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Diskussionsbeitrag: Agenturschluss - aber subito!

Agenturschluss - aber subito!

von Zweieinhalb Überflüssige - 23.07.2004 10:51

Für den 3. Januar 2005 ist bundesweit der Agenturschluss für alle Ämter der Bundesagentur für Arbeit geplant
»So läuft das hier nicht! – Agenturschluß – aber subito!«
Wir wissen zwar auch nicht weiter, aber wir wissen ganz genau, dass ihr so nicht weiter machen sollt...
Eine richtig tolle Aktionsidee mit mal wieder reichlich komplizierten Begründungs- und Perspektivelementen»

Wenn alles klappt – und in diesem Land klappt bekanntlich immer ziemlich viel – dann treten am 1. Januar des neuen Jahres die Hartz-Gesetze in Kraft. Egal ob man das nun für einen realen oder inszenierten Eingriff in die uns gut bekannten Strukturen der Sozialverfassung dieses Landes halten mag, dieses Datum ist für uns Anlass nachfolgend etwas zu tun, was den bisherigen massenhaften Anti-Sozialkahlschlagsprotesten ungeheuer schwer gefallen ist: politisch zu argumentieren. Dabei sind wir selbst mit einer Situation konfrontiert, in der wir mehr oder weniger mit einer alltäglichen sozialen Praxis des individuellen Aneignungsverhaltens, der beständigen Tricksereien und des allgemeinen Herumlavierens mit dem zwischenzeitlich permanent gewordenen Prekaritätsregime gut vertraut sind. Gewieft wie wir uns immer mal wieder vorkommen, werden wir alles das selbstredend auch nach der Einführung von Hartz Vier, Fünf usw. weiter fortsetzen. Und wenn es uns auch aufgrund eines ansteigenden Repressiondruckes nicht mehr in ausreichenden Maße gelingen wird, etwas Reichere als uns selbst zu beklauen, so glauben wir doch, das wir das Moment einer permanenten Aneignungskampagne sicher gegen unsere eigenen Bekannten werden fortführen können, zumal hier das Repressionsrisiko wahrlich immer erheblich geringer ist, als in einem normalen deutschen Kaufhaus. Wo sich alles ändert, gibt es nicht den geringsten Grund anzunehmen, das sich die Parole : »Beklaut die Reichen!« schnell in die Praxis des »Beklaut euch selbst!« nicht auch in der Linken umdrehen lassen kann. Und doch beschleicht uns mittlerweile das untergründige Gefühl das unsere soziale mehr oder minder prekäre Lebenspraxis keine angemessene Antwort mehr auf den nun drohenden sozialpolitischen Angriff darstellt. Ob es wohl sein kann, das durch Hartz Vier auch für ziemlich viele von uns die schöne Zeit des trickreichen Herumjonglierens im bundesdeutschen Sozialstaat an ein Ende zu kommen droht? Oder direkter formuliert: Zu Hartz Vier fällt uns gerade kein Trick mehr ein! Wenn das so ist oder sein sollte, dann steht jetzt verschärft an, darüber nachzudenken, was politisch zu denken, und dann wohlmöglich zu tun ist.
Auf der jüngst in Dortmund von Antirassisten und linken Gewerkschaftern veranstalteten Konferenz »Die Kosten
rebellieren«, die – mehr oder weniger gelungen – um eine Vorstellung und einen Begriff von »sozialer Prekarität« zirkulierte, wurde der Vorschlag eingebracht, gegen die ab dem 1. Januar 2005 geplante Einführung der Hartz-Gesetze eine Art »Bundesarbeitslosenvollversammlung« zu initiieren, d.h.: Überall im ganzen Bundesgebiet gehen an einem einzigen Tag Erwerbslose mit vielen anderen (also solchen, die es mal waren oder sicherlich mal werden) auf ein lokales Arbeitsamt und »besetzten« es. Ziel: An dem von uns bestimmten Werktag soll auf möglichst allen Arbeitsämtern in der Bundesrepublik kein regulärer Betrieb stattfinden. Als konkreter Termin wurde Montag, der 3. Januar 2005 fokussiert.

