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Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 6

Die Ethnisierung des Sozialen

Die Transformation der jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges

Teil VII - Zur Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und Kriegsdynamik


Verlag der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen 1993
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Vorwort
Jugoslawien im Kontext des ost- und südosteuropäischen Umbruchs
Bemerkungen zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
Zur Kampfsituation 1987
Nationalismus und Ethnisierung
Krieg als Transformationsmechanismus
Die EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Zur Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und Kriegsdynamik
Anhang

Zur Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und Kriegsdynamik

In den Medien präsentieren sich die imperialistischen Krisenlenker als neutrale Friedensstifter, die angesichts des »irrationalen« nationalistischen innerjugoslawischen Krieges bemüht sind, die Kontrahenten »zur Vernunft« und zu »friedlichen Lösungen« zu bewegen. Nahezu perfekt wird dem Publikum eine Position der Neutralität und bedauerlichen Hilflosigkeit gegenüber den Konfliktparteien suggeriert.
Bei genauerem Hinsehen jedoch stellt sich heraus, daß im Gegenteil imperialistische Interventionen auf ökonomisch-sozialpolitischer, diplomatischer und militärischer Ebene die Eskalation des sozialen Kriegs gegen die Bevölkerung Jugoslawiens zu einem mit militärischen Gewaltmitteln geführten entscheidend forciert haben.
Durch nationalistische Überformung bzw. Ethnisierung von im Kern sozialen (nicht einfach ökonomischen) Konfrontationen - Ex-Jugoslawien ist diesbezüglich kein Sonderfall - und einem manipulativen Diskurs um auch in Teilen der Linken positiv besetzte Begriffe wie Demokratie, Selbstbestimmungs- und Menschenrechte gelingt es den jeweiligen nationalen Machteliten in Koordination mit Institutionen einer sich konstituierenden »Weltinnenpolitik«, eine »neue Unübersichtlichkeit« zu produzieren, die eindeutige Positionsbestimmungen für solidarisch-unterstützende Parteinahmen verhindert. Resultat: lähmende Ratlosigkeit.
Nicht zuletzt um der rassistischen Formierung einer auch von einigen Linken entdeckten »Interessengemeinschaft des zivilisierten Europas« etwas entgegenzusetzen, ist es notwendig, die sich in Kategorien von Verwertung, Rentabilität und »Überflußbevölkerung« bewegenden imperialistischen Praktiken aus den medienproduzierten Unübersichtlichkeiten zu entschlüsseln.
Zwar gab es nicht den langfristig ausgeheckten imperialistischen Plan zur Zerschlagung und Neuzusammensetzung der jugoslawischen Gesellschaft, aber hinter der sich so hilflos gebenden Verhandlungsdiplomatie verbirgt sich eine knallharte Methodik von Moderation und Steuerung eines Krieges zur gewaltsamen Durchsetzung neuer, weniger widerständiger Sozialstrukturen und zur Reorganisation stabiler nationalstaatlicher Machtgefüge.
Dabei kristallisierte sich faktisch eine gewisse Arbeitsteilung heraus:
- die BRD-Politik forcierte eine an die NS-Großraumkonzeption der gestaffelten und zonierten Verwertungsräume anknüpfende »Neuordnung Europas« die selektive Angliederung derjenigen jugoslawischen Regionen an die EG, welche die »entwickeltesten« Voraussetzungen für ein kapitalistisch zu strukturierendes Akkumulationsregime vorweisen; ihre massive Unterstützung der slowenischen und v.a. kroatischen Führung für deren Absetzbewegung von den »subventionsbedürftigen » südlichen Regionen in einer ethnisch-nationalistisch enorm aufgeladenen Konstellation kalkulierte eiskalt mit dem Neuordnungskrieg und trieb ihn mit den Anerkennungsoffensiven voran;
- USA und EG-Mehrheit sorgen mit Verhandlungen und »Jugoslawien-Konferenzen« dafür, daß der Krieg sich auf einem »low-intensity«-Niveau bewegt und regional begrenzt bleibt; deren zurückhaltenderes Vorgehen in Sachen Zerschlagung und Neuordnung Jugoslawiens, z.B. das serbische Regime nicht zu isolieren, lassen auf konkurrierende längerfristig angelegte und den gesamten Balkanraum einbeziehende Ordnungsvorstellungen schließen (FN 1,), die sich offenbar auch gegen die »Blitzkriegs«-strategie des BRD-Kapitals richtete, einen möglichst exlusiven Zugriff auf die voraussichtlich profitträchtigsten peripheren Regionen Osteuropas vorab sich zu sichern.
- die Einbeziehung der UNO legitimiert eine interventionistische Internationalisierung des Krieges und funktioniert als Vermittlungsinstanz imperialistischer Steuerung und Dosierung des Kriegs in seinem Verlauf. Einige Elemente dieser Moderation sind: Die US/EG-Anerkennungspolitik gegenüber Bosnien-Hercegowina, die den Startschuß lieferte zum Beginn dieses Neuordnungskrieges gegen eine im Teilungsplan sich als »überflüssig« erweisende Bevölkerung. Der Einsatz von UNO-Truppen, mit denen militärische Einheiten der nationalistischen Parteien für Kämpfe anderswo freigesetzt und derweil die zuvor »ethnisch gesäuberten« Gebiete abgesichert werden. Die Sanktionspolitik, die insbesondere die Bevölkerung in »Restjugoslawien« ihrer Existenzgrundlagen beraubt und oppositionelle Bewegungsformen politisch und materiell schwächt, aber keinen Einfluß auf die Führbarkeit des Krieges ausübt. Die diversen »Friedens«pläne und -verhandlungen sanktionieren eine ethnisierende Bevölkerungspolitik mit gezielten Vertreibungen, Vergewaltigungen und Massakern - so wie sie schon vor Kriegsbeginn grob vereinbart worden war - und deren Protagonisten.
Immer deutlicher zeichnet sich ab: der Krieg sollte so lange weitergeführt werden, bis ein Zustand ausgekämpft und ausgehandelt ist, der eine stabile«Neuordnung« der jugoslawischen Gesellschaft und des Balkanraumes verspricht. Und: viele Anzeichen lassen befürchten, daß die Kriege in Jugoslawien als Laboratorium für weitere imperialistisch moderierte »Neuordnungskriege« in Osteuropa fungieren. (1a)


Von der Erosion zur Explosion ...

