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Bochum: Ganz Bochum steht zusammen – aber gegen wen?

Standort: Vor Tor 1

Während in anderen Opel-Werken die Produktion weiter lief, hatte sich die Bochumer Belegschaft zu einem mutigen Schritt entschieden. Die Arbeit wurde spontan niedergelegt, auch wenn kein regulärer Streik ausgerufen werden konnte. Das Ziel der Proteste: Es darf zu keinen Kündigungen kommen. Mit diesen Reaktion hatte die offizielle Politik nicht gerechnet. Ministerpräsident Peer Steinbrück sprach sich explizit gegen einen Arbeitskampf in Bochum aus. Bundeswirtschaftsminister Clement, der zuvor den ArbeiterInnen seine Unterstützung zugesagt hatte, appelliert jetzt an die Bochumer Belegschaft, besonnen zu reagieren und nicht „zusätzliche Unsicherheit zu schaffen“. Der Opel-Mutterkonzern redet von einem „illegalen Streik“ und droht mit der Vollschließung des Bochumer Werkes. Selbst die Gewerkschaften hielten sich mit der offenen Unterstützung der Proteste zunächst auffallend zurück. Die Bochumer Opel-ArbeiterInnen setzen indes ihr einziges Druckmittel ein: Jeder Tag, der ohne Produktion in Bochum vergeht, kostet den Konzern 30 Millionen Euro. Und noch wichtiger: Weil Bochum Komponenten für die Opel-Produktion in Polen, England, und Belgien zuliefert, können die Werke auch dort lahm gelegt werden, wenn Lieferungen ausbleiben. Das könnte auf die Dauer teurer werden als Zugeständnisse an die Belegschaft, so die nicht unberechtigte Hoffnung.

Solidarität

Solidaritätserklärungen von Bochumer Institutionen gibt es inzwischen erfreulich viele: SchülerInnen der Goetheschule sammeln Unterschriften gegen die Massenentlassungen und erzählen in den Medien, was es für sie bedeutet, wenn ihre Eltern die Jobs verlieren. Die evangelischen und katholischen Kirchen erklären gemeinsam ihre „Bestürzung und Empörung“, und selbst der VfL Bochum lief bei dem Heimspiel gegen Rostock mit einem Soliaritätstransparent auf. Während der Stadionsprecher die Unterstützung für die Belegschaft verkündete, blieb die Aufschrift des Banners, das am Abend in fast jeder Nachrichtensendung zu sehen war, zweideutig: „Opel gehört zu Bochum wie der VfL“ – ob die Solidarität dem Protest der ArbeiterInnen oder einer deutschen Automarke galt, wurde nicht klar.

Feindbild Amerika

Auf der Straße scheint die Identifikation mit der Traditionsmarke genauso ungebrochen. „Opel ist Bochum“ verkündet eine junge Frau mit zwei Einkaufstüten, die sich eine Schließung des Werkes „nicht vorstellen“ kann. Wer an der Misere schuld ist, das wissen viele PassantInnen auch: „Der Ami macht mit uns was er will“, „den amerikanischen Bossen geht es nur um den Profit“, oder „da sind wir machtlos, da entscheiden nur noch die Amerikaner“. Auch vor den Toren der Opel-Werke sind ähnliche Töne zu hören. Ein Arbeiter schlägt gegenüber einem Journalisten der Berliner Morgenpost sogar den Boykott amerikanischer Produkte vor. In der Tat bietet sich das populistische Feindbild Amerika an. Schließlich lenkt mit diesem Argument auch die deutsche Politik von ihrer eigenen Verantwortung für die soziale Katastrophe ab: Denn sie hat entschieden, dass die Rationalisierungsopfer bei Opel dank Hartz IV noch nicht einmal mehr Arbeitslosenhilfe beziehen werden. Und Ressentiments gegen angeblich typisch amerikanische „Turbo-Kapitalisten“ nutzen in erster Linie denen, die ihre eigene Politik mit „nationalen Interessen“ begründen. Bestes Beispiel für diese Entwicklung ist Wolfgang Clement, dessen Popularität zuletzt auf Grund der Sozialabbaupläne deutlich abgenommen hatte: Indem er jetzt feststellt, es gelte „die Marke Opel nach vorn zu bringen mit dem Standort Deutschland und zwar uneingeschränkt“, kann er Teile seines Images als besorgter Ex-Landesvater wieder zurück gewinnen.

Keine Standortfrage

Es bleibt zu hoffen, dass die Bochumer Opel-Beschäftigten ihren Kampf mit der gleichen Entschlossenheit fortsetzen, ohne sich von jenen vereinnahmen zu lassen, denen es weniger um soziale Gerechtigkeit und ein Auskommen für alle geht als um die Stärkung des abstrakten „Standortes Deutschland“. Denn von dem profitieren in erster Linie die Finanzmärkte sowie jene, die sich als nationale Führer generieren. Ein erster Schritt war der europaweite Aktionstag am vergangenen Dienstag. Um den omnipräsenten Antiamerikanismus zu brechen, wären Gespräche mit den amerikanischen Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen eine nächste wichtige Maßnahme.

Text abgedruckt in der bsz - bochumer stadt- und studierendenzeitung 639 (20.10.04)

 

20.10.2004
nadir-aktuell-redaktion (ruhrgebiet)    [Schwerpunkt: GM under pressure]  Zurück zur Übersicht

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