Phantasien und Widersprüche
Dieser Vorschlag löste eine ganze Reihe von Phantasien und weiteren Vorschlägen aus: Verwirrung existierte beispielsweise über den »richtigen Zeitpunkt« einer derartigen Aktion. Es wurde der Einwand formuliert, dass wenn man die Einführung von Hartz wirklich verhindern wolle, dann doch gerade die Zeit bis zum 1. Januar dafür nutzen müsste »Remmidemmi« zu machen. Eine andere Frage kreiste um das Problem, wen man mit einer derartigen Aktion überhaupt erreichen will, oder anders herum und durchaus spitz gemeint formuliert: Werden dann tatsächlich die etwa zwei Millionen von ziemlichen drastischen Geldeinbußen betroffenen Arbeitslosen bloß deshalb an diesem Tag zum Arbeitsamt gehen, weil das auch noch von irgendwem aus (hahaha) »politischen Gründen« vorgeschlagen wird? Wieder andere fragten, ob wir nicht mit einer solchen Aktion die Hilfeempfänger bei ihrer prekären Sicherung stören würden. Darüber hinaus stand die Frage im Raum, ob und mit wem, bzw. welchen Bündnispartnern man glaubt eine derartige Aktion überhaupt durchführen zu können. Und schließlich war einigen nicht klar, welche Perspektive das haben könnte, warum man also lediglich einen Tag auf das Arbeitsamt gehen soll, um danach – natürlich, was auch sonst? – wieder von dort weg zu gehen. Lange Rede, kurzer Sinn: Grundsätzlich wurde aber dieser Aktionsvorschlag – mit wenigen Ausnahmen – von niemanden in Frage gestellt. Da er sofort einige Phantasien auslöste, ist es nicht ausgeschlossen, das daraus etwas werden könnte. Die Aktion übt bereits jetzt schon Zugzwang und eine Eigendynamik auf andere linke Kreise aus. Auf der Dortmunder Konferenz wurde deshalb für den Samstag, den 14. August ein Arbeitstreffen im autonomen Zentrum in Wuppertal vereinbart, das für eine derartige Aktion einen Aufruf beschließen soll. (weitere Informationen zu einer Kampagne des heißen Herbstes auf:  http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/herbst2004.html) Zugleich entstand die Frage, wen man noch für die Aktion gewinnen könnte, ohne sich mit der Entscheidung von anderen Kräften und ihren politischen Zielen und Aktionsgrenzen abhängig zumachen.
Im nachfolgenden Text geht es nicht darum, einen Aufruf zu der anvisierten Aktion zu formulieren. Der sollte ohnehin
klar, knapp, mehr als einfach verständlich und übersichtlich formuliert und gestaltet sein. Ein Projekt also für ein
ganzes Arbeitstreffen. Stattdessen wollen wir hier ein paar reichlich unbequeme Fragen, zentrale und grundlegende
Widersprüche und in einem kollektiven Sinne ohnehin fast völlig ungeklärte Perspektivüberlegungen aufwerfen, die wir
mit dieser Aktion nach dem derzeitigen Stand unserer wahrlich bescheidenen Kenntnisse in Verbindung bringen. Was ist und wird wohl die politische Repräsentation einer derartigen Aktion sein, wie wird es denn um ihre Bündnisfähigkeit bestellt sein, und überhaupt: Ist im Vorfeld überhaupt ein politischer Mobilisierungs- und Aufklärungsprozess vorstellbar, in dem in einer Art Schneeballsystem erheblich mehr Leute als die »üblichen Verdächtigen« eine derartige die Aktion zu ihrer wirklichen Sache machen?