Seit der Kulmination der sog. Schuldenkrise Anfang der 80er Jahre - und die jugoslawische war eine der verschuldetesten Ökonomien - bestimmten die von supranationalen Finanzorganisationen formulierten Maßnahmen und Auflagen zur Steigerung der gesellschaftlichen Rentabilität zunehmend die innerjugoslawischen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.
Ähnlich wie in den anderen ehemals sozialistischen Ländern Osteuropas hatte sich in Jugoslawiens herrschender politischen Klasse seit Mitte der 80er Jahre die Position durchgesetzt, allein eine noch stärkere Integration in den imperialistischen Weltmarkt, ein grundsätzlicher Systemumbau und engere Anbindung an den EG-Raum könne die »gesellschaftliche Blockade« - gemeint war die Akkumulationsblockade - aufbrechen. Insofern bestand sowohl zwischen imperialisitischen Interessen und den Vorhaben der verschiedenen jugoslawischen Eliten kein Dissenz - es ging nur darum, wie die »Reformen« gegen die sozialen Widerständigkeiten durchgesetzt werden könnten.(1b)
Konkurrierende Vorstellungen über das Vorgehen, die sich in einer bis 1991 zuspitzenden »Ost-West«-Konfrontation ausdrückten - also serbisches und montenegrinisches Regime contra slowenisches und kroatisches (die Führungen der anderen Republiken verhielten sich widersprüchlich) - beruhten im Kern auf den Unterschieden in der sozialen Zusammensetzung der jeweiligen Bevölkerungen und auf den daraus resultierenden Widerständen, die gegen radikale Marktreformen entwickelt bzw. befürchtet wurden.(2)
So beruhte die Popularität eines Milosevic in Serbien im wesentlichen auf seinem - zumindest verbalen - Festhalten an sozialistischen Existenzgarantien und auf seinen Attacken gegen die Verarmungspolitik der Belgrader Bundesregierung, die er mit nationalistischen Argumentationsmustern zu verbinden suchte, um die auch gegen die serbische Bürokratie aufgestaute Wut wahlweise gegen AlbanerInnen, Slowenien, die jugoslawische Bundesregierung oder westliche Regierungen zu lenken. Und tatsächlich blockierte das serbische Regime in den Bundesorganen immer stärker radikalere Maßnahmen in Richtung Marktwirtschaft, um stattdessen einen Kurs zu propagieren, der der »Selbstverwaltung« mehr Zeit zur Umstellung lassen solle; also statt »polnischem Schockprogramm« eher sozialistische Glasnost- und Perestroika-Marktwirtschaft, eine in der Schärfe des sozialen Angriffs abgemildertete Variante. Parallel dazu forderte das serbische Regime, ebenfalls im Gegensatz zu slowenisch-kroatischen Bestrebungen, eine Ausweitung der zentralstaatlichen Kompetenzen, über deren Majorisierung die serbische Führung dann versuchen würde, ihr Reorganisationsmodell für ganz Jugoslawien durchzusetzen (wozu u.a. die Aufhebung der Autonomie des Kosovos und der Vojvodinas diente).
Dagegen verstärkte sich in Slowenien und Kroatien, nicht nur in herrschenden Kreisen, die zunehmend nationalistisch-chauvinistisch gefärbte Tendenz, sich von den »armen bzw. blockierenden Republiken« zu lösen, um dann eine Programmatik von Deregulation und Weltmarktzurichtung umsetzen zu können.
Aus Sicht imperialistischer Interessen bestand während des ganzen Krisenverlaufs der 80er Jahre bis `90/`91 das Dilemma, daß durch die zentrifugale Dynamik der Ausweitung von Kompetenzen auf Republiksebene es eine zentrale Institution mit realer Machtbasis immer weniger gab, noch eine gesamtjugoslawische »Reformbewegung« aus dem Widerstand sich herausbildete, die aufgrund ihres geselschaftlichen Einflußterrains in der Lage gewesen wäre, den sozialen Unmut in neue produktivere Vergesellschaftungsformen zu überführen (wie z.B. in Polen die Solidarnosc). Eine militärische »Lösung« à la Polen `81 wurde wohl des öfteren diskutiert (z.B. Anfang `88, taz 5.1.88), aber aufgrund der unsicheren Basis der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) wohl nie ernsthaft erwogen. Erst nachdem es wenigstens z.T. gelungen war, die zugespitzte soziale Auseinandersetzung um Produktivitätssteigerung und Höhe der gesellschaftlichen Reproduktionskosten ethnisch-nationalistisch zu überformen, konnten die herrschenden politischen Klassen diese Auseinandersetzung in eine mit militärischen Mitteln geführte eskalieren. Aus diesem Dilemma heraus versuchte das internationale Kapital, die Belgrader Zentralregierung zu stärken, die programmatisch für Durchsetzung einer IWF-Politik bei Erhaltung des jugoslawischen Staates stand, was bis Mitte '91 sich mit imperialistischen Vorstellungen deckte. Allerdings war die Zentralregierung ohne reale Machtbasis, allein die JNA und die Bundespolizei waren ihr formal unterstellt.
Auf dem Hintergrund des Zerfalls des realsozialistischen Machtblocks Ende der 80er Jahre brauchte auf frühere westliche Befürchtungen, mit einer zu harten Gangart z.B. bei den IWF-Auflagen das jugoslawische Regime aus der Neutralität in die Arme der SU zu treiben, keine Rücksichten mehr genommen zu werden. Mit der Ernennung des früheren Kombinatsdirektors und sich offen zur Marktwirtschaft bekennenden Markovic im Frühjahr `89 zum Ministerpräsidenten wird der verschärfte imperialistische Druck auch innenpolitisch nachvollzogen. In den Jahren zuvor waren wiederholt Umschuldungsabkommen und Neukredite vereinbart, die damit verbundenen Auflagen zu »Strukturanpassungen« allerdings nicht eingehalten, sondern lediglich mit sog. »orthodoxen« staatsinterventionistischen Maßnahmen wie z.B. Lohn- und Preisstopps oder absprachewidrigem Drucken von Neugeld umgangen worden.
Dagegen propagierte Markovic in seiner Antrittsrede - in enger Anlehnung an IWF/EG-Forderungen - einen zusammenhängenden jugoslawischen Markt, damit sich »Waren, Kapital und Arbeit frei bewegen können«, die Deregulierung von Gesetzen, welche »die Rolle des Marktes und wirtschaftlicher Einheiten unterdrücken«, Zulassung von Privateigentum, mehr Joint Ventures statt Kreditaufnamen für Neuinvestitionen. (NZZ 18.3.89)
Während des Jahres `89 läßt die neue Regierung die Inflation gezielt auf über 1000% steigen - eine massive Entwertung von Sparguthaben und Einkommen (weil die Inflationsanpassungen immer hinterherhinken). Gleichzeitig werden kapitalistische Organisations- und Regulationsformen eingeführt wie z.B. die Gründung von Aktiengesellschaften. Allerdings gibt es weiterhin Streiks und Demonstrationen. Die serbische Führung fordert mehrmals ein Anti-Inflations- bzw. »Schockprogramm«, »um die Verarmung der Massen zu stoppen« (NZZ 13.8.89); sie muß die im Republikenvergleich höchsten Lohnzuschläge zugestehen (NZZ 28.5.89). Im Laufe des Jahres stellt sich heraus, daß die Reallöhne bundesweit im Schnitt doch wieder unabhängig von der Produktivität gestiegen sind (NZZ 22.6.89), und daß statt der erhofften Privatisierung »gesellschaftlichen Eigentums« nur kleine sog. »Nebenerwerbsbetriebe« gegründet werden und eine unkontrol­lierte »Schattenwirtschaft« entsteht (NZZ 13.8.89). Die Wirtschaftreformen werden verschoben (FR 10.10.89), IWF und Pariser Club weigern sich, über neue Umschuldungen zu verhandeln (NZZ 13.8.89).
Es stellt sich heraus, daß einzelne Deregulierungselemente wie z.B. die »Freigabe« vorher staatlich festgelegter Preise, Importe und Devisenzuteilungen für Großbetriebe von den »Kombinaten« bloß ausgenutzt werden, um ihre Schließung weiter hinauszuschieben, obwohl sie nach kapitalistischen Rentabilitätskriterien längst Konkurs hätten anmelden müssen. Dieser »Vakuumzustand zwischen zwei Wirtschaftssystemen« (NZZ 11.10.89) könne solange nicht aufgebrochen werden, wie das Konkurrenzprinzip nicht völlig akzeptiert sei. Ohne Zerschlagung des »vergesellschafteten Sektors«, der noch immer über 90% des BSP erwirtschafte, und der »Selbstverwaltung«, die wirksame Entlassungen verhindere, sei es un­möglich, daß strukturelle Reformen tatsächlich greifen, so der IWF (HB 16.10.89). Solche Positionen wurden seit Mitte der 80er Jahre immer wieder formuliert, doch nun rücken sie ins Zentrum der Krisendiskussion und werden auch vom ZK der KP Jugoslawiens übernommen, wobei nur der relativ isolierte Milosevic »querschlägt« (taz 19.10.89). Allerdings war auch sein als Alternative zum Belgrader Austerity-Kurs gedachter, an die nationalistische Mobilisierung anknüpfender Sanierungs-Coup, eine Volksanleihe zur » Wiedergeburt Serbiens«, ein »eklatanter Mißerfolg« (NZZ 17.11.89), weil sie nicht gekauft wurde.
Gegen Ende des Jahres werden die Forderung des IWF, endlich ein »realistisches Konzept« vorzulegen, immer dringlicher. Zur gleichen Zeit eskaliert der Konflikt zwischen slowenischer und serbischer Republikführung, die zum Boykott slowenischer Waren aufruft (taz 1.12.89); die kroatische Führung stellt sich auf die Seite der slowenischen ( taz 2.12.89).
Während Anfang Dezember in Belgrad neue Verhandlungen mit dem IWF beginnen (NZZ 9.12.89), stellt das serbische Regime den Reformkurs insgesamt infrage (NZZ 10.12.89).
Noch setzen die imperialistischen Agenturen auf die Belgrader Bundesregierung und ihre Durchsetzungskraft, obwohl schon offen diskutiert wird, ob überhaupt zwei verschiedene Wirtschaftssysteme - also konkurrierende Deregulierungsvorstellungen - in einem Staat (»Föderation«) existieren können.
Im Dezember `89 tritt ein mit dem IWF abgestimmtes »rigoroses Stabilisierungsprogramm« inkraft: bis Mitte `90 werden Löhne und (nicht alle) Preise eingefroren, der Dinar im Verhältnis 1:7 an die DM gekoppelt (NZZ 20.12.89). Dieses »Konvertibilitätspaket« gilt als Sachs-Programm - jener Jeffrey Sachs, der schon in Bolivien und Polen die brutalen Verarmungsprogramme entworfen hatte, war nun von der Markovic-Regierung als Berater engagiert worden und sollte als Promotor Jugoslawiens weltweit werben (NZZ 21.1.90). Die serbische Republikführung, die durch die dadurch ausgelöste Verarmungsdynamik am stärksten unter Druck geraten wäre, lehnte das Programm ab - die kroatischen, slowenischen und bosnischen Führungen unterstützen den Plan (FR 21.12.89).
So gilt schon Ende Februar das Programm als gefährdet, denn es fehlt der Bundesregierung, die sich inzwischen von der KPJ losgesagt hatte und deren Direktiven von nun an ignorieren will (FR 23.1.90/*FN 3), die Macht, die vom IWF geforderten Maßnahmen, wie Stillegung »unrentabler« Betriebe, in den Republiken durchzusetzen. Ein Schlaglicht auf die verwertungsmäßig völlig blockierte Situation wirft auch die Meldung, ausländische Kredite zur Entwicklung der Privatwirtschaft (u.a. von EG und Weltbank) würden bei den jugoslawischen Banken angehäuft, weil es keine »sinnvollen Projekte« gebe, in denen zu investieren lohne (NZZ 28.2.90).
Das Jahr 1990 ist gekennzeichnet durch weitere Zuspitzung der vorhandenen Widersprüche: die herrschende politische Klasse der beiden Westrepubliken treiben ihre Unabhängigkeit weiter voran (*FN 4), unterstützen aber das Markovic-Regime in der Umsetzung der IWF-Austeritypolitik; das serbische Regime stellt sich an die Spitze der Reformgegner, agitiert gegen Lohnraub und Verarmung (NZZ 9.9.90) und fordert nach wie vor eine »Föderation« mit starker Zentralregierung (Spiegel 9.7.90); die Bundesregierung ruft zu »Einheit und Geschlossenheit« auf, will mehr Macht zur Durchsetzung einer kapitalistisch ausgerichteten Marktwirtschaft und wird dabei von EG und USA unterstützt.

