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Genua: Gipfelinfos

Gipfelinfo - Meldungen über globalisierte Solidarität
und die Proteste gegen unsolidarische Globalisierung
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- In Italien sollen Polizisten bei einmaliger Gewaltanwendung in Verhören
straffrei ausgehen
- Vom Globalisierungskritiker zum Taliban - für Berlusconi ein kleiner Schritt

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In Italien sollen Polizisten bei einmaliger Gewaltanwendung in Verhören
straffrei ausgehen

Eine von der rechtsextremen Lega Nord ins Parlament eingebrachte
Gesetzesänderung des Folterparagrafen wurde in erste Lesung von der Mehrheit
gebilligt

Folter und Misshandlungen sind nicht auf kriegsführende Länder beschränkt, wenn
es um die Erpressung von Informationen oder Geständnissen oder um Rache geht.
Wenn es um Terroristen geht, neigen nicht nur britische und amerikanische
Geheimdienstmitarbeiter oder Militärs zu groben Mitteln und zum
menschenrechtlichen Ausnahmezustand. In vielen Ländern sind Folter und
Misshandlungen von Gefangenen an der Tagesordnung, auch in europäischen kommt
sie vor, wie beispielsweise jüngst in Deutschland ( Misshandlungen in deutschem
Gefängnis. Und in Italien ist nun eine Abgeordnete der Lega Nord noch weiter
gegangen und hat im Parlament eine Gesetzesveränderung eingereicht, die nur
mehrmaliges Foltern verbieten würde. In der ersten Lesung wurde das Gesetz
mehrheitlich angenommen.

In Italien, in dem Berlusconi noch weitgehend selbstherrlich herrscht und sich
die Macht über die Medien gesichert hat, ist das brutale Vorgehen der
italienischen Polizei gegen Globalisierungsgegner bei den Krawallen beim
G-8-Gipfel in Genua im Juli 2001 noch nicht aufgearbeitet. Die Polizei hatte
nicht nur Beweise gefälscht, sondern war gewaltsam in Schulen eingedrungen, in
den sich Globalisierungsgegner befanden, hat diese dort und nach der Festnahme
in der Kaserne Bolzaneto misshandelt ( Schockierende Einzelheiten über das
brutale Vorgehen der italienischen Polizei; Folter in Genua?). Immerhin wurden
Ermittlungen gegen eine ganze Reihe von Polizisten und anderen Verantwortlichen
aufgenommen ( Juristische Aufarbeitung der Genua-Proteste). Die
Staatsanwaltschaft von Genua forderte erst jetzt wieder die Einleitung eines
Verfahrens gegen forderte die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen 47
Polizisten, Ärzte und Militärangehörige, die Globalisierungsgegner in der
Kaserne Bolzaneto schwer misshandelt haben sollen.

Möglicherweise auf diesem Hintergrund hat die Abgeordnete Carolina Lussana von
der rechtsextremen Lega Nord einen Vorschlag zur Änderung von Artikel 216
(Folter) des Strafgesetzes im Parlament eingereicht, der am 22. April bei der
ersten Lesung mit Mehrheit angenommen wurde. 2 Abgeordnete haben sich der Stimme
enthalten, 176 haben dagegen gestimmt, dafür waren 201.

