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Voherige Seite Kapitel Einleitung 2 Kindheit und Jugend: Die Berge Nächste Seite

1 Die erste Brigade

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Wie seid ihr auf den Namen Rote Brigaden gekommen?

Wir fuhren gerade mit dem Auto quer durch Mailand. Es war ein lauer Septembernachmittag im Jahre 1970. Wir saßen zusammengepfercht in einem klapprigen Fiat 850. Margherita und ich waren in Begleitung eines Arbeiters von Pirelli und eines anderen Genossen, eines späteren Brigadisten, dessen Name ich nicht nenne, da niemals gegen ihn ermittelt wurde. Die Atmosphäre war bereits weit weniger prickelnd als im Jahr zuvor. Nach dem Bombenanschlag, dem Massaker auf der Piazza Fontana1.1, war die allgemeine Stimmung düster und angespannt. Wir diskutierten über Themen, die uns in jenen Tagen dringlich schienen: über die Krise von Sinistra Proletaria1.2 und wie andere Formen der Präsenz bei den Arbeiterkämpfen in den Mailänder Fabriken zu entwickeln wären. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir unverhüllt agiert. Man hatte uns fotografiert und gefilmt, einige Arbeiter waren bereits entlassen worden. So konnte es nicht weitergehen. Die Entscheidung, »Sinistra Proletaria« als Projekt zu beerdigen, war bereits gefällt. Die Frage war: Wie sollte es nun weitergehen?

Wir saßen im Auto und sprachen über all diese Dinge. Ich erzählte von den Tupamaros in Uruguay1.3, einer Guerilla, die nicht mehr nur in den ländlichen Gebieten kämpfte, sondern sich auch in den Städten organisierte. Ich meinte, wir sollten uns ein Beispiel an ihnen nehmen.

Wir waren kurz vor dem Piazzale Loreto, als der Arbeiter aus Bicocca1.4 die Diskussionen auf seine Weise zusammenfaßte: »Wir können uns dieses Jahr nicht länger vom Pellegrini verarschen lassen. Der wird sonst nie aufhören, sich hinter irgendwelche Container zu stellen und Fotos zu machen ...« Pellegrini war einer der Aufseher bei Pirelli. Er machte seinen Job und bespitzelte Demos in der Fabrik, Streikposten, kleine Versammlungen. Er knipste einfach alles.

»Warum fackeln wir ihm nicht sein Auto ab?« schlug der andere Genosse vor. »Wenn wir ihm direkt in der Fabrik eins draufgeben, verlieren einige ihren Arbeitsplatz, wenn wir ihm aber das Auto einäschern und ein Flugblatt in Umlauf bringen, in dem wir sagen: Du gehst uns auf den Keks, wir haben deine Spitzeleien satt, verpiß dich ...« In den vorangegangenen Monaten hatte es viele Gespräche über die Notwendigkeit militanter Aktionen gegeben. Sie waren reine Zeitverschwendung gewesen. Aber irgend etwas sagte mir, daß wir genau in diesem Moment, in diesem kleinen alten Wagen, kurz davor standen, eine wirkliche Entscheidung zu treffen ...



Aber wie seid ihr auf den Namen gekommen?

Das kommt gleich. Das Auto anzuzünden, das konnte gehen. Ein Droh-Flugblatt zu schreiben auch. Aber wie sollten wir es unterzeichnen? Einfach anonym zu bleiben, das wollten wir auf keinen Fall. Die Möglichkeit der Anonymität wurde gleich ausgeschlossen. »Es ist ja nur ein Auto und dazu auch noch ein ziemlich kaputtes«, sagten wir uns, »aber wenn wir schon eine solche Aktion machen, und uns auf neue Wege begeben, dann müssen wir das auch richtig machen, dann müssen wir auch sagen, wer es gewesen ist ...«

»Na, dann sagen wir es halt«, meinte der Arbeiter von Pirelli, »wir brauchen einen schönen Namen, einen, der einfach, direkt und gleichzeitig Programm ist.«

Wir fuhren gerade auf den Piazzale Loreto. Ich mußte an ein Foto denken, das mir ein Genosse ein paar Stunden zuvor auf meinen Schreibtisch in der Redaktion von Sinistra Proletaria1.5 gelegt hatte. Es war unveröffentlicht und stammte aus dem Jahr 1945. Es zeigte, mit dem Kopf nach unten aufgehängt, Mussolini und Claretta Petacci. Ein hartes Bild. Ich deutete mit der Hand an eine Stelle auf dem Piazzale Loreto und sagte: »Genau dort hatten die Partisanenbrigaden die Leichen ausgestellt.« Alle schauten und schwiegen. Dann ergriff der Arbeiter wieder das Wort: »Das ist es, eine gute Idee! Wir könnten das Flugblatt mit Brigaden... Brigaden irgend etwas unterzeichnen«. Aber: »Brigaden« und wie weiter?