Bis zum Ende des Jahres spitzt sich die Spaltung Jugoslawiens in zwei Lager, »ein westlich-bürgerliches und ein östlich-sozialistisches« (NZZ 25.12.90) weiter zu; dabei geht es im Kern um die eskalierte Auseinandersetzung der den Verlust ihrer Macht und Privilegien fürchtenden herrschenden politischen Klassen um die effektivere Variante zur Steigerung der Produktivität und Akkumulation. Inzwischen hat der IWF die Auszahlung von vereinbarten Abschlagszahlungen gestoppt (NZZ 25.10.90), und noch immer verschulden sich die Betriebe weiter, um Konkursen auszuweichen (NZZ 25.10.90). Im Januar '91 durchkreuzt das serbische Regime bewußt die vereinbarten IWF-Auflagen, indem es die Notenpresse anschmeißt und damit auf Kosten höherer Inflationsraten staatliche Defizite ausgleicht. März/April `91 eskaliert die Krise »von der Erosion zur Explosion« (NZZ 10.3.91). IWF und Pariser Club verlangen ultimativ, die Bundesregierung solle endlich einen Mechanismus zur Durchsetzung der brutalen Reformmaßnahmen vorweisen, wozu Markovic nicht in der Lage ist (NZZ 6.3.91). Kurz zuvor hatte die serbische Regierung sogar eine Rückkehr zu realsozialistischen Wirtschaftspraktiken gefordert (NZZ 8.2.91). Die sozialpolitische Situation ist dramatisch: 1662 Betriebe mit 725.000 ArbeiterInnen stehen vor dem Konkurs, weiteren 6.000 mit über 2 Mio. ArbeiterInnen droht das gleiche Schicksal; hunderttausenden, v.a. in Serbien und Kroatien, wurden seit Monaten die Löhne nicht ausgezahlt; in allen Republiken gibt es Streiks, Mitte März in Belgrad eine Massendemonstration gegen die serbische Regierung; die Gesamtstaatskassen sind leer und die Teilrepubliken zahlen nicht mehr ein (NZZ 6.3.91). Das Staatspräsidium, höchstes Entscheidungsgremium auf Bundesebene, funktioniert nicht mehr, erst auf Druck der EG kommt es zu einem Treffen der Republikchefs (NZZ 19.3.91). Die jugoslawische Regierung braucht unbedingt Kredite von den internationalen Kapitalmärkten, sonst ist die Außenliquidität ge­fährdet (NZZ 29.3.91). Jeffrey Sachs wechselt von Belgrad nach Ljubljana, weil er die Einführung einer Marktwirtschaft für ganz Jugoslawien abgeschrieben hat, sie aber für Slowenien und Kroatien für möglich hält (NZZ 24.4.91). Wegen der unklaren politischen Lage storniert der IWF die Anfang `91 vereinbarten Kredite (SZ 1.6.91). Die serbische Führung versucht, Regierungschef Markovic zu stürzen, scheitert aber (HB 1.6.91).


... zum Krieg

Die Darstellung der Entwicklung bis Mitte '91 sollte deutlich machen, was gemeint ist, wenn aus imperialistischer Blickrichtung von »gesellschaftlicher Blockade« die Rede ist. Die Blockade war eine doppelte: die soziale Widerständigkeit verhindert alle Angriffe zur Anhebung der gesellschaftlichen Produktivität, und die herrschende politische Klasse ist aus den verschiedensten o.g. Gründen nicht in der Lage, sich auf koordinierte soziale Angrifflinien zu einigen. So zielten die EG/US Einflußnahmen in der Phase 90/91 zunächst noch auf eine Neuordnung der staatlichen Machtorganisierung, um die geplanten kapitalistischen Reformen überhaupt »effektiv« durchsetzen zu können.
Bis Juli '91, also bis zum Beginn der ersten militärischen Auseinandersetzungen in Slowenien, unterstützen USA und EG wie zuvor das Konzept der Zentralregierung in Belgrad und drängten die verschiedenen Republikführungen mit Kreditversprechungen bzw. der Ankündigung forcierter EG-Assoziierungsverhandlungen, sich auf dieses Konzept zu einigen und »nationalistische Alleingänge« zu unterlassen, womit sowohl die kroatischen und slowenischen Unabhängigkeitsbestrebungen wie die nationalistisch-sozialistische Politik der serbischen Führung gemeint waren. Letztere wurde v.a von den USA immer wieder als besonderer Störfaktor kritisiert (u.a. NZZ 22.6.91).(5)
Dieser Kurs begründet sich aus dem Interesse der internationalen Gläubiger an einer geregelten Schuldenrückzahlung und aus der Befürchtung, eine Revision der Grenzen Jugoslawiens könnte weitere unkalkulierbare Entwicklungen in anderen Teilen Osteuropas und besonders in der Ex-Sowjetunion nach sich ziehen. Wohl wurde über Neuordnungsszenarien diskutiert, aber noch war nicht abzusehen, wie ein solcher Neuordnungsprozeß in kontrollierten Bahnen zu vollziehen wäre (5a).
Bestärkt durch die offizielle Haltung von EG und US-Regierungen, wobei letztere sogar ihr Einverständnis zu einer begrenzten militärischen Aktion signalisiert hatte (FN 5b), reagierte die Markovic-Regierung mit der Entsendung von JNA- und Polizeieinheiten auf die slowenische Unabhängigkeitserklärung vom 26.5.91, um die Sezessionsbestrebungen zu beenden. Die Aktion sollte nicht den Charakter einer regelrechten militärischen Auseinandersetzung bekommen, weitete sich aber zu einer solchen aus, nachdem slowenische Territorialeinheiten das Feuer auf die praktisch unbewaffneten JNA-Soldaten eröffnet hatten. Im darauf folgenden sieben Tage währenden Waffengang unter Einsatz schwerer Waffen (mit Jagdflugzeugen und Panzern) erwies sich die JNA als zu desorganisiert, dem slowenischen Alleingang kurzfristig ein Ende zu setzen; die »Jugoslawische Volksarmee« - schließlich eine der größten Armeen Europas, traditionell ein nicht nur militärisch gewichtiger Faktor der jugoslawischen Gesellschaft und neben der Bundespolizei einzig verbliebene Machtstütze der Belgrader Zentralregierung - hatte »versagt«, »ihr Mythos als Garantie der Einheit Jugoslawiens ist in seinen Grundfesten erschüttert« (NZZ 9.7.91). (6)

EG/USA schwenkten in Anbetracht der unerwartet eklatanten Schwäche der bundesstaatlichen Institutionen, auf die sie bisher gesetzt hatten, sofort um: sie verlangten die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen, und mit dem unter EG-Leitung zustandegekommenen »Abkommen von Brioni« ist das alte Zentralstaatskonzept (»Föderation«) vom Tisch, und die Abtrennung Sloweniens schon fast besiegelt (7).
Durch die Konfrontation in Slowenien überdeckt, eskalierten in der Zwischenzeit weitere Entwicklungen. Wie das neue slowenische Regime hatte sich auch das kroatische schon seit längerer Zeit aus Beständen der JNA und auf den internationalen Märkten mit Waffen eingedeckt und mit dem Aufbau einer eigener Armee (»kroatische Nationalgarde«) begonnen - dafür kam der 4 Mia.$-Kredit (Zinssatz: o,7%!) des Vatikans an die kroatische Regierung sicher nicht ungelegen (taz 11.2.91). Seit März d.J. war es wiederholt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen kroatischen und serbischen Polizeieinheiten gekommen. Schon Mitte Juli `91 (!) werden erstmals Gespräche zwischen dem kroatischen Regierungschef Tudjman und Milosevic über eine Aufteilung Bosnien-Hercegowinas bekannt. (8)
Obwohl diese Entwicklungen allgemein bekannt waren, übte keine westliche Regierung nennenswerten Druck auf die Republikführungen aus, die sich anbahnende militärische Eskalation zu stoppen.
Das Scheitern der JNA in Slowenien verdeutlichte auf eindrucksvolle Weise die Schwäche der bisherigen jugoslawischen Regulationsmechanismen, die auch nicht imstande sein würden, die sozialen Konfliktualitäten, die sich ja gerade auch im JNA-Desaster ausgedrückt hatten, zu beherrschen - auch ein zentral gesteuerter Putsch durch die JNA »zur Rettung der Nation« schied nun endgültig als Möglichkeit aus.
Von nun an plädierten USA und EG-Mehrheit für eine »Konföderation« in Analogie zum EG-Modell, während die BRD-Regierung schon jetzt die Formel vom »Minderheitenschutz und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker« in die internationale Debatte einbringt. (NZZ 30.6.91)(9)