Zunächst einmal sollte die Formulierung, dass ein Angestellter im Staatsdienst
einen Menschen "mit schwerwiegender Gewalt oder Drohung" dazu bringen will,
Informationen zu geben oder ein Geständnis abzulegen, mit Gefängnis zwischen
einem und zehn Jahren bestraft wird, durch "Folter" ersetzt werden, so dass
Gewalt und Drohung eher ausgeübt werden können. Da dies nicht durchging, schlug
Lussane mit anderen vor, "wiederholt ... mit schwerwiegender Gewalt und Drohung"
zu ersetzen. Das konnte dann passieren, auch wenn die Hinzufügung
"schwerwiegend" keine Zustimmung fand, so dass damit eine einmalige oder nicht
wiederholte Gewaltanwendung oder -androhung oder eine "leichte" Folter straffrei
bleiben würde. Die Strafandrohung für Folter wurde auf das Maß von einem halben
Jahr bis zehn Jahre verändert, Lussane hätte auch gerne die Höchststrafe auf
fünf Jahre gesenkt. Überdies wurde bei der Zufügung von "körperlichem oder
psychischem Leid" das Wort "schwerwiegend" ergänzt. Die Gesetzesänderung käme
auf jeden Fall auch den Polizisten und Militärs sowie ihren Vorgesetzten
entgegen, die für die Misshandlungen in Genua verantwortlich waren, wenn man den
Begriff der Wiederholung entsprechend auslegt.

Nach der Abstimmung gab es heftige Kritik. Auch manchen Abgeordneten der
Regierungskoalition - nur zwei haben dagegen gestimmt, zwei sich der Stimme
enthalten - kamen schließlich Bedenken und sprachen wie der christdemokratische
Europaminister Rocco Buttiglione, der bei der Abstimmung nicht anwesend war, von
einem "schrecklichen Ausrutscher". Andere sagten, man habe zugestimmt, um die
lädierte Koalition nicht zu gefährden. Der Justizminister Roberto Castelli, wie
Lussana von der Lega Nord, versteht die Aufregung nicht, da es doch nur darum
ginge, der Polizei ui helfen. Kritiker wie der USC-Abgeordnete Marco Follini
sprachen hingegen von "Barbarei" und einem Rückfall ins Mittelalter. Lussana
entgegnete, man sei nicht für die Folter, aber man wolle "nicht auf der Seite
derjenigen stehen, die die Polizei kriminalisieren wolle". Die Linken warnten,
dass die Mitterechts-Regierung das Land in einen Polizeistaat verwandeln wolle.

Wahrscheinlich dürfte, gerade nach dem Folterskandal im Irak, die
Gesetzesänderung nicht beschlossen werden. Vermutlich wird man die Wiederholung
nur auf die Drohungen einschränken. Würde die Gesetzesänderung tatsächlich
beschlossen, so verstieße sie, wie Marco Bertotto, der Vorsitzende der
italienischen Sektion von Amnesty International betonte, gegen das
internationale Abkommen gegen die Folter, das von Italien ratifiziert wurde.

Florian Rötzer 12.05.2004

[ http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/17410/1.html]


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Vom Globalisierungskritiker zum Taliban - für Berlusconi ein kleiner Schritt

Mit dubiosen Anschlägen und massiver Propaganda wird die italienische Linke
kriminalisiert

Aus den Trümmern des WTC stieg noch der Rauch auf, als Italiens Präsident Silvio
Berlusconi den Anschlag schon propagandistisch gegen die Globalisierungskritiker
nutzte und verkündete, er sehe "eine einzigartige Übereinstimmung zwischen den
Aktionen der Terroristen und der Bewegung gegen die Globalisierung". Schon
während des G8 in Genua hatte der italienische Staatschef die Gegendemonstranten
als "Feinde des Westens" tituliert. Nun schob er hinterher, es gäbe innerhalb
des überlegenen Westens "Personen, die diese Überlegenheit nicht anerkennen
wollen und ihm die Schuld an der Armut in Teilen der Welt geben". Die
Propagandawelle rollt. Die Anschläge von New York werden in Italien dazu genutzt
Stimmung zu machen gegen Migranten und Linke. Sprecher der an der Regierung
beteiligten Lega Nord erklärten jedes besetzte Zentrum sei eine "potentielle
Zelle von Bin Ladens Terroristen".
Der scharfe Ton passt auch zu dem Vorgehen rund um Genua (eine Chronologie [1]
zu Genua), das schon einige Aktivisten und Analytiker dazu brachte, von einer
Neuauflage der Strategie der Spannung zu reden.Das Vorgehen Berlusconis dürfte
aber nicht wundern: Politisch gestützt und mitorganisiert wurde die Strategie
von der Geheimloge "Propaganda2" (Vgl. Banken., Börsen, Berlusconi [2]). Sie
bestand aus etwa 1.000 Politikern, hohen Militärs, in- und ausländischen
Geheimdienstchefs, hohen Vertretern aus Polizei und Carabinieri,
Bankpräsidenten, Unternehmern und Journalisten. Und auch der Medienmogul und
heutige Staatschef Silvio Berlusconi war Mitglied der P2. Etwa 100 von ihnen
wurden wegen Verwicklungen in illegale Geschäfte, Putschpläne, Morde,
Erpressungen, Anschläge und Verdunklung rechtskräftig verurteilt.

