| 
 Flucht und Asyl, Nr. 7, Oktober 1997 
Wie unbegründet darf ein begründeter Verdacht sein?
Wie schnell man  in  Abschiebehaft geraten kann
B. kam am 08.07.97 in Abschiebehaft (Vorbereitungshaft) und wurde am 18.08.97 aus der Abschiebehaft (Sicherungshaft) wieder entlassen. Wie er reingekommen   ist   und wie er wieder herausgekommen   ist, ist   so eigentümlich, daß ich darüber hier berichten möchte. Ein Happy-End  wird   es für B. aber wie in vielen anderen Fällen trotzdem nicht geben, weil mit einem weiteren Abschiebungsversuch zu rechnen ist. 
Zuvor noch ein Appell: lassen Sie sich durch juristische Logik und Fachchinesisch nicht abschrecken. Einem Ausländer wird das auch zugemutet. Sie haben das Privileg, die wichtigsten Begriffe erläutert zu finden. 
B.  ist  am 08.07. vom zuständigen Amtsgericht zu 3 Monaten Vorbereitungshaft verurteilt worden. Die Begründung des Gerichts: Nachdem das Asylverfahren von B. rechtskräftig abgeschlossen war
| 
Übersetzung des juristischen Fachchinesisch 
Abschiebehaft:  Haft zur Sicherung der Abschiebung, d.h. keine Strafe, verhängt in Form von  Vorbereitungshaft oder Sicherungshaft 
Vorbereitungshaft -  Voraussetzungen (§ 57,1 AuslG): über die Ausweisung kann noch nicht entschieden werden, und die Abschiebung würde ohne Haft wesentlich erschwert oder vereitelt werden. Dauer max. 6 Wochen. 
Sicherungshaft -  Voraussetzungen (§ 57,2 AuslG): Es besteht der begründete Verdacht, daß sich der Ausländer der Abschiebung   entziehen will.   Dauer max. 18 Monate. 
Ziel:  Ausweisung (§  45 ff AuslG): Ein bestehendes Aufenthaltsrecht soll aufgehoben werden. Wenn kein Aufenthaltsrecht besteht, ist eine Ausweisungsverfügung eigentlich überflüssig. 
Abschiebung:  Sicherung und Überwachung der Ausreise durch Polizei bzw. Bundesgrenzschutz
  |   
und weil die Behörde seine Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr verlängert hat, wird er des Vergehens   eines   unerlaubten Aufenthalts dringend verdächtigt und soll deshalb ausgewiesen werden. Nur,   wie   soll er ohne Geld und ohne seinen bei der Ausländerbehörde liegenden Paß ausreisen? Dieser Vorwurf ist daher absurd, denn genauso könnte man von ihm verlangen, er solle sich in Luft auflösen. Daneben ist es dem Gericht entgangen, daß eine Vorbereitungshaft gem. §57 Abs. 1 AuslG nur für maximal 6 Wochen angeordnet werden darf. 
In Strafverfahren bekommen Angeklagte eine Klageschrift in ihrer Muttersprache; B. bekommt - wie in Sachsen üblich - weder vor noch während noch nach der gerichtlichen Anhörung den Haftantrag. Allein unter  diesem Gesichtspunkt sind  Zweifel angebracht,  ob  bei Abschiebehaftverfahren Grundsätze eines fairen Gerichtsverfahrens gelten. 
Eine eingelegte Beschwerde führte am 23.07.97 zu einer Anhörung vor dem zuständigen Landgericht. Da   die Gründe   für   eine   Vorbereitungshaft nicht vorlagen, erklärte der Richter, daß er sie in eine Sicherungshaft umwandeln will, mit der Begründung,   es   liege ein begründeter Verdacht vor, daß sich B. einer Abschiebung entziehen will. Die Ausländerbehörde habe zwei Abschiebungsversuche   unternommen, die daran   gescheitert seien, daß B. zu den jeweiligen Zeitpunkten nicht in seiner Ausländerunterkunft gewesen sei. Auf Befragen erklärte die Ausländerbehörde, daß B. von den Terminen vorher nicht informiert worden sei. Daß B's Abwesenheit Zufall gewesen sei, wurde vom Richter als Grund nicht akzeptiert, weil B.   ja   am Eingang hätte sagen können, wohin er geht. Jedoch gibt es keine Vorschrift, die besagt, daß ein Ausländer in einer Unterkunft sagen muß, wohin   er   geht und wann   er   wiederkommt, denn   eine Ausländerunterkunft   ist   kein Internierungslager, und natürlich darf ein Ausländer z.B. auch einmal eine Nacht bei   einer   Freundin verbringen. Ob B. nicht doch regelma8ig in der Ausländerunterkunft gewesen sei,   ist   vom Richter nicht geprüft worden. Es bleibt   bei mir der   Eindruck, daß hier recht locker mit  einer Prüfung über eine Freiheitsentziehung umgegangen worden ist.   Oft legen Gerichte großen Wert auf Formalitäten: hier wurde jedoch der formal falsche und unbegründete Antrag der Ausländerbehörde, von der man einen korrekten Antrag eigentlich erwarten dürfte, vom Richter   in einen m.E. zweifelhaften Beschluß umgewandelt. Nachdem der Richter von der Ausländerbehörde erfahren hatte, daß die Abschiebung für den 15.08. vorgesehen sei, verkürzte er die Haftdauer bis zum 18.08.. 
B.  stellte  im Juli einen neuen Asylantrag, über den das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer FIüchtlinge zu entscheiden hat. Eine Abschiebung  ist  gemäß Gesetzgebung erst dann zulässig, wenn dieser Antrag abgelehnt ist. Das Bundesamt ließ sich  Zeit,  und am 15.08. erfuhr ich, daß sich B. auf dem Flughafen befand und nach Algerien abgeschoben werden sollte. Nach einem Telefonat mit der Ausländerbehörde und deren Rücksprache mit dem  Bundesamt wurde der Abschiebungsversuch abgebrochen.   Es ist   an   dieser   Stelle müßig, darüber zu spekulieren, welche Behörde für   diese   unnötige Aufregung  verantwortlich war. 
Am 18.08.  traf der veränderte  Haftbeschluß des Landgerichts ein. B. wurde  wegen  Fristablauf aus  der  Haft entlassen. Durch das  späte  Eintreffen  des  Beschlusses  und da sich die Hauptsache ja erledigt hat,  ist  eine Beschwerde und damit eine Prüfung beim Oberlandesgericht nicht mehr möglich. Der Beschluß enthält nicht einmal mehr eine ansonsten übliche Rechtsmittelbelehrung. 
Sicherlich läuft so  viel wie hier selten schief. Dieses  Beispiel bestätigt aber  trotzdem meinen  Eindruck nach nunmehr zweijähriger regelmäßiger Betreuung von Abschiebegefangenen, daß   zu   oft, zu   schnell,   zu lange und unter unzumutbaren Bedingungen   Abschiebehaft   verhängt wird.
Peter Rauschenberg
  |