»Neuordnung Europas« und die Jugoslawien-Politik des BRD-Regimes

Ab dem Moment der Niederlage der letzten gesamtjugoslawischen Institutionen zielte die BRD-Regierung auf die Zerschlagung des jugoslawischen Staates und setzte die Loslösung der slowenischen und kroatischen Republik sowie deren projektierte EG-Anbindung gegen andere imperialistische Konzepte offensiv durch. Bei diesem Vorgehen konnte sie sich auf einen Konsens mit der Mehrheit der staatstragenden Opposition stützen.(FN 10) Schon vorher hatte das BRD-Außenministerium insbesondere die kroatische Regierung auf inoffiziellen Wegen dazu ermutigt, die Föderation zu verlassen und die Unabhängigkeit zu erklären (vgl. konkret 6/93). Letztlich gelang es der BRD-Führung Ende '91, andere EG-Regierungen mit politischen Tauschgeschäften im Zusammenhang mit den Maastrichter Verträgen auf BRD-Linie zu bringen. (11)
Die BRD-Politik der forcierten Installierung eines slowenischen und kroatischen Staates eskalierte die einzelnen bewaffneten Auseinandersetzungen in den überwiegend von der sog.«serbischen Minderheit« bewohnten Gebieten in Kroatien zu einem »low-intensity«-Krieg mit Bevölkerungvertreibungen und »ethnischen Säuberungen«. Mit der mehrfach ausgesprochenen Anerkennungsdrohung erhielt die kroatischen Führung den nötigen Rückhalt - auch gegen die Opposition in Kroatien -, den Krieg weiterzuführen und seinerseits zu eskalieren.(12), was wiederum dazu benutzt wurde, die Unabhängigkeit als einzige »Konfliktlösung« zu propagieren. Die Formulierung des damaligen BRD-Außenministers Genscher, mit jedem Schuß rücke die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens näher, bringt das zynische Kalkül treffend auf den Punkt.
Das »Recht auf Selbstbestimmung«, das in der öffentlichen Debatte immer wieder als Legitimationskonstrukt bemüht wurde, und das damit (meist völkisch begründete) Nationalstaatskonzept implizieren eine Logik, die unweigerlich zu einer Auseinandersetzung um Zugehörigkeit, aber auch Ausschluß von Teilen der Gesellschaft und zu konkurrierenden Ansprüchen auf Ressourcen führen muß - entlang willkürlich definierter ethnischer, nationalistischer, religiöser ... Kriterien, die jegliche sozialen Widersprüche in den Hintergrund drängen sollen. Und tatsächlich gelang es in Kroatien, in der Vorkriegszeit ein Schwerpunkt der Streik- und Protestbewegung gegen die Austeritypolitik, mit dem Krieg einen weitgehenden nationalen Konsens herzustellen, so daß soziale Forderungen hintangestellt wurden ( vgl. Süd-Ost-Dialog 3/92). Inzwischen ist in fast allen Betrieben durch Verstaatlichung als Zwischenschritt zur zukünftigen Privatisierung die »Arbeiterselbstverwaltung«, ein Ausdruck der jugoslawischen Akkumulationsblockade, ausgehebelt.
Mit der massiven Protegierung des Tudjman-Regimes und seiner nicht ohne Grund als »klerikal-faschistisch« bezeichneten politischen Sozialordnungskonzepte (13) kalkulierte die BRD-Politik eine Verschärfung der nationalistisch-ethnisch formierten Konfrontation auch in Bosnien-Herzgowina ein - selbst der damalige EG-Vermittler Carrington wies Ende '91 darauf hin, daß »mit der Anerkennung Kroatiens die Zündschnur des Krieges nach Bosnien gelegt werde«. (Zeit 11.12.92) Auch gab es von der BRD-Regierung zu den seit März '91 regelmäßig stattfindenden serbo-kroatischen Verhandlungen über die Aufteilung Bosnien-Hercegowinas nie ein Wort der Kritik an »ihrem Schützling«.
Parallel zur Erosion der sozialistischen Regimes und der sich nun vollziehenden »Öffnung der Räume« für den inwertsetzenden kapitalistischen Zugriff auf Osteuropa verlagerte sich die strategische Ausrichtung des BRD-Imperialismus dahin, nicht mehr bloß tonangebender Faktor innerhalb der EG, sondern auch »führend in der Neuordnung Osteuropas« zu werden.
Beginnend mit der »Ostpolitik« der SPD Anfang der 70er Jahre hatten sich BRD-Konzerne den mit Abstand größten Anteil an den Geschäften mit den sozialistischen Regimes gesichert. Seit Mitte der 80er Jahre ging es nun um den Ausbau politökonomischer Abhängigkeiten zur Organisation des Werttransfers aus der neuzuerschließenden Peripherie in die Zentren der Akkumulation. Um diesen Prozess zu gewährleisten, mußte das BRD-Regime - in geringerem Umfang auch im Rahmen von EG-Programmen - mit einem gigantischen »deficit spending« (staatliche Verschuldung für Neuinvestitionen etc.) und mit Privatbankkrediten Projekte zur Deregulierung und Neuzusammensetzung der osteuropäischen Ökonomien und für Elemente begrenzter sozialer Abfederung (z.B. in der Ex-DDR) finanzieren; allein die GUS-Regierungen wurden bis Anfang '92 mit ca. 72 Mia.DM kreditiert. Parallel wurde die Anbindung über EG-Handels- und Kooperationsverträge sowie Assoziierungsabkommen vorangetrieben.(FN 14) Das starke Engagement in Osteuropa setzt das BRD-Kapital unter Druck, alle Möglichkeiten der Beschleunigung des Transformationsprozesses zu sondieren und ggf. forcierend einzugreifen (z.B. der Versuch einer freien Produktionszone Kaliningrad, die Anerkennungsoffensive im Baltikum, die Separatverhandlungen mit dem Ukrainischen Regime, das Projekt Deutsche Wolgarepublik). Denn bis jetzt ist nicht erkennbar, daß es zu umfangreicheren BRD-Investitionen, außer z.T. in der Tschechischen Rpublik, gekommen wäre. Im Gegenteil wird über das langsame Tempo des »Reformprozesses« in Osteuropa lamentiert.
Ex-Jugoslawien hatte für das BRD-Kapital die Funktion eines Standorts »passiver Lohnveredelung«, d.h. Weiterverarbeitung in der »low-tech«-Produktion zu Niedriglöhnen, z.B. im Stahl-, Elektrogeräte- und Textilbereich. »Fast ein Drittel der im deutschen Auftrag im Ausland gefertigten Bekleidung - also Waren im Werte von 2,2 Mia. DM kam 1990 aus dem Balkanstaat.« (Wirtschaftswoche 9.8.91) 1988 gab es über 300 umfangreichere Joint-Venture-Abkommen mit BRD-Firmen (Razumovsky, 1991). Die jugoslawischen Gesamtexporte in die BRD betrugen 1990 7,3 Mia. DM, die Importe 8,3 DM. Der größeren Weltmarkteinbindung der Ökonomien Kroatiens und Sloweniens entsprechend war/ist auch die Bedeutung diser Region für das BRD-Kapital. Auch besteht der größte Anteil der jugoslawischen Auslandsverschuldung aus Krediten von BRD-Staat und -Banken.
Das Osteuropa-Projekt ist dem BRD-Kapital von solcher Wichtigkeit, daß im Sommer '93 darüber wesentliche Elemente der Maastrichter EG-Verträge gekippt wurden: trotz der hohen Staatsverschuldung, v.a. wegen der Ostkreditierung, hielt die Bundesbank die Zinsen für die DM hoch, um die internationalen Kapitalströme weiter zur Finanzierung neuer Investitionen in die BRD zu lenken; das Europäische Währungssystem (EWS), Vorstufe zum »Herzstück« der Einigungsverträge, der geplanten Währungsunion mit Einheitswährung, wurde zum Platzen gebracht, die »starke DM« aber wird Leitwährung bleiben, mit allen damit verbundenen finanzpolitischen Vorteilen gegenüber anderen westeuropäischen Ökonomien (ähnlich wie beim US-Dollar).
Wahrscheinlich war dies der erste Schritt zu einem schon seit geraumer Zeit diskutierten »Europa der zwei Geschwindigkeiten«: eine Gruppe von Staaten, die ihre Finanz- und Sozialpolitik schrittweise angleichen und evtl. eine »Kern-EWS« bilden (FN 15); abgekoppelt würden die südeuropäischen Staaten, deren Regime nicht in der Lage sind, dem sozialen Druck gegen Einkommenssenkungen und Produktivitätssteigerungen standzuhalten. »Im Klartext: Die Reicheren im Norden werden nicht haften für eine zu expansive Finanzpolitik und eine überzogene Lohnpolitik im Süden der EG. (...) De facto heißt das: auf mittlere Sicht keine Chance für Griechenland, Italien und Portugal, (...) und große Schwierigkeiten für Spanien und Belgien«, so der IHK-Vorsitzende H.P. Stihl. Zur Zukunft Osteuropas in seinem Szenario: »Polen, Ungarn und die frühere Tschechoslowakei sind der Gemeinschaft `assoziiert', also handelspolitisch eingebunden. Länder wie Estland, Lettland, Littauen und Slowenien werden folgen. (...) (Sie) sind auch als Produktionsstandorte interessant: sie liegen nah an der EG, die Türen in die EG sind dank der Assoziierungsabkommen weitgehend offen, die Arbeitnehmerschaft ist qualifizierungsfähig, Steuern und Löhne sind niedrig.« Für Europa insgesamt« (...) muß ein Nebeneinander unterschiedlicher Integrationstiefen - nach dem Muster `konzentrischer Kreise' - der Fortentwicklung der Gemeinschaft keineswegs abträglich sein.« (16)
Im Zentrum die BRD: »Unsere Zukunft als Industrieland ist der eines Systemkopfs, aber nicht die eines Herstellers von Profilstahl und Hemdennähers«, so Roland Berger, führender Unternehmensberater. Auf die Frage, welches Land er für eine lohnintensive Fertigung empfehlen wüde: »Für mich kommt derzeit die Tschechoslowakei in Frage, bei klaren politischen Verhältnissen auch Ungarn, Polen und das Baltikum. Die Löhne dort werden nicht so schnell steigen wie in den westlichen Niedriglohnländern Spanien, Portugal und Irland.« (17)
Was hier nur grob skizziert werden kann, zeichnet sich als Projekt des BRD-Imperialismus der 90er Jahre ab. Ex-Außenminister Genscher:«Jetzt geht es darum, eine neue Ordnung für ganz Europa zu schaffen.« (WamS 16.10.91) Diese »neue Ordnung« erinnert nicht von ungefähr an die seit den 20er Jahren entwickelten Planungen vom »Großraum«, die der NS mit seinen Eroberungs- und Vernichtungsfeldzügen umzusetzen trachtete. (18)
»Eine Reihe der klassischen Regulationsmechanismen im Großraum tauchen wieder auf: regionale Leitwährungen, gestaffelte Verwertungsintensität und gestaffelte Masseneinkommen (...) ; im Unterschied zu den 30er Jahren gibt es keinen New Deal, sondern eine Deregulation des Sozialstandards, so daß die regionalen Standorte dezentral um die soziale Rentabilität konkurrieren.« (Thesen zu EG '92, Redaktion Materialien Mai 1992)
Und ähnlich der NS-Strategie werden in Staaten, die keine homogene Gesllschaftsstruktur aufweisen, sondern regionale Arbeitsteilungen entwickelt haben, die Regionen herausgelöst und enger angebunden, die bestimmte Verwertungskriterien erfüllen: die baltischen Staaten aus der Ex-SU, Slowenien und Kroatien aus Ex-Jugoslawien.
Und die nächsten Schritte zur Organisierung des Werttransfers aus Slowenien folgten schon: sog. Kooperationsabkommen zur »Exporterleichterung« in die EG (NZZ 7.4.93) und EG-Umstrukturierungs-Förderprogramme (FR 12.8.92), eine engere EG-Assoziierung ist bereits angekündigt.
Vor diesem Hintergrund der Europa-Neuordnungspläne erklärt sich der »Alleingang« der BRD-Diplomatie innerhalb der EG in Bezug auf die Zerschlagung des jugoslawischen Staates: die Gunst der Stunde nutzend, forcierte das BRD-Regime die Lostrennung der beiden Nordrepubliken, um in diesem Teil Osteuropas (endlich) den kapitalistischen Umstrukturierungsprozess seiner sozialen Blockierungen zu entledigen - dabei wurde gezielt an die ethnisch-nationalistische Konfrontationsdynamik angeknüpft und diese zum Krieg gesteigert.
Erste Kriegsgewinne deuten sich an: unter der Überschrift »Siemens kauft Kroatien« wird in der Zeitschrift Süd-Ost-Dialog (12/92) berichtet, Siemens plane den Ankauf von kroatischen Staatsobligationen (=staatliche Schuldscheine) im Wert von 3 Mia.$ (!). Diese Obligationen kann der BRD-Konzern in großem Stil gegen profitable kroatische Anlagen eintauschen. Schon hat Siemens sein Auge auf den Energiesektor geworfen. Der kroatische Siemensdirektor im Interview: »Der Wert der Energie beträgt 45% des kroatischen Bruttosozialprodukts. Die Energie ist das Vis Vitalis Kroatiens. Hier wird sich Siemens sicher maximal engagieren.«