Selbstredend können und sollen unsere Überlegungen keine Vollständigkeit oder Ausschließlichkeit beanspruchen,
aber niemand soll bitte an unserer Bereitschaft zweifeln uns und andere ultimativ aufzufordern, spätestens dann aus
den Löchern hervor zu kriechen, wenn mit der Einführung von Hartz Nr X eine neue und ziemlich gruselige Etappe
der Sozialrepression gegen die Überflüssigen, gegen die hier lebende Reservearmee eingleitet werden wird. Positiv
formuliert: Wir beanspruchen mit unseren nachfolgenden Überlegungen nicht weniger, als der A.3.1.5-Aktion ein
Versprechen und ein Gesicht zu geben.

Die Hartz-Gesetze, kein Ende, die politische Elite und der uns als »ganz normal« verkaufte Wahnsinn
Die Hartz-Gesetze, die bis Januar 2005 realisiert werden sollen sind nicht der Schlusspunkt in einer Entwicklung in
der wir alle mächtig mobilisiert werden sollen. Und zwar ohne Sicherheit, Gesundheit, mit miesen Löhnen, Angst,
Armut, ohne Ansprüche und ohne Gesellschaftlichkeit sollen wir auf die Piste geschickt werden, um zu ergattern, was im Konkurrenzkampf noch zu kriegen ist. Und dabei werden wir irgendwo in die Reservearmee gestopft, um gegen das Tarifsystem und andere Errungenschaften in Stellung gebracht zu werden. Dabei sind die Hartz-Gesetze, die zurecht als tiefster sozialpolitischer Einschnitt in der Geschichte der BRD seit 1949 beschrieben werden, in einer kaum glaublichen Einmütigkeit von der politischen Elite beschlossen worden : Ein SPD-Sonderparteitag hat ihnen mit 90 Prozent zugestimmt, was dann noch vom Bundestag mit 98 Prozent getoppt worden ist. Sowohl in der Ergebnis als auch in der Form – am Schluß jeweils großer und lang anhaltender Beifall - dürften diese Beschlüsse in diesen Foren politischer Willensbildung sicher an das herangereicht haben, was früher mit ähnlich demokratisch herbeigeführten Abstimmungsergebnissen auf SED-Parteitagen üblich gewesen ist. Doch trotz dieser großen Einmütigkeit existiert eine überraschende Nervosität in der politischen Elite: Schröder hat mehr als einmal beschworen, das sich im Zusammenhang mit Hartz endlich »die Mentalitäten in diesem Land ändern« müssten. Unklar erscheint derzeit auch , ob der Termin d.h. der 1. Januar 2005 von der Verwaltung gehalten werden kann. Der Chef der Bundesagentur sagt, das das mit ihren Ressourcen nicht klappen kann, Wirtschaftsminister Clement sagt diesem öffentlich mehr oder weniger verblümt: »Halt die Fresse, wir ziehen das einfach durch!«
Eigentümlich und mindestens mit einem doppelt unterschiedlichen Sinn versehen, ist auch der von markanten Vertretern der politischen Elite zwischenzeitlich inflationär gebrauchte Begriff des »Mutes«. Die »Mut«-Adressierung von Oben ist zutiefst bedrohlich. Wir finden die Anrufung sowohl in dem von dem Gewerkschaftsfunktionär, d.h. dem IG Metall- Arbeitsdirektor Hartz publizierten Buch »Job-Wunder« aus dem Jahre 2001 als auch in der Antrittsrede des zwar als IWF-Exekutors in Argentinien wohlbekannten hier aber nahezu unbekannten jüngst ins Amt gewählten, Bundespräsidenten.Hartz adressiert mit diesem Begriff zentral die Ethik des unternehmerischen Selbst, »dass es keinen Erfolg ohne Risiko gibt und geben soll«. Mit anderen Worten: Fast wie Soldaten werden die Leute aufgerufen, doch bitte kein Feigling zu sein und sich gegen jegliche rationalen Kalküle selbst zu mobilisieren und zukunftsoptimistisch zu sein. Das unterscheidet sich meilenweit von den Ressentiment geladenen Ausfällen eines Kohls oder Schröders im Sinne von »Kein Recht auf Faulheit!