Strategie der Spannung

Als Strategie der Spannung wurde in Italien die Strategie der politischen und
militärischen Elite bezeichnet, die darauf abzielte, den Eindruck einer
vermeintlichen Instabilität des Systems sowie Angst zu erzeugen und damit die
Notwendigkeit eines "starken Staates" plausibel zu machen. Sie wurde in den
vergangenen 35 Jahren von einem Netz klandestiner Organisationen, bestehend aus
Militärs, Geheimdienstlern und Zivilisten verfolgt. Die Strategie entstand in
den 60er Jahren als Antwort auf die erstarkende Linke. Nach mehreren kleineren
Bombenanschlägen ohne tödliche Opfer fordert am 12. Dezember 1969 ein Anschlag
auf die Nationale Landwirtschaftsbank in Mailand 17 Tote und 84 zum Teil schwer
Verletzte.
Die Ermittlungen konzentrierten sich auf die radikale Linke. Es kam zur
Verkündung eines Quasi-Notstandes, alle Demonstrationen wurden verboten, die
Repression gegen die außerparlamentarische Linke verschärft und die Befugnisse
und Ausrüstung der Repressionsorgane ausgeweitet. Der Anarchist Giuseppe Pinelli
wird fest genommen, "fällt" aus dem Fenster eines Mailänder Polizeireviers und
wird nach seinem Tod als Urheber des Anschlags präsentiert. Heute ist
gerichtskundig, dass dieser und viele der folgenden Anschläge von den
italienischen Geheimdiensten in Zusammenarbeit mit Neofaschisten begangen
wurden. Das gleiche gilt für viele weitere Anschläge: Am 31. Mai 1972
explodierte im Ort Peteano ein in einem Fahrzeug versteckter Sprengsatz und
tötet drei Carabinieri. - Am 28. Mai 1974 explodierte in Brescia während einer
Gewerkschaftskundgebung, eine Bombe. Sie tötete acht Personen und verletzte 102.
- Am 4. August 1974 explodierte im Italicus-Express (Zug Rom-München) zwischen
Florenz und Bologna eine Bombe, zwölf Menschen starben, 45 wurden verletzt. Die
Kriminalisierung der Linken nahm weiter zu. Die Repressionswellen von '79 bis
'82 führten zu 40.000 Anzeigen, 15.000 Verhafteten und 4.000 zu Tausenden von
Jahren Haft Verurteilten. In dieser Zeit explodierte am Samstag den 2. August
1980, Höhepunkt des Ferienverkehrs, im Bahnhof von Bologna eine Bombe. Teile der
Bahnhofshalle stürzten ein, 85 Menschen starben. Nach der Anfang der 80er
weitgehend vollzogenen Zerschlagung der radikalen Linken wird noch alle paar
Jahre stabilisierend weiter gebombt, so etwa am 23. Dezember 1984 als ein
Sprengsatz im Zug Mailand-Neapel in einem Tunnel kurz hinter Florenz
explodierte. 16 Personen starben, 277 wurden teilweise schwer verletzt. Als
Schuldige ausgemacht wurde eine Gruppe von Mafiosi und Faschisten. Auch als in
den 90ern eine radikale Linke kaum noch eine Bedeutung hatte, setzten sich die
Anschläge fort, doch nun waren es nicht mehr Faschisten, sondern zunehmend
Mafia- Gestalten, die die Ausführung besorgten. Zu den Zielen gehörten
beispielsweise die Uffizien in Florenz.