Imperialistische Moderation des Vernichtungs- und Vertreibungskrieges in Bosnien

Es fällt auf, daß im Unterschied zur Auseinandersetzung um die Zukunft des jugoslawischen Staates es in Bezug auf Bosnien-Hercegowina keine grundsätzlich differierenden imperialistischen Vorstellungen gab. Offenbar herrschte eine gewisse Übereinstimmung, nach der einmal erfolgten Durchsetzung der Ethnisierung des Sozialen im Krieg die »pluriethnische« bosnische Gesellschaft für ein Neuordnungsszenario im Balkanraum zu opfern, von dem perspektivisch stabile Verwertungsbedingungen zu erwarten sein würden. Dieses Szenario scheint keineswegs ein statisches zu sein, sondern aus bevölkerungs- und ordnungspolitischen Vorstellungen und den für uns so wenig sichtbaren Formen von Widerstand in der Verlaufsform des Krieges sich herauszubilden.
Der Krieg als Zerstörungs- und Neuordnungsinstrument allerdings sollte in modifizierten Bahnen verlaufen: die regionale Begrenzung und Steuerbarkeit mußte gewährleistet bleiben - die Befürchtung, ein Krieg in Ex-Jugoslawien könne sich unkontrolliert weiter ausbreiten, war zuvor ein Argument u.a. der US-Administration gegen die BRD-Eskalationspolitik gewesen. Zu diesem Zweck durfte ein gewisses Niveau an militärischen Mitteln nicht überschritten werden (wie z.B. Flächenbombardements der Luftwaffe oder größere Panzereinsätze). Maßgeblicher für den »low-intensity«-Charakter des Krieges ist jedoch, daß es sich nur sekundär um eine militärische Konfrontation konkurrierender Mächte handelt, sondern viel mehr um Terrorisierung, Vertreibung und Ermordung bestimmter Gruppen der Gesellschaft. (dazu Kapitel V) »Die sog. »ethnische Säuberung« ist nicht Folge, sondern Ziel deses Krieges.« (19)
Im folgenden einige der wesentlichen Elemente imperialistischer Steuerung des Krieges in Bosnien:
-Anerkennungspolitik gegen Bosnien
Nach den Wahlen in Bosnien-Hercegowina im November 1990, die die drei, nach ethnischen Kriterien gegründeten Parteien gewonnen hatten (19a), bildeten diese eine Koalition. Ein Viertel der Stimmen war auf Gruppen entfallen, die jedes ethnische Etikett verweigerten, und 20% der WählerInnen hatten sich enthalten. In der Folgezeit setzte eine Aufteilung aller von dieser Koalition eroberten Ämter und Positionen im Staatsapparat je nach ethnischen Mehrheiten in den jeweiligen Ortschaften bzw. Städten ein. »Dieses auf dem Kriterium der Ethnizität fußende Konzept bereitete der Zerstückelung des Landes und dem darauf folgenden Krieg den Weg.« (Dizdarevic , 20) Unter dem Einfluß des »serbo-kroatischen« Krieges setzten die nationalistischen Bewegungen ihre Formierung im Laufe des Jahres '91 weiter fort: Bildung von vier »autonomen serbischen Gebieten« gegen den Willen derjenigen, die sich nicht darunter subsummieren lassen wollten; v.a. hier Aufstellung paramilitärischer Formationen - laut der oppositionellen Belgrader Zeitung Vreme sind schon 250.000 Personen legal oder illegal mit Waffen ausgerüstet worden; Einmarsch von Einheiten der JNA (Jugoslawische Volksarmee), die zum großen Teil in mehrheitlich von »SerbInnen« bewohnten Ortschaften stationiert werden. (NZZ 3.10.91) Als Reaktion auf diese Tendenzen war aber auch eine breite Bewegung gegen Krieg und Nationalismus entstanden. »Zahlreiche Meinungsumfragen haben im Laufe der Jahre '90 und '91 eine deutliche Feinseligkeit gegenüber den neuen Machteliten zum Vorschein gebracht. Nach einer landesweiten Umfrage vom Mai 1990 waren 71% der Befragten gegenüber den 'Institutionen und Parteien, die nach nationalen Kriterien gegründet wurden'ablehnend eingestellt.« (Dizdarevic, ebd.) Gegen Jahresende '91 kommt es zu ersten Konfrontationen verschiedener Milizen. In dieser Zeit »wurde das Projekt der 'Kantonisierung'vorgestellt, und es folgt eine wahre »Kartomanie«, wobei sich jeder bemühte, eine 'gute'ethnische Unterteilung vorzuschlagen. Zum großen Entsetzen der Oppositionsparteien, der Friedensbewegung und der Bürger, Berufsverbände und Nichtregierungsorganisationen wurde dieser Gedanke von der Europäischen Gemeinschaft auf der Lissaboner Konferenz im Februar '92 aufgegriffen.« (Dizdarevic) Schon hatten sog. Experten errechnet, daß rund 2 Millionen Menschen umgesiedelt werden müßten, wenn »nur halbwegs national homogene Regionen« geschaffen würden. (taz 27.2.92)
Die nationalistisch aufgeladene Situation wird durch die EG-«Friedens«politik von zwei Seiten her verschärft: das (faschistische) bevölkerungspolitische Prinzip der nationalistischen Parteien, Siedlungsgebiete nach einer konstruierten ethnischen Zuordnung aufzuteilen, wird übernommen und zur Grundlage weiterer »Lösungen« und Verhandlungen gemacht - parallel wird die bosnische Regierung dazu gedrängt, die Anerkennung als Nationalstaat für Bosnien-Hercegowina anzustreben. Diese beiden von der EG-Diplomatie verfolgten (sich widersprechenden) Linien lieferte den Protagonisten militärischer Aufteilungspläne die Legitimation fürs Zuschlagen.
»Die Regierung Bosniens flehte denn auch darum, ihre Republik zunächst noch nicht völkerrechtlich aufzuwerten. Es half ihr nichts. Die EG verlangte ein Referendum über die Unabhängigkeit.« (Zeit 11.12.92) Es wird am 29.2./1.3.92 mit einem Ergebnis im Sinne der EG durchgeführt.( 21)
Obwohl die bosnische Regierung wegen der drohenden Konflikte verabredete, die Ausrufung der Unabhängigkeit aufzuschieben, ruft sie Präsident Izetbegovic am 3.3.92 dennoch aus. Der Alleingang Izetbegovics ist wohl damit zu erklären, daß er von dem damaligen US-Außenminister Baker zu diesem Schritt ermuntert worden war und dafür bestimmte Zusagen erhalten hat, die allerdings vom nachfolgenden US-Außenminister Eagleburger (Angehöriger der sog. »Belgrad-Connection« in Washington) nicht eingehalten wurden. (taz 21.6.93)
»Der Konflikt zwischen den beiden Bosnien, von denen sich das eine auf die zivile, multiethnische und laizistische Gesellschaft berief, das andere auf den Nationalismus, erreichte im März und Anfang April seinen Höhepunkt. Am 2. und 3.März (dem Tag der Unabhängigkeitserklärung) errichtete die Serbische Demokratische Partei (SDS). Barrikaden in Sarajewo, worin ihr bald ihre beiden `Partner' in der Koalition folgten. Tausenden von Demonstranten aller Nationalitäten gelang es, waffenlos die Straßen der Hauptstadt wieder freizuräumen. Im Laufe der folgenden Tage gingen zehntausend der Bürger in der ganzen Republik und vor dem Parlament auf die Straße, um ihre Verbundenheit mit der Integrität des Landes auszudrücken. Dieser letzte Ausdruck massiver Feindseligkeit gegenüber der Dreiparteien-Koalition, der Unterstützung des laizistischen Gedankens und einer friedlichen Lösung wurde von ‘vereinzelten Schützen' der SDP aufgelöst und von der internationalen Gemeinschaft ignoriert: der Krieg konnte beginnen.« (Dizdarevic) Am gleichen Tag schlagen Milizen der Parteien auch in anderen Regionen zu.
Im März '92 finden weitere Verhandlungen über die Aufteilung unter EG-Vermittlung statt, bei denen sich die Führungen der drei Parteien nicht einigen. Durch die Debatte über »Kantonsgrenzen« forciert, weiten sich die militärischen Aktionen aus. Am ersten Aprilwochenende kommt es in mehreren Städten und Regionen zu Kämpfen mit mehreren hundert Toten zwischen den rivalisierenden Gruppen (FR 7.4.92). Heckenschützen schießen in eine antimilitaristische Großdemonstration in Sarajewo. »Die Eskalation der Gewalt wird allgemein in Zusammenhang gebracht mit der möglichen Anerkennung Bosnien-Hercegowinas durch die Staaten der EG, deren Außenminister ausgerechnet am 6.April, dem Jahrestag des Angriffs Hitlers auf Jugoslawien im Jahre 1941, diese Frage erörtern.« (NZZ 7.4.92) Am 7.4.92 wird Bosnien-Hercegowina von EG - die BRD-Regierung hatte sich wieder besonders profiliert (FR 7.4.92) - und den USA als selbständiger Staat anerkannt. Die Auflösung Jugoslawiens war endgültig besiegelt. (NZZ 9.4.92) Kurz darauf gehen jugoslawisch/serbische Artillerie-Einheiten ungestört von internationalen Protesten in den Bergen um Sarajewo in Stellung. (FR 21.7.93)
Etwa zeitgleich, Anfang April '92, werden die ersten UNPROFOR-Soldaten in den drei »serbisch-kroatischen« Konfliktgebieten stationiert. Die dadurch freiwerdenden Truppenverbände der JNA und kroatische Verbände werden sukzessive nach Bosnien verlegt und unterstützen die dort kämpfenden Milizen.
Endgültig wird zur Gewissheit, daß die kroatischen und serbischen Machthaber nicht den Schutz nationaler Minderheiten bezwecken, wie sie behaupten, sondern einen »Eroberungsfeldzug« zur »Aufteilung und Einverleibung« Bosniens führen, worüber sie sich in seit März '91 stattfindenden »geheimen« Treffen abzustimmen versuchten (Borba, in Spiegel 20.4.92). Allerdings war man sich lange nicht über die Details einig geworden, um die es z.T. bis heute weitere militärische Auseinandersetzungen gibt. (u.a. ak 3.6.92)
Inzwischen sind etwa 1,3 Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht worden - das BRD-Regime will mit einer verschärften Visumspflicht verhindern, daß bosnische Flüchtlinge in die BRD kommen. (WAZ 21.5.92)