« Zugleich erfahren wir in der von großem Applaus aller Parteien im Bundestag begleiteten Rede des neuen Bundespräsidenten, der zugleich als ein ausgefuchster Experte negativer Globalisierung nach unten gelten kann, die wesentliche Message: »Deutschland muss sich bewegen!« und, dass die Eliten jetzt »Mut!« brauchen, um das durchzuziehen. Mut markiert hier die Wende zu einem neuen Aggressionsschub, mit dem die politische Elite dieses Landes gegen die Errungenschaften sozialdemokratischer Politik und ihrer Praxis des Anspruches nach allgemeiner Gerechtigkeit und ungefährer gesellschaftlicher Gleichheit in Stellung gebracht werden soll. Damit entwickelt sich unter den noch obwaltenden Umständen in der Politik von Oben ein Szenario in der alles weitere aktuell nicht mehr planbar ist und sein soll. Diese Figur der Blindheit tauchte auch im Juni in einem von einer WDR-Journalistin in den Tagesthemen gesprochenen Kommentar wieder auf. Zu den Hartz-Gesetzen meinte sie, zu ihnen gebe es selbstredend keine Alternative weswegen auch gelte: O-Ton: »Augen zu und durch!« So ganz geheuer scheinen also die Auswirkungen der Hartz-Gesetze auch denjenigen nicht zu sein, die doch eigentlich von ihrem Organisierungsprozess wissen müssten, was dabei herum kommen soll. In gewisser Weise ist das ein Hinweis dafür, dass ihnen die ca. zwei Millionen Menschen, die sie beabsichtigen direkt und frontal anzugreifen als eine Art Black Box gegenüber stehen. An Stelle von Klarheit macht sich in der politischen Rhetorik der Elite eine Art »Jetzt bombardieren wir mal im Kosovo herum, und gucken dann was so passiert« – Syndrom breit. Übrigens von keinem geringeren als Schröder selbst wurde der Zusammenhang der Hartz-Reformen mit einer verbesserten Kriegsführungsfähigkeit der BRD überall auf der Welt bereits kurz nach ihrer Verkündigung im März 2003 offen angesprochen. In einem mit den Sendern Phoenix und WDR geführten Interview erklärte Schröder, dass »es zwischen dem außenpolitischen Kurs der Bundesregierung und seinem Willen zu wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen eine `innere Beziehung´ gäbe. »Der Emanzipationsprozess nach außen muss im Innern durch Reformmaßnahmen, die wirtschaftliche Kraft neu schaffen, ergänzt werden, das müssen die Kritiker einzelner Vorschläge einsehen«, unterstrich der Kanzler« (zitiert nach Berliner Zeitung vom 29.3.2003) Mit anderen etwas polemisch zugespitzten Worten: Die »Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch« scheint es aus der Sicht der politischen Elite notwendig zu machen, die Leute hier sozialpolitisch abzukochen. Insoweit werden die uns von der politischen Elite mit den Hartz-Reformen angebotenen Perspektiven zumindest für einen kurzen Moment beunruhigend klar: Endlich auch hier arm und draußen Krieg! Das alles erlaubt die Feststellung: Die Einführung der Hartz- Gesetze scheint auch von oben – formal gesprochen – ein gigantisches Experimentierfeld zu sein. Es wird also höchste Zeit, sich wie gewünscht »proaktiv« an diesem Experiment von unten her zu beteiligen.

Mit wem – unter welchen Bedingungen: Was wollen wir von den Gewerkschaften und anderen Kräften?