Buchtipp zu Strategie der Spannung und Gladio: Jens Mecklenburg (Hg.) - Gladio.
Die geheime Terrororganisation der Nato, Espresso Verlag 24,80DM

Die ersten Hinweise auf eine mehr oder weniger verdeckte Strategie zur Erhöhung
der Spannung gab es bereits einige Tage vor dem G8 in Genua.
Diverse Briefbomben - einige unterschrieben von vermeintlich anarchistischen
Gruppierungen - wurden verschickt. Ein 20jähriger Militärdienst leistender
Carabinieri wurde beim Öffnen eines in einem Päckchen getarnten Sprengsatz am
Auge und an einer Hand verletzt, ebenso erging es einer Sekretärin des rechten
TV-Journalisten Emilio Fede, ein weiterer detonierte in der Poststelle der Firma
Benetton. Auch das besetzte Zentrum Leoncavallo [3] in Mailand erhielt ein
solches Päckchen, entdeckt wurde es jedoch erst nach der Rückkehr aus Genua.
Unter einem Camper in der Nähe des Carlini-Stadions in Genua -wo die
"Ungehorsamen" (Tute Bianche und andere) ihr Camp hatten - wurde ein Sprengsatz
gefunden und rechtzeitig entschärft. In Bologna wurde ein präparierter
Schnellkochtopf, zu dem die Polizei mit dem Hinweis gelotst wurde, er enthalte
Ecstasy, entschärft. Der Sprecher des GSF [4], Vittorio Agnoletto, erhielt einen
Brief mit seinem Foto und zwei Pistolenkugeln. Weitere Anschläge trugen
ebenfalls zu einer Verschärfung des Klimas bei.

An die Spur der "Anarchisten" will angesichts der Beliebigkeit der Ziele und des
nicht gerade "linken Mittels" Briefbombe kaum jemand glauben. Die Bewegung ist
sich relativ einig und verurteilt die Briefbomben als versuchte Neuauflage einer
Strategie der Spannung, die sich gegen die Linke richtet. Ist die Vermutung der
Strategie der Spannung berechtigt? Einiges deutet darauf hin. Die Anschläge im
Vorfeld, die massive Repression in Genua, die Anwesenheit in Genua von hohen
Regierungsvertretern, die großen Anschläge danach, die folgende Hetze und
Kriminalisierung, alles scheint einem altbekannten Drehbuch zu folgen...

Die Qualität des Terrors der Sicherheitskräfte während der Proteste gegen den G8
in Genua war ebenso wenig wie die Ermordung von Carlo Giuliani die Folge des
Einsatzes "unerfahrener Polizisten, die die Nerven verloren haben". Schusswaffen
wurden von Polizei und Carabinieri häufig gezogen und selbst Schüsse wurde
wiederholt abgegeben. Vize-Premier Gianfranco Fini der faschistischen AN befand
sich in den Tagen höchstpersönlich im Fort San Giuliano und gab die politische
Linie für die Sicherheitskräfte vor. Der italienische Justizminister Roberto
Castelli - ein rechtsradikaler Institutionen- und Demokratie-Verächter der Lega
Nord - hat zugegeben, während dieser Tage in der Folterkaserne Bolzaneto (in der
DemonstrantInnen dutzendweise systematisch über Tage hinweg gefoltert wurden)
vor Ort gewesen zu sein, nur Anzeichen von Übergriffen will er - entgegen der
Aussagen anderer Zeugen - nicht gesehen haben.