Jemand schlug »Proletarische Brigaden« vor. Nein, das paßt nicht, das ist zu eingeschränkt. »Pisacane-Brigaden«, sagte Margherita und lachte dabei wie verrückt: Sie dachte gerade an den Sinistra-Proletaria-Kongreß in Pecorile, bei dem der Vorschlag aufkam, eine »schnelle Einsatztruppe« aus unserem Ordnungsdienst zu bilden und sie nach Pisacane zu benennen. Wir mußten schon in Pecorile darüber lachen. Der arme Pisacane war von den Mistgabeln der Bauern aufgespießt worden, die er befreien wollte. Nein, nach Pisacane konnten wir uns nicht benennen, das wäre kein gutes Omen gewesen.

Also, was für Brigaden? Das passende Eigenschaftswort fiel uns auf der Via Padova ein. Wir fuhren gerade an einer historischen Sektion der PCI1.6 vorbei, als der Genosse am Steuer unsere Ausschweifungen unterbrach: »Seht her, diese Sektion war in der Nachkriegszeit eine Hochburg der Volante Rossa1.7, mein Vater war auch dabei ...«

»Dann nennen wir uns die Volante Rossa von Pirelli«, meinte der Arbeiter, der einen Namensvorschlag nach dem anderen machte. »Nein«, antworteten wir,« die Volante Rossa gehört der Vergangenheit an, wir können doch nicht einen historischen Namen nehmen.«

Daraufhin sagte Margherita: »Soweit ich weiß, war die Befreiung von Andreas Baader durch die Genossen der RAF, der Roten Armee Fraktion, die erste Stadtguerillaaktion in Europa: ''Armee'' scheint mir zwar in unserem Fall etwas übertrieben, aber Rote Brigade gefällt mir. Rote Brigade, was meint ihr?«

Ich fand sofort, daß es gut klang. Die anderen ebenfalls, und so wurde der Name gleich beschlossen. Für die ersten Aktionen bei Pirelli schrieben wir Flugblätter, die mit »Rote Brigade«, also im Singular, unterzeichnet waren. Wir waren in jenen Herbsttagen nur ein kleines Grüppchen. Dessen waren wir uns auch bewußt.



Und der fünfzackige Stern im Kreis?

Das ist der schiefe Stern der Tupamaros. Wir beschlossen, ihn zu übernehmen, um damit auf unsere internationalen Bezüge hinzuweisen. Man nimmt eine Hundert-Lire-Münze, zeichnet einen Kreis und malt dann mit einem kleinen Lineal den Stern hinein. Doch den Stern richtig gut hinzukriegen, ist nicht so leicht, wie es aussieht. Einmal, ich glaube 1972 bei einer unserer Aktionen gegen Sit-Siemens, kam Mario Moretti durcheinander und zeichnete einen sechszackigen Stern. Nachdem wir das Flugblatt mit dem falschen Stern in Umlauf gebracht hatten, sprachen alle Zeitungen von einer »Provokation«, einer »Aktion der Geheimdienste« und derartigen Scherzen.



Die Roten Brigaden entstanden also mit den ersten Anschlägen gegen die Fahrzeuge von Aufsehern bei Pirelli. Hat es darüber zuvor Diskussionen in größerem Rahmen gegeben?

Wir hatten mit sehr vielen Leuten diskutiert. Ich erinnere mich an eine Versammlung von Sinistra Proletaria in Mailand, an der um die 150 Leute teilgenommen hatten. Margherita, Alberto Franceschini1.8 und ich plädierten dafür, die Geschichte dieser Organisation zu beenden und die Aktivitäten auf andere Weise fortzusetzen. Wir wollten zu Aktionen übergehen, die wir als »bewaffnete Propaganda« bezeichneten.

