd Besuche von Männern hatte oder nicht und daneben oder davor oder danach einen festen Freund. Solche Fragen wären vielleicht nachvollziehbar, wenn es der Staatsanwaltschaft darum ginge, mögliche Tatverdächtige zu finden. Darum ging und geht es ihr aber nicht, dies ist hinreichend bewiesen, Stichwort Grevesmühlen.

Welchen Zweck also verfolgt die Staatsanwaltschaft, wenn sie in die höchstpersönliche Sphäre von Zeuginnen eindringt?

Das Interesse an Sachaufklärung kann es nicht sein, denn zur Sachaufklärung sind derartige Fragen nicht dienlich. Die Glaubwürdigkeit von Zeugen, auch von denen weiblichen Geschlechts, läßt sich sicher anhand anderer, weniger persönlichkeitsbeeinträchtigender Fragen aufklären und überprüfen. Es geht also um etwas Anderes.

Ein Blick in die Ermittlungsakten und dort in die Vernehmungsmethodik, derer sich die Mitglieder der SoKo gegenüber den Hausbewohnern befleißigt hat, gibt Aufschluß: Hat man für Grevesmühlen jederzeit ein Argument parat, um bestehenden Verdacht zu entkräften, so ist es bei den Hausbewohnern exakt umgekehrt: Bei ihnen wird jedes nicht sofort verständliche Detail, jede Form der Andersartigkeit, jeder Hinweis auf eine mögliche Regelverletzung, zum Verdacht.

Haben Sie Ihren Sohn geschlagen? Hat Safwan Eid Ihnen ein Auto verkaufen wollen? Hat Makodila den Autokauf vermittelt? Mit welchem Bruder ist Ray eingereist?

Die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft haben mit ihrer Art der Vernehmung von Frau Agonglovi fortgesetzt, was sich wie ein roter Faden durch die Ermittlungsakten zieht: Nur unzureichend bemüht um ein Minimum an Kenntnissen über die Lebensverhältnisse in der BRD lebender Flüchtlinge, wird herumgestochert und gesucht, nach untypischem, nach Abweichendem, nach - für dieses Verfahren irrelevanten - Regelverletzungen, nach all solchen Indizien, die es erlauben können, schlußendlich zu sagen: Zuzutrauen ist es ihnen aber doch.

Welche Anhaltspunkte hatten Sie dafür, daß es die Nazis waren?

Diese, von StA Bieler in Anknüpfung an eine entsprechende Aussage der Zeugin Agonglovi im Ermittlungsverfahren gestellte Frage, offenbart besser als alles Andere die Intention der Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren: Aus dem Zusammenhang war offenkundig, daß die Zeugin ihre Überzeugung, ihre Meinung zum Ausdruck gebracht hatte, als sie erklärt hatte, das seien die Nazis gewesen gegen die Asylbewerber. Sie hatte unmittelbar vorher gesagt, sie habe keine Feinde, der Anschlag habe sich nicht gegen sie (gemeint war sie persönlich) gerichtet, man solle aufhören, im Kreis der Hausbewohner den Täter zu finden.

Welche Antwort hat StA Bieler erwartet? Daß die Zeugin sagen würde, sie habe Nazis bei der Tatausführung gesehen? Wohl kaum. Nach allem, was die Zeugin bis dahin im Ermittlungsverfahren bekundet hatte, war klar, daß sie in streng juristischen Sinn keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine solche Aussage hatte. Was hat Herr Bieler erwartet? Daß die Zeugin ihre Überzeugung aufgeben und sagen würde, es seien doch nicht die Nazis gewesen? Oder will die Staatsanwaltschaft aus der Tatsache, daß die Zeugin ihre Überzeugung bestätigt hat, ohne tatsächliche Anhaltspunkte benennen zu können, auf ihre Unglaubwürdigkeit schließen, nach der bisher nicht geschriebenen Beweiswürdigungsregel: Wer glaubt, der Brandanschlag am 18.1.1996 in Lübeck sei von Rechten ausgeführt worden, ist unglaubwürdig. Wer glaubt, es könne Safwan Eid oder wahlweise ein anderer Hausbewohner gewesen sein, ist glaubwürdig?

Man wird nach dieser Befragung der Zeugin Agonglovi durch die StA auf die Beweiswürdigung der StA gespannt sein dürfen.

Heinecke Klawitter
Rechtsanwältin Rechtsanwältin