UNO-Einsatz und Embargopolitik

In der öffentlichen Debatte um kriegsbeendende Interventionen wurden regelmäßig Boykottmaßnahmen gefordert. Seit Juli '91 gibt es ein Waffenembargo gegen alle jugoslawischen Republiken. Dies ist insofern irrelevant, weil insbesondere in serbischen und bosnischen Republik genügend Vorräte an Waffen und Munition vorhanden sind - hier befanden sich 60% bzw. 40% der Rüstungsproduktion, des größten Industriesektors Ex-Jugoslawiens. (22)
»Bisher hat die EG bloß die Vergünstigungen aus Handelsabkommen mit dem alten Jugoslawien gestrichen.« (NZZ 17.5.92) Ein umfassendes Handelsembargo, anfangs gegen alle Republiken, später nur gegen »Restjugoslawien«(BRJ) am 31.5.92 von der UNO verhängt, wird von einzelnen Nachbarstaaten »durchbrochen«. Es wird aber v.a. dadurch konterkariert, daß das von den Sanktionen nicht betroffene Bosnien schon bald zu 50% von serbischen Militär und Milizen kontrolliert wird. Dieser Importweg über die besetzten Gebiete liegt somit in deren Hand. In Anbetracht der zunehmend schlechter werdenden Versorgungslage und den rasant steigenden Preisen in Serbien werden sie diese Umstände sicher nutzen, ihre Kriegskassen aufzufüllen. Diese Form des von imperialistischen Gremien verordneten Embargos scheint den kriegführenden Parteien wohl wenig zu schaden, sondern z.T. sogar zu nutzen.Getroffen wird v.a. die Bevölkerung Serbiens, die in ihren Existenzgrundlagen angegriffen wird. Auch werden oppositionelle Bewegungen eher geschwächt, denn das Regime kann Ausnahmezustände und Notmaßnahmen mit dem Hinweis auf das Embargo begründen, außerdem fehlen ihnen dadurch Materialien, die zur politischen Arbeit nötig sind, der Regierung aber nach wie zur Verfügung stehen. (s.Süd-Ost-Dialog, 8/92)
Weitergehende Sanktionen werden später noch auf UNO-Ebene erwogen, aber nicht beschlossen. (NZZ 18.4.93) (23)
Die Stationierung von UNO-Truppen verlief in zwei Etappen. Gemäß dem Anfang '92 ausgehandelten »Friedensplan« für den »serbo-kroatischen« Krieg mit dem allerdings nicht alle Verteilungskonkurrenzen geklärt wurden, etablierte die UNO im April 14.000 Soldaten in sog. Schutzzonen. Doch die vorgesehene Entmilitarisierung und Entwaffnung »illegaler« Einheiten findet kaum statt; die Praxis der »ethnischen Säuberungen« wird in den »Schutzzonen« unter den Augen der UNPROFOR fortgeführt, wie die UNO-Truppen heißen, weiterhin fortgeführt; von geflohenen Familien verlassene Häuser werden geplündert; UNO-Soldaten bessern ihr Gehalt durch Waffen- und Munitionsverkäufe an Milizen auf; in einer internen Bilanz sieht die UNPROFOR den »Friedensplan« und das Konzept der »Schutzzonen« als gescheitert an. Dennoch wird ihr Mandat verlängert. (Zeit 16.4.93)
Im Mai '93 werden 1.500 , im November nochmal 5.500 UNO-Soldaten nach Bosnien entsandt. Ihr Auftrag besteht darin, den Flughafen von Sarajewo und die Auslieferung »humanitärer Hilfsgüter« abzusichern. Doch ob die Hilfslieferungen ankommen, hängt vom Willen der die Straßen kontrollierenden Milizen ab. (Zeit 16.4.93) Anfang Juni werden im Rahmen des »Bosnien-Plans« von EG und USA acht bosnische Städte zu UN-Schutzzonen erklärt, die von der UNPROFOR gesichert werden sollen.
Das von der UNO verhängte Flugverbot über Bosnien (vom 9.10.92) ist praktisch gegenstandslos, weil die belagerten Städte und Ortschaften zur Vertreibung der BewohnerInnen v.a. mit Bodenwaffen beschossen werden.
Um die Kampfhandlungen ganz zu beenden, so haben Friedensforscher errechnet, müßten 100.000 »Blauhelme« eingesetzt werden. (taz 11.5.93) Daß das nicht passiert, liegt nicht etwa an mangelnden Mitteln der »Weltorganisation« (24). Sondern der Zweck des UNO-Beteiligung besteht allein in der Legitimierung der interventionistischen Moderation zur regionalen Eingrenzung und dosierten Weiterführung der Kampfhandlungen, in der Kontrolle und Steuerung des »unkrontrollierten« low-intensity- und Bandenkriegs.


Die Verhandlungspolitik

Nach dem sog. Vance-Owen-Plan, am 4.1.93 erstmals vorgestellt, soll Bosnien in zehn Provinzen aufgeteilt werden. »Diese Teilung entspricht sicherlich eher der Wirklichkeit und der regionalen Tradition Bosnien-Hercegowinas, doch ist die vom Plan vorgesehene brutale Zerstückelung `ein Kompromiß zwischen einer rein ethnischen Teilung und einer Anerkennung territorialer Gewinne`«, die durch Vertreibungen und Massaker erzielt wurden. Der Plan sieht außerdem eine ständige Beteiligung und damit Kontrolle von EG- und UNO-Vertretern bei allen zukünftigen Schritten staatlicher Konstituierung und u.a. wichtiger Verkehrswege (!) vor. »Doch ist der größte Schwachpunkt des Plans, daß er das politische Leben auf zentraler wie auf regionaler Ebene auf die ethnischen Kräfte verengt. (...) Nur die drei Parteien werden das Recht haben, ihre Vertreter (...) in der Zentralregierung zu bestimmen« (alle Zitate Dizdarevic). Von den zehn Provinzen werden je drei den drei nationalistischen Parteien zugesprochen, Sarajewo wird gesondert aufgeteilt. Nachdem der Plan veröffentlicht wird, setzen sofort verstärkte »ethnische Säuberungen« ein, um die im Plan vorgeschlagenen Provinzgrenzen zu verschieben (Zeit 25.6.93). So haben z.B. kroatische Milizen begonnen, »Moslems« aus den ihnen zugedachten Provinzen zu vertreiben. (FR 21.7.93)
Bei unzähligen Verhandlungsrunden um den Plan kommt eine Einigung nicht zustande, die militärischen Einheiten nutzen den jeweiligen Zeitgewinn für weitere Vertreibungs- und Eroberungsaktionen.
Schließlich wird der Vance-Owen-Plan als gescheitert verworfen und Ende Mai '93 ein neuer US/EG-Plan präsentiert: die bisherigen Annexionen werden offiziell anerkannt, und die Gebiete, in denen »islamische« bzw. sich einer ethnischen Einordnung verweigernde Menschen leben sollen, werden auf Ghetto-Zonen in zwei räumlich getrennten Regionen Zentral- und Nordbosniens reduziert: »Schutzzonen als Reservate für Bosniens Muslime« (NZZ 25.5.93). Ein solcher zweigeteilter Staat wäre vollständig von ausländischer Hilfe abhängig. (Zeit 25.6.93)
»Den einheitlichen bosnischen Staat selbst haben die EG-Anerkennungspolitik und, auf ihr fußend, der Vance-Owen-Plan aber zur Fiktion gemacht, ehe das umfassende Erobern, Morden, Vergewaltigen und `Säubern'noch begann. Sie haben das Prinzip der territorialen Aufteilung auf ethnischer Basis als Grundlage allen Handelns und Unterlassens akzeptiert« (FR 2.5.93) - allerdings nicht nur akzeptiert, sondern ganz offensichtlich so gewollt.
Von nun an wird von seiten der US-und EG-Unterhändler massiver Druck auf den Vertreter der moslemischen Partei, Izetbegovic, ausgeübt, den Plan zu unterschreiben. (FN 25)
Unterdessen gehen die Kämpfe weiter, denn auch jetzt ist es wieder so, daß »für die drei Kriegsparteien die zentrale Frage ist, wer wie viele Teile von Bosnien-Hercegowina abbekommt. Und darüber wird im Prinzip nach dem aktuellen Frontverlauf entschieden. Folgerichtig versuchen alle Parteien, sich auf dem Schlachtfeld noch Verhandlungsmasse zu erobern.« (SZ 2.8.93)