Nach dem Anschlag von der Piazza Fontana herrschte eine gewalttätige, harte Atmosphäre. Wir meinten, daß es nun unmöglich geworden sei, mit unseren alten organisatorischen Strukturen und dem offenem Vorgehen weiterzukommen. Wir versuchten darüber (natürlich nicht gerade öffentlich) zu diskutieren. Es war aber notwendig herauszufinden, wie viele Genossen daran interessiert sein könnten, diesen neuen Weg mit uns zu gehen.



Was habt ihr also getan?

Wir haben gesagt: »Wer an einer solchen Diskussion interessiert ist, hebe die Hand.« Und etwa hundert Hände gingen hoch. Das schienen uns, ehrlich gesagt, etwas zu viele, um eine illegale Organisation ins Leben zu rufen. Doch das Problem löste sich schnell von selbst. Nach ein paar Wochen war die Anzahl der Begeisterten stark zusammengeschrumpft. Am Ende blieben wir zu fünfzehnt übrig.



Warum waren es erst so viele, und dann so wenige?

Wir schlugen einen Test vor, um die Bereitschaft der Genossen für die neue Organisationsform zu prüfen: die Beteiligung an einer »proletarischen Enteignung«, an einem Raubüberfall. Da hatten dann natürlich viele irgendwelche Ausreden parat.



Was waren das für Ausreden?

Es waren nicht nur Vorwände, die die eigenen Ängste verdecken sollten. Es gab auch ernstzunehmende Einwände. »Wir sind nicht in einer Situation wie in Lateinamerika.« Andere wiederum sagten: »Wir sind politische Aktivisten, aber wenn sie uns bei so etwas schnappen, landen wir als gewöhnliche Banditen im Knast.«



Schienen dir die Einwände in irgendeiner Weise berechtigt?

Die Furcht war sicherlich begründet. Auch ich fand die Aussicht, wie ein x-beliebiger Räuber ins Gefängnis zu wandern, nicht gerade anziehend. Andererseits brauchten wir für den Aufbau unserer ersten organisatorischen Strukturen dringend Geld. Zudem wußten wir ja, daß wir keine Banditen waren. Wir bewegten uns bewußt sowohl in der klassisch marxistisch-leninistischen Tradition als auch im Rahmen der neuen Stadtguerillakonzeption. So wie sie von lateinamerikanischen Gruppen und den Black Panthers in den nordamerikanischen Großstädten umgesetzt wurde. Wir hatten jedenfalls keine Wahl. Es war ein Risiko, das wir eingehen mußten.



Wie haben die anderen in der Fabrik auf den Namen Rote Brigade reagiert?

Die Pirelli-Arbeiter haben ihn sofort akzeptiert. Unter anderem, weil es in der Bewegung bereits eine Gruppe gab, die sich mit der gleichen revolutionären Farbe schmückte, die »Roten Tanten«.



Wer gehörte zu den Roten Tanten?

Es war eine ziemlich wilde Gruppe von jungen Frauen, die sich in vorderster Front am Ordnungsdienst von Sinistra Proletaria beteiligte.

Nach dem Anschlag von der Piazza Fontana in Mailand nahm die Anzahl der Demonstrationen rapide zu. Es gab fast immer harte Auseinandersetzungen. Alle außerparlamentarischen Gruppen, die auf der Straße aktiv waren - von Lotta Continua1.9bis Potere Operaio1.10 -, bauten einen eigenen, mehr oder weniger militanten Ordnungsdienst auf. Unserer war von der starken Beteiligung von Kämpferinnen geprägt.



Also findet sich ein kleines Grüppchen, entstanden aus den Resten von »Sinistra Proletaria«, um die erste Rote Brigade ins Leben zu rufen, der bald andere folgen sollten ...