Die Gewerkschaften in ihrer alten sozialstaatlich- paternalistisch–fordistisch grundierten Form, sind gerade stehend K.O. Den Hartz-Quatsch haben sie selbst mit angerührt, letztes Jahr haben sie den Streik zur Einführung der 35 Stunden Woche im Osten mit Pauken und Trompeten verloren, die 100.000 Leute Anti-Sozialkahlschlagsdemo in Berlin vom 1. November 2003 weitgehend verschlafen, und aktuell gerade den 40-Stunden-Lohnabsenkungsdeal mit Siemens unterschrieben – sie können im Grunde gleich jetzt schon ein Angebot für eine lustige 48-Stunden-Woche hinterherschicken. Auf der anderen Seite werden sie aber in diesem Land auch weiterhin als betriebliche wie gesellschaftliche Ordnungsmacht gebraucht, und zwar vor allem gegen unberechenbare Proteste und unvorhergesehene innerbetriebliche Widerstände. Dass sie nach wie vor dazu in der Lage sind, die Außenrepräsentanz der Sozialproteste zu übernehmen hat der Verlauf des 3. April gezeigt. Wenn so ein Apparat erst mal in ordnungspolitisch motivierte Bewegung kommt, dann ist allemal mit ihm zu rechnen.
Gleichwohl operieren sowohl die Gewerkschaften, wie auch Attac als auch die aktuelle neugegründete Linkspartei in einem ungeheuren gesellschaftlichen Argumentationsvakuum. Ihre Argumentation ist, wie unsere auch, - jetzt bitte nicht erschrecken - ein Krisensymptom. Sie müssen aber – irgendwie- versuchen aus dem Vakuum heraus zu treten. Aber eins zeigt uns diese eigentümliche neue Linkspartei, die nichts lieber wünscht als in die alte im Vergehen begriffene Gesellschaftsordnung zurück zu kehren, was passiert, wenn man versucht ein wenig heraus zu schwimmen: Man lernt man den Bademeister kennen. Es gibt noch tausend andere Gründe diese Gruppierungen und Kräfte mitleidlos zu kritisieren und abzulehnen, gleichwohl sind sie damit aber nicht aus der Welt. Und unter Umständen oder möglicherweise sehr sicher sogar, wird man auf sie treffen, wenn die A.3.1.5.-Aktion Fahrt aufnimmt. Abgrenzung wäre dagegen nur defensiv, anders herum: Es ist richtig erst mal alle sowieso und auch diese Gruppierungen einfach dazu einzuladen, sich mit Kräften an der Durchführung einer »verbotenen« Aktion zu beteiligen. Und dass eine derartige Form angestrebt werden soll, soll nicht irgendwelchen Identitätsgründen geschuldet sein, sondern muss sich von ihrem konkreten Inhalt sowohl aktuell, historisch, kulturell und mental jetzt angemessen begründen lassen. Der Verlauf und die Praxis der bisherigen Sozialproteste erweist, daß insoweit sie sich an die Spielregeln halten, knallhart verschluckt werden. Demgegenüber muss ein wesentlicher Sinn von A.3.1.5. darin bestehen, endlich die Spielregeln selber zu setzen, was notfalls auch zuvor in einer erbitterten Auseinandersetzung um genau diese Form erstritten werden muß. Denn in einem anderen Fall ist es nicht auszuschließen dass diese Aktion davon bedroht ist, politisch übernommen zu werden und in die bekannten Formen der politisch leer laufenden Repräsentation überführt zu werden.