Schluß

Bis jetzt, Anfang August '93, deutet alles darauf hin, daß die mit dem Krieg in Ex-Jugoslawien verbundenen Zielsetzungen sich realisieren. Nicht obwohl, sondern weil dieser Krieg so internationalisiert worden ist, wie wohl kaum ein anderer: UNO-Sanktionen, EG-Verhandlungen, Jugoslawien-Konferenzen, Interventionsdrohungen ... täuschten eine Vielzahl von Aktivitäten vor, dem Krieg ein Ende zu bereiten, und verlängerten ihn doch nur. Zu viele Interessen verbanden sich mit seiner Fortführung, und: auf der Seite der Machthabenden konnte es bei diesem »Krieg gegen die Bevölkerung« keine Verlierer geben - die isolierte muslimischen Partei ausgenommen. Hinter der bosnisch/muslimischen bzw. sich einer Ethnisierung verweigernden Bevölkerung stand keine Regional- oder Weltmacht - so konnte sie mit einem Krieg überzogen werden, der auf die Eliminierung einer nach kapitalistischen Verwertungskriterien definierten »Über(fluß)bevölkerung« zielt.
Die Internationalisierung schaffte die Legitimation für diesen Rationalisierungskrieg, in dem die Zonierungs- und Verwertungsinteressen des Imperialismus selbst umgesetzt werden. Sie stärkte zudem die autoritären Regimes in Kroatien und Serbien (FN 5b), die wahrscheinlich nichts so sehr fürcht(et)en, wie einen Stillstand der militärischen Konfrontation, und die jetzt als ebenbürtige Regionalmächte den Ausgangspunkt für eine (durchaus mit dem Mittel des Kriegs geführte) Neuordnung des Balkanraums fungieren werden.
Auf dem Hintergrund nationalistischer Formierung und kriegsbedingten Ausnahmezustandes konnten einige der sozialen und institutionellen Implikationen, die die »gesellschaftliche Blockade« Jugoslawiens ausgemacht hatten, ausgehebelt werden. Zu unterschätzen aber ist nicht die sozialpsychologische Dimension eines solchen Krieges mit seinen massenhaft begangenen und z.T. unvorstellbaren Grausamkeiten: die Zerstörung eines kollektiven Verständnisses von Gesellschaftlichkeit, in der es u.a. als Aufgabe der staatlichen Institutionen angesehen wird, für eine gesicherte Existenz aller zu sorgen. Mit der plötzlich hereinbrechenden und totalen Zerrüttung von Alltagswelten und Bezugssystemen sollen als selbstverständlich geltende soziale Rechte und Ansprüche auch im Bewußtsein in eine entfernt liegende Vergangenheit gebannt werden.
Mittlerweile wird für alle ex-sozialistischen Gesellschaften klagend konstatiert, daß die psychosozialen Voraussetzungen der Subjekte für eine Wendung des Deregulationsprozesses in eine neue, kapitalistisch transformierte Produktivität nur äußerst ungenügend vorhanden seien; denn allein die Umwidmung ehemals staatlicher Verfügungsgewalt über Produktionsmittel in eine private, die formale Einführung des Konkurrenzprinzips etc. reicht nicht. Um neue Formen gesellschaftlicher Rationalität nicht nur äußerlich durchzusetzen, müssen soziale Einstellungen und Wertvorstellungen ebenso »umstrukturiert« werden. Die »Produktivität des Krieges« entlang ethnisch-nationalistisch konstruierter Konfrontationslinien, wie in Jugoslawien vor unseren Augen planmäßig von den herrschenden politischen Klassen in Kooperation mit imperialistischen Vermittlungsagenturen und einem Großteil der Männer vollzogen, wird insofern zu einer Rationalisierungsvariante auch für andere Regionen Osteuropas.
Umsomehr sind wir gezwungen, jenseits der manipulierten Medienrealität die tatsächlichen antagonistischen Prozesse herauszufinden, um uns nicht ob der »Unübersichtlichkeiten« resignierend abzuwenden. Eine auch antiimperialistisch sich begreifende Politik müßte am Widerstand der Frauen, Flüchtlinge, Deserteure anknüpfen und sich um Verbindungen zu widerständigen Organisierungsformen bemühen, aber auch den sich neu formierenden BRD-Imperialismus jenseits eines »Nie wieder Deutschlands«-Mythos' zum Gegenstand der analytischen wie praktischen Auseinandersetzung machen.