In der Kürze läßt sich das so sagen. Es gab allerdings eine Übergangszeit, in der sich alte und neue Initiativen überschnitten. Als wir die ersten Aktionen gegen die kleinen Kapos der Pirelli durchführten, bewegte ich mich immer noch im Umfeld von Sinistra Proletaria. Wir waren immer noch an den Arbeiter-Abendschulen aktiv und weiterhin an den Hausbesetzungen in den Arbeitervierteln1.11, Lorenteggio, Quarto Oggiaro und Mac Mahon, beteiligt. Im Oktober '70 haben wir die letzte Ausgabe der Zeitschrift Sinistra Proletaria herausgebracht. Unsere »Kampfschriften« wurden aber noch bis Februar '71 weiterverteilt, als die erste Anschlagsserie der BR1.12 bereits in vollem Gange war. Im Frühjahr desselben Jahres veröffentlichten wir schließlich zwei Ausgaben einer anderen Zeitschrift, die den Übergang zum neuen Kurs deutlich machte: Nuova Resistenza1.13. Wir dokumentierten darin die ersten bewaffneten Aktionen in Europa und schufen ein Forum zur Diskussion für derartige Initiativen. Wir veröffentlichten unter anderem ein Interview, das wir mit den Genossen der RAF geführt hatten, einen unveröffentlichten Text der Tupamaros, Mitschriften der Sendungen von Feltrinellis GAP-Piratenradios1.14 sowie die ersten Flugblätter der Roten Brigade bzw. Roten Brigaden.



Was sollte die Rote Brigade nach euren damaligen Vorstellungen sein?

Die Brigade war zunächst der erste Kern eines noch unbestimmten organisatorischen Projekts: Niemand von uns wußte genau, was es werden sollte. Wir haben auch gar nicht erst versucht, den Anschein zu erwecken, als ob es anders wäre. De facto bestand die Gründer-Gruppe der Roten Brigaden aus einem Dutzend Leuten: Margherita, Franceschini, ich, Piero Morlacchi1.15, eine der zentralen Persönlichkeiten im Kiezleben von Lorenteggio, sowie einige Arbeiter von Pirelli, unter ihnen Maurizio Ferrari1.16.



Trotz ideologisch-organisatorischer Unklarheiten habt ihr angefangen, erste Aktionen durchzuführen. Wie sahen diese aus?

Wir kehrten von der Vorstellung der »proletarischen Enteignung«, mit der wir die Genossen auf die Probe stellen wollten, zur Anfangsidee zurück: dem Kapo Pellegrini eins auszuwischen. Wir folgten ihm also von der Fabrik bis zu seiner Wohnung. Er parkte sein Auto immer vor dem Haus. Wir waren gut vorbereitet. Ein alter Partisan, ein Freund Feltrinellis, brachte uns bei, wie man eine Art Molli mit Zeitverzögerung bastelt. Dazu brauchte man einen Kanister Benzin und ein Kondom mit Schwefelsäure. Diese fraß sich langsam durch das Kondom, kam mit einer Mischung aus Zucker und Pottasche in Berührung und entzündete so das Benzin. Wenn man die Zeit bis zur Zündung weiter verzögern wollte, nahm man einfach ein dickeres Kondom oder stülpte zwei übereinander.

Eines Nachts hat sich unser kleines Kommando dann an den alten klapprigen Wagen von Pellegrini geschlichen, und Margherita hat den kleinen Kanister in Position gebracht. Ich stand Schmiere. Das Herz rutschte mir in die Hose. Es dauerte. Minute um Minute verging, denn das Kondom hielt länger als vorgesehen. Dann endlich die Stichflamme. Zurückblickend war es eine groteske Aktion. Wir waren absolut unerfahren, Anfänger, völlig dilettantisch. Aber man kann sagen, daß mit dieser Aktion die Geschichte der Roten Brigaden begann.



Hattet ihr euch zu der Aktion öffentlich bekannt?

Ja, es war zugleich unser erstes Flugblatt, in dem wir für einen Anschlag die Verantwortung übernahmen. Wir verteilten es bei Pirelli und in der Fabrik, woraufhin viel über uns geredet wurde. Letztendlich war es ein großer Erfolg, und so beschlossen wir, auf diesem Weg weiterzugehen. Vom Winter '70 bis zum Frühjahr '71 führten wir Dutzende solcher Aktionen durch, darunter auch eine etwas ausgefeiltere mit brennenden Autoreifen auf der Teststrecke in Lainate.



Hast du die Flugblätter geschrieben?