Wozu: Die derzeit noch triste Praxis des Sozialprotestes
Auf den Anfang Mai im alternativen Mehringhof durchgeführten»Linken Buchtagen« organisierte eine Alt-Autonomen
Gruppe eine Veranstaltung unter dem spannenden Titel: »Do the right thing – Die Berliner Linke und der soziale
Angriff« Auf dem Podium saßen u.a. ein Vertreter des Berliner Sozialforums, der autonomen Gruppe Act! und des Berliner Sozialbündnisses. An sie wurden vom Moderator so filigrane Fragen danach gestellt, in welchen genauen Verhältnis sich ihre Gruppen denn so »zum Staat« und zur Globalisierung stellen. Keiner der Angesprochenen mochte diese Fragen in irgend einer Weise für irrelevant erklären, ganz im Gegenteil: Von allem Podiumsdiskutanten wurden sie – man ahnt es bereits – als ziemlich »wichtig« befunden. Der Vertreter des Berliner Sozialforums nutzte hier die Gelegenheit die Proteste und Widerstände von Genua und Chiapas für besonders bedeutsam zu erklären. Hier sei doch ein »Niveau emanzipatorischer Kritik« erreicht worden, das im Kampf gegen Sozialabbau keineswegs unterschritten werden dürfte, überhaupt schien es dem Sozialforumssprecher an diesem Ort mehr als angebracht zu sein, bei den in diesem Land anstehenden Sozialprotesten vor »Sozialchauvinismus«, »Rassismus« und »Antisemitismus« warnen zu sollen. Nach ungefähr 50 Minuten eines derart besinnlichen Plausches riss dann einem Zuhörenden der Geduldsfaden und so unterbrach er in dominanter Weise das Gespräch und stelltedie Frage danach, was denn die Podiumsteilnehmerinnen eigentlich von den bis dato unerwähnt gebliebenen 500.000 DemonstrantInen dächten, die am 3. April in der BRD gegen den Sozialraub demonstriert hätten: Seien das denn nun alles DGB-Trottel, »Deutsche« oder wohlmöglich sogar Leute mit denen man vielleicht irgendwie versuchen sollte, zusammen zu kommen? Der um sein klug ausgedachtes Frageregime fürchtende Moderator verwies diese ungeplante Intervention mit der Bemerkung »Wir machen jetzt erst mal weiter!« auf die hinteren Plätze. Immerhin wurde die Frage des störend Unterbrechenden dann aber doch noch vom Repräsentanten des Sozialforums großzügigerweise beantwortet: Aus einer Sicht sei ein umstandsloser Bezug auf eben jene 500.000 Leute deshalb »schwierig (...) weil die ja alle nach dem Demo wieder nach Hause gegangen« seien. Diese überraschend knappe wie simple Antwort ist in sehr beunruhigender Weise wahr. Und diese Wahrheit wird auch nicht dadurch dementiert, dass man begründet vermuten kann, dass auch die Leute in Chiapas und Genua nach ihren großen Manifestationen irgendwann einmal »nach Hause« gegangen sein könnten. In der oben zitierten Antwort spiegelt sich sowohl das große Elend intellektueller Leidenschaft in der Reflexion des Charakters der hiesigen Sozialproteste als auch der bedrückende Umstand, dass diese – in der Tat! – noch nicht einmal bei denen nachhallen, von dem man zunächst vermutet, das sie davon umgetrieben sind. Mit anderen Worten: Auch uns hallt die Aprildemo nur halb so deutlich nach, wie sie es getan hätte, wenn sie Ausdruck einer florierenden sozialen Bewegung gewesen wäre, der man zutraut auch »morgen politisch rauszutreten«. Und genau das war beim Protest der 500.000 vom 3. April zunächst einmal nicht der Fall. Die Leute treten unter großen Mühen einmal heraus auf die Strasse, und scheinen sich dann wieder nach nirgendwohin zurück zu ziehen. Zu berücksichtigten ist dabei allerdings, das diese Lesart und Interpretation sowohl der politischen Elite wie auch den von ihr kontrollierten Medien sehr willkommen ist. Sie haben auch nicht das geringste Interesse daran, die Existenz dieser 500.000 – Leute auf der Strasse in irgend einer Weise »im Spiel zu halten.« Ihre Lesart ist eine völlig interessierte und damit auch ganz andere. Hier gilt knallhart: »Diese Leute, diese Demo hat es nie gegeben! Und wenn doch, dann ist sie völlig irrelevant, verstehst du?!« Das ist die eine sehr strategische Seite einer insgesamt als trist zu bezeichnenden Situation, in der jeder Sozialprotest nach nirgendwohin verdampfen soll. Und das sie keineswegs unerfolgreich ist, zeigt die Beschreibung jener kleinen Veranstaltung im Berliner Alternativzentrum Mehringhof.
