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== Nachbereitungsreader zum 4. Antirassistischen Grenzcamp im Rhein-Main-Gebiet ==
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27.07.-05.08.2001 FFM

Flüchtlingsinitiative Brandenburg zum Camp 01

Zahllose Verschärfungen bedrohen Asylsuchende und andere MigrantInnengruppen in Deutschland. Unsere Flüchtlingsinitiative, im Land Brandenburg, entwickelte daraufhin neue Handlungsansätze, um sich den bevorstehenden Angriffen entgegenzustellen.

Eine unserer Strategien besteht darin, überall, in jedem möglichen Forum, aktive Präsenz zu zeigen, wenn es um die Anliegen von Flüchtlingen geht.

Unsere Initiative beabsichtigte auch, mehr über die deutschen Gruppen zu erfahren, die die Rechte von Flüchtlingen verteidigt hatten bzw. dies bis heute tun. Wir beteiligen uns deshalb nicht an Massendemonstrationen, ohne die jeweiligen Organisatoren zu kennen, ihre Motive und ihren politischen Hintergrund.

Denn es ist kein Geheimnis, daß gewisse Leute andere als Sprungbrett benutzen, um ihre Ziele zu erreichen. Einige dieser Leute sind gar mit der offiziellen Politik verwoben, sie biedern sich dieser an und versuchen dabei, die Eigenständigkeit von aufkommenden Bewegungen und deren potentielle Stärke zu unterhöhlen. Anderen geht es allein um ihre Karriere.

Genau aus diesen Gründen stellen sie die Politik anderer Gruppen bloß, spielen deren Bedeutung herunter oder drücken sie letztlich ins Abseits. Die Brandenburger Flüchtlingsinitiative ist überzeugt, daß durch diese Situation viele Flüchtlings- und MigrantInnengruppen sowie andere Bewegungen völlig an den Rand gedrängt und zersetzt wurden. Die Brandenburger Organisation glaubt, daß diese Krise nur durch eine aktive Beteiligung der Flüchtlinge selbst zu überwinden ist, so daß soviele Asylsuchende wie möglich die Vielschichtigkeit ihrer Probleme mit Gleichgesinnten diskutieren können, und nicht allein durch passive Beteiligung derart, daß Asylsuchende zum Demonstrieren aufgefordert werden, ohne genau zu wissen, warum und mit wem sie auf der Straße demonstrieren.

Letzteres beurteilt die Flüchtlingsinitiative Brandenburg als Methode, den minderwertigen Status der Flüchtlinge festzuschreiben. Flüchtlinge, die bereits mental, emotional und physisch zerrüttet wurden durch die deutsche Regierung. Diegleiche Regierung, die erfolgreich die Gesellschaft dazu gebracht hat, den Mythos der Minderwertigkeit von Flüchtlingen weiterzuentwickeln und diese allein aus der Perspektive armer Wirtschaftsflüchtlinge zu sehen, die um ihr Überleben ringen.

In fröhlicher Stimmung saßen Flüchtlinge von Brandenburg im vergangenen Juli im Zug Richtung Frankfurt, auf dem Weg zum Grenzcamp. Wir dachten, daß wir Leute treffen würden, die ähnlich denken wie wir, die sich für uns einsetzen und die bereit sind, mit uns die bestehenden Probleme zu diskutieren und mögliche Lösungen in angemessener Weise anzupacken.

Unglücklicherweise kam die Situation anders als wir dachten. Die Flüchtlinge trafen auf einen gesellschaftlichen Querschnitt wie in der normalen deutschen Gesellschaft. Sie kamen mit einigen sehr netten Leuten zusammen, aber auch mit welchen, die sich von Flüchtlingen abgrenzten. Es war verwunderlich, daß manche Deutsche zwar einerseits die Probleme von Flüchtlingen anerkennen aber andererseits die Flüchtlinge auf dem Camp nicht respektieren oder ernst nehmen. Dies erneuerte und verbreiterte die Kluft zwischen Flüchtlingen und Deutschen. In dem Bereich des Camps z.B., wo gegessen wurde, brach jede Kommunikation zusammen. Flüchtlinge saßen isoliert auf ihren Bänken, die Deutschen fand man auf der anderen Seite. Vor diesem Hintergrund meinte Tita Denis: "Wir sind zu einem der wichtigsten Projekte der Linken in Deutschland gekommen und waren dennoch ausgegrenzt. Wie können wir mit Leuten in einem Treffen sitzen, mit ihnen diskutieren und wenige Minuten später gehen sie an einem vorbei als wenn sie einen nie gesehen hätten, wie in einer U-Bahn in Berlin." Die Flüchtlinge fanden sich isoliert. Nur wenige Leute brachten ihnen Aufmerksamkeit entgegen.

Diese Vorfälle in Frankfurt brachten die Flüchtlinge zu der Einschätzung, daß der größte Teil der deutschen Linken Rassismus und Ausgrenzung in Deutschland bagatellisiert und nicht wirklich ernst nimmt.

Ein weiterer schockierender Zwischenfall war die Existenz einer Grenze im Grenzcamp. Einige Damen hatten ihre Zelte in einem Teil des Camps aufgebaut und verweigerten allen Männern den Durchgang. Sie zogen ein weiß-rotes Absperrband, das gewöhnlich von Verkehrspolizei benutzt wird, über ca. 100 Meter, umkreisten damit ihren Bereich und hängten später ein Plakat auf, daß Männern untersagte, weiterzugehen. Tijan von The Voice Africa Forum fragte: "Wie kann hier eine Grenze sein, wo wir doch genau gegen alle Formen von Grenzen kämpfen? Oder ist das nur ein theoretischer Kampf?"

Er wollte die Absperrung überschreiten, aber er wurde von einigen Frauen angeschrien. Er stellte später fest: "Es besteht ein Gesetz der Aufenthaltsbeschränkung im Grenzcamp." Es sollte noch erwähnt werden, daß diese Beschränkung sich nicht allein gegen Flüchtlingsmänner richtete sondern auch gegen deutsche.

Dies alles widersprach eindeutig dem Slogan: "No borders, no nation, stop deportation". Es könnte behauptet werden, das Frankfurter Camp war ein Erfolg, weil zum ersten Mal Flüchtlinge in größerer Zahl von Anfang bis Ende teilgenommen haben.

Die Flüchtlinge machten die OrganisatorInnen auf die Schwächen aufmerksam und konnten immense Öffentlichkeit auf ihre Probleme lenken.

Die Vorbereitungsgruppe des Grenzcamps ist im Begriff, die dargestellten Zuspitzungen und Fehler des vergangenen Sommers aufzuarbeiten. Die meisten der an der Organisation Beteiligten haben die Tatsache akzeptiert, daß eine eigenartige Atmosphäre auf dem Camp existierte, weil Flüchtlinge zum ersten Mal von Anfang an dabei waren.

Der Wunsch der Brandenburger Flüchtlingsinitiative besteht darin, daß wir jetzt nicht getrennt weiter machen sollten. Es hat einen besonderen Wert, an einer integrierten Gesellschaft zu arbeiten. Unsere Kritik sollte nicht dazu dienen, das Grenzcamp in Frage zu stellen, sondern es zu verbessern und weiterzuentwickeln. Denn dem Grenzcamp kommt eine wichtige Rolle in der Gesellschaft zu.

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27.07.-05.08.2001 FFM