In der Regel schon. Ich war derjenige, der die Texte verfaßte. Bevor ich das tat, hörte ich mir ausführlich die Meinung der Arbeiter und der unmittelbar beteiligten Genossen an. Ich nahm die Stimmung in der Fabrik und die Sprüche der Arbeiter auf und ergänzte sie durch unsere Analysen. »Schaut«, schrieb ich, »wir müssen die heutigen Arbeiterkämpfe anders führen. Wir schlagen eine Organisation vor, die klandestiner und militanter1.17 agiert als die bisherige Arbeiterbewegung.«

Das Ergebnis war ein ärmlicher Stil, der effektiv sein wollte. Man hat uns oft wegen unserer Sprache kritisiert. Viele sagten uns: »Was seid ihr plump!« Während ich die Texte schrieb, dachte ich oftmals an ein Gespräch, das ich mit einem exilierten Repräsentanten der Black Panthers in Algerien geführt hatte. Schmunzelnd hatte er uns stark kritisiert: »Wenn ihr beschreibt, was in den Stadtteilen und Fabriken passiert, seid ihr bemüht, alles in euren ideologischen Rastern wiederzugeben, und merkt nicht, wie unverständlich ihr werdet ...« Danach dachte ich mir: »Lieber plump als unverständlich.«

Oft waren wir aber leider plump und unverständlich.



Warst du auch an allen Anschlägen direkt beteiligt?

Darüber gab es viele Diskussionen. Einige Genossen meinten, daß ich mich aus den risikoreichen Aktionen raushalten sollte, da ich gebraucht wurde, um die Zeitungen, Kampfschriften und Flugblätter zu redigieren. Außerdem unterhielt ich Beziehungen zu sehr unterschiedlichen Leuten: Arbeiter aus den Fabriken, Gewerkschafter, Proletarier aus den einfachen Stadtvierteln Mailands und verschiedene '68er-Waisen, die überall ein wenig mitgemacht hatten. Meine Festnahme, so wurde befürchtet, hätte vielen schaden können.

Ich drängte aber darauf teilzunehmen, und nach und nach setzte sich die Ansicht durch, daß Hand und Kopf nicht auseinanderdividiert werden dürften. Wir fanden das falsch und kritisierten auch Gruppen, die wie Potere Operaio und Lotta Continua ihre »bewaffneten Arme« hatten, die von den politischen Organisationen getrennt waren.

So blieb ich anfangs etwas außen vor, doch bald beteiligte ich mich wie alle anderen auch an den Anschlägen. Damals hatten wir aber ohnehin keinen Mangel an »Arbeitskräften«. Wenn eine Bestrafungsaktion gegen einen Fabrik-Kapo anstand, meldeten sich immer Dutzende unserer Arbeiter-Genossen.



Wie habt ihr die Verteilung eurer Flugblätter organisiert?

In der Fabrik und auf die einfachste Art: Wir verteilten sie während der internen Demonstrationszüge und hinterließen sie auf den Tischen in den Gewerkschaftsbüros, in den Umkleideräumen oder an den Fließbändern. Ab und zu hat sich dann jemand, zur Überraschung aller, mehr oder weniger raffinierte Methoden einfallen lassen: Flugblätter wurden beispielsweise in die Rohrpost gesteckt und landeten so direkt auf den Schreibtischen der Angestellten und dem Führungspersonal.

Wir waren damals noch nicht im Untergrund. In der Bewegung kannten uns alle, und in der Fabrik viele. Auch die PCI-Gewerkschafter und die Arbeiter der anderen außerparlamentarischen Gruppen, sie wußten, wer wir waren und was wir machten. Wir haben uns auch an den öffentlichen Diskussionen beteiligt. Wir wohnten in Wohnungen, die wir mit unseren richtigen Namen angemietet hatten. Wir agierten noch ziemlich unverdeckt und ohne allzugroße Vorsichtsmaßnahmen. Das waren die Anfänge der Roten Brigaden.



Kannst du mit über zwanzig Jahren Abstand biographisch erläutern, welcher Weg es war, der dich schließlich als Ideologe und Anführer zur Gründung der ersten Brigadisten-Zelle bei Pirelli und Sit-Siemens in Mailand führte?

Das war sicher keine gradlinige Entwicklung, sondern eine Folge sehr wechselhafter Erfahrungen; teils dem Zufall, teils dem äußeren Druck geschuldet. Bevor ich im Alter von dreißig Jahren Brigadist wurde, hatte ich sehr unterschiedliche Lebensabschnitte hinter mir.

Um meinen Werdegang zu verstehen, ist es vielleicht am einfachsten, einen großen Sprung zurück zu machen und die Erzählung noch einmal ganz von vorn zu beginnen.



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