Die andere Seite dieses komplizierten Arrangements besteht darin, das uns derzeit schlicht noch die politischen wie sozialen Erfahrungen dafür fehlen, Bewegungen zu konstituieren oder sich in ihnen zu engagieren, die auf dem Terrain ihrer vollständigen Überflüssigkeit agieren müssen. Wie kann man politisch schlau, gut und trickreich handeln, wann auf eine massive Ausschlussdynamik zu reagieren ist, wenn man beständig davon bedroht ist von der eigenen wie auch der allgemeinen sozialen Misere verschluckt zu werden, anstatt sich selbst in einer Kultur der Unentbehrlichkeit ins Spiel zu bringen? Viele unserer politischen Erfahrungen kommen aus einer bewegungsreicheren Zeit, in der die frontale Thematisierung unserer eigenen Existenz nicht Thema war, man die Zeit damit zubrachte andere aufzufordern sich jetzt bitteschön »zu organisieren«. Unsere Issues fanden gewisse Resonanz in der bürgerlichen Öffentlichkeit, unsere Aktionen konnten oft relativ schnelle Reaktionen verbuchen, ob nun in Form von staatlicher Repression oder in der modifizierten Übernahme unserer Anliegen. Demgegenüber scheint die Thematisierung kollektiver prekärer Existenz ein ödes, langweiliges und unangenehmes, vor allem aber politisch strategisch unter den Bedingungen der derzeitigen Kräftekonstellation für niemanden ausbeutbares Thema zu sein. Wir glauben, dass wer sagt, dass es notwendig und richtig ist, sich auf diesem Terrain politisch, sozial und kulturell zu organisieren, einen verflucht langen Atem braucht – mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit, dass er ihm zwischendrin ausgeht.
Kein Missverständnis: Wir hätten auch gerade mehr Lust, das alles nun mit mehr »Kommunismus ist sexy« oder »... schallala« usw. zu formulieren, aber dieser Trick funktioniert in diesem Fall leider nicht. Und überhaupt ist manchmal ist die beste Antwort auf eine komplizierte Frage das Aufwerfen einer anderen, einer besseren Frage. Das wurde hier jetzt einfach mal versucht.

Und schließlich wie: Zur Aktion und ihrer Technologie selbst:
Wir kündigen hier den ersten den postfordistischen Arbeitslosenstreik bei der Arbeitsagentur schon mal an. »A.3.1.5« soll den regulären Betrieb möglichst aller Arbeitsämter in der BRD unterbrechen und stilllegen; an diesem
Tag sollen dort gerade keine allgemeinen Begrüßungen, Kommentare oder sonstige Spassevents stattfinden. Zugleich soll mit der Praxis dieser Aktion auch nicht in erster Linie eine Blockade, eine Besetzung, eine Aneignung, oder gar ein Happening stattfinden. Und an einer »Beratung« sind wir an diesem Ort dort nur insoweit interessiert, als das sie mindestens einen gesellschafts-politischen Horizont eröffnen muss, anstatt diesen sozialtechnokratisch zu schließen. Statt die Leute allein zum Nutzen der Spielräume oder zum Tricksen aufzufordern, wollen wir uns über unsere Situation verständigen, Tricks vergesellschaften und trickreich dem gesellschaftlichen Elend kollektiv den Kampf ansagen. Dabei besteht ein wesentlicher Grund um ins Gebäude zu kommen, in der kalten Jahreszeit und in der direkten Ansprache der dort gegen uns zukünftig mehr denn je eingesetzten Agenturbeschäftigten. In der Aktion selbst muss sich eine Perspektive auf eine nicht normierte, und in Elementen unvorhergesehenen Kommunikation realisieren.