Der ehemalige "Sozialist" und langjährige Dauerinnenminister Francesco Cossiga
verteidigt den Einsatz der Sicherheitskräfte mit einem Rekurs auf seine eigene
blutige Vergangenheit als Innenminister, als mehrere Demonstranten von Polizei
oder Carabinieri erschossen wurden. Auch er stellte nach Genua die gesamte
Öffentlichkeit vor die simple Frage: "Für uns oder gegen uns". Das verwundert
nicht, Cossiga ist einer der Hauptverantwortlichen der Strategie der Spannung in
vergangenen Jahrzehnten. Militärisch wurde die Strategie vom illegalen
Gladio-Netz [5] getragen [6], in dem die Geheimoperationen zusammenflossen und
abgestimmt wurden. Im Oktober '90 gab die italienische Regierung erstmals
offiziell die Existenz von Gladio zu. Während Francesco Cossiga, damals
Staatspräsident, gleichzeitig erklärte, er sei stolz darauf '67, als
Untersekretär im Verteidigungsministerium das Gladio-Netz reorganisiert zu
haben. Im Oktober schlug er gar eine Reorganisation des Gladio-Netzes vor. Viele
ehemalige Veteranen des illegalen Netzes haben sich sogar in einem Verband [7]
zusammengefunden.

Nach Genua fehlte streng nach Drehbuch nur noch eine "große Bombe", wie auch
einige Linke scherzhaft anmerkten. Doch die Wirklichkeit kennt die Sorge der
Banalität nicht und so folgte in Venedig in der Nacht vom 8. auf den 9. August,
vor einem Besuch Berlusconis in der Stadt, der große Knall und eine Bombe
zerstörte Teile des Gerichtes der Lagunenstadt. Bürgermeister Paolo Costa fühlte
sich an die von Mafia und Geheimdiensten in den 90ern verübten Anschläge in
Florenz und Rom erinnert und der Vize- Bürgermeister Bettin stellte fest:
"Jedes mal wenn in Italien eine wachsende Bewegung existiert, die die Frage nach
einer Veränderung des Landes stellt, gibt's Bomben oder es schießt jemand (...)
die Gewohnheit Spannung zu erzeugen ist eine Konstante im italienischen
politischen System, das durch die undurchsichtige Rolle der Geheimdienste noch
komplizierter wird." SprecherInnen der radikalen Linken bezeichneten die Bombe
als eine "Bombe gegen die Bewegung". Doch die Presse und regierungsnahe Kräfte
sprachen von einem "Qualitätssprung" der Antiglobalisierungsbewegung und
stellten einen direkten Zusammenhang zu den Protesten in Genua her. Staatschef
Berlusconi bezichtigte gar die G8-Gegner der Urheberschaft des Anschlags und
forderte erneut die "nationale Einheit", was von der DS, und dem oppositionellen
Ulivo-Bündnis erfreut aufgenommen wurde.
In den Tagen nach dem Anschlag gingen verschiedene Anschlagserklärungen ein. Von
der Presse hervor gehoben und als glaubwürdig dargestellt wird nur eine
Erklärung der "Nuclei Territoriali Antimperialisti", die inhaltlich außerhalb
von Zeit und Raum steht und wie aus Textbausteinen vergangener Zeiten
zusammengesetzt scheint. Der ermittelnde Staatsanwalt Casson hielt die Erklärung
für unglaubwürdig. Für die beiden Richter Carlo Mastelloni (der in den 80er
schon für einige Ermittlungen gegen vermeintliche und wirkliche Rote Brigaden
verantwortlich zeichnete" und Guido Papalia hingegen stand fest: Der Feind steht
links.

Wenige Tage später schreiben die Geheimdienste in einem Bericht für das
Parlament von einem Wiederaufbau der Roten Brigaden und stellen die Bewegung
gegen die kapitalistische Globalisierung teilweise in diesen Zusammenhang.
Völlig im Delirium - oder als Teil einer allgemeinen Strategie der
Verunsicherung - erklärte Lega Nord-Führer und Regierungsmitglied Umberto Bossi,
hinter den Bomben und den Ausschreitungen in Genua stünden Teile der
Geheimdienste, die der Linken treu seien. Zugleich mehren sich die Stimmen in
der Regierung, die die Justiz auffordern, den Tute Bianche-Sprecher Luca
Casarini endlich anzuklagen und zu verhaften.

