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Gipfelinfo: Genua

Gipfelinfo - Meldungen über globalisierte Solidarität
und die Proteste gegen unsolidarische Globalisierung
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Deutsche treten in Genua als Kläger auf

Globalisierungskritiker reisen zum Prozess gegen Polizisten, die Protestierer
verprügelt haben sollen

Am Samstag beginnt in Genua der Prozess gegen 29 italienische Polizeioffiziere,
die während des G8-Gipfels 2001 in der Diaz-Schule Globalisierungskritiker
brutal zusammengeschlagen haben sollen. Rund 25 deutsche Opfer treten als
Nebenkläger auf.

VON PETER NOWAK
Berlin · 22. Juni · Die Nacht zum 22. Juli 2001 wird Steffen Sibler wohl nie
vergessen. Der Berliner Politologiestudent war in Genua, um gegen den G8-Gipfel
zu protestieren. Er war einer von 93 Menschen aus mehreren Ländern, die in der
Nacht von der italienischen Polizei unsanft aus dem Schlaf gerissen wurden. Die
Bilder von Polizisten, die in Schlafsäcken liegende Menschen schlugen und
traten, gingen um die Welt.

Am Samstag wird Sibler in einer Delegation von 25 Deutschen, die in der
Diaz-Schule erst verprügelt und dann festgenommen wurden, wieder nach Genua
reisen "Wir sind nicht hier als Opfer, wie vor drei Jahren, sondern als
Ankläger", schreiben die Teilnehmer der Delegation in einer Erklärung, die sie
am Dienstag im Berliner Abgeordnetenhaus der Presse vorstellten. Sie treten als
Nebenkläger im Verfahren gegen 29 leitende Polizisten und Beamte auf, die für
den Überfall auf die schlafenden Demonstranten verantwortlich gemacht werden.

Die Eröffnung des Prozesses bezeichnet die Berliner Rechtsanwältin Eva
Lindenmaier, die mehrere der Opfer vertritt, als "Etappensieg". Die
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hätten die Version der Polizei gründlich
widerlegt. Polizisten hatten behauptet, aus der Schule mit Steinen beworfen zu
sein. Außerdem seien zwei Brandsätze im Gebäude gefunden worden.

Beide Behauptungen wurden nach Darstellung der Anwältin widerlegt: Es sei
nachgewiesen worden, dass die beiden Molotow-Cocktails von Polizisten in die
Schule geschmuggelt worden seien. Sie sollten die Demonstranten in die Nähe des
gewaltbereiten "Schwarzen Block" rücken, den die italienische Regierung für die
Ausschreitungen am Rande der friedlichen Proteste gegen den G8-Gipfel
verantwortlich machte.

Lindenmaier hält es für völlig offen, ob und wann es zu einer Verurteilung der
Polizisten kommt. Es gebe Erfahrungen, dass die italienische Justiz solche
Verfahren auf bis zu sieben Jahren verzögere. Unter den Verteidigern der
angeklagten Polizisten seien zwei Abgeordnete von Parteien, die zur
italienischen Regierungskoalition gehören: "Das zeigt die politische Brisanz,
die das Verfahren hat", so Lindenmaier.

Auf der juristischen Tagesordnung stehen die Proteste gegen den Gipfel von Genua
auch in Prozessen gegen Globalisierungskritiker aus Deutschland und Österreich.
Gegen rund 50 von ihnen soll demnächst die Anklageschrift fertig sein. Sie
werden des italienischen Äquivalents zum Landfriedensbruch beschuldigt.

Die Angeklagten haben, so Lindenmaier, nur 21 Tage Zeit für einen Widerspruch.
In dieser Zeit müssen Akten übersetzt und durchgearbeitet werden. Zudem gelte
gegen die meisten der Beschuldigten ein Einreiseverbot nach Italien. Der
rechtspolitische Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Volker
Ratzmann, sieht daher Reformbedarf bei der grenzüberschreitenden
Strafverfolgung. Um ein Szenario zu verhindern, das Lindenmaier so beschreibt:
In Italien wird ein Beschuldigter in Abwesenheit zu langer Haft verurteilt,
erfährt davon aber erst, wenn er mit einem europäischen Haftbefehl festgenommen
wird.

[Frankfurter Rundschau online 2004, Erscheinungsdatum 23.06.]


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23.06.2004
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