Der Betrieb soll begründet für den gesamten Tag unterbrochen werden. Dafür brauchen wir aber den Selbstanspruch auf Kommunikation, nicht deren Abbruch. Um den kollektiven Charakter der ganzen Aktion zu unterstreichen macht es großen Sinn einen direkten Marsch auf diese Institution durchzuführen. Es soll schon gleich von Beginn an »offensiv zur Sache gehen«, anstatt dass wir uns nach und nach vereinzelt vor einem großen Gebäude einfinden, wo wir direkt betrachtet noch kleiner erscheinen, als wir es ohnehin schon sind und – aus der Perspektive der Macht – auch sein sollen. Überhaupt muß sowieso an jedem anvisierten Ort vorher genau geguckt werden, was an kollektiver Aktion wie auch Zugang möglich und sinnvoll ist. Ein jedes Arbeitsamt hat – wenn man genau hinschaut – hundert Zugänge, und keiner davon sollte uns für unseren geplanten großen Tag des kollektiven Widerspruches und der Unzufriedenheit verschlossen bleiben.
Dieser Anspruch einer Mischung aus »Demo, Aktion und Kommunikation« ist der kalten Einsicht geschuldet, das wir mit einem Marsch auf das Arbeitsamt, d.h. an einen Ort an dem wir noch nie haben sein wollen, der immer ein Ort war, an den wir gezwungen waren, hin zu gehen, sehr unbarmherzig auf die ziemlich ungelösten Widersprüche unserer eigenen politischen, sozialen wie philosophischen Existenz gestoßen werden. Und mindestens die gilt es in Bewegung zu bringen, anstatt sie abzubrechen. Die maximale Erfüllung des angestrebten politischen Zieles besteht in der Schließung aller Arbeitsämter in der Bundesrepublik. Nach dem gegenwärtigen Stand der konkreten Organisierung können wir derzeit davon ausgehen, den Betrieb von maximal fünf Arbeitsämtern in diesem Land beeinträchtigen zu können. Ob es bis zum 3. Januar 2005 noch erheblich mehr werden, hängt in den nun folgenden Monaten von unserer Fähigkeit zur Selbstmobilisierung und zur Initiierung einer diesbezüglichen breiten gesellschaftlichen Diskussion ab. Die Idee dieser Aktion hängt aber gerade nicht an einer zentralen Mobilisierung zu wenigen bekannten Punkten und Orten ab. Statt dessen soll sich an diesem Tag ein breites flächendeckendes aber dezentral gestricktes Netzwerk des kollektiven Widerspruchs in alle Arbeitsämter dieses Landes hinein erstrecken. Und selbst an den Orten, wo eine direkte Beeinträchtigung des Arbeitsamtsbetriebes zunächst nicht erreichbar erscheint, ist es richtig sich dort mit fünf, zehn und vielleicht auch noch mehr Leuten zusammenzuschließen, um dieses »NEIN zu Hartz Vier, Fünf usw.!« wirksam werden zu lassen. Auch wenn es sein kann, dass wir an diesem Tag an bestimmten Orten nicht Hunderte werden, so stehen in dieser Sache bei jeder einzelnen Aktion, die sich quer gegen die Arbeitsagentur bewegt, Millionen hinter uns. Und darüber hinaus gilt sowieso: Wenn man sich noch einmal den Inhalt der Hartz-Gesetze genauestens durch den Kopf gehen lässt, dann haben wir mit dieser zugegeben ungewöhnlichen Anstrengung kaum etwas verlieren und fast alles zu gewinnen. Fangen wir also mit der Organisierung unseres kollektiven Widerspruches einfach an.
Erst mal zwei-einhalb von ca. 4,5 Milliarden Überflüssiger
auf der ganzen Welt

 

27.07.2004
Zweieinhalb Überflüssige   [Aktuelles zum Thema: Soziale Kämpfe]  [Schwerpunkt: Hartz IV]  Zurück zur Übersicht

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