In Venedig hingegen deuten die Ermittlungen zunehmend auf eine Bande der Region
hin, gegen die am Tag nach dem Anschlag eine staatsanwaltschaftliche Befragung
im Gericht angesetzt war. Bei der auf Raubüberfälle spezialisierten Bande wurde
unter anderem auch Plastiksprengstoff gefunden, der dem in Venedig benutzten zu
ähneln scheint. So folgte die nächste Bombe, die der Linken zugeschrieben wird:
In der Nacht zum 21.08. zerstörte ein starker Sprengsatz den Sitz der Lega in
Vigonza, Padova. Es ging kein Bekennerschreiben ein, doch wieder wird über die
Gefährlichkeit des "neuen linken Terrorismus" geredet.

In diesem Klima schreitet die Kriminalisierung der Linken weiter voran. Im
September folgen Justizbeamte den Forderungen der Regierung und leiten
Ermittlungen gegen den Tute Bianche Sprecher Luca Casarini wegen Aufruf zur
"Bildung einer kriminellen Vereinigung" ein, weitere Verfahren gegen
AktivistInnen aus der Bewegung sollen folgen ... Noch mehr von Durchsuchungen
betroffen ist aktuell aber das anarchistische Spektrum, das Medien und
Sicherheitsapparat schon von Anfang der Briefbombenanschläge bezichtigten. In
Genua wurde ein Brandanschlag auf das von Anarchisten besetzte Centro Sociale
Pinelli verübt und ein auf dem Polizeihof stehender, konfiszierter Lastwagen
einer ehemals inhaftierten Deutschen niedergebrannt. Etwa zur gleichen Zeit
erfolgte eine Welle von Hausdurchsuchungen in etwa 15 verschiedenen
italienischen Städten gegen vermeintliche Vertreter
des"anarcho-insurektionalistischen" Spektrums [8]. Doch von den etwa 60
ursprünglich vorgesehenen Haftbefehlen wurde kein einziger vollzogen, da sie
offensichtlich jedweder Grundlage entbehrten. Eine Woche später traf es die
Jugendlichen eines besetzten Zentrums in Florenz, die sich selbst nicht einmal
als Anarchisten bezeichnen, doch auch hier nur ein Schlag ins Wasser, schlichter
Polizeiterror. Ein Ende der Repression ist noch nicht in Sicht.

Im Unterschied zu den 60er und 70er Jahren scheint die Strategie der Spannung
jedoch nicht so aufzugehen wie gedacht. Ein Großteil der Bewegung entzieht sich
bewusst der Eskalationsspirale und macht dies auch deutlich. Zugleich mehren
sich auch die Stimmen, die nicht den Urheber einer jeden Bombe zuerst in der
Linken suchen. Allerdings steht nach den Anschlägen in den USA der Ruf nach der
"nationalen Einheit" und einer starken Regierung sowie das einfache Motto "mit
uns oder gegen uns" wieder im Vordergrund. Durch den Krieg gegen Afghanistan
sind die Parteien noch enger zusammen gerückt und die globalisierungskritische
Bewegung, die sich in Italien in eine Antikriegsbewegung verwandelt hat, wird
als "Feind im eigenen Land ausgemacht".

Links

[1]  http://www.sherwood.it/sherwoodcomunicazione/genova.htm
[2]  http://www.heise.de/tp/deutsch/special/wtc/9683/1.html
[3]  http://www.ecn.org/leoncavallo
[4]  http://www.genoa-g8.org
[5]  http://www.copi.com/articles/guyatt/gladio.html
[6]  http://users.westnet.gr/~cgian/gladio.htm
[7]  http://www.bietti.it/gladio/gladio.htm
[8]  http://docom.inventati.org

Dario Azzellini 28.11.2001

[ http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/11217/1.html]

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20.06.2004
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