1: So gibt es zur US-Balkan-Politik die verschiedensten Spekulationen: das US-Regime strebe einen starken Einfluß in der Großregion an, die dem ehemligen Osmanischen Reich einschließlich der südlichen Balkanländer entspricht - im Mittelpunkt die Türkei als aufstrebende Regionalmacht und als Brückenkopf zur Schwarzmeerregion (...). (WOZ 4.9.92) Bei Stärkung Serbiens durch die US-Diplomatie ginge es darum, den Einfluß der BRD in Südost-Europa einzudämmem (taz 4.1.93). Insbesondere aus französischen Regierungskreisen wurden die BRD-Vorstöße als neue Großmachtambitionen scharf kritisiert.
1a: »Im Kontext sich entwickelnder regionaler Interessen kann der Krieg auf dem Balkan zu einem entscheidenden politischen Instrumentarium werden. Ein Hinweis darauf kam kürzlich von Lawrence Eagleburger, dem amtierenden US-Außenminister, einem Diplomaten, der mehr als viele andere vom früheren Jugoslawien versteht. Er erwartet, daß begrenzte Kriege in der einen oder anderen Form langfristig den Charakter der Politik auf dem Balkan prägen.« WOZ,4.9.92; Siehe dazu auch »Folgeszenarien der jugoslawischen Auflösungskriege« in: Blätter f. dt.u. internat.Politik 8/93, S.982 ff.
1b: Trotz »sozialistischer Propaganda«, wegen derer z.B. die Zeitschrift konkret Sympathien für das serbische Regime entwickelte ging es auch dem serbischen Regime um die »Hauptaufgabe der Beseitigung ideologischer Zweifel« (NZZ 28.4.87), auch »Milosevic ist Befürworter durchgreifender marktwirtschaftlicher Reformen« (WiWo 28.10.88); eine serbische Kommission arbeitete Vorschläge zur Umsetzung von Marktwirtschaft und Demokratie im Rahmen einer Föderation aus (NZZ 24.8.89).
2: Auf serbischem Gebiet lebt anteilsmäßig nach dem Kosovo die meiste Landbevölkerung, gefolgt von der Vojvodina. Hier sind auch 60% des militärisch-industriellen Komplexes angesiedelt. Entsprechend der innerjugoslawischen Arbeitsteilung werden in den »östlichen« Republiken eher industrielle und agrarische Grund- und Rohstoffe produziert, während in Slowenien und z.T. Kroatien sich die Schwerkpunkte der für den EG- und Weltmarkt weiterverarbeitenden Industrien befinden. Von der Sozialstruktur her gibt es also in den »östlichen« Republiken eine größere unmittelbare Abhängigkeit vom Staatsapparat: Regulierung der Ankaufpreise für Agrarprodukte, Aufträge für Waffensysteme und Bezahlung von Pensionen, subventionierter Erhalt von Schlüsselindustrien aus nationalem und nicht ökonomischen Interesse. Dieses Phänomen finden wir auch in Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Albanien wieder - auch hier wurden von vergleichsweise bäuerlich geprägten Gesellschaften mehrheitlich ehemalige kommunistische Parteien gewählt. Die Renationalisierung stellt den problemlosen Übergang kollektivistischer Ideologien dar: vom Klasseninteresse zum nationalen Interesse usw., deren Grundlage die nationalstaatlich organisierte Wirtschaft ausmacht.
3: Anfang Februar `90 steigen die slowenischen Kommunisten aus der KPJ aus (NZZ 8.2.90), gleichzeitig wird die nationalisti­sche Bewegung für Unabhängigkeit in Slowenien und Kroatien immer stärker (taz 6.2.90).
4: bei den Wahlen in Kroatien und Slowenien gewinnen nationalistisch ausgerichtete Parteien, im März `90 beschließt das slow. Parlament Unabhängigkeit in ökonomischen und finanziellen Fragen (taz 10.3.90), am 2.7.90 erklärt es seine staatliche Souveränität (NZZ 5.7.90).
5: Anfang Juni`91 stellt die EG-Kommission einen Kredit über
ca. 1 Mia.$ und ein Assoziierungsabkommen in Aussicht; allerdings nur, wenn sich die Republikführungen »auf den Fortbestand Jugoslawiens einigen« und die »Demokratisierung« sprich: kapitalistische Transformation weiter voran­treiben (taz 1.6.91). US-Außenminister Baker kommt am 21.6.91 nach Jugoslawien. Er besteht ebenfalls auf Einheit und lockt mit einem 50 Mio.$-Kredit, dessen »Gewährung« weitere Kreditzustimmungen der US-Regierung z.B.im IWF zur Folge hätten. Außerdem werde die US-Regierung Kroatien und Slowenien auf keinen Fall anerkennen (HB 22.6.91). Baker soll sogar signalisiert haben, eine begrenzte militärische Intervention zu akzeptieren.
5a: So kursierten in imperialistischen Kreisen schon längere Zeit Überlegungen wie diese: Integrität UND »Reformen« ließen sich in Jugoslawien nicht gleichzeitig »fördern«, denn »eine Umorientierung Rich­tung Marktwirtschaft« sei v.a. in Serbien nicht in Sicht »und auch von der dortigen Opposition in ihrer derzeitigen Verfassung« nicht zu erwarten - eine »Wirtschaftsunion unterschiedlicher Systeme« könne aber keine »Lösung« sein; Kroatien und Slowenien dagegen planten schon, zusammen mit Bosnien-Herzegowina und Mazedonien einen sog. Clearing-Raum zu bilden, »um die bestehenden Handelsbeziehungen zu festigen«; auf diese »Vierergruppe« entfielen denn auch ca. 60% der Auslandsschulden, und nur Slowenien und Kroatien seien als »zahlungsfähige Schuldner« anzusehen, die auch die »Altlasten Mazedoniens und Bosniens« decken könnten und bereit dazu seien. »Diese Gruppe zusammenzuhalten wäre ein lohnenswerteres Ziel als das Streben nach einem von oben `geeinten' jugoslawischen Wirtschaftsraum einschließlich der kommunistisch regierten Landesteile (Serbien und Montenegro).« (alle Zitate NZZ 31.5.91)
5b: vgl. Predag Simic: Bürgerkrieg in Jugoslawien: Vom lokalen Konflikt zur europischen Krise , in: Südosteuropa Mitteilungen Nr. 1/93
6: Die Bundesregierung hatte 2000 Soldaten ohne Schießbefehl und scharfe Munition sowie unbewaffnete Polizisten in Bewegung gesetzt, um die slowenischen Grenzübergänge wieder in Bundesgewalt zu bringen. Die slowenischen Territorialstreitkräfte leisten jedoch überraschend heftigen bewaffneten Widerstand, was zur offenen Intervention der JNA führt, die jetzt Panzer und Luftwaffe einsetzt. Doch »die Aktion war schlecht geplant, die Kommunikation klappte nicht, 780 Soldaten desertierten, 1700 wurden gefangengenommen, davon 179 Offiziere« (NZZ 3.7.91).
7: In dem unter EG-Leitung zustandegekommenen »Abkommen von Brioni« vom 7./8.7.91 wird die staatliche Souverä­nität der slowenischen Republik faktisch bestätigt, wenn auch nicht ihre Sezession; »ein Sieg für Slowenien« (taz-Kommentar 9.7.91).
8: »Enthüllung« des kroatischen Präsidentenberaters Nobilo Mitte Juli '91 in der Londoner »Times«. Der kroatische Oppositionspolitiker Cicak berichtet in einem Spiegel-Interview, daß die ersten Absprachen schon im März stattgefunden haben und daß dabei die Absetzung Markovics und die Teilung Bosniens besprochen worden sei. Auf die Frage, wie konkret die Vereinbarungen waren :«Es existierte eine detaillierte Karte darüber.Gleichzeitig wurde eine Geheimkommission formiert. Den Kroaten wurde gleich beim ersten Treffen mitgeteilt, daß Serbien im Besitz eines NATO-Papiers sei, in welchem die Vertreibung der Moslems als wünschenswert angesehen werde, man also keine internationalen Hindernisse zu erwarten habe.« (Spiegel 28.6.93)
9: Ähnlich wie in der ehemaligen SU, wo sich ein westlicher Suchprozess zwischen Zentralität, Konföderation und Unabhängigkeit bewegte und wo das Notstandsregime vom August '91 anfänglich als »südkoreanische Entwicklungsvariante« akzeptiert wurde. Erst die Schwäche des Regimes ließ die europäische politische Klasse umschwenken.
10: Im Oktober '91 drängen die SPD-Politiker Voigt und Gansel nach einem Aufenthalt in Ex-Jugoslawien zur raschen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens und setzen diese Haltung schließlich auch in der SPD-Fraktion durch. Voigt und Gansel gehören mit Gernot Erler und Günther Verheugen auch zu den SPD-Politikern, die im Sommer und Herbst '91 regelmäßig mit Außenminister Genscher die Jugoslawienpolitik erörtern. Am 14.11.91 fordert der Bundestag in einer Resolution mit großer Mehrheit und den Stimmen großer Teile von SPD und Bündnis 90/Grüne die Bundesregierung zur Anerkennung Kroatiens und Sloweniens auf.
FN 11: Die britische Regierung soll als »Gegenleistung« die Zustimmung für ihren Austritt aus der in den Verträgen vorgesehenen »Sozialcharta« und die vier »armen« Staaten Spanien, Portugal, Griechenland und Irland Finanzierungen für den EG-internen Ausgleichsfonds erhalten haben. (taz 6.4.93)
Von Juli '91 bis zur Anerkennung durch die BRD Ende Dezember '91 wiederholte die Bundesregierung ständig ihre Forderungen, wenngleich sie immer auch beteuerte, sich an ein gemeinsames Vorgehen im EG-Zusammenhang zu halten. Gleichzeitig gab es mehrfach offizielle Kontakte zur slowenischen und kroatischen Führung, bei denen ihnen Unterstützung zugesagt wurde. Über den BND wurden Waffenlieferungen zum Aufbau der Territorialeinheiten zu Armeeverbänden organisiert. (vgl. »Frieden«, Heft 9-10, 1991)
12: So warf z.B. die niederländische Regierung Mitte September '91 der kroatische Führung vor, »die Gewalt zu eskalieren«; die deutsche Diplomatie sei mit ihrer Anerkennungsdrohung für die neuen Gewaltausbrüche verantwortlich (FR 16.9.91). Mitte November '91 konstatierte der kroatische Botschafter in Bonn, ohne die Hilfe der BRD »hätten wir bis jetzt gar nicht standhalten können« (FR 18.11.91). Im November '91 gewährte die Bonner Regierung Kroatien einen Kredit über 10 Mio. DM, wobei die symbolische Bedeutung zu diesem Zeitpunkt wichtiger war als die Höhe des Betrags. (FR 26.11.91) Am 16.11.91 stellt ein NZZ-Kommentator fest, die BRD-Regierung »konterkariere die EG-Friedensgespräche« durch ihre Anerkennungsvorstöße. Auf dem EG-Gipfel Anfang November '91 kündigt Kohl an, den slowenischen und kroatischen Ministerpräsidenten nach Bonn einzuladen, um über zusätzliche Hilfsmaßnahmen zu sprechen; Genscher plädiert noch mal für Anerkennung; unmittelbar nach dem Gipfel werden wieder heftige Kämpfe in Jugoslawien geführt. (NZZ 10.11.91) Mit den beiden Ministerpräsidenten wird in Bonn Anfang Dezember '91 das Prozedere des Anerkennungsverfahrens geklärt und, die BRD-Regierung kündigt ihre Unterstützung für zukünftige EG-Assoziierungsverhandlungen an. Eine deutsch-slowenische Wirtschaftskommision wird geplant. (NZZ 5.12.91) Außerdem sollen beide Republiken von den von der EG beschlossenen Sanktionen gegen Jugoslawien ausgenommen werden. (NZZ 77.12.91) Obwohl die von BRD-Staatsrechtlern ausgearbeitete Verfassung Kroatiens nicht die von der EG festgelegten Anerkennungskriterien in Frage der Minderheitenrechte erfüllt, werden Kroatien und Slowenien am 19.12.91 von der BRD (es folgt der Vatikan) anerkannt.
13: Ein symbolischer Ausdruck dafür ist die geplante Einführung einer neuen Währungseinheit in Kroatien: der »Kuna«. Dieser hatte bereits unter der faschistischen Regierung 1941-45 gegolten. (WAZ 12.8.93) S. dazu auch das neueingeführte reaktionär-sexistische Familienprogramm (s. Kap.4)
14:So am 16.12.91 mit Polen, Ungarn und der CFSR - der BRD-Anteil an den EG-Importen und- Exporten mit diesen Ökonomien beträgt 50% bzw. 60%.
15: Vgl. dazu: Jürgen von Hagen: Verwirklichung der Europäischen Währungsunion, in: Politik und Zeitgeschichte, 9.7.93
16: Hans Peter Stihl, »Chance Europa Die europäische Einigung aus der Sicht der deutschen Wirtschaft« in Politik und Zeitgeschichte 1.1.93
17: Interview mit Roland Berger im Spiegel 18/92
18: Vgl. Autonomie Nr.14, S.217 ff, Berlin '87 und »Die Intervention der BRD in den jugoslawischen Bürgerkrieg«, GNN-Verlag 1992
19a: Serbische Demokratische Allianz (SDS) mit Vorsitzendem Karadciz und Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) mit Vorsitzendem Boban - beide arbeiten eng mit den Regierungsparteien in Serbien bzw. Kroatien zusammen und werden von ihnen unterstützt. Aber auch die nationalistische »muslimische« Vereinigung für demokratische Aktion (SDA), die ebenso wie die anderen Parteien für einen eigenen (muslimischen) Staat eintrat (taz 23.11.90), und ihr Vorsitzender Izetbegovic haben auch als Regierungspartei nicht aufgehört, als muslimische Partei zu agieren und in Verhandlungen nur die Interessen ihrer Anhängerschaft zu vertreten. »Hätte Izetbegovic wirklich Bosnien, wie er vorgab, als Staat aller seiner BewohnerInnen erhalten wollen, hätte er sich für eine andere Regierungskoalition mit nicht-nationalistischen politischen Parteien stark machen müssen.« (WOZ 2.4.93)
19: T.Mazowiecki, Beauftragter der UNO, in seinem Bericht über die Lage der Menschenrechte in Ex-Jugoslawien. Dieser Bericht wurde lange Zeit nicht in vollem Umfang veröffentlicht. (Zeit 11.12.92)
20: Svebor Dizdarevic:«In der Geiselhaft der Milizen - Eine bosnische Kritik des Vance-Owen-Plans« in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/93 S.553 ff
21: Die Wahlbeteiligung lag bei 63%, die »serbische« Bevölkerung boykottierte die Abstimmung ; 99,4% der abgegeben Stimmen sind für Unabhängigkeit.
22: »Der Krieg in Bosnien-Hercegowina ist relativ autark führbar. Zum einen befanden sich hier etwa 40% der rüstungsindustriellen Kapazitäten Jugoslawiens. Trotz Beschädigung oder Zerstörung von Rüstungsproduktionsanlagen können sich die Kriegsparteien aus eigenen Fabriken 'bedienen'. Hinzu kommt, daß die Kriegsführung relativ wenig treibstoffintensiv ist. Der Kampf wird überwiegend mit leichten, infanteristischen Waffen geführt. Außer der schweren Artillerie, die überwiegend von den Serben in Bosnien eingesetzt wird, beobachten wir eine relative Abwesenheit von militärischem Großgerät (Kampfpanzer).« aus: Kommentierte Chronik des Jugoslawien-Konflikts, Forschungsinstitut für Friedenspolitik e.V. (vgl. Anhang)
23: Der Anfang '93 als EG-Ratspräsident amtierende Ministerpräsident Dänemarks zählt in einem Spiegel-Interview auf, welche zwingenderen Embargomöglichkeiten angewandt werden könnten: Ausschluß aus allen internationalen Organisationen, Abbruch der diplomatischen Beziehungen, völliges Handelsembargo, Unterbrechung aller Kommunikationswege,Telefon, Telefax, Straßen, die Kosten für die Nachbarstaaten müßten »alle« übernehmen. Laut Pressebeichten wurde mit Rücksicht auf die Interessen der russischen Führung in ihrer innenpolitischen Auseiandersetzung mit Reformgegnern auf weitergehende Sanktionen gegen die BRJ verzichtet.
24: Auch an der banalen Tatsache, daß die UNO trotz ihres angeblichen Bedeutungszuwachses als »neutralere« weltweite »Krisenbewältigungsinstitution« ständig in Finanznöten ist und z.B. die US-Regierung ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt, zeigt sich ihre Funktion als relativ machtloses Durchsetzungsinstrument imperialistischer Interessen (Sie hat »kürzlich damit gedroht, sie müsse Bankrott anmelden, weil ihr allein die USA 480 Mio.$, die armen Drittländer weitere 500 Mio.$ Schulden. (Spiegel 2.12.91))
25: Die spektakuläre Androhung der Nato Anfang August, u.U. serbische Stellungen zu bombardieren, bezog sich allein auf die Blockierung von Hilfslieferungen, nicht aber auf Belagerungen und Vertreibungen. Außerdem sollte Izetbegovic, der aus Protest gegen den »Schutzzonenplan« den Verhandlungen ferngeblieben war, wieder an den Tisch gezwungen werden, denn sonst kämen militärische Interventionen zugunsten seiner Partei überhaupt nicht in Betracht. (FAZ 11.8.93)

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